Audi RS6 Avant gegen Mercedes E63 T AMG S 4Matic
Zwei Rennlaster im Vergleichstest

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Einen ausgewachsenen Kühlschrank kaufen, einladen und dann ab auf die Rennstrecke? Solange die Ladung gut gesichert ist, wäre das mit dem Audi RS6 Avant und dem Mercedes E63 AMG S T-Modell möglich. Wir haben dennoch den Kühlschrank weggelassen.

Audi RS6 Avant, Mercedes E 63 T AMG S 4Matic, Frontansicht
Foto: Rossen Gargolov

Für Max wäre die Sache wohl klar. Der nachnamenlose Butler des Millionärs-Pärchens Jonathan und Jennifer Hart aus der 70er-Jahre-US-Fernsehserie "Hart, aber herzlich" fuhr damals das teuerste T-Modell aus Stuttgart: einen 300 TD Turbodiesel, Baureihe W123. Heute heißt die Krönung aller T-Modelle E63 AMG S, leistet absurde 585 PS, entwickelt ein maximales Drehmoment von 800 Newtonmetern und leitet es an alle vier Räder weiter. Ungeachtet dieser Superlative gebührt jedoch Audi die Ehre, diese Nische als Erster besetzt zu haben.

Audi RS6 Avant mit modernerem Interieur

Daher wehren sich die Ingolstädter mit dem Audi RS6 Avant, dessen V8-Biturbo 560 PS stark ist und mit 700 Nm die Kurbelwelle auswringt. Allradantrieb? Aber sicher doch, schließlich leben wir ja nicht irgendwo, sondern im "Land des Quattro", wie die Marketing-Strategen von Audi aktuell beteuern. Ganz habhaft dagegen: der frischere Auftritt des Audi. Die Gnade der späten Geburt verhilft ihm zu einem moderneren Interieur mit ausfahrbarem Acht-Zoll-Monitor. Viel interessanter jedoch: Der Audi RS6 informiert über Öltemperatur, Ladedruck und misst Rundenzeiten.

Damit diese möglichst niedrig ausfallen, reizt Audi die Downsizing-Idee aus und nutzt einen Vierliter-Biturbo-V8, um den Zweitonnen-Kombi in Schwung zu bekommen – was ihm in etwa so viel Mühe bereitet wie dem Butler Max, eine Runde Gassi mit Hund Friedwart im schnieken Bel Air zu gehen.

Da das maximale Drehmoment bereits bei 1.600 Umdrehungen abgerufen wird und die Achtstufenautomatik vergleichsweise kurz übersetzt ist, reißt sich der Audi RS6 im Vergleichstest mit Hilfe seiner Launch Control bedrückend gewalttätig aus dem Startblock. Zudem hetzt das mit 10,1 : 1 verdichtete Triebwerk trotz langhubiger Auslegung ungestüm durch das Drehzahlband, lässt seine Kolben bei Nenndrehzahl mit 16,9 m/s durch die Zylinder schießen.

RS6 in unter 4 Sekunden auf Tempo 100

Bei 6.600 Umdrehungen, wenn das trotz Sportabgasanlage dezente, gewittrige Grummeln zu gedämpftem Brüllen anschwillt, lädt das Automatikgetriebe durch – schnell und schmerzfrei. So unterbietet der Audi bei der Beschleunigung von null auf 100 km/h knapp die Vier-Sekunden-Marke und schafft Tempo 200 in 13,2 Sekunden.

Und das Mercedes E63 AMG S T-Modell? Dem Power-Kombi flößten die Entwickler bei der Geburt noch eine extragroße Schöpfkelle vom Zaubertrank namens Hubraum ein, was ihm ein entsprechendes Leistungsplus beschert. Typisch AMG: Davon setzt der E63 schon beim ersten Schlüsseldreh jeden in Kenntnis – wirklich jeden. Dann plumpst ein dicker, dreckiger Batzen besten V8-Klangs aus den vier Endrohren, bollernd wartet nun das M157-Aggregat im Leerlauf auf den nächsten Arbeitsauftrag. Klarer Fall: Er muss das identische Prozedere wie der Audi RS6 über sich ergehen lassen. Von null auf 100 km/h? In glatten vier Sekunden. Und auf 200? Da nimmt er dem Audi drei Zehntelsekunden ab.

Wenn Max allerdings andere trödelige Verkehrsteilnehmer überholen wollte, käme er mit dem Audi schneller voran. Bei der Elastizitätsmessung zuzelt die länger übersetzte Siebengangautomatik des Mercedes E63 AMG S T-Modells nämlich einiges aus dem Temperamentstopf des mit 1,0 bar (Audi: 1,2 bar) aufgeladenen Motors. Beraubt um seinen Drehmomentwandler und in einem leichten Magnesiumgehäuse untergebracht, schaltet das Getriebe zwar fix, aber nicht immer dann, wenn es der Fahrer gerne hätte, und lässt ihn verzweifelt an den haptisch tollen Schaltpaddeln zuppeln.

Mercedes E63 AMG S T-Modell jubelt lockter über 6.000/min

Im üblichen Betrieb eines Butlers stört das kaum. Da schlurft der aktuell größte – bezogen auf das Laderaumvolumen – Kombi seiner Klasse im Vergleichstest brodelnd über Land, klingt dabei immer nach mächtigem Motor, während der Audi RS6 Avant erst bei rund 2.700/min den Achtzylinder-Sound anknipst. Im Mercedes E63 AMG S T-Modell erschrickst du dagegen schon, wenn er so hoch drehen muss, obwohl es ihm keine Mühe bereitet, auch bei über 6.000/min zu jubeln.

So lümmelt der Fahrer in den groß dimensionierten, vielfach einstellbaren, komfortablen Sitzen, lässt sich im Zentraldisplay spaßeshalber über diverse Betriebstemperaturen in Kenntnis setzten, ärgert sich kurz darüber, dass sich Mercedes das nicht mehr ganz frische Navigationssystem auch noch teuer bezahlen lässt, freut sich dann aber wieder über die herrliche Akustik des V8 und das üppige Platzangebot des T-Modells.

Das Fahrwerk mit luftgefederter Hinterachse und adaptiven Dämpfern rundum garniert das Ganze noch durch ordentlichen Federungskomfort. Obwohl Audi dem RS6 auch an der Vorderachse eine Luftfederung gönnt, weiß dieser nicht mit jeder Unebenheit gekonnt umzugehen, was natürlich auch den optionalen 21-Zoll-Rädern (Mercedes: 19 Zoll) zuzuschreiben ist. Alles klar also? Mercedes der Gelassenere, Komfortablere, und der Audi gibt den stürmischen Dynamiker?

Schon die Durchschnittsgeschwindigkeit im 18-Meter-Slalom verrät: So einfach lassen sich die beiden im Test nicht auseinanderhalten, denn 0,2 km/h hin oder her – geschenkt. Mal eben so nebenbei lässt sich mit dem Audi RS6 keine optimale Linie finden, denn die ausgeprägtere Kopflastigkeit und die in jedem der drei Modi ziemlich gefühllose Lenkung erschweren die Arbeit. Erst mit gezielten Lastwechseln lässt sich das theoretisch höhrere Gripniveau der üppigeren Reifen auch in die Praxis umsetzen und führt zu dem überschaubaren Vorsprung.

Beide Rennkombis untersteuern spürbar

Auf dem Kleinen Kurs in Hockenheim zwingt der Audi RS6 Avant seinem Fahrer ebenfalls einen speziellen Fahrstil auf. Einfach so eine Kurve anbremsen? Dann fliegt der Einlenkpunkt schnell an einem vorbei, denn der Kombi schiebt stur geradeaus. Also gefühlvoll Druck von der Bremse nehmen, einlenken, Gas geben. Jetzt passt die Haftung an der Vorderachse, und der Audi lenkt agil ein. Nun muss der Lastwechselimpuls genutzt werden, dann passt's.

Ganz anders dagegen: Der AMG-Mercedes. Kurve? Bitte, gerne. Ohne Eigenheiten kann das Mercedes E63 AMG S T-Modell mit dem Bremsschlag vor dem Einlenkpunkt zusammengestaucht werden (bei beiden liefern die über 8.200 Euro teuren Keramikbremsanlagen übrigens konstant hohe Verzögerungswerte), biegt dann flink ab, untersteuert wie der Audi dabei spürbar, drückt beim Herausbeschleunigen ebenso deutlich mit dem Heck.

Übrigens: Während der Allradantrieb der E-Klasse mit einer konstanten Kraftverteilung von 33 zu 67 Prozent arbeitet, variiert sie beim Audi (Prinzip Torsen) von 40 zu 60 bis 15 zu 85 Prozent. Nein, der Mercedes vermittelt keine sehnige Direktheit, keine spitze Agilität. Es ist sein ungekünsteltes, berechenbares Fahrverhalten mit der stets sauberen Rückmeldung, das begeistert. Dass er in Hockenheim dennoch drei Zehntel verliert, lässt sich auf die an drei Messpunkten geringeren Kurveneingangsgeschwindigkeiten zurückführen.

Ob Max das alles interessiert hätte? Wir wissen es nicht. Schauspieler Lionel Stander starb bereits 1994 in Los Angeles.

Technische Daten
Audi RS 6 Avant Mercedes E 63 T AMG S 4Matic AMG S
Grundpreis107.900 €121.678 €
Außenmaße4979 x 1936 x 1482 mm4905 x 1872 x 1507 mm
Kofferraumvolumen565 bis 1680 l695 bis 1950 l
Hubraum / Motor3993 cm³ / 8-Zylinder5461 cm³ / 8-Zylinder
Leistung412 kW / 560 PS bei 5700 U/min430 kW / 585 PS bei 5500 U/min
Höchstgeschwindigkeit250 km/h250 km/h
0-100 km/h3,9 s4,0 s
Verbrauch9,8 l/100 km10,5 l/100 km
Die aktuelle Ausgabe
Sport Auto 03 / 2022
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Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten