Bentley Continental GT3 Produktion
Rennsport-Comeback der Briten

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Über eine Tonne Gewicht muss der Bentley Continental auf dem Weg zum GT3-Fahrzeug verlieren. Wie das funktioniert? Ein exklusiver Werkstatt-Besuch bei M-Sport gibt erste Antworten.

Bentley Continental GT3, Frontansicht
Foto: Hersteller

Teepause in Crewe - ein Moment der Stille im Bentley-Werk. Hier sind die Briten noch Briten, und Volkswagen weit weg. An einem der Arbeitsplätze - dort, wo Azubis trainiert oder sonstige Spezialaufgaben ausgeführt werden, liegt ein kleines Dreispeichen-Sportlenkrad, im Kranz steckt eine Nadel am Ende einer penibel geführten Naht. Bis zur Komplettierung müssen noch einige Stiche folgen. „Auch unser GT3-Fahrzeug soll ein echter Bentley sein“, erklärt Brian Gush, Bentley-Motorsportdirektor.

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Rennwagen mit britischem Flair

In bester Tradition der handwerklich aufwendig personalisierten Serienfahrzeuge kurbelt also der Bentley Continental GT3-Pilot an einem Lenkrad mit hellgrüner Ziernaht, nachdem er sich in seinen Schalensitz gezwängt hat - der einen mit 2.000 Stichen ausgeführten Schriftzug trägt. Mehr Luxus darf allerdings niemand vom jüngsten Motorsport-Projekt erwarten.

„Dadurch, dass wir auf all das verzichten, was die Käufer unserer Serienfahrzeuge schätzen, können wir überhaupt erst das erforderliche Homologationsgewicht von 1.300 Kilogramm erreichen“, sagt Gush. So lassen sich allein bei den Türen rund 100 Kilogramm einsparen - angesichts von 2,3 Tonnen, die ein Continental V8 auf die Waage wuchtet, nicht viel. Wer jedoch sieht, was alles in einem Serienmodell steckt, ahnt, dass das Ziel nicht unerreichbar ist: Dämmmaterial, Holzfurniere auf massiven Alu-Leisten, Soundsystem, Klimaanlage, Doppelverglasung - alles fliegt raus.

Mit Rallye-Know-How

Die Windschutzscheibe beispielsweise kommt auf 14,5 Kilogramm, die des Bentley Continental GT3 auf 8,6. Und den moppeligen Allradantrieb verbietet ohnehin das Reglement, macht also nochmal minus 80 Kilo. Wie weit Bentley wohl die magische 1.300-kg-Grenze unterbieten kann? „Weit genug“, orakelt Gush.
 
Noch unter der Ägide des früheren Firmenchefs und heutigem Audi-Entwicklungsvorstand Wolfgang Dürheimer bekam er den Auftrag, Motorsport-Szenarien für die britische VW-Tochter durchzuspielen. Selbst ein LMP1-Sportwagen war nicht ausgeschlossen, um stilecht nach dem Le-Mans-Sieg von 2003 die Rückkehr in den Motorsport zu feiern, doch da hatte der Konzern etwas dagegen. Schließlich treten in dieser teuren Prestige-Serie - bereits Audi und Porsche gegen- einander an. In der GT3-Klasse balgen sich diese beiden Marken zwar auch, doch über das Zauberwort „Kundensport“ sollte sich dort sogar der eine oder andere Euro verdienen lassen.
 
Ortswechsel. Bei M-Sport in Dovenby Hall nahe Cockermouth im Nordwesten der Insel herrscht ebenfalls Stille. Teepause, was sonst. In den modernen Hallen, die an die altehrwürdigen Gemäuer aus dem 16. Jahrhundert grenzen, stehen Ford Focus WRC- und Fiesta R5-Einsatzfahrzeuge - zerlegt, aufgebockt, teils noch im Rohbau. Sie besitzen zufällig einen 99er Focus WRC und benötigen Spezialteile wie die sündteure Kupplung? M-Sport hat sie auf Lager.
 
Die Firma von Ex-Rallye-Profi Malcolm Wilson kümmert sich um Aufbau, Wartung und Ersatzteilversorgung der Kunden-Fahrzeuge. Zusammen mit den Bentley-Ingenieuren entstehen hier derzeit die ersten beiden Continental GT3-Renner, im Hauptwerk Crewe mangelt es schlicht an Platz.

Bentley GT3-Rennwagen mit V8-Triebwerk

Verantwortlich für die Konstruktion ist Graham Humprys, Vater des BMW-Siegerautos des LeMans-Rennens von 1999. „Eine besondere Herausforderung bei diesem Projekt ist die relativ große Stirnfläche des Basisfahrzeugs“, erläutert Humphrys.
 
Daher sei das Team mit der Aerodynamik des Bentley Continental etwas in Verzug, während alles andere planmäßig liefe - im wahren Wortsinn. Humphrys: „In diesem Moment müsste der fertige Motor den ersten Prüfstands-Test fahren“. Dabei handelt es sich um das V8-Triebwerk und nicht etwa den W12. Aus gutem Grund: Der Achtzylinder wiegt 23 Kilogramm weniger, und sein Schwerpunkt liegt um 20 Millimeter niedriger. Und effizienter ist der Direkteinspritzer obendrein, wenngleich die GT3-Variante ohne Zylinderabschaltung auskommen muss.
 
Dennoch waren umfangreiche Modifikationen nötig, weil der bei Audi in Ungarn gefertigte Motor seine Turbolader im Zylinder-V trägt. Durch die um 30 Zentimeter zur Fahrzeugmitte verschobene Einbaulage hätte die Abgasanlage die Spritzwand durchbrochen. „Das fand die FIA nicht lustig“, sagt Motorsportdirektor Gush. Also wandern die Lader außen an das Aggregat, die Luftführung wird entsprechend modifiziert. Daher baut er auf dem Block des Audi RS5 auf - beide verfügen über eine Bohrung von 84,5 Millimeter - und nutzt auch dessen Zylinderkopf. Kolben, Pleuel und Kurbelwelle hingegen stammen vom Bentley-Motor. Über einen verkürzten Hub bleibt es auch bei vier Liter Hubraum.
 
Und die Leistung? Ein schwieriges Thema. Nach den neuen Kriterien der FIA hängt die erlaubte Leistung von den Verhältnissen von Gewicht zu Motorleistung, Stirnfläche zu Motorleistung und Stirnfläche zu Abtrieb ab. Weil der Bentley Continental die größte Stirnfläche im gesamten Teilnehmerfeld in den Wind stemmt, wird der Verband den Briten hier voraussichtlich entgegenkommen. Das könnte wiederum zur Folge haben, dass der GT3 sogar mehr als die im Leistungskorridor vorgesehen 564 PS haben darf. Die Maximalleistung liegt laut Hersteller bei 608 PS.

Mit Seitenhieb auf BMW

Was auch immer das Bentley Continental GT3-Modell erreicht - ein sequenzielles Sechsganggetriebe von X-Trac, das in Transaxle-Bauweise an der Hinterachse sitzt, muss es verarbeiten. Die dorthin führende Kardanwelle verläuft übrigens mitten durch den Tank. Dabei handelt es sich um ein Getriebe aus dem Regal. „Wir haben einfach eine passende Halterung dafür konstruiert, das ist billiger“, sagt Gush.
 
Überhaupt, die Kosten. Der Motorsportdirektor holt aus: „Zum einen war ein Marketing-Instrument gefordert. Ein Auto, das durchaus mit dem Serienfahrzeug in Verbindung gebracht werden kann - nicht so wie das, was ein deutscher Wettbewerber veranstaltet.“ Er meint den BMW Z4 mit V8-Motor.

Mit viel Akribie

„Zum anderen war es das Ziel, ein Fahrzeug zu bauen, mit dem Profis in der Lage sind, sehr schnelle Rundenzeiten zu realisieren - und das gleichzeitig die angepeilte Klientel der Gentleman-Driver nicht überfordert“, führt Gush aus. Nicht zuletzt deshalb bekommt der Bentley Continental GT3 ein von Cosworth entwickeltes Zentraldisplay, das nicht nur die relevanten Motor- und Fahrdaten einspielt, sondern auf Wunsch auch die Position des Fahrzeugs auf der jeweiligen Strecke anzeigt und bei Bedarf die aktuell geschwenkten Flaggen einblendet.
 
Gush rechnet vor: „Audi hat bislang rund 100 GT3-R8 verkauft, Mercedes um die 80 GT3-SLS - das klingt nach einem guten Geschäftsmodell, oder?“ Jener Kundschaft möchte Bentley zudem ein umfassendes Service-Paket angedeihen lassen, was sicher auch die Controller von M-Sport freut.
 
Dort kehrt inzwischen wieder Leben ein nach der Teepause. Für uns ist auch die Kontrolle der Zulieferer-Komponenten entscheidend“, sagt Christian Leraux, Technischer Direktor des Bentley Continental GT3-Projekts. So werden alle Teile nicht nur exakt katalogisiert, um im Schadensfall ganze Chargen überprüfen zu können. „Die Turbolader nehmen wir beispielsweise komplett auseinander, vermessen sie, und bauen sie dann wieder zusammen“, erläutert Leraux.

Mit wenig Zeit

Dabei stellten die Techniker auch bei renommierten Zulieferern nicht akzeptable Abweichungen fest, die dann entsprechend ausgeglichen werden können. An den nötigen Fachkräften und Werkzeugen scheitert es jedenfalls nicht. Manchmal hilft jedoch alles nichts: So trafen die Radträger mit mehr als einem Tag Verspätung ein und passten dennoch nicht. Und die Aerodynamik-Komponenten aus Kohlefaser-Verbundwerkstoff sind ebenfalls längst überfällig - zumal deren endgültige Form erst nach den ersten Testfahrten festgelegt werden kann.
 
Bereits im Sommer soll der Bentley Continental GT3 Testkilometer sammeln, die Homologation in Großbritannien möchte Gush im September abgeschlossen haben. Damit stünde den zwei für 2013 geplanten Renneinsätzen nichts im Weg, noch bevor die FIA-Homolgation im November ansteht. Insgesamt ein recht straffer Zeitplan, wie der Motorsportdirektor tiefstapelnd einräumt. Umso erstaunlicher, dass noch Zeit für Teepausen bleibt.

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Sport Auto 03 / 2022
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Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten