Das GT3-Debüt von Bentley
Die Rückkehr der Bentley-Boys

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Obwohl die jüngste Bentley-Boys-Generation ohne den Kriegsveteranen-Todesmut ihrer Ahnen zum Rennen antrat, leistete sie Großes - zehn Jahre nach dem Ausstieg der Briten aus dem Motorsport. Im Bentley Continental GT3 fuhren sie auf Anhieb weit nach vorne.

Bentley Continental  GT3, Draufsicht
Foto: John Brooks

Nach elf Stunden und 53 Minuten ersetzt knisternde Spannung die flirrende Hitze in Abu Dhabi. Nicht etwa, weil die Sonne sich ohnehin längst verkrümelt hat oder weil sich die Teams kurz vor Renn-Ende noch zu packenden Zweikämpfen hinreißen lassen würden. Und dass der Black Falcon-Mercedes SLS AMG mit Jeroen Bleekemolen, Bernd Schneider und Khaled Al Qubaisi den Sieg im Sack hat, zweifelt auch niemand mehr an. Zu lange, zu eindeutig liegt der Flügeltürer in Führung, schmettert seine wagneresken Klangsalven in die leeren Zuschauertribünen und zieht mit erdrückender Zuverlässigkeit seine Bahnen. Die Ferraris von AF Corse und Kessel Racing (Position zwei und drei) lassen ihn ziehen - und sich gegenseitig weitgehend in Frieden.

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Spannung beim M-Sport Bentley-Team

Am Kommandostand des M-Sport Bentley-Teams dagegen starren unzählige Augenpaare wie hypnotisiert auf die Monitore, und wenn alle 2.12 Minuten der Bentley Continental GT3 turbozischelnd vorbeidonnert, haften die Blicke an dessen gewaltigem Heck. Beim Einlenken in die Linkskurve nach Start-Ziel schabt das Coupé weidwund über den Asphalt, Funken sprühen. Sieben Minuten noch. Dabei lief bis jetzt alles prima. Den allgemeinen Tiefstapeleien im Vorfeld des Gulf-12-Stunden-Rennens ("Mit einer Positionierung im Mittelfeld wären wir sehr zufrieden") folgen zunächst Platz vier im Qualifying und Platz drei im ersten Lauf.

Erster Lauf? Richtig. Denn kurioserweise handelt es sich in Abu Dhabi nicht um ein Zwölf-Stunden-Rennen, sondern um ein Zweimal-Sechs-Stunden-Rennen mit recht großzügiger Pause. Aber was soll’s, es herrschen Wettbewerbsbedingungen, und genau danach suchten die Briten für eine Standortbestimmung ihres Bentley Continental GT3-Fliegers. "Es ist noch immer der gleiche Adrenalinrausch wie vor zehn Jahren", sagt Motorsportdirektor Brian Gush mit Vorfreude.

2003 zog Volkswagen den Stecker aus dem sündteuren Prototypen-Sportprogramm, verordnete stattdessen wirtschaftliche Erfolge durch Absatzsteigerungen bei Straßenfahrzeugen. Mit einem solchen darf die VW-Tochter nun wieder zurück auf die Piste, und das nicht nur, um ein bisschen im Kreis herumzufahren - schließlich ist der Konzern für seine Humorlosigkeit in derlei Dingen bekannt, wie das WRC-Projekt beweist. In Zusammenarbeit mit den Rallye-Profis und Rundstrecken-Neulingen von Malcolm Wilsons M-Sport-Team holte Bentley aus einem wuchtigen Continental über eine Tonne Gewicht und strickte den V8-Biturbo-Motor aufwendig um (siehe Heft 7/2013). Im Spätsommer rückte die Mannschaft zu ersten Tests mit dem Bentley Continental GT3 nach Portugal aus. "Dabei lief alles ganz gut. Nur war schnell klar, dass im Hinblick auf das Rennen in Abu Dhabi die Cockpit-Belüftung dringend verbessert werden muss", berichtet Gush.

Bentley Continental GT3 wird schnell warm

Auch an anderer Stelle wird es dem Bentley zu warm. Entwicklungschef Frech hadert mit den Reifen: "Die Reifen kommen hier viel zu schnell auf hohe Temperaturen, die Fahrer kämpfen mit starkem Übersteuern, wir mussten mit dem Luftdruck heruntergehen" - ein Problem, das alle Teams betraf und das Avon, Hersteller der Einheitsreifen, nun nachbearbeitet. Ansonsten wäre der Bentley Continental GT3 sehr leicht zu fahren, beteuert Andy Meyrick, der in der vergangenen Saison mit dem spektakulären Delta Wing, aber auch einem GT3-McLaren unterwegs war. "Im Vergleich wirkt der McLaren zwar unglaublich schnell, liegt allerdings auch viel unruhiger", sagt Meyrick. Gut, und das Ankommen zählt bislang ebenfalls nicht zu den Stärken des 12C GT3.

Meyrick teilt sich mit Guy Smith und Steven Kane das Cockpit, alle drei GT3-, Prototypen- und Le Mans-erfahren - und genau dorthin möchte Bentley auch zurück, um an die Erfolge vergangener Tage anzuknüpfen. Die Marketing-Maschinerie läuft daher bereits auf vollen Touren, man kultiviert das Image des rein britischen Motorsports. Die Presse-Prosa bejubelt die Fahrer als Bentley-Boys, obwohl deren Kühnheit zu Beginn des 20. Jahrhunderts heute kein Motorsport-Manager mehr dulden würde. Als Ort des ersten Rollouts wurde im Sommer das Festival of Speed in Goodwood gewählt, und britischer als M-Sport kann kaum ein Motorsport-Dienstleister sein. Bis jetzt, sieben Minuten vor Renn-Ende, erlitt das aufgebaute Image auch keinen Schaden, der Bentley Continental GT3 lief ohne Macken. "Natürlich gibt es immer Raum für Verbesserungen, allerdings nichts Grundlegendes. Selbst die Bremsbeläge sahen nach sechs Stunden noch recht gut aus", sagt Gush.

Leere Zuschauerränge in Abu Dhabi

Von der guten Vorstellung des Bentley Continental GT3 bekommt allerdings niemand etwas mit, denn die Zuschauertribünen in Abu Dhabi sind leer. Nicht DTM-leer, sondern völlig verwaist. Aufgrund der zu erwartenden, eher niedrigen Anzahl an Fans zog es der Veranstalter nämlich vor, erst gar keine Werbung zu machen. Nun ja, und das 21 Fahrzeuge starke Feld entzerrt sich auf der 5,5 Kilometer langen Strecke doch recht schnell, weshalb packende Duelle auf dem Grand Prix-Kurs eher die Ausnahme blieben. Hinzu kommt, dass nur gut ein Drittel der Teams ernsthaft miteinander konkurrieren kann. Steven Kane ist das egal, nach seinem Stint freut er sich, dass "wir gleich im ersten Rennen vorne mit dabei sein können". Guy Smith fremdelt dann aber doch ein wenig mit der Atmosphäre: "Es ist schon seltsam, hier rumzufahren, denn als Fahrer bekommst du sonst immer etwas von den Zuschauern mit." Und auch mit dem Kurs an sich hadert er ein wenig. "Die haben hier eben eine typische F 1-Strecke gebaut, da gibt es nichts Spektakuläres. Ein, zwei Ecken hängen etwas, das macht das Auto unruhig – mehr nicht."

Schluckfreudiger V8 im Bentley Continental GT3

Hinsichtlich der Größe des Bentley bietet ein weitläufiger Kurs vielleicht sogar Vorteile, wenngleich Andy Meyrick beteuert, dass das stattliche Coupé "sehr übersichtlich" ist. Das wird die künftigen Kunden freuen. Bis die ersten Bentley Continental GT3 ausgeliefert werden, wollen die Briten noch am Verbrauch arbeiten, denn im Vergleich zu einem Sauger kippt sich der 608 PS starke Vierliter-V8 rund zehn Prozent mehr Kraftstoff in die Brennräume. Entwicklungschef Frech räumt ein, dass "wir noch keinen Leerfahrtest machen konnten. Daher haben wir sicherheitshalber einen Tankstopp mehr einkalkuliert." Doch auch so hält sich der mächtige Zweitürer tapfer auf dem vierten Platz im zweiten Rennen, verfehlt nur knapp 2.11er-Zeiten - nur der führende SLS durchbricht einmal die 2.12er-Schallmauer.

Und jetzt sprüht der Bentley Continental GT3 auf einmal Funken. Niemand kennt die Ursache, alle hoffen, dass das Auto hält und nicht von der Rennleitung aussortiert wird. Aufgrund des Zeitpolsters zum Fünftplatzierten kann Meyrick Tempo herausnehmen, um Material zu schonen. So rettet er den Bentley ins Ziel, was eine gebrochene Fixierung der Unterbodenverkleidung beinahe verhindert hätte. Doch sonst wäre die Spannung völlig dahin gewesen - trotz des gelungenen Bentley-Debüts.

Gulf-12h-Rennen

Zum dritten Mal fand das Zwölf-Stunden-Rennen in Abu Dhabi statt - weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Veranstaltung zählt zu keiner bedeutenden internationalen GT-Rennserie. Aber sie bietet ordentliche Bedingungen für Tests, und falls etwas schiefgeht, bekommt kaum jemand etwas davon mit. Daher entschied sich Bentley, den neuen Continental bei diesem Rennen zum ersten Mal im direkten Wettbewerb einzusetzen.

Nächster Einsatz: in Monza am 12. April, dann im Rahmen der Blancpain-Endurance-Serie.

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Sport Auto 03 / 2022
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Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten