Langstreckenmeisterschaft - Sicherheit Nordschleife
Trotz FIA-Zäune, ein Risiko bleibt

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Bestürzung und Betroffenheit im VLN-Fahrerlager beim dritten Saisonlauf zur Langstreckenmeisterschaft: Carl Friedrich Prinz zu Löwenstein kam bei einem Unfall auf der Nordschleife ums Leben. Es folgte eine öffentliche Diskussion über die Sicherheit auf der Nordschleife des Nürburgrings.

VLN 1.Lauf Langstreckenmeisterschaft Nürburgring 27-03-2010
Foto: SB-Medien

Tödliche Unfälle im Motorsport führen in der deutschen Öffentlichkeit fast immer zu einer ritualisierten Reflexhandlung. Das Ergebnis ist meist Empörung, die Sachargumente gezielt außer Acht lässt und mit Anspielungen auf die graue Vorzeit des Motorsports unterlegt wird. Passieren solche Unfälle auf der Nordschleife des Nürburgrings, so kann man sicher davon ausgehen, dass Hinweise auf den berüchtigten Feuerunfall von Niki Lauda aus dem Jahr 1976 nicht fehlen werden. Insofern war vorauszusehen, was nach dem tragischen Unfall von Carl Friedrich Prinz zu Löwenstein beim dritten Lauf zur Langstreckenmeisterschaft am 24. April passieren würde, zumal sich der Unfall an der gleichen Stelle ereignete wie jener von Niki Lauda.

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Der Online-Dienst der Tageszeitung "Die Welt" wagte sich vier Stunden nach dem Unfall mit der These aus der Deckung, das Verfallsdatum der Nordschleife sei abgelaufen: "Nach dem schrecklichen Feuerunfall (...) könnten die Tage der legendären Nordschleife gezählt sein." Später folgt das Fazit: "Die 1927 eröffnete Berg- und Talbahn (...) ist in die Jahre gekommen und längst nicht mehr zeitgemäß." Begründungen für solche Feststellungen sucht man vergeblich. Hat da nur ein ahnungsloser Online-Yogi auf die Pauke gehauen? Oder lässt der Unfallhergang tatsächlich Rückschlüsse auf ein Sicherheitsmanko zu?

Der Aston-Martin-Fahrer Löwenstein hatte seit dem letzten Tankstopp erst anderthalb Runden absolviert, als das Folgende passierte: Den Streckenabschnitt Breidscheid passierte Löwenstein hinter einem Lexus IS-F und einem BMW. Beim steilen Anstieg der Ex-Mühle auf dem Weg zum sogenannten Lauda-Linksknick wollte Löwenstein die beiden anderen Autos überholen, indem er diese beiden langsameren Fahrzeugen in der Mitte der Fahrbahn ausbeschleunigen wollte. Eingedenk der Streckenbreite klingt das auf den ersten Blick etwas vermessen. Doch in der Praxis ist das ein durchaus gängiges Verfahren unter der Voraussetzung, dass der langsamste Pilot eines Dreierpacks zügig nach rechts wechselt und ein anderes Auto sich strikt links hält. Auf der Beschleunigungsstrecke in Richtung Laudakurve ergibt sich durchaus die Möglichkeit, zwei Autos in der Mitte auszubeschleunigen. Das Nadelöhr ist jedoch das korrekte Einfädeln in die Linkskurve des Laudaknicks.

Streckenposten waren sofort zur Stelle und versuchten zu löschen

Folgt man den Unfallberichten der örtlichen Kriminalpolizei, so sagten Streckenposten und die Unfallbeteiligten unisono aus, dass sich der rechts fahrende BMW und der Aston Martin Vantage im Verlauf des Überholmanövers kurz vor Erreichen der Laudakurve berührten. Ursächlich für die Berührung war eine Bodenwelle auf der äußersten rechten Fahrspur, die den BMW versetzen ließ. Auf Grund der Berührung stieg der Aston Martin Vantage auf, überschlug sich in Richtung der rechten Fahrbahnseite und krachte zuerst auf die Leitplanke und schließlich in den Schutzzaun für den Streckenposten mit der Nummer 124, der hinter der Laudakurve stationiert ist. Von dort wurde der Aston auf die linke Fahrbahnseite geschleudert und kam dort zu liegen. Das Auto fing beim Einschlag in den vier Meter breiten Sicherheitszaun Feuer, weil ein Stahlträger des Sicherheitszauns den Stoßstangenträger in den Benzintank bohrte, was zu einer Rauchgasexplosion führte. Der austretende Kraftstoff entzündete sich explosionsartig, mit großer Hitze und starker Rauchentwicklung. Gebrannt hat dabei nur das Heckteil des Aston Martin, nicht das gesamte Auto. Ausweislich des medizinischen Gutachtens wurde der Pilot durch den heftigen Aufprall bewusstlos.Bei Bewusstlosigkeit führt das Einatmen der giftigen Gase sehr schnell zum Tod, weil die körpereigenen Abwehrreaktionen wie Husten ausbleiben. Nach Aussage von Medizinern genügen wenige Atemzüge, um in einer solchen Situation eine Vergiftung herbeizuführen.

Nach übereinstimmenden Zeugenaussagen waren die Streckenposten sofort zur Stelle und versuchten zu löschen, doch durch die explosionsartige Entzündung des Kraftstoffs konnte das Feuer nicht sofort erstickt werden. Zwar wurde von der Rennleitung sofort nach Eingang der Meldung das Streckensicherungsfahrzeug zur Unfallstelle beordert, ebenso wie die Feuerwehrstaffel, die nur wenige hundert Meter vor dem Unfallpunkt an der Parkbucht auf der Breidscheider Brücke stationiert ist. Die Streckenposten versuchten das Menschenmögliche, um den Brand schnell zu löschen und gingen dabei auch Risiken ein, wie die Tatsache belegt, dass sechs Helfer wegen Rauchgasvergiftung ins örtliche Krankenhaus nach Adenau eingeliefert werden mussten. Die Untersuchungsberichte der nationalen Motorsportbehörde DMSB sowie der örtlichen Kriminalpolizei ergeben keinerlei Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten der beteiligten Streckensicherheitskräfte oder der koordinierenden Rennleitung.

So ein Unfall ist auch auf anderen Strecken möglich

"Der Unfall war eine tragische Verkettung von äußerst unglückliche Umständen", erklärt VLN-Vorstand Hans Jürgen Hilgeland. "Wir konnten weder technische Mängel am Fahrzeug noch Fehler bei der Bewältigung der Unfallsituation durch die Streckenposten feststellen." Herrmann Tilke, der weltweit Rennstrecken konstruiert und baut, erklärte auf Nachfrage: "So ein Unfallablauf kann auch auf einer modernen Strecke passieren, zum Beispiel auf einem Stadtkurs. Der ausschlaggebende Faktor bei dem Unfall war der Einschlag in den FIA-Sicherheitszaun für den Streckenposten, der auf der Nordschleife auf Grund der natürlichen Gegebenheiten recht nah ans Asphaltband der Rennstrecke anschließt. Bei modernen GP-Rennstrecken sind die Streckenposten etwas weiter von der Strecke weg. Doch der Abstand auf der Nordschleife ist durchaus vergleichbar mit jenem auf modernen Stadtkursen." Der tragische Unfallhergang vom 24. April 2010 hätte sich also in ähnlicher Form durchaus auch auf anderen Rennstrecken ereignen können und weist keine Nürburgring spezifischen Eigenheiten auf. Daher ist die Argumentation einiger Medien, der Rennbetrieb auf der Nordschleife müsse eingestellt werden, weil die Strecke und ihre Infrastruktur veraltet sind, nicht nachvollziehbar. In Wahrheit wurden in den letzten drei Jahren massive Investitionen in Höhe von insgesamt zirka 3,5 Millionen Euro getätigt, um die Sicherheitseinrichtungen so zu optimieren, dass die Nordschleife die Anforderungen der FIA für eine Rennstreckenhomologation erfüllen kann.

Die Verantwortlichen tun alles für die Sicherheit an der Nordschleife

Laut Auskünften aus der Veranstaltergemeinschaft der Langstreckenmeisterschaft und der Nürburgring-Betriebsgesellschaft sind sämtliche Prüfungen für die FIA-Zulassung - im vorliegenden Fall eine sogenannte FIA Grade 3-Homologation - bereits erfolgreich absolviert worden. Die FIA Grade 3-Homologation reicht aus, um im konkreten Fall der Nürburgring-Nordschleife Motorsportveranstaltungen mit Fahrzeugen bis einschließlich der Fahrzeugkategorie GT2 auszutragen. Formelwagen sowie die ebenfalls in der Grade 3-Homologation vorgesehene Klasse der GT1-Fahrzeuge sind jedoch auf der Nordschleife weiterhin nicht startberechtigt. Die Grundabnahme der Rennstrecke ist bereits erfolgt, ebenso die finale Nachuntersuchung, wo marginale Verbesserungen aus der Grundabnahme nochmals einer Prüfung unterzogen wurden.

Dass die Nordschleife die sehr strikten und äußerst detaillierten Anforderungen der FIA, die in einem 79-seitigen Dossier präzisiert sind, überhaupt erfüllen konnte, ist nur der Tatsache zu verdanken, dass alle am Nürburgring engagierten Parteien in einer konzertierten Aktion die aufwendigen und teuren Umbaumaßnahmen mitfinanzierten. Das FIA-Rennstreckendossier definiert als oberste Leitschnur die Ziele der maximalen Zuschauersicherheit und die Sicherheit für Streckenposten und Piloten. Dazu müssen Rennstrecken mindestens drei Schutzlinien zwischen Rennstrecke und Zuschauer aufweisen: Die erste Schutzlinie ist die zu beiden Seiten der Nordschleife durchgehend vorhandene Dreifachleitplanke - auf einer addierten Gesamtlänge von fast 42 Kilometern. Die zweite Schutzlinie ist der FIA-Sicherheitszaun, der vor allem verhindern soll, dass bei einem Unfall umherfliegende Fahrzeugteile oder Trümmer in den Zuschauerbereich eindringen können. Die dritte Schutzlinie besteht aus einer durch Geländer definierten Abstandzone zwischen Zuschauer und Fangzaun. Außerdem mussten alle Streckenpostenstandflächen auf der Nordschleife - über 200 an der Zahl - ebenfalls mit einem FIA-Sicherheitszaun abgesichert werden. Wo immer möglich mussten in den Auslaufzonen doppelte Reifenstapel aufgestellt werden. Es ist keineswegs so, dass die Zeit am Nürburgring einfach stehen geblieben ist. Die Verantwortlichen tun alles, um die Sicherheit zu verbessern. Ein Restrisiko bleibt dennoch. Auch FIA-Zäune können den Tod nicht aufhalten.

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Erscheinungsdatum 04.02.2022

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