VW Scirocco R im Test
70.000 Kilometer mit dem Wüstenwind

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Volkswagen – da weiß man, was man hat. Das mag ein wenig angestaubt klingen, doch der 265 PS starke Scirocco R überzeugte im Dauertest auf der ganzen Linie – mit Temperament, Laufkultur und sportlichem Esprit. Kostenintensive Mätzchen? Fehlanzeige. Wir waren 70.000 Kilometer mit dem nach einem Wüstenwind benannten Wolfsburger unterwegs.

VW Scirocco, Berlin
Foto: sport auto

Oft sind die Fahrtenbücher der Dauertestautos randvoll gekritzelt mit den Kommentaren der Redakteure. Lob, Tadel, Alltagserfahrungen, große und kleine Ärgernisse werden da penibelst vermerkt. Bisweilen gibt es auch Zynisches zu lesen, und gelegentlich finden sich sogar ehrabschneidende Bemerkungen. (Das passiert aber ganz selten, Ehrenwort.)

Doch beim VW Scirocco R war dies ganz anders.

Gähnende Leere im VW Scirocco R-Dauertest-Protokoll

Nach 70.000 Kilometern mit mehr als 250 Fahrerwechseln herrschte in den Randspalten des Protokolls oft gähnende Leere. Ist das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Gut, weil dieser Mangel an Wortmeldungen auf ein zuverlässiges Autoleben ohne Werkstatt-Exzesse hindeutet? Oder haben sich die Damen und Herren Fahrer mit ihren Kommentaren deshalb so zurückgehalten, weil sie diesen VW Scirocco R für einen vierrädrigen Langweiler halten?

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Immerhin, eine originelle Bemerkung findet sich dann doch: „Ich bin wieder verliebt“, kritzelte ein Kollege (Name der Redaktion bekannt) ins Fahrtenbuch. Weitere Erläuterungen hierzu blieb dieser Herr jedoch schuldig, und so ist es unklar, ob er mit diesem emotionalen Ausbruch wirklich den VW Scirocco R meinte oder ob er eine Episode aus seinem bewegten Privatleben memorierte.

Zurück zu den Fakten: Das Design des VW Scirocco R stieß redaktionsintern nicht auf einmütige Begeisterung. Die einen rühmten den kühnen Schwung der Linien mit einer starken Betonung des prallen, ja geradezu rubenshaften Hinterteils und fanden seinen Auftritt „dynamisch, schon im Stand“. Andere werteten das Design als Ausdruck niedersächsischer Sachlichkeit, und sogar das garstige Adjektiv „kaulquappenhaft“ fiel im Zusammenhang mit dem VW Scirocco R. Nun denn, die Geschmäcker sind verschieden.

VW Scirocco R mit „rubenshaftem Hinterteil“

Natürlich fungiert die Redaktion sport auto nicht als Design-Polizei oder als oberste Behörde in puncto Geschmacksfragen. Man hält sich besser an klare Fakten, Messprotokolle und, bei einem Dauertest essenziell, auch an die Werkstattrechnungen.
Eines sei gleich vorab verraten. Der weiße VW Scirocco R war hier nicht verhaltensauffällig.

Wie die nebenstehende Grafik zeigt, beschränkte er sich auf Routinestopps bei den Mechanikern. Ein paar Mal die Räder tauschen, dreimal regulärer Wartungsdienst, einmal Bremsscheiben samt Belägen erneuern – das war’s.

Nicht mal ein durchgebranntes Glühbirnchen trübte diese hervorragende Bilanz nach 71.045 gefahrenen Kilometern. Besser geht es nicht mehr.

Hier klappert nix, da scheppert nix – auch im Scirocco

Was den Qualitätseindruck angeht, fanden nicht mal die kleinkariertesten Testfahrer – im Schwabenland als „Griffelspitzer“ diffamiert – Grund zur Klage. „Hier klappert nix, und hier scheppert nichts“, hatte VW-Boss Martin Winterkorn vor zwei Jahren gesagt, nachdem er auf der Frankfurter IAA in einem neuen Hyundai Platz genommen hatte. Bei diesem gebrauchten Volkswagen Scirocco R würde der als äußerst penibel geltende Winterkorn sicherlich zum gleichen Urteil kommen.

Der Innenraum machte auch nach zwei Jahren intensiver Nutzung einen fast neuwertigen Eindruck, und selbst die optionalen Ledersessel „Vienna“ (Aufpreis 2.195 Euro) präsentierten sich als bestens erhalten.

Fast alle Fahrer fühlten sich im VW Scirocco R bestens aufgehoben. Nur besonders Großgewachsene wünschten sich statt der Sitzhöhenverstellung eine „Sitztiefenverstellung“, was ihnen ein paar Zentimeter mehr Abstand zum Dach bescheren würde.

265 PS-Aggregat im VW Scirocco R ist ein „Bombenmotor“

Der 265 PS starke TSI-Motor im VW Scirocco R wurde mit Komplimenten geradezu überhäuft – keine Selbstverständlichkeit bei den kritischen sport auto-Kollegen. „Wunderbar“, sei dieser Vierzylinder-Turbo, schrieb einer, „ein Bombenmotor!“ Oder: „Hervorragend, wie er am Gas hängt.“ Als „superelastisch“ wurde der Vierzylinder gerühmt, und als „supergeschmeidig“.

Ein Motor mit solch erbaulichen Charaktereigenschaften macht gute Laune – und dies führt beim Scirocco zu einem entspannten Fahrstil. Denn eine stämmige Drehmomentkurve ist Balsam für die Nerven des Fahrers. Gelassenes Gleiten auf höchstem Niveau eben. Dabei kann dieser Volkswagen auch anders.

Mit zornigem Antritt erfreut er die Fahrleistungs-Fetischisten. Beim Messtermin auf der Rennstrecke verpasste der VW Scirocco die Werksangabe von 6,0 Sekunden um ein paar läppische Zehntel. Doch zumindest subjektiv ist das wurscht. Denn der Scirocco R vermittelt mehr als alle seine Konkurrenten in der Klasse seinen Fahrern stets das gute Gefühl, mehr als angemessen motorisiert zu sein.

Turbo läuft, Turbo säuft – bis zu 17 Liter und mehr

Lediglich beim Verbrauch gab Anlass zum Heben der Augenbrauen. Unter die Zehn-Liter-Marke rutschte der Konsum (Super genügt!) nur höchst selten. Bei sehr eiliger Fahrt nuckelt der Turbo den Tank in beinahe beängstigendem Tempo leer. 17 Liter und mehr auf hundert Kilometer – das geht ins Geld. Wenigstens tröstet dann eine enorm hohe Durchschnittsgeschwindigkeit. Zumindest, wenn man nicht mit leerem Tank auf dem Seitenstreifen steht. Denn die Warnleuchte für die Kraftstoffreserve kam spät – und nicht immer war die verbleibende Reichweite verlässlich zu kalkulieren.

Der weiße VW Scirocco R trat seinen Langstreckendienst mit dem normalem Sechsganggetriebe an – und nicht mit dem beliebten Direktschalt-Getriebe DSG, das zum Aufpreis von 1.675 Euro wohlfeil ist. Ein Anlass zur Kritik ist dies jedoch auf keinen Fall. Denn es gibt wohl kaum ein Getriebe, bei dem die sechs Gänge angenehmer und flüssiger zu wechseln sind als bei dieser Volkswagen-Schaltbox. Winziger Schönheitsfehler: Der Alu-Schaltkopf ist im Winter eiskalt, was empfindliche Naturen des Öfteren rügten.

Der kräftige Turbo-Vierzylinder wohnt vor der Vorderachse, was zu einer ungleichen – und in der Theorie recht ungünstigen Achslastverteilung von 63 zu 37 Prozent zu Gunsten der Front führt. Trotz dieser Bürde flitzt der VW Scirocco R aber erstaunlich neutral um die Ecken.

VW Scirocco R mit minimalen Untersteuern im Grenzbereich

„Minimales Untersteuern, sehr verlässlich im Grenzbereich.“ So lautete das Zeugnis nach dem obligatorischen Besuch im Hockenheimer Motodrom. Der weiße Renner wirkt bei strammer Gangart sehr direkt, muss aber unter Zug gefahren werden. Doch er bleibt stets sehr gut kontrollierbar. Das bestens abgestimmte ESP greift bei Irrtümern des Piloten spät, aber sehr kompetent ein. Kurzum: Der VW Scirocco R verdient sich während des Dauertests redlich das Prädikat „narrensicher“.

Das Dauertest-Auto verfügte über die adaptive Fahrwerksregelung DCC (Aufpreis 1.000 Euro). Der VW-Pilot kann Stoßdämpfer-Kennung, Lenkung und Gaspedal-Kinematik verstellen. Dieses Extra ist durchaus sinnvoll. Im normalen Betrieb entpuppte sich die Stellung Komfort als guter Kompromiss zwischen akzeptablem Federn und nicht allzu trägem Handling.

Nur wer danach trachtet, Autobahnkurven mit mehr als 220 km/h zu nehmen, sollte sinnvollerweise auf die mittlere Stufe umschalten. In der ultimativen Stufe jedoch mutiert der zunächst noch leidlich geschmeidig federnde VW Scirocco R zu einer ungelenk hoppelnden Rennsemmel. Die Wahl dieser Variante bewährt sich sicherlich, wenn es auf einer bodenwellenfreien Rennstrecke wie Hockenheim um Bestzeiten geht. Doch im Normalbetrieb, auf welligen Landstraßen etwa, ist diese Rennabstimmung nicht nutzbringend und sogar eher kontraproduktiv.

Eine der letzten Dienstfahrten des VW Scirocco R führte zu den Ingenieuren der Dekra, die den Restwert ermittelten: 21.600 Euro lautete das Ergebnis. Eine Summe, die für manchen Gebrauchtwagen-Käufer sicherlich verlockend wirkt. Diesen Menschen möchte man zurufen: Greift zu! Mit dem Scirocco R werden sie ihren Spaß haben.

Dauertest-Gesamtbilanz

  • Dauertestbeginn 4.817 km
  • Dauertestende 75.862 km
  • Gefahrene Kilometer 71.045 km
  • Spritverbrauch insgesamt 8.080 Liter
  • Verbrauch minimal 6,7 Liter/100 km
  • Verbrauch maximal 19,9 Liter/100 km
  • Durchschnittsverbrauch 11,4 Liter/100 km
  • Ölverbrauch außerhalb der Inspektionen 5,2 Liter
  • Grundpreis 2011 33.475 Euro
  • Testwagenpreis 2011 42.437 Euro
  • Schätzpreis am Dauertestende (Dekra) 21.600 Euro
  • Wertverlust 20.837 Euro
  • Grundpreis 2013 35.850 Euro

Extras 8.962 Euro: Radio/Navigationssystem 2.060 Euro, Adaptive Fahrwerksregelung DCC 1.000 Euro, Diebstahlwarnanlage „Plus“  325 Euro, Fernlichtregulierung „Light Assist“ 148 Euro, Lederausstattung „Vienna“ auf Sportsitzen 2.195 Euro, Handyvorbereitung „Premium“ mit Bluetooth 545 Euro, Multifunktionsanzeige „Premium“ 230 Euro, Multimediabuchse MEDIA-IN mit iPhone-/ iPod-Adapterkabel u. Mittelarmlehne vorn 335 Euro, Park Pilot 410 Euro, Raucherausführung 20 Euro, Reserverad 76 Euro, Seitenscheiben hinten und Heckscheibe abgedunkelt 225 Euro, Soundsystem 575 Euro, Spiegelpaket 175 Euro, 19-Zoll-Räder „Talladega“ 585 Euro, Winterpaket 58 Euro.

Technische Daten
VW Scirocco R R
Grundpreis35.850 €
Außenmaße4248 x 1820 x 1394 mm
Kofferraumvolumen312 bis 1006 l
Hubraum / Motor1984 cm³ / 4-Zylinder
Leistung195 kW / 265 PS bei 6000 U/min
Höchstgeschwindigkeit250 km/h
0-100 km/h6,2 s
Verbrauch8,1 l/100 km
Die aktuelle Ausgabe
Sport Auto 03 / 2022
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Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten