Brabus SL 850 im Test
Roadster mit 850 Pferdchen

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Luft nach oben, die bietet ein Mercedes SL 63 AMG nicht nur wegen seines Cabriodachs, sondern auch leistungsmäßig. Dachte sich jedenfalls Brabus und erschuf den SL 850. Und dreimal dürfen Sie raten, wofür 850 steht …

Brabus SL 850, Seitenansicht
Foto: Achim Hartmann

Eben noch plätscherte der Dienstagmorgen bürogemütlich vor sich hin. Mails checken, Termine vereinbaren, Texte lesen, schreiben. Und dann das: Kollege Christian Gebhardt kommt durch die Tür. Halb euphorisch, halb besorgt rapportiert er den Vortag. Jour fixe in Hockenheim, Messen, Rundenzeiten fahren, Fotografieren. Wenn es nicht immer wieder so schön wäre, fast Routine.

Brabus SL 850 mit Power- Oversteering vom Feinsten

Doch nach diesem Tag mit dem Brabus SL 850 ist nichts mehr wie es war. Zumindest nicht der Asphalt des Motodroms. Der hat stellenweise eine gründliche Gummierung erhalten. „Entweder du fährst alles im Vierten, alles!“, bricht es aus Christian heraus. „Oder du bekommst Power- Oversteering vom Feinsten. Unglaublich.“ Sagt Christian – einer, dem es normalerweise vor wenig graust, erst recht nicht vor Power-Oversteering. „Kaum gehst du ans Gas, will dich das Heck des Brabus SL 850 auch schon überholen, bremst du zu spät, untersteuert er. Schwierig.“

Unsere Highlights

Wie meinte der legendäre Porsche 917/30-Treiber Mark Donohue einst: „Erst wenn du schwarze Striche vom Kurvenausgang zum nächsten Bremspunkt ziehen kannst, hast du wirklich genug Leistung.“ Wir ergänzen: oder zu wenig Traktion – aber egal. Heute gäbe es neben Allradantrieb noch ausgefeilte Regelelektronik, doch für die ist bei 850 PS auch mal Feierabend. Aber – und die Frage sollte erlaubt sein – muss das nicht so sein? Soll so ein SL 850 nicht absichtlich über das Ziel des effizienten Fahrens weit hinausschießen? Zumal sich bisher niemand bei der Basis SL 63 AMG über mangelnden Druck beklagt haben dürfte. Der 5,5-Liter-Biturbo gilt weder als drehmomentschwach noch drehzahlfaul.

Dennoch: Bodo Buschmanns Truppe hat hingelangt und ist dem AMG-V8 unters Shirt gegangen. Mit Tuning-Petting halten sich die Bottroper nicht auf, sie halten gleich in den Block rein: Hubraumerweiterung auf sechs Liter, aus dem Vollen gefräste Kurbelwelle (96 mm Hub), aus dem Vollen gefräste Pleuel, Schmiedekolben für 99 mm Bohrung und obendrauf Mehrlagenstahl- Zylinderkopfdichtungen.

Brabus SL 850 wiegt 1,9 Tonnen

Die Atemluft saugt das Tier über eine Carbonluftführung in der Motorhaube an, weiter geht's durch vergrößerte Filtergehäuse mit Schaumstoffeinsätzen sowie eine mächtige Kohlefaser-Reinluftleitung Richtung Turbolader – und das sind zwei Spezialexemplare mit größeren Verdichtern. Nach draußen gelangen die Abgase des Brabus SL 850 über eine staudrucksenkende Metallkatalysator-Anlage. Das hört sich vergleichsweise sachlich an – klingt jedoch bitterböse.

Doch dazu später, vorher schließen wir den Rundgang um 1,9 Tonnen schweren Brabus SL 850 ab, registrieren sauber angepasste Carbon-Anbauteile wie Frontspoiler und Heckdiffusor sowie schicke 20-Zoll-Schmiederäder. AMG hat ordentlich Vorarbeit geleistet. Auch im Innenraum, der bis auf ein paar dezente Brabus-Insignien die hochwertige Verarbeitung der Basis trägt – inklusive feinem Leder auf körpergerechten, vielfach verstellbaren Sitzen, Nackenföhn sowie Carbon-Applikationen im Cockpit.

Jetzt aber Schlüssel rum und los. Kurz ruckt der Siebengang-Automat des Brabus SL 850, selbst die Zahnradpaarungen scheinen Respekt vor den bis zu 1.450 Newtonmetern zu haben. Rücksichtslos mit voller Kraft beaufschlagt, dürften sie schnell aussehen wie die Zahnstümpfe eines 75-jährigen Tippelbruders. Keine Angst, liebe Speedshift-Automatik und was sich sonst um die Kraftübertragung kümmert: Elektronik reduziert das Drehmoment auf bekömmliche 1.150 Newtonmeter.

2,2 Kilogramm pro PS

Dieser Wert wiederum würde dem Nürburgring-Haudegen Uwe Alzen gefallen. Seine Definition eines Männerautos: 1.000 PS, 1.000 Newtonmeter, 1.000 Kilo. Sorry, Brabus: an zwei Zielen knapp vorbei. Das Leistungsgewicht des Brabus SL 850 liegt statt bei einem bei 2,2 Kilogramm pro PS. Was jetzt auch nicht soo schlecht ist. Immerhin reicht es, den nur von der Hinterachse angetriebenen Über-SL in 9,9 Sekunden von 0 auf 200 km/h zu katapultieren. Knappe sechs Sekunden später sind 250, nach insgesamt 26,2 Sekunden Tempo 300 erreicht. Ach ja, die Prüfung 0–200–0 km/h schafft der Brabus SL 850 schneller als ein Ferrari 458 Italia.

Passt, oder? Geradeaus und obenraus wird es halt immer einfacher, den Punch des zornigen Großkolben-V8 umzusetzen, wie wir auf freier Bahn feststellen. Zuvor cruist der Brabus SL 850 noch brav wie ein Familienhund durch die Stadt, stoppt-startet brav an der Ampel, reagiert sanft aufs Gas, filtert mit seinem aktiven ABC-Fahrwerk Unebenheiten sauber weg, stößt höchstens etwas auf Querfugen. Die Lenkung wirkt etwas entkoppelt, reagiert aber insgesamt präzise genug.

Das Öl ist warm, die Strecke frei, der Sechsliter des Brabus SL 850 zeigt, wofür er gemacht ist: fürs Beschleunigen, Durchziehen. Zunächst protestieren Antriebsräder und Elektronik, zieht Letzere die Leine stramm, und das Vollgasspiel beginnt erneut. Bodenblech unterhalb 100 km/h? Vergiss es, oder vulkanisiere Autogramme mit den 325er-Conti Sport Contact.

Brabus SL 850 lehrt Geduld und Demut

Der 850-Motor lehrt Geduld und Demut. Wie beim ersten Date kommt man mit gutem Timing weiter: Nicht tumb aufs Pedal latschen, sondern mit Gefühl die Druckwelle reiten. Die wandlerlose Sportautomatik legt die Gänge nach, reagiert auf Zug am Paddel allerdings manchmal verzögert. So oder so hat der Brabus-Motor nichts gegen Drehzahlen, legt ab 4.000/min richtig zu, erkennbar am schlürfenden Ansaugen und dem Rauschen der Turbolader.

Deren Sound hat es allerdings schwer gegen das fette Schmettern aus dem Auspuff. Standardmäßig bereits auf den Curbs des guten Geschmacks balancierend, geht es nach Druck auf eine Lenkradtaste ins Off. Das radikale Öffnen geräuschhemmender Klappen kühlt die nachbarschaftlichen Beziehungen einer gutbürgerlichen Wohngegend auf das Level des Verhältnisses zwischen Nord- und Südkorea herunter.

Etwas für Freaks eben, denen neben rund 300.000 Euro für den Brabus SL 850 auch noch die Gunst ihrer Mitmenschen sicher ist. Oder bloß egal. Sie werden den Brabus SL 850 lieben, bietet er doch unerbittlichen Punch auf freier Strecke sowie Diskussionsstoff an Tankstelle, Club oder Golfplatz („Äh, was bedeutet 850?“ „PS!“ „Boah!“) sowie die Alltagstauglichkeit eines Mercedes.

Nicht zu vergessen das beeindruckende Offenfahrgefühl: von wuschelig bei geöffneten Seitenscheiben bis hin zu kuschelig bei aktiviertem Windschott. Schließlich mögen nicht nur große Motoren frische Luft – sondern auch Brabus-Fahrer.

Technische Daten
Brabus SL 850 Roadster AMG
Grundpreis243.772 €
Außenmaße4617 x 1877 x 1315 mm
Kofferraumvolumen364 l
Hubraum / Motor5912 cm³ / 8-Zylinder
Leistung625 kW / 850 PS bei 5400 U/min
Höchstgeschwindigkeit350 km/h
0-100 km/h3,9 s
Verbrauch19,2 l/100 km
Die aktuelle Ausgabe
Sport Auto 03 / 2022
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Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten