Ford Mustang Boss 302 Laguna Seca im Test
US-Schnäppchen schlägt Porsche, BMW & Co.

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An Sportwagen aus Deutschland führt kaum ein Weg vorbei, doch der Ford Mustang Boss 302 Laguna Seca reizt zum Konvertieren: Er bremst besser als der Porsche 911 GT3 RS 4.0 und ist in Hockenheim schneller als der BMW M3. Test eines charakterstarken US-Talents.

Ford Mustang Boss 302 Laguna Seca
Foto: Rossen Gargolov

Ahhh, das Achtzylinder-Blubbern nach dem V8-Reinheitsgebot erwärmt die Seele wie der erste Schluck von einem frisch gezapften Weizenbier. Hier verwässert kein Turbolader oder Kompressor die 4.951 Kubikzentimeter Hubraum. Hier stemmt sich kein Dämmmaterial unter der Aluminium-Motorhaube wie ein intoleranter Nachbar gegen die Small-Block-Party. 443 Pferde dürfen im Testwagen Ford Mustang Boss 302 Laguna Seca ungezügelt schnauben.

Limitiertes Sondermodell das Muscle-Cars

Auf Basis des 2011er Mustang GT entwickelte Ford USA den Mustang Boss 302. Davon abgeleitet entsteht in limitierter Auflage von 750 Exemplaren das rassigste Pferd der aktuellen Mustang-Zucht. Western enden meist mit dem Ritt in den Sonnenuntergang, dieser beginnt mit der Ausfahrt in die Dunkelheit. Zündschlüssel drehen, Anlasserjaulen und dann Rock’n Roll. Langsam, lassen wir das Pony Car gemächlich antraben und werfen einen Blick zurück in die Mustang-Historie?

Unsere Highlights

Richtig, Boss 302 gab es schon: In den Jahren 1969 und 1970 liefen 7.946 Exemplare des Ur-Modells vom Fertigungsband in Dearborn im US-Bundesstaat Michigan. Schon damals feuerte ein 302-Cubic-Inch-V8-Block den Boss an: Leistungsausbeute des bis 6.500 Touren aufgeigenden Sportmotors: 294 PS bei 5.800 Touren. Seinerzeit genug, um in der amerikanischen Trans-Am Series 1970 das Saison-Auftaktrennen auf der kalifornischen Rennpiste von Laguna Seca zu gewinnen.

Dass auch für den aktuellen Ford Mustang Boss 302 Laguna Seca die Rennstrecken dieser Welt die Bühne des Lebens bedeuten, macht der US-Rocker sofort klar. Das Interieur dominieren bequeme, wenn auch zu weich gepolsterte Recaro-Sitze, ein Alcantara-bezogenes Dreispeichen-Lenkrad, das mit seiner tiefen Schüsselung einem Nascar-Boliden aus den Achtzigern ähnelt, sowie drei Zusatzanzeigen auf dem Instrumententräger. Die Rücksitzbank flog zur Gewichtseinsparung raus, dafür trägt hinten eine Kreuzstrebe zur Steifigkeit bei. Ansonsten bestimmt Hartplastik, das Winterkorn, Zetsche und Co. zur Schnappatmung übergehen lassen würde, den Innenraum.

Muscle-Car spaltet die Gesellschaft

Während an der Mustang-Schnauze ein Frontsplitter im Schneeschieber-Format prangt, sitzt auf dem Heckdeckel ein feststehender Flügel, der auch als Theke für einen Stammtisch herhalten könnte. Ganz nebenbei: Laut Ford soll der aerodynamische Feinschliff 40 Kilogramm Abtrieb bei 225 km/h generieren. Flügelwerk und Kriegsbemalung – nicht nur beim innerstädtischen Cruisen zur Abendstunde spaltet das Muscle-Car die Gesellschaft in zwei Lager. „Ich Mann, du Frau“, raunt der Ami seinen Beobachtern zu. Auf der einen Seite alle Ladies, die sich kopfschüttelnd angesichts des halbstarken PS-Flegels wegdrehen. Im anderen Lager wir Männer, die mit leicht gebeugter Neandertaler-ähnlichen Haltung und verschmitztem Lächeln den 1.652-Kilo-Klotz mit robuster Technik anhimmeln, als sei gerade Heidi Klum über den Zebrastreifen geturnt.

Sorry Mädels, heute ist Männerabend: Der Ford Mustang Boss 302 ist wie der beste Kumpel – treu, ehrlich und trinkt in geselliger Runde gerne einen über den Durst. Hochoktaniges rauscht bei Volllast wie eine Sturmflut durch die Brennräume. Doch eine Öko-Trophäe wollten die Ford-Motorenentwickler ja auch nicht einheimsen, als sie sich unter Mithilfe der Rennabteilung ans Werk machten, die Maximaldrehzahl des Fünfliter-V8 aus dem Mustang GT von 7.000 auf 7.500 Touren zu steigern, um dem Sauger weitere 31 Pferde zu entlocken. Dafür kommen unter anderem ein neues Ansaugsystem, Leichtmetallkolben, hochfeste Aluminium-Zylinderköpfe, ein erleichterter Ventiltrieb, spezielle hitzebeständige Ventile, andere Kurbelwellenlager und ein Ölkühler zum Einsatz.

Kein Burnout bei der Beschleunigung

Genug für den Lichtbildner durch die Nacht gezockelt, mit dem Morgengrauen muss der V8-Kumpane im Test auf dem sport auto-Dragstrip, pardon: der Messgeraden, in Hockenheim zeigen, was er wirklich kann. Drei, zwei, eins – Vollgas: Das gemütliche Achtzylinder-Bollern wandelt sich in freches Rotzen. Der Ford Mustang Boss 302 Laguna Seca prescht wie ein aufgeregtes Rennpferd aus der Startbox und stemmt seine Starrachse samt 285er-Walzen in den Asphalt. Wir trauen unseren Augen nicht: Kein weißer Rauch, der wie Nebelschwaden aus den Radkästen quillt, keine 150 Meter langen Gummi-Gedächtnis-Streifen, sondern knackige 4,9 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100.

Der US-Kamerad hat seinen bisher getesteten Brüdern etwas voraus: Traktion. Für ein feines Gripniveau ziehen die Amis dem Ford Mustang Boss 302 keine Alljahresgummis, sondern Pirelli P Zero Corsa auf die 19-Zoll-Räder. Damit ist er beim 0-100-Sprint so schnell wie der 114 PS stärkere GT 500. Dabei sind „Launch Control“ und „Doppelkupplung“ Wörter aus einer fremden Galaxie. Der Sechsgang-Handschalter mit kurzen, aber teilweise hakeligen Gassen trennt die Piloten beim Schalten in Jungs und echte Kerle. Da müssen auch deutsche Sonnenkönige zittern.

Ford Mustang bremst besser als Porsche 911

Während der Ford Mustang Testwagen in puncto Beschleunigung auf BMW M3-Niveau liegt, jagt er bei der Verzögerung einigen Grossmeistern einen Schrecken ein. Eine Brembo-Bremsanlage mit Vierkolben-Sätteln und speziellen Entlüftungsschächten an der Vorderachse stoppen das Pony Car im kalten Zustand in 31,5 Meter aus 100 km/h. Selbst auf Betriebstemperatur steht der Boss 302 Laguna Seca nach nur 33,3 Meter aus Tempo 100. Und aus 200 km/h? Mit einer Verzögerung von 12,4 m/s² bremst der Ami in nur 124,6 Meter so brachial, als ob ihn Fangseile wie auf einem Flugzeugtäger zusammenstauchen würden.

In der Ford-Entwicklung dürften nach dem nächsten Satz die Korken knallen. Kurzer Abgleich mit einem Kurven-Idol aus Deutschland: Für den Porsche 911 GT3 RS 4.0 notiert das GPS-Messgerät aus 100 km/h (kalt): 33,6 Meter, aus 100 km/h (warm): 33,6 Meter und aus 200 km/h (warm): 130,1 Meter. Das hat Charakter, dabei ist die Hauptdisziplin im sport auto-Test noch gar nicht absolviert.

US-Sportwagen schlägt deutsche Konkurrenz im Test

Auch für die Rundenjagd auf dem Kleinen Kurs von Hockenheim ist der Ford Mustang Boss 302 Laguna Seca bestens vorbereitet. Dazu zählen in fünf Stufen einstellbare Dämpfer, kürzere Federn mit höheren Federraten (Fahrzeugschwerpunkt minus 11 mm vorn und 1 mm hinten) sowie ein Sperrdifferenzial. Während die Lenkung Mustang-typisch mit schwammiger Rückmeldung reagiert, lenkt der US-Import trotzdem insgesamt präziser als alle anderen Mustang-Derivate ein. Spürbare Karosseriebewegungen gehören trotz Fahrwerksänderungen sowohl in Kurven als auch beim Anbremsen zum Programm. Dabei bleibt der Ami jedoch gutmütig neutral. Die P Zero Corsa-Pneus liefern mit ihrer guten Haftung einen entscheidenden Anteil zur guten Fahrbarkeit.

Auskeilen im Rodeo-Stil? Nur durch übermässig provozierten Gaseinsatz, ansonsten hält der Laguna Seca schnell und sicher die Ideallinie. Lohn der Querdynamik-Kur: Mit einer fabelhaften Rundenzeit auf dem Hockenheimring von 1.13,2 Minuten fliegt der Ford Mustang Boss 302 Laguna Seca beim Test über die Ziellinie in Hockenheim. Trotz der vorteilhaften Sportreifen will die bärenstarke deutsche Konkurrenz von BMW (M3 Coupé: 1.14,2 min) und Mercedes (C 63 AMG Coupé: 1.13,6 min) erst einmal überholt werden. Dafür gibt es nur ein einziges Schlusswort: Chapeau!

Technische Daten
Ford Mustang Boss Laguna Seca
Grundpreis69.900 €
Außenmaße4778 x 1877 x 1370 mm
Hubraum / Motor4951 cm³ / 8-Zylinder
Leistung326 kW / 443 PS bei 7400 U/min
Höchstgeschwindigkeit250 km/h
0-100 km/h4,9 s
Die aktuelle Ausgabe
Sport Auto 03 / 2022
Sport Auto 03 / 2022

Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten