Mercedes SLS AMG Roadster im Test
Windgesicht mit Warmluftschal

Der Mercedes SLS AMG Roadster wärmt die Seele, brennt Autogramme in den Asphalt – oder beides. Wen in dieser Wohlfühlzone zwischen heißem 571-PS-V8 und Nackenföhn noch fröstelt, der ist selbst schuld.

Mercedes SLS AMG Roadster
Foto: Hans-Dieter Seufert

Unten im Talkessel pulsiert der Verkehr im Takt der roten Ampeln, die Stadt grauschleiert unter zähem Hochnebel. Passender Moment für eine gepflegte Winterdepression. Aber nicht mit mir, brüllt der Mercedes SLS AMG Roadster aus voller V8-Kehle, möchte die fies daherwabernden Wolken am liebsten mit seinem heißen Atem verjagen.

Ein 571 PS starker Stimmungsaufheller mit Stoffverdeck. Hochdosiert, auf der Nordschleife, in Nardo, und anderswo klinisch erprobt, darf der Mercedes SLS AMG Roadster jetzt zeigen, was man für 195.000 Euro aufwärts bekommt – den aufgeschnittenen Abklatsch des Flügeltürers oder die luftige Alternative.

Zupackende Sportsitze, Warmluft im Nacken

Auch wenn das mit dem Nebelvertreiben trotz einiger fetter Gastapser nicht klappt – für die Flucht aus der grauen Suppe reicht es schon mal. Sonne auf der Albhochfläche, wer möchte da noch auf irgendeiner südfranzösischen Croisette im Stau stehen? Bevor man sich versieht, sind die paar Kilometer Autobahn mit dem Mercedes SLS AMG Roadster schwungvoll gefressen, rechts ab, die letzte Steigung im Visier. Der Nebel gibt nochmal alles, verdichtet sich zu einer schwer durchdringlichen Masse – um uns schlagartig auszuspucken. Die fahl schimmernde Sonne wird zum wärmenden Planeten, der Durchbruch ist geschafft, der Himmel stahlblau.

Mercedes SLS AMG Roadster, zwölf Grad, Sonnenschein und ein freier Nachmittag Mitte Januar. Da verfallen sogar Abgeklärte in eine Mischung aus Ekstase und Demut, werden wachsweich im Griff der Elemente und den griffig gepolsterten, zupackend modellierten Sitzen, aus denen auf Wunsch Warmluft Richtung Nacken strömt. Der ideale Platz, um sich mit Lebensfreude zu berauschen. Darüber, mit welcher Majestät und Neutralität der Mercedes SLS AMG Roadster seine lange Haube über die einsame Landstraße schiebt. Es sind krasse, klassische Proportionen, die sie dem Alu-Spaceframe und der darüberliegenden Leichtmetall-Haut gegeben haben. Dieser XL-Maschinenraum, an dessen Ende der 6,2-Liter wohnt. Frei saugend, hubraumstark, drehfreudig gibt er seine maximal 650 Newtonmeter über eine Kohlefaser-Kardanwelle an das Getrag-Doppelkupplungsgetriebe und die 20-Zoll-Hinterräder weiter. Fahrer und Beifahrer sitzen fast darüber, hinter ihnen nur noch das Stummelheck, aus dem ab 120 km/h ein Spoiler ausfährt.

Leistungsabruf im Mercedes SLS AMG Roadster stufenlos

Doch im Mercedes SLS AMG Roadster gibt es auch ein Leben diesseits des Grenzbereichs. Autowandern nannten das unsere Großväter. Aber wer sagt denn, dass das nicht auch mit 571 PS klappt? Wie der V8-Saugmotor sie hervorbringt: machtvoll, eruptiv oder zärtlich – es liegt am rechten Fahrerfuß, der Leistungsabruf erfolgt stufenlos. Ein Fakt, den viele Sportwagen-Parlierer unterschätzen. Ansprechverhalten und Dosierbarkeit sind haargenau so fein, wie man das erwartet. Wichtiger Bestandteil fürs Offenfahrvergnügen bei einer erfrischenden Tour über Land.

Vielleicht tönt der 6,2-Liter ein bisschen zu laut, um wirklich kultiviert zu erscheinen, aber er begeistert. Mehr als ein Mal mischen sich Jubelschreie in das brachiale Bollern, wuchtige Wummern, hitzige Hämmern dieses achtzylindrigen Vermächtnisses. Für eine Zeit, in der wir downgesized, selektiv zylinderabgeschaltet oder gar vollelektrifiziert unseren Zielen entgegengleiten.

Ziel? Brauchen wir heute nicht. Uns genügt der Weg. Er führt über Steigungen, die der Motor-Getriebe-Kombi nicht mal einen Gangwechsel abnötigen. Das übernimmt man im Mercedes SLS AMG Roadster – obwohl es schneller schaltende Doppelkuppler gibt – gern selbst, weil mehr Vergnügen als Pflicht. Einfach so, um den Donner zu spüren, wenn er ohne Dach-Filter in die Ohren knallt.

Dach öffnet bis 50 km/h innerhalb elf Sekunden

Dach, richtig. Es ist schon lange geöffnet. Nur elf Sekunden hat es gedauert, bis es in Z-Faltung hinter den Sitzen lag. Nicht mal anhalten muss man dazu, die Nummer läuft bis 50 km/h. Doch so heftig die Klangdosis, so zart umspielt der Wind die Insassen im Mercedes SLS AMG Roadster. Seitenscheiben runter? Bitte gern. Ohne Angst vorm zerzottelten Windgesicht mit Tränen in den Augen und Fliegen zwischen den Zähnen. Stattdessen fächelt die Fahrtluft belebend, streichelt durchs Haar. Mehr Tempo? Bitte sehr. Scheiben hoch. Es wird kühler? Zeit für den dreistufigen Warmluftschal mit der unsichtbaren Macht flauschigen Kaschmirs.

Ebenfalls überraschend flauschig: das Fahrwerk mit Adaptivdämpfern. Sie filtern in Komfortposition großzügig, tolerieren dabei sogar Karosseriebewegungen, halten selbst in der mittleren Stellung Stöße erfolgreich von den Insassen fern. Da reagierte das nicht adaptive Coupé rüder. Dem Mercedes SLS AMG Roadster gelingt hingegen eine irre Balance zwischen Fürsorge und aufpeitschender Gewalt. Schneller Vorlauf geht nämlich auch. Dann prallt die vor uns liegende Landschaft mit irrwitzigem Tempo auf die Netzhaut, flugs wechseln wir über den Hochgeschwindigkeitskick zum Flow. Der rechte Fuß quasi an die Drosselklappen gedockt, Gangwechsel mit herzhaften Zwischengasstößen gewürzt, standfest verzögert von Keramikscheiben bremsen wir an, lenken punktgenau ein, querbeschleunigen ohne nennenswertes Untersteuern und nehmen mit Hilfe der Differenzialsperre Tempo für die folgende Gerade auf. Dokumentiert vom AMG-Performance-Media-Bildschirm, auf dem rote Punkte über die Fadenkreuz-Skala flitzen, Daten zeigen, Rundenzeiten (Nordschleife und Hockenheimring mit Streckenprofil) präsentieren

Mercedes SLS AMG Roadster ruht auf welligen Pisten

Gezittert wird dabei höchstens um den Führerschein, die Karosserie des Mercedes SLS AMG Roadster ruht selbst auf welligen Pisten in sich. Kein Wunder, die Roadster-Version war stets Bestandteil der Konstruktion, wiegt zwar fast 100 kg mehr als das Coupé, erreicht aber dessen Fahrleistungen und Höchstgeschwindigkeit.

Apropos – die Sonne ist weg, Zeit zur Abfahrt. Januarkühle greift nach uns und wir nach dem Dachtaster. Die Magnesium-Stahl-Alu-Konstruktion schließt, spannt den Stoff straff und lässt störendes Getöse draußen. Fehlt bloß noch das prasselnde Kaminfeuer. Wobei wir lieber den V8 glühen lassen, mit 317 km/h ans Ziel beamen könnten. Doch wie war das? Im Mercedes SLS AMG Roadster genügt der Weg. Und die Flügeltüren haben wir keinen Moment vermisst.

Vor- und Nachteile
Karosserie
Mercedes SLS AMG Roadster
gutes Platzangebot
steife Karosserie
schnell öffnendes und schließendes Verdeck
sehr gute Verarbeitung
einfache Bedienung
mäßige Übersichtlichkeit
kleiner Kofferraum
reizarmes Interieur
Fahrkomfort
sehr hoher Offenfahrkomfort
wirksame Heizung
lomfortable Federung
bequeme Sitze
Antrieb
enormer Antritt
fein dosierbare Leistung
mitreißender Sound
zielführend arbeitendes Doppelkupplungsgetriebe
Fahreigenschaften
präzise Lenkung
gute Handlichkeit
stabiler Geradeauslauf
enorme Neutralität
hoher Grenzbereich
Sicherheit
standfeste, fein dosierbare Keramikbremsen
hilfreiche Regelelektronik mit mehrstufigem ESP
Umwelt
hoher Verbrauch
Kosten
voraussichtlich guter Wiederverkaufswert
teuer in der Anschaffung
teure Extras
teurer Unterhalt

Fazit

Offenherzig oder verschlossen, Schmusekatze oder Raubtier, Schleicher oder Raubein. Eigner der großen Open-Air-Preziose aus der Affalterbacher Sportwagenschmiede haben die Qual der Wahl. Nur in zwei Dingen lässt der Mercedes SLS AMG Roadster keine Optionen offen. Er ist immer und überall so viel schneller als der Rest der automobilen Welt, dass allein das Wissen darum es zuweilen schwer macht, den Gasfuß zu zügeln. Und er legt immer und überall einen gesunden Durst an den Tag. Der offene Mercedes SLS AMG Roadster beherrscht das ganze Programm von zart bis hart. Und erst der V8-Klang ...

Technische Daten
Mercedes SLS AMG Roadster
Grundpreis195.160 €
Außenmaße4638 x 1939 x 1261 mm
Kofferraumvolumen173 l
Hubraum / Motor6208 cm³ / 8-Zylinder
Leistung420 kW / 571 PS bei 6800 U/min
Höchstgeschwindigkeit317 km/h
0-100 km/h3,9 s
Verbrauch13,2 l/100 km
Testverbrauch16,4 l/100 km
Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 08 / 2024
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Erscheinungsdatum 27.03.2024

148 Seiten