Lotus-Chef Phil Popham im Interview
„Jeder Lotus-Sportwagen wird elektrifiziert“

Lotus sieht seine Zukunft in der Elektrifizierung. Doch bevor jeder neue Lotus Batterie-Technik bekommt, kommt noch ein neuer Sportwagen mit Verbrennungsmotor. Chef Phil Popham spricht über die Auswirkungen der Corona-Krise, Verzögerungen in der Produktion, das Prestige-Projekt Evija, den Zukunftsplan "Vision 80" – und Handschaltung.

Phil Popham - Lotus - Evija
Foto: Lotus

Die Corona-Pandemie hat die Autoindustrie schwer getroffen. Wie ist die Lage bei Lotus?

Popham: Es ist ein Vorteil, dass uns Geely durch die Krise lenkt. Sie wussten, anders als Firmen in Europa und Großbritannien, was uns bevorsteht und wie wir uns vorbereiten mussten. Wir wussten, dass ein Lockdown wahrscheinlich unvermeidbar sein würde. Wir haben deshalb etwa 400.000 Pfund zusätzlich investiert in IT und andere Systeme, um sicherzustellen, dass wir so weit wie möglich abseits der Firma arbeiten können.

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Wie lief es ab?

Popham: Als der Lockdown kam, am 23. März, mussten wir innerhalb von 24 Stunden unsere Produktionsanlagen zusperren. Wir waren durch unsere vorherigen Maßnahmen in der Lage, dass ungefähr 50 Prozent unserer Arbeitskraft – darunter der Großteil unserer Ingenieure, Designer und Manager – von zu Hause arbeiten konnte. Unser Werk war für die Produktion ungefähr sieben Wochen geschlossen. Am 18. Mai haben wir sie wieder hochgefahren. Im Juli werden wir wieder nah an die 100 Prozent Effizienz in der Produktion kommen.

Wir müssen die gesamte Wertschöpfungskette überblicken. Zum Beispiel unsere Zulieferer, die sich über das Land verteilen. Wir brauchen Pläne, wie sie sicher das Material anliefern. Bislang stocken die Zulieferungen nicht. Obwohl es ein paar Herausforderungen gab. Auf der anderen Seite der Kette stehen unsere Händler. Wir stehen jetzt wieder bei ungefähr 95 Prozent, die weltweit geöffnet haben.

Was sind die Lehren?

Popham: Im Moment sind nur diejenigen zurück am Arbeitsplatz, die es tatsächlich müssen. Mit der Ausnahme von ein bis zwei Mitarbeitern, die sich aufgrund ihrer persönlichen Umstände schützen müssen. Die Mehrheit, die im Home Office arbeitete, bleibt dort. Ich habe keinen Zweifel daran, dass sich diese Pandemie auf unsere Arbeitsweise auswirken wird. Die Arbeitswelt wird flexibler. Aber es geht um Flexibilität, die sich nach Effizienz richtet. Wir haben viel darüber gelernt in den letzten drei Monaten, wie Leute abseits der Firma arbeiten können. Jetzt wird sich die Diskussion darum drehen, was die Vorteile von Home Office sind, und was man besser im Büro erledigen sollte. Wie bekommt man einen Mix zusammen, um effizienter zu werden und die größtmögliche Produktivität zu erzielen?

Welche Auswirkungen hat der Produktionsstopp auf das restliche Jahr? Können Sie das aufholen?

Popham: Nein, können wir nicht. Wenn wir die Anlaufphase miteinbeziehen, fehlen uns ungefähr zehn Wochen in der Produktion. Wir werden ein bisschen was davon aufholen. Wir prognostizieren eine Einzelhandelsposition, die unter unserem Budget liegt. Wir müssen realistisch sein, denn der Markt muss sich erst erholen.

Die Zahlen werden geringer ausfallen als wir es vor der Krise antizipiert hatten. Wir haben unsere Produktionsfähigkeit und unsere notwendige Teileversorgung auf dieser Grundlage bemessen. Wichtig ist, dass wir Versorgung, Betrieb und Nachfrage zusammenbringen. Wir wollen nicht zu wenig bauen, aber auch nicht zu viel auf Lager haben. Das hat sicher eine Auswirkung auf unsere Umsätze. Aber auf gewisse Weise sind wir in der glücklichen Lage, dass der Großteil unserer Investments in unser Wachstum fließt, in unsere zukünftigen Projekte. Wir bauen unser Werk in Hethel aus. Die Finanzierung kommt von unseren Anteilseignern.

Wie lautet da der Plan?

Popham: Wir haben einen Zehnjahresplan, den wir Vision 80 nennen – in Anlehnung an unseren 80. Geburtstag. Wir haben den Plan vor 18 Monaten entwickelt – also an unserem 70. Firmengeburtstag. Es ist ein Zehnjahresplan. Die erste Hälfte wird durch Finanzspritzen unserer Anteilseigner getragen. Covid-19 und der Produktionsstopp schmälern unsere Umsätze, aber nicht die Ausgaben in Produktion und Ausbau unseres Werks.

Was wäre ohne Geely gewesen?

Popham: Ohne die solide finanzielle Plattform wären wir ganz anders dagestanden. So eine Krise hat schwere Auswirkungen auf dein Betriebskapital. Das nimmt uns aber nicht die Verantwortung, nach den Kosten zu schauen. Wir wollen kein Geld von Modellprogrammen abziehen und zu Betriebskapital machen. Aber wir haben nicht die Angst, dass uns das Geld ausgeht. Was momentan ja viele Unternehmen haben. Nicht nur in der Automobilwelt, sondern allgemein.

Wäre Lotus ohne Geely in so einer Krise vor der Pleite gestanden?

Popham: Das ist eine gute Frage. Wir sind immer noch eine kleine Firma, die wenige Autos verkauft. Wir sind eine größere Firma, was unser Investitionsvolumen anbetrifft. Ich denke, kleine Firmen und Randgeschäfte straucheln – und Lotus könnte sehr gut dazugehören ohne Geely. Wenn Sie das Lotus nehmen, das es vor drei Jahren gab, wären wir sicher sehr verwundbar gewesen.

Wie sieht es mit Ihrem Prestigeprojekt Evija aus? Sind Sie da aus dem Zeitrahmen gerutscht.

Popham: Was nicht betroffen ist, sind die Herstellungsgebäude. Die haben wir während des Shutdowns fertiggestellt. Es wird sehr viel gebaut hier in Hethel. Nicht nur für den Evija, sondern auch für andere neue Produkte. Weil wir für sieben Wochen eigentlich keinen Zutritt hatten, konnten zumindest die Bauarbeiter den Fertigungsprozess neuer Gebäude beschleunigen. Da sind wir also ziemlich gut aufgestellt. Was betroffen wurde, sind die technischen Tests. Die Hauptentwicklung führen wir in Europa durch. Wir mussten es wegen der Beschränkungen für zehn bis zwölf Wochen unterlassen. Das wird Auswirkungen haben, die wir gerade noch evaluieren.

Was heißt das?

Popham: Wir wollten mit dem Evija Ende des Jahres in Produktion gehen. Das können wir momentan nicht bestätigen, weil wir erst sehen müssen, wie stark uns die Verzögerungen treffen. Wir testen jetzt zwar wieder, wissen aber nicht, wie viel wir aufholen können.

70 Jahre Lotus, Fahrbericht, spa032019
Jarowan Power
Lotus hat derzeit drei Baureihen: Elise, Exige und Evora. Der Evija und ein neuer Sportwagen kommen bald.

Sie haben den Evija im Juni 2019 vorgestellt. Werden Sie die technischen Versprechen von 2.000 PS, 1.700 Newtonmeter und 320 km/h Topspeed halten können?

Popham: Unsere Ziele und die Performance bleiben dieselben.

Es ist Ihr erstes Elektroauto. Auf welche Probleme stoßen Sie da?

Popham: Das Programm ist ziemlich straff und auf einen kleinen Zeitraum ausgelegt. Wie bei jedem Programm gibt es Herausforderungen, die man meistern muss. Wir haben dafür ein unglaublich gutes Team. Und wir stocken diese Ingenieursmannschaft weiter auf. In den letzten zwei Jahren haben wir rund 300 neue Ingenieure angestellt. Viele von ihnen arbeiten am Evija. Sie bringen Expertise und Erfahrung von anderen Unternehmen aus der Branche ein. Jeder kann das große Potential sehen, Lotus zu verjüngen über die nächsten zehn Jahre. Mit dem finanziellen Rückhalt, den wir mit unseren Eigentümern haben. Das lockt viele gute Leute an. Nicht nur Ingenieure, sondern auch aus anderen Bereichen.

Es ist ein ambitioniertes Projekt. Wir wollen das stärkste Serienauto der Welt herstellen. Es ist das erste vollelektrische Hypercar Großbritanniens. Wir haben zur Unterstützung die Lotus Engineering Consultancy, die im letzten Jahrzehnt an mindestens einem halben Dutzend Projekten mitgewirkt hat, die sich mit Elektromobilität beschäftigten. Wir holen also neues Talent und kombinieren es mit dem vorhandenen Wissen.

Können Sie ein oder zwei Beispiele nennen, was besonders herausfordernd ist?

Popham: Das ist ganz einfach neue Technik. Deshalb sind die Testphasen so entscheidend. Wir müssen alle Annahmen und Ergebnisse in der Realität bestätigen. Bis jetzt waren die Testergebnisse positiv. Die andere Herausforderung – und das betrifft nicht nur das Hypercar, sondern alle Elektroautos – ist das Thema Leichtbau. Darauf konzentrieren wir uns stark. Wir stecken viel Technologie in die Fertigung des Carbonchassis – da kommt Formel 1-Technik rein, um sicherzustellen, dass wir das Gewicht der Batterie ausgleichen können. Wir wollen nicht nur das stärkste, sondern auch dynamischste Elektro-Hypercar bauen. Performance und Handling: So wie man es von einem Lotus gewohnt ist. Und viele Kleinigkeiten kommen eben bei Testfahrten zum Vorschein.

Sie haben Ihre Vision 80 angesprochen. Wie viele neue Autos will Lotus in dieser Zeit auf den Markt bringen?

Popham: Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir neben dem Evija noch einen weiteren Sportwagen bauen. Den zeigen wir im Verlauf von 2021. Es wird der letzte Lotus-Sportwagen, der keine Option zur Elektrifizierung hat. Wir sehen die Zukunft innerhalb unserer Vision in der Elektrifizierung. Darin wollen wir führend sein. Gleichzeitig glauben wir, dass die Marke stark genug ist, um weitere neue Segmente zu erschließen. Ich darf Ihnen hierzu nicht zu viel verraten. Wir haben analysiert, welche anderen Segmente für uns Sinn machen. Was sicher ist: Wir werden die DNA von Lotus in anderen Segmenten erleben.

In anderen Worten: Der 2021er Sportwagen wird der letzte mit einem Verbrennungsmotor?

Popham: Er wird einen Verbrenner haben. Und der letzte Sportwagen sein, der nicht eine vollständige Elektrifizierung anbietet. Wir sehen unsere langfristige Zukunft mit einem großen Elektro-Anteil. Dahin entwickelt sich der Markt. Der neue Sportwagen mit Verbrennungsmotor wird eine größere Zielgruppe ansprechen, als es unsere derzeitigen Autos machen. Wir wollen damit einige Schwachstellen adressieren, ohne an Performance einzubüßen: Einstieg, Ausstieg, Konnektivität, Ablagefächer. Es soll ein Sportwagen für den Alltag sein. Die Elektro-Architektur wird überarbeitet.

Bedeutet das, dass Sie in Zukunft jeweils zwei Versionen haben werden: Verbrenner und Elektro? Oder müssen Sie sich für eine Richtung entscheiden?

Popham: Womöglich. Das ist eine der Herausforderungen, durch die wir uns arbeiten müssen. Wir wollen unsere Waffen schärfen. Wenn wir eine neue Plattform aufbauen, wollen wir daraus verschiedene Derivate ziehen, um sicherzustellen, dass unser Investment sich auch auszahlt. Ob das dazu führt, dass wir Verbrenner und Elektro auf dieselbe Plattform bringen, ist noch nicht entschieden. Aber wir erkennen, dass der Markt sich Richtung der Elektrifizierung dreht – regulatorisch, und weil die Kunden diesem Trend folgen.

In anderen Worten: Sie glauben nicht an die Zukunft des Verbrenners im Sportwagen.

Popham: Auf lange Sicht sehe ich es als schwierig an. Allein schon wegen der Vorschriften. Zum Beispiel bezüglich der Emissionen. Manche Länder haben bereits ein Datum für das Ende des Verbrennungsmotors ausgerufen. Ich denke, es gibt noch eine großartige Business-Möglichkeit, wenn wir die Vergangenheit und das Erbe betrachten. Es entsteht ein großer Markt für historische Autos, der von Herstellern gefördert wird. Ich sehe darin eine Chance für Lotus. Aber für die Zukunft des Sportwagens sehe ich die Elektrifizierung als Sieger.

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Das ist genau der richtige Ansatz. Sportwagen und Elektrifizierung: Das passt. Das ist der falsche Weg. In den Sportwagen gehört ein Verbrenner. Und wenn das nicht geht, sollte etwas anderes her als Batterie-Technik.

Wie sehen Sie die Kombination beider Welten? Also den Plugin-Hybrid.

Popham: Hybrid ist eine große Herausforderung. Selbst, wenn man nur einen kleinen Verbrenner in einen Sportwagen steckt. Dann kommen noch die Peripherie und das Getriebe dazu. Das in Kombination mit den Elektrokomponenten sorgt für ein Gewichtsproblem. Außerdem gibt es Probleme mit dem Packaging, weil Sportwagen laut Definition kleiner sind und tiefer liegen. Die alleinige Elektrifizierung erlaubt es, die Batterie dorthin zu stecken, wo sie am meisten nutzt. In Bezug auf den Schwerpunkt und die Gesamtdynamik des Autos. Du hast mehr Freiheiten beim Design und der Aerodynamik. Wir sehen deutlich mehr Vorteile der völligen Elektrifizierung als nur das halbe Haus zu bauen.

Ziehen Sie andere Technologien wie synthetische Kraftstoffe oder Wasserstoff in Betracht?

Popham: Es wird andere Technologien geben. Ich denke aber, dass der Schwerpunkt bei der Elektrifizierung liegen wird. Es geht nicht nur um die Technologie in den Autos, sondern auch um die Infrastruktur, die darum geschaffen wird. Es besteht kein Zweifel, dass weltweit große Investments in die Elektrifizierung fließen. Die Infrastruktur, die Ladesäulen – selbst die Ölfirmen kümmern sich darum. Die Regierungen schaffen Anreize.

Was können Sie über Preis, Größe und Layout des neuen Sportwagens ab 2021 sagen?

Popham: Wir werden unseren neuen Sportwagen innerhalb der bestehenden Modellpalette einpreisen. Er wird also nicht billiger oder teurer. Wir können leider in diesem Moment nichts zur Sitzkonfiguration oder der Größe sagen. Aber seien Sie versichert, Sie werden einer der ersten sein, die das Auto sehen.

Wird es einen Baby-Evija geben?

Popham: Das weiß ich nicht. Im Moment liegt unser Augenmerk darauf, den Evija weiter zu testen und erfolgreich auf den Markt zu bringen. Danach werden wir die Größe des Markts bemessen: Falls wir entdecken, dass es Lücken gibt, in die wir stoßen können, würde ich es nicht ausschließen. Aber es ist derzeit nicht Teil unserer Zukunftsplanung.

Wie steht es um die Kooperation mit Toyota, die Lotus seit Jahren mit Verbrennungsmotoren beliefern?

Popham: Wir sind in einer Position, die es uns erlaubt, auf die Technik von Geely zurückzugreifen. Aber sie schränken uns nicht auf ihren Unternehmens-Pool ein. Wir können mit anderen Unternehmen kollaborieren. Wir werden nicht unsere eigenen Motoren bauen. Unsere Expertise sind Aerodynamik, Chassis-Dynamik, das Design des Autos. Deshalb werden wir weiter mit anderen Unternehmen zusammenarbeiten – innerhalb und außerhalb der Geely-Gruppe.

Werden Handschalter aussterben?

Popham: Das ist eine interessante Frage, weil wir im Vergleich zum Segment deutlich mehr Autos mit Handschalter ausliefern. Wenn man sich die Statistiken ansieht, erkennt man, dass mehr und mehr Kunden sich für Automatikgetriebe entscheiden. Automatikgetriebe mit Schaltwippen am Lenkrad, die einem die Vorzüge eines Handschalters bringen. Bei der Elektrifizierung geht es nicht darum, ob man den Gang selbst wechselt, sondern wie man den Fahrer in das Fahrerlebnis einbindet. Wir wollen die fesselndsten Autos bauen. Wir müssen uns bewusst machen, welche Werkzeuge wir dafür brauchen, damit der Fahrer jede Fahrt voll genießt.