Jeep Avenger im Test
Wie fährt der erste Elektro-Jeep ohne Allrad?

Für Jeep, Marke der Kraxler und Kletterer, schien uns nie etwas zu abwegig. Jetzt bringen sie den Avenger mit E-Antrieb und ohne Allrad. Zeitgemäß oder abwegig? Wägen wir im Test ab.

Jeep Avenger
Foto: Rossen Gargoloy

Es gibt für fast alles einen guten Grund. Sogar dafür, dass Vögel in Neuseeland nicht fliegen können. Wozu die Mühe? Bis auf Fledermäuse gibt es da keine einheimischen Säugetiere, also keine natürlichen Feinde, vor denen die Vögel wegfliegen müssten. Was sich zu einem evolutionären Nachteil entwickelt, als die Briten Neuseeland Anfang des 19. Jahrhunderts ins Empire einsortieren und dabei der Legende nach Katzen mitbringen. Denen mangelt es fortan nie an Beute. Der bodenständige Neuseelandvogel kann ja nicht nur nicht wegfliegen. Er weiß ja nicht mal, dass sich das beim Annähern einer Katze als zweckdienlich erweisen könnte.

Unsere Highlights

Nun der Übergang: Ist ein Jeep, der nicht ins Gelände abhauen kann, wie ein Vogel, der vor einer Katze nicht wegzufliegen vermag? Und legte die Marke nicht beim kaum größeren, ebenfalls aus dem Konzernbaukasten zusammenentwickelten Renegade noch höchsten Wert darauf, dass er zumindest als Trailhawk den Rubicon Trail bezwingen konnte? Oder sind die Würfel gefallen, hat Jeep den Rubikon überschritten (ach, liebe Mit-Altsprachler, wir sollten viel öfter unser Latein für Angeber rausholen), erlangt die Marke nun eine zeitgeistige Evolutionsstufe?

Benzin, falls ihr nicht Volt

Seit 2021 gehört Jeep zu Stellantis, was die aufwandsüberschaubare Entwicklung des Avenger ermöglicht – auf der CMP-Architektur für kleine SUV, Klein- und Kompaktwagen. Mit der für Verbrenner, Hybride und Elektros (eCMP) nutzbaren Plattform lassen sich markenspezifische Wünsche bei Set-up, Antrieb und Design umsetzen. Das hat bei Opel, Citroën und Peugeot schon zu erstaunlich typischen Modellen wie Opel Mokka, Citroën C4 und Peugeot 2008 geführt. Dass unterschiedliche Antriebsversionen auf einem Band laufen, erhöht die Flexibilität bei Nachfrage-Änderungen.

Mit einer Reichweite von 242 Kilometern ist das nächste Abenteuer in greifbarer Nähe.

So eine hat sich beim Jeep Avenger gleich mal ergeben. Zunächst sollte das 400-V-Standard-E-Werk des Konzerns mit 115 kW starker E-Maschine und 54-kWh-Akku bei uns die einzige Antriebsversion sein. Doch für das Cousin-Modell des auch in Tychy/Polen gebauten Fiat 600 gab es bei uns relevantes Interesse an einem Benziner. So bietet Jeep den Avenger nun auch mit Dreizylinder-Turbo an und bald als Hybrid, bei dem ein ins Doppelkupplungsgetriebe integrierter E-Motor mit 21 kW dem Dreizylinder zuarbeitet.

Nun, wir richten uns aber auf den und im Elektro ein, während der noch für ein paar Kilowattstündchen an der Wallbox hängt. Daran lädt er mit 11 kW Wechselstrom, maximal 100 kW sind es am Gleichstrom-Schnelllader. Im Test braucht der Jeep 40 Minuten, um Energie für 200 km Fahrt zu speichern.

Mit maximal 100 kW Ladeleistung am Gleichstrom-Schnelllader darf man es nicht eilig haben. Etwa 40 Minuten benötigt der Jeep, um Energie 200 km zu speichern.

Ihre 102 Zellen sortiert die Lithium-Ionen-Batterie in 17 Modulen, die sich so unter den Vorder- und Rücksitzen zwischen den Achsen gruppieren, dass sie das Platzangebot für Passagiere wie Gepäck nicht mindern sollen. Weiträumige Fülle erlangt es zwar nicht. Doch für 4.084 mm Kürze bringt der Avenger vier Erwachsene ungedrängt unter – obgleich auf der kurzen, steillehnigen Rückbank nicht so bequem wie auf den Vordersitzen. Aus der sachten Erhabenheit von 58 cm Sitzhöhe über der Straße mag sich kein horizonterweiternder Ausblick wie im Wrangler ergeben. Aber etwas herausgehoben schaut man schon über die gut abschätzbare Motorhaube. Überhaupt ist der Avenger ein patenter Alltagswagen mit bequemem Einstieg, großen Ablagen und unaufwendig-einfacher Variabilität.

Wenig Aufwand betreibt Jeep auch bei der Instrumentierung. Zwar flimmert das Konzern-Standard-Display in Jeep-Layout, viel anzuzeigen weiß es aber nicht. Wobei uns der Monitor die Relevanz auch solcher als selbstverständlich erachteten Angaben wie der von Geschwindigkeit und Reichweite verdeutlichte, als er über mehrere Stunden und Neustarts ausfiel.

Die Bedingung des Infotainmentsystems ist eher schlecht als recht. Vor allem durch den begriffsstutzigen Sprachassistent.

Gerade die Kenntnis der Reichweite erlangt eine gesteigerte Dringlichkeit dadurch, dass die Energie des Akkus beim nicht mal niedrigen Testverbrauch von 23,1 kWh/100 km lediglich für 242 km genügt. Auf der Eco-Runde sind es 19,2 kWh – macht auch nur 292 km. Wer die nötige Langmut und Kälteresistenz besitzt und im stark leistungs- sowie klimatisierungsgedimmten Eco-Modus herumstromert, mag die Reichweite noch etwas dehnen.

Mit aller Leistung zieht der vorderradgetriebene Jeep nur im Sport-Modus los. Dann mangelt es nicht an Vehemenz, doch erlangt sie nie die Durchdringlichkeit, mit der andere, ähnlich starke E-Autos voranpreschen. Wie alle eCMP-Modelle beschleunigt der Jeep Avenger homogen, aber mit gedämpfter Wucht. Ach, es gibt Fahrmodi für Schnee, Schlamm, Sand. Doch verstehe man die Kennlinien-Varianten für Stabilitätssysteme und Ansprechverhalten des E-Motors besser als folkloristischen Beitrag und nicht als einen zur Erlangung nennenswerter Offroad-Fertigkeiten.

Dafür, dass der Jeep sich die Straße als feste Grundlage für sein Vorankommen ausgesucht hat, hadert er doch erstaunlich damit, dass sie ihm die Richtung vorgibt. Zwar geht er dem Unterfangen des Kurvenfahrens zuverlässig und sicher nach – auch wegen des robust eingreifenden ESP. Ja mitunter meint man gar eine gewisse Ambition an Präzision und ein geringes Gespür für Rückmeldung in der Lenkung zu erahnen. Doch überwiegt Belanglosigkeit in der Inszenierung der Kurvenfahrt. Das Aufsehen des Überraschungsmoments übernehmen die Bremsen, deren Verzögerung nicht von Rekuperation zu Reibung hinübergleitet, sondern eher stolpert: Ohne dass man den Druck aufs schlecht dosierbare Bremspedal verändert hätte, rattert das System mitunter vom – selbst im B-Modus – zarten Rekuperationsverzögern direkt in den harten ABS-Regelbereich.

So richtig geregelt bekommt der Avenger auch den Komfort nicht. Wie bei allen SUV hebt auch bei ihm die hochgereckte Bodenfreiheit (20 cm) den Schwerpunkt. Dazu kommt die für die Kürze des Wagens hohe Masse, an welcher der 340 kg schwere Akku gewichtigen Anteil hat. Deswegen braucht es bei passiven Fahrwerken dann ein straffes Set-up, um die Aufbaubewegungen unter Kontrolle zu halten – oder wie beim Jeep zumindest dafür zu sorgen, dass sie nicht ins Überschwängliche geraten.

Die Abstimmung kann also kaum mehr als ein Kompromiss sein. In diesem Fall einer aus dem keinesfalls wankarmen, aber sicheren Fahrverhalten und dem hoppeligen Federungskomfort. Vor allem kurze Unebenheiten überstolpert der Jeep ungeschickt und polterig. Wie das bescheidene Handlingtalent ist das nichts, was vollkommen und immer stört. Aber es zählt – wie die kurzsichtige Verkehrszeichenerkennung, der wenig linientreue Spurhalter, der ruckelige Abstandstempomat oder das Navi, das Ladepunkte kennt, aber keine Ladezeiten einberechnet – zu den Dingen, die der Avenger eben bestenfalls so mittelgut beherrscht.

Nun ist es nicht so, dass Jeep Wagoneer, Grand Cherokee oder gar der Wrangler besonders universaltalentierte Wagen waren/sind/je sein werden. Aber dafür waren/sind/bleiben sie die Kings off the Road, Beherrscher der Wildnis, Eroberer des Abenteuers.

Es wäre nicht fair, dem Avenger vorzuwerfen, da nicht mithalten zu können. Stattdessen ist er ein Jeep für all jene, die Freude an seinem Auftritt, aber keinen Bedarf an der ganzen Geländelegenderei haben. Man kann ihn kaufen, einfach weil er gefällt, und bekommt ein ordentliches Auto. Aber eben eines, das – wie der Neuseelandvogel – kein Überflieger ist.

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Fazit

Der Avenger mag der erste Jeep sein, den es nur mit Vorderradantrieb gibt. Aber er ist nicht der Erste nur mit Vorderradantrieb. Von den 2007 vorgestellten Geschwistermodellen Compass und Patriot gab es Versionen nur mit Vorderradantrieb – jene mit CVT-Getriebe, was dem Nachteil des fehlenden Allrads noch den eines nervtötenden Getriebes hinzufügte. Wie den Avenger entwickelte Jeep Compass und Patriot nicht von Grund auf selbst. Basis war damals der Dodge Caliber.

Technische Daten
Jeep Avenger Elektro Altitude+
Grundpreis42.000 €
Außenmaße4084 x 1776 x 1528 mm
Kofferraumvolumen355 bis 1250 l
Höchstgeschwindigkeit150 km/h
0-100 km/h8,9 s
Verbrauch0,0 kWh/100 km
Testverbrauch23,1 kWh/100 km
Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten