Dirk Johaes Klassiker-Blog
"Le Mans ist ein magischer Ort"

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24 Mal hat Norbert Singer als Porsche-Ingenieur das 24-Stunden-Rennen von Le Mans miterlebt, war an allen 16 Gesamtsiege der Zuffenhausener beteiligt. Wenige Tage nach der Premiere des aktuellen Rennwagens 919 Hybrid in Silverstone traf sich die 75 Jahre alte Renntechniklegende mit den aktuellen Werksfahrern Timo Bernhard (33) und Marc Lieb (33) im Werksmuseum.

04/2014 - Dirk Johae-Blog, Bar Parco, Porsche Museum Le Mans
Foto: Dirk Johae

Norbert Singer ist gewissermaßen der Le Mans-Flüsterer von Porsche: Für den 917 entwickelte er Anfang der 70er Jahre eine neue gewichtssparende Ölkühlung, war an der Entwicklung des 936 (1976 bis 1981) beteiligt und gilt als Vater des 956, Porsches erstem Sport-Prototyp mit ground effect sowie Alu-Monocoque. Der 956 ist mit dem Schwestermodell 962 dank insgesamt 400 Rennsiegen, davon allein 7 in Le Mans, wahrscheinlich der erfolgreichste Rennwagen aller Zeiten. Auch am letzten, dem 16. Gesamtsieg von Porsche in Le Mans war Singer als Projektleiter für den 911 GT1 beteiligt.

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Porsche und Le Mans

Es gibt keinen besseren Geschichtenerzähler für die Fortsetzungsgeschichte "24 Stunden für die Ewigkeit. Le Mans", als Norbert Singer, der seit März 1970 als Ingenieur in der Rennabteilung von Porsche arbeitete. Selbst die Rennprofis aus dem 919 Hybrid brachte er mit seinen Informationen und Ankedoten immer wieder ins Staunen: "Wie viel schneller waren denn die Langheckautos auf der Geraden in Le Mans?", wollten Bernhard und Lieb zum Beispiel wissen. "Rund 40 km/h", referierte Singer und fügt an: "Aber trotzdem hat den 917ern nie ein Langheckauto in Le Mans gewonnen, die Kurzheckautos waren erfolgreicher."

Beim umgekehrt an der Decke aufgehängten 956 interessiert sich Timo Bernhard für die an den Hinterrädern im Gegensatz zu den Vorderrädern fehlenden Abdeckungen zur Bremskühlung. Singer schmunzelt: "Das haben wir auch erst nach vielen Messungen herausgefunden: Hinten wird die Kühlluft durch den Ground effect in die Felgen gesaugt, deshalb konnten wir dort auf die Abdeckungen mit den kleinen Kühlschaufeln verzichten."

Porsche 956 an der Decke

Den 956 hätte Singer beinahe übersehen, weil der Le Mans-Sieger-Wagen von 1982 etwas abseits der  Sonderschau in der permanenten Museumsschau zu sehen ist: "Jetzt haben die den an die Decke gehängt", scherzt Singer. Durch die ungewöhnliche Anbringung des 956 mit Langheck soll gezeigt werden, wie hoch der Anpressdruck der Autos während der Fahrt ist. Singer verrät ein interessantes Detail: "Die Kurzheckversion brauchte nur 180 km/h, um theoretisch an der Decke fahren zu können; so schnell fährt heute jeder VW Polo."

Mit den Werksfahrern Timo Bernhard und Marc Lieb im Schlepptau streift Singer durch die Le Mans-Schau, vorbei an ehemaligen Siegerautos des 24-Stunden-Rennens und interessanten Experimenten wie dem Allrad-911 vom Typ 961. "Das ist für mich immer das Besondere an Porsche gewesen: Wir konnten Dinge ausprobieren und haben dabei sehr viel gelernt."

Le Mans-Erfahrung

Eine Weisheit aus fast einem Vierteljahrhundert Rennerfahrung von Norbert Singer lautet: "Immer wenn es einfach ist, wird es schwierig." Le Mans 1979: Die zwei damals vier Jahre alten 936 starteten ohne ernstzunehmende Konkurrenz. Aber beide Autos fielen nach technischen Defekten aus; damals holte das Privatteam von Porsche-Kremer mit einem 935 K3 die Kohlen aus dem Feuer und markierte mit den Fahrern Klaus Ludwig sowie den US-Brüdern Bill und Don Whittington den fünften Porsche-Gesamtsieg.

Einfach ist es allerdings 2014 für Timo Bernhard, Marc Lieb und ihre vier Fahrerkollegen, zu denen auch der Ex-Formel-1-Fahrer Mark Webber gehört, sicherlich nicht. Zum einen ist die Konkurrenz von Audi und Toyota sehr stark, wie der Saisonauftakt in Silverstone gezeigt hat. Zum anderen beschrieben die beiden Porsche-Werksfahrer an ihrem Einsatzauto, wie anspruchsvoll die Aufgabe für die Fahrer geworden ist: "Einen Teil der Arbeit im Cockpit nimmt die Kommunikation mit der Box ein und an unserem Lenkrad haben wir 20 verschiedene Knöpfe."

Komplexe Technik

Vor der Saison haben alle Werksfahrer ein dickes Handbuch zum Porsche 919 Hybrid bekommen, weil die Technik des Le Mans-Prototypen so komplex ist. Neben dem rund 500 PS starken V4 Turbo sorgen rund 250 PS aus einem Elektromotor für Vortrieb. Die Energie für den Strom, der die Elektromotoren für die Vorderräder antreibt, wird im Auto selbst erzeugt. Während des Sechsstundenrennens in Spa-Francorchamps wird in einem Hybrid-Rennwagen so viel elektrische Energie gewonnen, wie eine Familie durchschnittlich im Juni verbraucht.

Paul Newman hat frei

Mit dem 911 GT1, dem letzten der insgesamt 16 Le Mans-Siegerwagen von Porsche, endet der Rundgang mit Norbert Singer. Paul Newman hat übrigens an dem Tag frei. Der farbenfrohe Porsche 935, mit dem Hollywood-Star 1979 mit seinen Fahrerkollegen den zweiten Platz erkämpfte, ist ebenfalls unter den rund 20 Autoexponaten der Le Mans-Ausstellung. Aber Norbert Singer konzentriert sich auf die erfolgreichen Werkswagen.

Aber ganz egal ob Werksauto oder eines der fast unzähligen Porsche-Rennwagen von Privatteams, egal ob der erste Le Mans-Einsatzwagen 356 SL von 1951 oder der 63 Jahre jüngere 919 Hybrid - Timo Bernhard findet die gemeinsame Klammer: "Für mich ist Le Mans ein magischer Ort, an dem sich Historie und Tradition einerseits und modernste Hybrid-Technologie unserer Rennautos andererseits mischen. Ein großartiger Mix, den auch die Fans lieben. Das zeigen die Zuschauerzahlen. Le Mans ist das Wimbledon des Motorsports. Für mich ist eine Ehre, dort zu fahren." Nachzulesen ist die ganze Geschichte von Porsche in der neuen Ausgabe von Christophorus, die ganz dem Comeback der Marke in die höchste Le Mans-Liga gewidmet ist.

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