Audi R8 V10 Plus und Audi S1 im Fahrbericht
Rallye-Pistensau gegen Highend-Sportler

Mit 550 PS aus zehn Zylindern und Doppelkupplungsgetriebe ist der Audi R8 V10 Plus der neue Quattro-Star. Anlass genug für ein exklusives Treffen mit dem legendären S1, der in den späten Achtzigern mit ähnlicher Leistung, halber Zylinderzahl und PDK-Getriebe über die Rallye-Pisten stürmte.

Audi R8 V10 Plus, Audi S1, Frontansicht
Foto: Achim Hartmann

Auf dem Weg zum Treffen mit Seiner Exzellenz Audi Quattro S1 schleicht der neue Audi R8 V10 Plus verdächtig kleinlaut dahin. Die wuchtigen Auspuffblenden pressen nur ein schüchternes Liedchen aus dem drahtigen Körper in der Exklusivfarbe Sepangblau Matteffekt. Tiefstapelei oder Ehrfurcht? Noch lässt es der Stärkste seiner Art jedenfalls locker angehen. Unterfordert schlängelt sich der ab Dezember für 173.200 Euro erhältliche Quattro-Topathlet über die verwinkelten Sträßchen der weltältesten Republik San Marino. Das straff ausgelegte Sportfahrwerk federt und dämpft die welligen Pisten höchstens ansatzweise weg. Wer es softer, aber unsportlicher mag, dem steht zumindest für alle anderen R8-Varianten die variable Dämpferregelung Magnetic Ride optional parat.

Sanfte Siebengang-S-Tronic im Audi R8 V10 Plus

Der weiche Kern der aktualisierten R8-Generation liegt allerdings woanders – in den Schaltvorgängen, die nun im Doppelkupplungsprinzip vonstatten gehen. Sanfte Siebengang-S-Tronic ersetzt ruppige R-Tronic, was das Schaltkopfnicken eliminiert und den Verbrauch minimiert, aber 20 Kilogramm mehr Gewicht zum technisch weitgehend Bekannten addiert. Geschenkt: Als Audi R8 V10 Plus gönnt sich der Mittelmotorsportler im Gegensatz zum normalen V10 (525 PS) oder V8 (430 PS) zusätzliche Kohlefaserelemente, die 50 Kilogramm einsparen. Im Heck lauert ein gaslüsterner Pfundskerl von Motor, der maximal 550 PS leistet, primär angereichert durch Elektronik-Doping, das dem 5,2-Liter-V10 über 7.000 Touren die zweite Luft beschert.

Dann ist es so weit, kurz vor Montescudo läuft er auf, der Monte-Carlo-Vierte von 1986. Sechs Zusatz-Halogenleuchten pressen sich formatfüllend in die mit Carbon eingefassten Außenspiegel des Audi R8 V10 Plus. Dagegen wirken die schmalen Brauen seiner Voll-LED-Scheinwerfer wie mit dem Kajalstift gezogen. Hinter den neuen Heckleuchten mit den Laufstreifenblinkern schnaubt der Audi S1 mit der Hälfte an Zylindern, weniger als 50 Prozent des Hubraums, dafür doppelt so hohl und grob – schmettert den legendären Gruppe B-Sound gefühlt bis nach Rimini.

Zwei Meister der Traktion feuern sich an

Zwei Meister der Traktion feuern sich an, der Audi R8 V10 Plus nun im Sportmodus, mit offenen Auspuffklappen und großartiger Stimmgewalt zum Start gerüstet. Minimal 70, maximal 85 Prozent der Leistung werden via Viskokupplung variabel an die Hinterachse geleitet. Im Audi S1 arbeitet ein Torsendifferenzial nach dem Prinzip ganz oder gar nicht für ein festes Verhältnis von 50:50.

Wie dem auch sei: In beiden Fällen kommt Radschlupf beim Sprint so selten vor wie Fish & Chips in einer Trattoria. Was der zweifache Deutsche Rallye-Meister Harald Demuth mit den Worten „an gscheiten Start brauch ma scho“ kommentiert, die Drehzahl jenseits der 5.000 einpegelt und das Gruppe B-Monster Audi S1 in die Umlaufbahn feuert. Zwei, drei, vier, fünf, sechs – auch dezent ergraute Meister wirbeln den offenliegenden Schaltstock trotz H-Schema noch mit Elan durch die Gassen. Es brüllt, es zischt und zwitschert – 8.600/min und alles nochmal aufs Neue. Dann ist der Höllenspuk vorbei, bei maximalen 180 km/h.

Audi R8 V10 Plus stürmt bis maximal 317 km/h

Im Audi R8 V10 Plus gelingt dergleichen auch Luigi von der Bar nebenan. Launchcontrol, Vollgas, Fuß von der Bremse – arrivederci und ciao. Auf 100 Sachen ist er fast so schnell wie der deutlich leichtere Audi S1, der permanent eine gigantische Schrankwand an Flügelwerk mit sich herumschleppt. Dagegen reckt der R8 sein Heck-Flügelchen erst bei 100 elektrisch empor und stürmt damit bis maximal 317 km/h weiter. Zurück auf null geht es mit wohldosierten, automatisierten Zwischengasstößen und dem gehörigen Biss der beim V10 Plus serienmäßigen Keramikbremsen, die sich auch bei langsamer Fahrt sehr gut dosieren lassen. Harald Demuth modelliert sein Zwischengas gekonnt nach alter Schule mit der Hacke und könnte beim Zurückschalten sogar aufs Kuppeln verzichten. Nicht wegen eines PDK-Getriebes, das auch bei den letzten S1 schon mit an Bord war, sondern wegen des Saxomats, der auf Knopfdruck am Schalthebel die Kupplung betätigt. „Ein Zugeständnis an die skandinavischen Linksbremser damals, aber nichts für mich“, grinst Demuth.

Wir verlassen die kurvigen Hügel, wo der Audi R8 V10 Plus mit seiner angenehm direkten Lenkung einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat, und schnüren zurück an die Adria-Küste. Mit zunehmender Geschwindigkeit auf der Autostrada nimmt auch der Abrollkomfort zu. Im Normalmodus reagiert das Doppelkupplungsgetriebe etwas verzögert, dann überengagiert auf Gasbefehle. In Sport geht die Schaltarbeit für Zwischenspurts direkter vonstatten und via Fingerschnipp an den größeren Schaltpaddeln sowieso. Eingepackt in feine Sportsitze, in dem durch Chromschmuck nochmals aufgewerteten Innenraum, geht die Audienz dem Ende entgegen. Wir verneigen uns zum Abschied vor den beiden Altmeistern – nicht nur aus Anstand, sondern vor allem aus Ehrfurcht.

Technische Daten
Audi R8 V10 plus GT
Grundpreis177.500 €
Außenmaße4440 x 1929 x 1252 mm
Kofferraumvolumen100 l
Hubraum / Motor5204 cm³ / 10-Zylinder
Leistung404 kW / 550 PS bei 8000 U/min
Höchstgeschwindigkeit317 km/h
Verbrauch12,9 l/100 km
Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024

Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten