Bentley Flying Spur 2019
Fahren und fahren lassen

Bequem chauffiert werden oder selber sportlich fahren – der neue Bentley Flying Spur will jetzt eine Komfort-Limousine mit Sportwagen-Qualitäten sein. Kann er dieses Versprechen halten? Wir haben es ausprobiert.

Bentley Flying Spur 2019
Foto: Bentley

Um das zu tun, folgen wir der Einladung Bentleys an die französiche Cote d'Azur. Am Flughafen von Nizza steht schon ein Exemplar des neuen Flying Spur bereit, daneben sein Fahrer, der mit geöffneter Fondtür in der Hand zum Einsteigen bittet. Dekadent? Auf jeden Fall standesgemäß: Wir mögen es uns doch bitte bequem machen. Danke, gerne. Nach dem „anstrengenden“ Flug geht es also direkt auf einen der beiden Fondsessel. Besser abgeholt werden geht nicht. Und jetzt? Eindrücke sammeln. Und einfach die Weiterfahrt nach Monaco genießen.

Unsere Highlights

Sofern man den Continental Flying Spur (gebaut von 2005 bis 2013) dazu zählt, sitze ich hier in der dritten Generation der Luxuslimousine. Der Wechsel zur zweiten Generation brachte optisch wenig Neues und so war der bis dato 37.000 Mal verkaufte Flying Spur sichtbar in die Jahre gekommen. Ein paar Retuschen hier und da hätten wenig erreicht. Neue Proportionen mussten her.

Dass Bentley weiß, wie ein Modell wieder richtig attraktiv wird, zeigt der im vergangenen Jahr erneuerte Continental GT. Das Coupé, das übrigens schon doppelt so viele Käufer fand, wie der Viertürer, ist schon ein großer Wurf. Klar, Geschmäcker sind verschieden. Gut so. Dass der Continental jetzt deutlich mehr Dynamik ausstrahlt, lässt sich aber nicht leugnen. Wie der Zweitürer, gibt sich nun auch der technisch eng verwandte Flying Spur sportlicher als je zuvor.

Relax-Fond zum Wohlfühlen

Als wirksames Mittel der attraktiveren Gestaltung erweist sich die Verlagerung der Vorderachse um 130 Millimeter nach vorne. Das verkürzt die Überhänge, streckt die Silhouette und lässt die Limousine insgesamt satter auf der Straße stehen – bei nahezu identischer Länge und Höhe. Nur in der Breite legt der Bentley um fünf Zentimetern zu. Noch deutlicher ist der Radstand gewachsen. Um eben fast jene 130 auf 3.194 Millimeter (es sind 128 mm, um genau zu sein). Davon profitieren in erster Linie die Fondinsassen. Also ich. Genau jetzt. Auf der halbstündigen Fahrt vom Flughafen zum Hotel.

Kaum setzt sich die Limousine in Bewegung, startet auf den beiden herausnehmbaren, mehr als iPad-großen Touchscreens an den Vordersitzkopfstützen ein Infofilm. Vom Vorgänger sei praktisch nur noch der Name geblieben, heißt es. Dass der Neue vollgestopft ist mit moderner Technik. Und dass er damit zur komfortablen Limousine mit Sportwagen-Qualitäten wird. Der Flying Spur will seinen Besitzer in jeder Situation überzeugen.

Der Film läuft noch, da hat sich die Sache mit dem Komfort schon so gut wie bestätigt. Dafür sorgen beispielsweise die perfekt ausgeformten und satt gepolsterten Fondsitze und reichlich Platz für die Beine. Die Sitzverstellung in der Tür (ähnlich wie in der Mercedes S-Klasse) erlaubt noch ein paar Zentimeter mehr Neigung im Rückenbereich und schiebt die Schenkelauflage ein Stückchen nach vorne, für mehr genügt der Platz in der 5,32-Meter-Limousine dann aber doch nicht. Macht nichts, zum Relaxen reicht es allemal.

Bentley Flying Spur 2019
Bentley

Auch, weil die Doppelverglasung und die elekrisch gesteuerten Rollos innen für angenehme Ruhe sorgen und das Licht dimmen. Und wenn dann, wie in Südfrankreich, selbst an diesem Oktobertag noch sommerliche 25 Grad herrschen, dürfen die klimatisierten Sitze gerne kühle Luft durch das rote, teils perforierte und in Rautennaht gemusterte Leder von nordeuropäischen Rindern pusten. Nordeuropäisch, weil die Tiere aus dem Süden häufiger Mückenstiche einfangen und die dann die Homogenität der feinen Lederstruktur beeinträchtigen. Dekadent? Ja, irgendwie schon. Aber wenn schon, denn schon. Das Kühlfach zwischen den Rückenlehnen passt zu dieser Einstellung.

Erstmals mit Kühlerfigur

Bei all dem Luxus – Gefahren werden ist doch immer irgendwie auch Gewöhnungssache. Was machen, wenn nicht arbeiten oder aus dem Fenster gucken? Da wäre zum Beispiel das ans Web angebundene Rear-Seat-Infotainment-System mit seiner Armada an Apps. Im Web surfen, Filme schauen, Naviziele eingeben. Die mit 19 Lautsprechern und 2.200 Watt aufwartende Naim-Soundanlage mit Musik füttern und Lieblingssongs in Konzertatmosphäre genießen – Bentley macht's möglich. Kostet dann halt auch.

Immer serienmäßig ist dagegen eine ganz neue Möglichkeit, sich die Zeit zu vertreiben. Dazu nimmt man zunächst das Bedienelement in der Mittelkonsole aus seiner Fassung. Einfach auf dem Touchfeld das Eject-Symbol antippen, dann kommt es schon ein Stück entgegen. Dann das Symbol für das „Flying B“ wählen. Den weiteren Aufforderungen folgen.

Der Flying Spur hat jetzt eine Kühlerfigur. Das auf dem Kühlergrill positionierte Markenzeichen übernimmt die Limo von der erst kürzlich und anlässlich des 100-jährigen Markenjubiläums präsentierten Designstudie Bentley EXP 100 GT. Das beste aber: Das Flying B lässt sich ein- und ausfahren. Aus dem Fond heraus. Über besagtes Touchpad. Ein, aus, ein, aus. Man muss es einfach ein paar Mal gemacht haben, bis sich das innere Kind wieder beruhigt.

Bentley Flying Spur 2019
Bentley

Schichtwechsel. Ab hinters Steuer. Der Flying Spur darf jetzt gerne auch als Fahrmaschine begeistern. W12-Maschine, sechs Liter Hubraum, doppelt aufgeladen, 635 PS, 900 Nm Drehmoment ab 1.350 U/min. Kennen wir. Neu ist die Panerama-Plattform, wie schon beim Continental, im Flying Spur aber mit einer Allradlenkung versehen, die ihn entschlossener durch Kurven bringen soll. Der Allradantrieb mit je nach Fahrmodus variierender Kraftverteilung und das neue Torque Vectoring mit radselektiver Momentverteilung schärfen weiter nach. Wankbewegungen werden elektromechanisch über das 48-Volt-Bordnetz ausgeglichen. Wer lieber komfortabel dahingleitet, lässt der Drei-Kammerluftfederung viel Raum, um den Asphalt für die Insassen quasi glatt zu bügeln. Auf Vieles kann der Fahrer Einfluss nehmen. Über vier Fahrmodi (Comfort, Bentley, Sport und individuell) oder teils auch selektiv in den jeweiligen Untermenüs. Zusammengefasst: Der neue Flying Spur fährt eine große Bandbreite an Fähigkeiten auf und ist dafür mit allem gerüstet, was die konzernweite Ingenieurskunst aktuell hergibt, um einem Wagen seines Kalibers ebenso manierliche wie sportliche Fahreigenschaften anzutrainieren.

Da geht was. Da geht richtig was

Wie sich das anfühlt, lässt sich auf der kurvigen Strecke durch die Felslandschaft hinter Monaco wunderbar erproben. Ein kurzer Dreh am prominent in der Mittelkonsole platzierten Verstellrädchen ändert den Fahrmodus. Das ist tatsächlich deutlich spürbar. Im Komfort-Modus ist der Flying Spur ein sanfter Gleiter, der sich leichtgängig, auf der Drehmomentwelle reitend den Weg vorgeben lässt, wobei die optionalen 21-Zoll-Räder am Testwagen wegen ihrer mangelhaften Fähigkeit zur Absorbtion gröberer Unebenheiten eher keine Werbung für sich machen. Auch das Getriebe passt nicht so ganz: Der Achtgang-Doppelkuppler schaltet wie schon im Continental bei langsamer Fahrt nicht gerade sanft. Und das gelegentliche Rucken und Klacken beim Anfahren verpasst dem Streben nach maximalem Fahrkomfort einen klaren Dämpfer.

Klick. Sportmodus. Das Fahrwerk strafft sich und das Zusammenspiel von Dämpfer, Sensorik und Steuerungselektronik scheint den Wagen in jeder Situation näher an den Asphalt zu binden. Das PDK macht das, was es am besten kann: blitzschnell die Gänge wechseln. Der Zwölfzylinder bekommt mehr Auslauf und darf etwas mehr von seinem akustischen Potential preisgeben. Generell klingt er präsenter als noch im Vorgänger, aber immer noch dezent und damit keineswegs unpassend.

Die engen Straßen schlängeln sich durchs Gestein. Vielleicht nicht gerade der richtige Ort um den steuerbefreit schon mindestens 180.400 Euro teuren Flying Spur an die Grenzen seiner fahrdynamischen Fähigkeiten zu bringen. Schließlich werden hier fast zweieinhalb Tonnen auf gut 10 Quadratmeter Fläche über den Asphalt dirigiert. Doch das Vertrauen in die Technik wächst rasant, und die Gesteinsbrocken huschen immer schneller vorbei. Also, gib ihm!

Bentley Flying Spur 2019
Bentley

Erkenntnis eins: die nächste Kurve kann noch so nah sein, der Flying Spur lässt den Lkw vor ihm innerhalb von Wimpernschlägen hinter sich. Von Null auf Einhundert geht’s in 3,8 Sekunden, die 160-km/h-Marke passiert die virtuelle Tachonadel nach 8 Sekunden – der W12 hat mit dem Flying Spur leichtes Spiel. Erkenntnis zwei: Auch für Kurven hat die Limousine einen Faible, wirft sich leidenschaftlich hinein. Die Lenkung gibt den Kurs präzise vor, hinten drängelt das Heck und meldet sich beim Herausbeschleunigen ganz leicht übersteuernd, weil der Allradantrieb mit elektronisch geregelter Lamellenkupplung im Sport-Modus höchstens 17 Prozent der Kraft nach vorne schickt. Erkenntnis drei: die Technik hat mit der Masse schwer zu kämpfen. Geht es zu schnell in die Kurve, regulieren Torque Vectoring und Stabilitätsprogram was sie regulieren können und wissen sich im Zweifel nur noch mit deutlich spürbaren Bremseingriffen zu helfen. Und das mit dem Bremsen klappt nicht wirklich Sportwagen-mäßig. Klar, die 10-Kolben-Festsättel mit 420 mm-Scheiben an der Vorderachse halten, doch die Masse drückt. Gesamterkenntnis: Zügiges Cruisen ist dann doch irgendwie die angenehmste Art den Flying Spur zu fahren.

Gerne auch auf der Autobahn. Wo die Luxuslimousine auf Wunsch spurhaltend und abstandsregelnd Strecke macht. Mit maximaler Gelassenheit und dennoch bis zu 333 km/h schnell. Schon allein damit verbindet der Flying Spur zwei grandiose Eigenschaften.

Fazit

Wahnsinn, was der Bentley Flying Spur jetzt für eine Bandbreite aus der Antriebs- und Fahrwerkstechnik zaubert. Komfortabel oder sportlich – die Limousine beherrscht beides. Allerdings nicht bis zur Perfektion, woran das gelegentlich ruckende PDK und das hohe Gewicht maßgeblichen Anteil haben. Materialqualität und Verarbeitung sind jedoch über jeden Zweifel erhaben, was sich natürlich auch im Preis widerspiegelt.

Technische Daten
Bentley Flying Spur W12 S
Grundpreis209.264 €
Außenmaße5316 x 1987 x 1484 mm
Kofferraumvolumen420 l
Hubraum / Motor5950 cm³ / 12-Zylinder
Leistung467 kW / 635 PS bei 5000 U/min
Höchstgeschwindigkeit333 km/h
Verbrauch13,3 l/100 km