Bentley Flying Spur mit V8
318 km/h: S-Klasse auf Englisch

Der neue Flying Spur ist neben dem 635 PS starken W12-Motor jetzt auch mit einem 550-PS-Biturbo-V8 erhältlich. Der spart 100 Kilogramm, 20.000 Euro und verspricht trotz seiner immer noch ziemlich schweren Knochen sogar eine gewisse Sportlichkeit. Was den Luxusdampfer auszeichnet und wie er fährt, klärt unser Fahrbericht.

Bentley Flying Spur, Exterieur
Foto: Rossen Gargolov

Wir fangen einfach gleich mit der Frage an, die uns bei derartigen Luxusgütern doch meist als erstes beschäftigt, oder? Also die nach dem Preis. Die ist hier sogar doppelt berechtigt, weil Bentley in einem Preissegment spielt, in dem über Geld erst beim Händler gesprochen wird.

Der Konfigurator verrät jedenfalls nicht, was so ein Flying Spur in der neuen Version mit dem 550-PS-V8 wohl kosten könnte. Wir schon: Los geht’s inklusive 16 Prozent Mehrwertsteuer bei 188.268 Euro, unser Testwagen liegt bei 270.471 Euro. Der rote Bolide ist mit 5,31 Metern aber nicht nur so adäquat dimensioniert wie eine S-Klasse in der Langversion (5,29 Meter), er bringt auch richtig Rock ’n’ Roll in die Liga der außergewöhnlichen Luxusschlitten.

Unsere Highlights
Bentley Flying Spur, Exterieur
Rossen Gargolov
Die Konfiguration in knallendem „Dragon Red II“ und fetten 22-Zoll-Rädern aus dem Mulliner-Paket macht gänzlich Schluss mit Zurückhaltung.

Grundsätzlich kann ein Flying Spur mit Chromgrill und silbernen Felgen zwar vornehm prunkvoll erscheinen. Diese Konfiguration in knallendem "Dragon Red II" und fetten 22-Zoll-Rädern aus dem Mulliner-Paket macht aber gänzlich Schluss mit Zurückhaltung – stattdessen unterstreicht sie die ohnehin wuchtige Silhouette. Die wirkt speziell deshalb so heftig, weil vorne sowohl der Kotflügelbereich über den Riesenrädern als auch der Überhang besonders schmal ausfällt.

Die Muscle-Car-Schultern ziehen sich von den hinteren Türen bis zum Heck, noch dazu zeichnen die schwarzen Elemente der "Blackline Specification" einen scharfen Kontrast auf die Karosserie. Und ganz sicher steht die geschwärzte Front inklusive beleuchtetem "Flying B"-Motorhaubenschmuck so nicht als Empfehlung im Luxuskarossen-Knigge. Aber: einfach mächtig krass.

Bentley Flying Spur, Interieur
Rossen Gargolov
Das "Flying B" lässt sich per Touchscreen einfahren.

Leder wirklich überall

Obwohl der Flying Spur im Innenraum mit großen Carbonblenden schon einen auf Sportler macht, ist es hier vor allem eins: luxuriös. So richtig. Hier sind alle Dachsäulen, der Dachhimmel und sogar die Verkleidungen um die Einstiegsleisten mit feinem Leder überzogen. Hinzu kommen diverse hochwertige Tasten und Drehschalter, die angenehm klicken. Die Spangen an den Lenksäulenhebeln führen den Look fort, fühlen sich allerdings eher nach sorgfältig chrombeschichteten Kunststoffteilen an.

Ein Highlight ist der Bildschirm, der sich ins Innere des Armaturenbretts drehen kann: Sichtbar ist auf der dreiseitigen Einheit entweder der Monitor, eine nackte Carbonblende oder eine solche inklusive dreier Analoganzeigen (Außentemperatur, Kompass, Stoppuhr). Kleinere Details sind die illuminierten Zeiger der edlen Uhr, die ausziehbaren Stifte zum Öffnen der Lüftungsschächte oder die in die Kopfstützen gestickten Bentley-Logos. Außerdem spiegelt sich die geriffelte Innenseite der Türgriffe in den hochglanzschwarzen Türgriffschalen.

Bentley Flying Spur, Interieur
Rossen Gargolov
Mit den großen Carbonblenden im Innenraum macht der Flying Spur schon einen auf Sportler.

Seine Zugehörigkeit zum VW-Konzern fällt hier und da schon trotzdem auf. Etwa an kleinen Dingen wie den Kofferraumtasten, vor allem nutzt der Digitaltacho das Audi-Grundlayout, und das Infotainment entspricht weitestgehend dem Porsche-System: Das ist vorteilhaft, weil auch im Bentley Direktwahlknöpfe und ein kleiner Dreh-Drück-Steller die Touchscreen-Bedienung ergänzen.

Das geht besser, Bentley

Ob’s auch was zu meckern gibt? Ja, die Grafiken wirken auf dem Tachodisplay nicht so brillant wie auf anständigen Smartphones: Bei dem Preis ist "nur gut" einfach nicht gut genug. Schwerwiegender sind zwei Verarbeitungsmängel und ein Fauxpas. An der Mittelkonsole treffen über der Induktivladefläche zwei Verkleidungsteile mit einem unsauberen Übergang aufeinander: Im Ergebnis kratzt die Stelle beim Handyrausholen öfters leicht an der Hand. Und wenn man die Füße unter die Vordersitze schiebt, können die Schuhe beim Rausziehen an der flexiblen Plastikschalenverkleidung hängenbleiben. Der Fauxpas? Im Testwagen brummt der Beifahrersitz nur, wenn er die Lordosenstütze verstellen oder den Fahrgast massieren soll – das ist nicht schön, aber Defekte kommen eben überall vor.

Bentley Flying Spur, Interieur
Rossen Gargolov
Im Fond gibt es mächtig Beinfreiheit.

Im Fond sind alle Scheiben mit elektrisch ausfahrenden Sonnenschutzrollos ausgestattet, auch gibt es hier mächtig Beinfreiheit sowie zwei recht hoch positionierte Einzelsitze, die in alle Richtungen verstellbar sind und flauschige Kissen an den Kopfstützen haben. Über das herausnehmbare Mini-Tablet kann aus fünf Massageprogramme gewählt werden, zudem sind die Armlehnen wie die vorderen mit Heizungen ausgerüstet. Aber wieso sind die Lautsprechergitter der Naim-Musikanlage hinten eigentlich aus Kunststoff? Das sieht zwar unauffällig aus, die Aluvariante vorne ist trotzdem eleganter.

Auf die Soundanlage des englischen Herstellers treffen alle erdenklichen positiven Attribute zu: enorm klangstark und detailreich, keine hörbaren Vibrationen, umfangreiche Einstellmöglichkeiten – und das System bewältigt selbst enorme Lautstärken sauber. In den Vordersitzen stecken zusätzlich "Shaker", die den Sitz im Takt des Basses vibrieren – ein nettes Feature, das abschaltbar ist.

Wenig Sicht, viel V8

Hätten wir also geklärt, was einen Flying Spur im Stand so ausmacht. Jetzt rollen wir los, zunächst im Rückwärtsgang, in dem der Bentley das Heckrollo automatisch runterfährt: Das muss dieser trockene Humor sein, der den Engländern nachgesagt wird, denn aus der hohen Scheibe siehst du beim Rangieren original nichts relevantes. Egal, die 360-Grad-Kamera regelt’s, den Wendekreis reduziert die Hinterachslenkung. Für die Rundumsicht interessieren sich die Briten aber scheinbar höchstens beiläufig: Der Beifahrerspiegel schließt den toten Winkel nicht per asphärischem Teil aus, was zunächst nur unkomfortabel ist. Problematisch wird’s oft beim Abbiegen, weil ein Schulterblick nur den kleinen Teil des hinteren Seitenfensters zeigt, der nicht von der massiven Beifahrerkopfstütze überdeckt wird.

Das vergisst du aber, sobald der mächtige Konzern-V8 den unbeladen 2.330 Kilo schweren Flying Spur tiefenentspannt niedertourig durch die Stadt gleiten lässt. Selbst an Steigungen liegen bei 40 km/h nur gut 1.000/min an, dabei klingt der 4,0-Liter-Motor unaufdringlich kraftvoll und hat genügend Kraftreserven, um aus dem Drehzahlbereich auch ohne Gangwechsel zu beschleunigen.

Bevor der V8-Beat lauter wird, muss schon gut Last anliegen – seine guten Manieren legt er gar erst bei fast Volllast ein Stück weit ab. Das Besondere dabei: Im Innenraum dominiert nicht die Abgasanlage den Soundtrack, sondern mit großer Überlegenheit der Motor. Keine der drei bis vier unterschiedlich knurrigen Tonlagen hört sich irgendwie per Lautsprecher angefettet an: Das ist genauso herrlich wie der komfortabel abgestimmte Antrieb, der selbst beim Kickdown meist absolut ruckfrei arbeitet. Ja gut, in den Sitz wirste schon gedrückt, doch das Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe "8DT" von ZF hält den Komfortgedanken hoch. Auch die Leistungsentfaltung ist dabei nie stürmisch, wohl aber enorm kraftvoll und erhaben.

Mit Selbstverständnis: hoher Fahrkomfort

Auf der Autobahn und überall anders rollt der Wagen äußerst sanft ab, im standardmäßig eingestellten Bentley-Modus unterdrückt das Luftfahrwerk mit Dreikammerfedern und Adaptivdämpfern sogar weitestgehend Karosseriebewegungen, federt aber nur eine Idee straffer als im Komfortmodus. Die Raffinesse einer S-Klasse erreicht er zwar nicht, Bentley positioniert das V8-Modell allerdings auch als etwas sportlicher orientierte Variante.

Bentley Flying Spur, Interieur
Rossen Gargolov
An der Mittelkonsole treffen über der Induktivladefläche zwei Verkleidungsteile mit einem unsauberen Übergang aufeinander.

Die Querdynamik kommt gleich, zunächst müssen wir auf der Autobahn noch zwei, drei Dinge festhalten. Wenn die Armlehne ausgezogen ist, kannst du beide Ellenbogen abstützen und das Lenkrad trotzdem bequem an vier und acht Uhr greifen. Die Position auf Höhe der Lenkradspeichen ist auch angenehm, Griffmulden fehlen an der Rückseite nur leider. Und abschließend: Bei Vollgas dauert es nicht lange, dann warnt der Bentley, dass der Komfortluftdruck für Tempi über 220 km/h zu gering ist. Das ist bei der leergefegten Autobahn zwar echt eine bittere Meldung, aber jetzt extra zur Tanke dafür? Na ja, die Allwetterreifen sind mit ihrer 270-km/h-Freigabe ohnehin inkompatibel mit der Höchstgeschwindigkeit von 318 km/h.

Dicker Freizeitsportler

Also doch lieber runter von der Bahn und ab auf die Landstraße. Los geht’s mit einem launchkontrollierten Start: Mein lieber Herr Gesangsverein! Klar, der Kerl hat Allradantrieb und mit seinem Biturbo richtig Dampf unter der Haube, doch wie er trotz seiner schweren Knochen losschießt, ist schon echt hart. Die gut 2,3 Tonnen spürst du selbst in eher weiten Kurven über das Popometer und die Lenkung sofort, was das Geschwindigkeitsgefühl gleich eine Nummer hochfährt – neben dem Lastzustand kommen auch Unebenheiten in einem nie aufdringlichen Maße in der Lenkung an.

Damit sind die Voraussetzungen für eine unterhaltsame Fahrt doch gegeben, besonders die fetten Allwetter-Pirellis (P-Zero: 275er vorne, 315er hinten) passen super zu den kalten und nicht überall trockenen Straßen. Also inklusive ESP alles auf Sport und ab dafür. Die Stabilitätskontrolle achtet zwar gewissenhaft darauf, Quatsch zu vermeiden, die hecklastige Allradabstimmung lässt sie dich aber auch über den Ansatz hinaus spüren. In engen Ecken darf das Hinterteil sogar mal eine Idee stärker nach außen drängen, bis die Software es gefühlvoll zurückschubst – die Fahrfreude steigt so jedenfalls, außerdem muss das von außen doch reichlich amüsant aussehen, wenn das Schiff sich offensichtlich und nicht unerfolgreich sportlich verausgabt, oder?

Bentley Flying Spur, Exterieur
Rossen Gargolov
In engen Ecken darf das Hinterteil sogar mal eine Idee stärker nach außen drängen, bis die Software es gefühlvoll zurückschubst.

Der Flying Spur kann aber nicht nur seine Seitenneigung beim Hobbyturnen beeindruckend geringhalten. Nein, er zeigt sich sogar als Tierfreund: Auf der Heimfahrt springt ein Reh auf die Straße, was die Nachtsichtkamera inklusive Warnmeldung sofort anzeigt. Und? Na ja, Bambi hat schon kurz ängstlich in den tiefschwarzen Grill geglotzt, konnte dann aber gefahrenlos weghüpfen.

Grundsätzlich ist der Engländer selbstverständlich auch darüber hinaus mit aktueller Sicherheits- und Komfortassistenz ausgerüstet, ein Technologieträger wie Audi A8, BMW 7er und Mercedes S-Klasse ist er hingegen nicht – was ihn nicht daran hindert, Rock ‘n‘ Roll und ausschweifend hochpreisigen Luxus eindrucksvoll zusammenzuführen.

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Fazit

Der Biturbo-V8 treibt den Flying Spur überaus komfortabel an: kraftvoll und geschmeidig im Alltag, bei Bedarf aber auch mit hervorragenden Fahrleistungen und überaus berechtigtem Überholspur-Prestige. Hinzu kommt der natürliche Achtzylinderklang, der immer zum Lastzustand passt und akustisch deutlich über dem Sound der Auspuffanlage steht. Natürlich ist der Wagen mit deutlich über 250.000 Euro exorbitant teuer, dafür liefert er speziell mit seiner Innenausstattung mehr als nur klassengerechten Luxus. Allerdings erlaubt er sich auch zwei zwar kleinere, aber dennoch ärgerliche Verarbeitungsschwächen.