Corvette C8 im Fahrbericht
So fährt die Mittelmotor-Corvette

Seit der C2-Baureihe im Jahr 1962 ging die Corvette mit einem Frontmotor hinter der Vorderachse an den Start. Die achte Corvette-Baureihe trägt nun erstmals einen Mittelmotor. So fährt die Mittelmotor-Revolution im Grenzbereich auf der Rennstrecke!

Corvette C8, Fahrbericht
Foto: Chevrolet

Dritter, Vierter, Fünfter. 180, 190, 200 km/h – die Mittelmotor-Revolution ist in vollem Gange. Die Corvette Stingray inhaliert die Gegengerade auf der Rennstrecke „Spring Mountain Motorsport Ranch“ in der US-Wüstenstadt Pahrump nahe Las Vegas. Nachdem die US-amerikanische Sportwagenlegende seit der C2-Generation so untrennbar wie Cheeseburger und Ketchup mit Frontmotor hinter der Vorderachse und Getriebe in Transaxle-Anordnung verbunden war, geht die achte Generation ab sofort mit einem Mittelmotor an den Start. Und wir sind jetzt bei der Mittelmotor-Revolution mittendrin statt nur dabei.

Unsere Highlights

Anbremsen, Einlenken – schon am Kurveneingang verrät die Corvette, dass sie in eine neue Liga aufsteigen will. „Besonders in der C7 haben wir gemerkt, dass unser Frontmotor-Hinterradantrieb-Plattform an einer Grenze angekommen war. Wir wussten, dass wir etwas anderes machen mussten, um diese Grenze zu überwinden. Eine Maßnahme war dabei, genügend Gewicht über die Hinterachse zu bekommen. Das war eine der zentralen Entscheidungen, um diese Grenze zu überwinden. Bei einem Fahrzeug, wie der C7, mit einer Gewichtsverteilung von 50:50 reichte es irgendwann nicht mehr einfach nur die Motorleistung zu erhöhen, um die Performance zu verbessern “, hatte Steve Padilla („Vehicle Performance Engineer, Lead Vehicle Dynamics-Ride and Handling“) vorab erzählt.

Jetzt soll also das neue Mittelmotor-Konzept die Längs- und Querdynamik auf ein neues Niveau heben. Ein bisschen italienisches Sportwagen-Flair schwingt mit – der V8 mit roten Ventildeckeln thront emotional sichtbar unter einem Heckdeckel mit 3,2 Millimeter dicker Glasscheibe.

V8-Saugmotor mit über 500 PS

Und auch das Aggregat an sich macht die Corvette einzigartig – kein aktueller Mittelmotor-Sportwagen tritt derzeit noch mit einem V8-Saugmotor an. Der 6,2-Liter-Small-Block bellt beim Motorstart wie ein wütender Pitbull kurz auf und verfällt dann in ein herrlich grollendes Leerlaufgurgeln. Sound konnten sie bei Corvette seit jeher gut – auch die C8 Stingray begeistert mit ihrer leidenschaftlichen Stimmgewalt.

Das 6,2-Liter-Triebwerk mit der internen Bezeichnung LT2 ist eine Weiterentwicklung des bekannten LT1-Motors aus der C7 Stingray. Die Technik-Architektur, mit einer zentralen Nockenwelle tief im Motorblock, auf die Chevrolet weiterhin setzt, ist eine gute alte Bekannte. Im Vergleich zum LT1-Triebwerk wurden jedoch unter anderem Ansaugsystem, Nockenprofil, Schwungrad, Trockensumpfschmierung und Abgasanlage komplett modifiziert.

Außerdem veränderte sich die Einbaulage – das LT2-Triebwerk in der C8 sitzt 2,54 Zentimeter tiefer als der LT1 in der C7. Eine Plakette verrät mit Stolz den Geburtsort im GM-Motorenwerk in Tonawanda (Bundesstaat New York): „Built by Chevrolet Tonawanda, The Number 1 Team“. Nennleistung? 495 hp beziehungsweise 369 kW geben die Amis an – macht umgerechnet also rund 502 PS.

Und wie geht der 6,2 Liter? Nicht nur der Achtzylinder-Sound lässt die Nackenhärchen stramm stehen, auch die spontane Gasannahme, die aufgeweckte Drehfreude und die gut fahrbare Leistungsentfaltung begeistern, obwohl der V8 kein Hochdrehzahl-Junkie ist. Die Nennleistung liegt bei 6450/min an und der Drehzahlbegrenzer setzt bei 6600 Touren ein.

Neu hingegen ist die Art der Kraftübertragung. Erstmals überhaupt in der Corvette-Historie trägt die C8 ein Doppelkupplungsgetriebe – und zwar ausschließlich. Das intern M1L genannte Getriebe präsentiert acht Fahrstufen, von denen die ersten sechs Gänge als Fahrgänge ausgelegt sind. Und bevor die Puristen jetzt auf die Barrikaden gehen: Der Handschalter starb laut den Corvette-Verantwortlichen nicht nur konstruktionsbedingt aus, sondern auch weil am Ende der C7-Bauzeit nur noch 20 Prozent der Kunden ein manuelles Getriebe bestellten.

Schalten und schalten lassen

Dafür soll die Launch-Control-Funktion die Basis-Vette jetzt in 2,9 Sekunden auf 60 mph (96,56 km/h) peitschen. Die Aktivierung der Launch-Control (Bremse treten, Vollgas) funktioniert gut, sofern man die Bremse nicht nur leicht streichelt, sondern richtig kräftig tritt. Anschließend spurtet die C8 samt ideal vorgewählter Anfahrdrehzahl mit ganz leichtem Schlupf vom Fleck.

Neben den aus der C7 bekannten Fahrprogrammen (Weather, Tour, Sport, Track) bietet die C8 noch zwei neue Individual-Modi („MyMode“, „Z Mode“). Auch die Abstimmung- und Schaltstrategien des Doppelkupplungsgetriebes von Tremec ändern sich mit den unterschiedlichen Fahrprogrammen. Das Tour-Programm ist für den Alltag gelungen. Hier glänzt das Doppelkupplungsgetriebe dank unmerklichen Automatik-Schaltvorgängen mit sehr gutem Fahrkomfort.

Im Track-Programm auf der Rennstrecke zwei Vorgehensweisen an: Ein manueller Modus, der bei Erreichen der Drehzahlgrenze die Gänge hält, sowie ein Automatik-Modus, der die Gänge autonom hoch- und runterschaltet. Empfehlung: Da das Doppelkupplungsgetriebe im Automatik-Modus beim dynamischen Anbremsen auf eine Rennstrecken-Kurve selbsttätig etwas zu spät in den tieferen Gang wechselt, bietet sich eine Mischung an. Und zwar: Im Automatik-Modus hochschalten lassen, um den perfekten Schaltzeitpunkt zu erwischen, und beim Anbremsen auf die Kurve manuell per Zug der linken Schaltwippe den Zeitpunkt zum Runterschalten selbsttätig wählen.

Corvette C8, Fahrbericht
Chevrolet
Cockpit mit besserer Materialgüte als in der C7.

Wenn wir gerade schon an den Schaltwippen herumspielen, sei auch das neue Lenkrad erwähnt. Optisch ist das am oberen und unteren Lenkradkranz abgeflachte Form sicherlich ein Hingucker, speziell beim Driften ist diese Lenkradform jedoch Geschmackssache. Insgesamt ist das C8-Cockpit nicht nur optisch ansprechend, sondern überzeugt zudem mit einer deutlich hochwertigeren Verarbeitung und Materialauswahl als in der C7-Baureihe.

Das fahrerorientiert gestaltete Cockpit-Konzept punktet zudem mit seiner Bedienbarkeit und guter Ergonomie. Insgesamt stehen drei Sitze zur Auswahl – die getesteten Competition-Sportsitze bieten zwar einen guten Seitenhalt, hätten jedoch für den Rennstreckenausflug gerne noch etwas tiefer montiert sein dürfen. Trotzdem passen auch großgewachsene Piloten mit Helm problemlos in die C8. Speziell auf der Rennstrecke macht sich die bessere Sicht nach vorne durch den kürzeren Überhang bemerkbar.

Für den Rennstreckenausflug wurde mit dem Track-Modus vorab der schärfste der sechs Fahrprogramme angewählt. Hier werden die Kennlinien von Antrieb, Lenkung und Dämpfern maximal sportlich auslegt. Apropos Dämpfer. Wer des Öfteren Rennstreckenbesuche plant, sollte unbedingt das optionale Magnetic-Ride-Adaptivfahrwerk (Option FE4) wählen.

Performance Package für noch mehr Sportlichkeit

Besagtes Fahrwerk mit justierbaren Dämpferkennlinien kann nicht nur einen erstaunlichen Federungskomfort im Alltag bieten, sondern ist im Track-Mode auch klar straffer abgestimmt als das normalen C8-Serienfahrwerk ohne besagte Adaptivdämpfer. Mit dem statischen Serienfahrwerk fällt die C8 im Grenzbereich durch spürbar mehr Karosseriebewegungen auf. Das für einen Mittelmotor-Sportwagen recht schaukelige Serienfahrwerk wird jedoch nicht seinen Weg nach Europa finden!

Für den US-Markt optional, bei den Modellen für Europa serienmäßig: Das sogenannte Z51 Performance Package! Neben der Performance-Abgasanlage und strafferen Federraten beinhaltet das Z51-Paket auch ein spezielles Aerodynamikpaket. Ein Frontsplitter sowie ein Heckflügel sollen für bis zu 180 Kilo mehr Abtrieb bei rund 290 km/h. Die Höchstgeschwindigkeit der Vette soll übrigens bei 312 km/h liegen. Außerdem erhält die C8 mit dem Z51-Paket eine optimierte Kühlung. Die zwei Standardkühler werden dabei um einen dritten Kühler ergänzt.

Außerdem trägt die Corvette mit dem Z51-Paket eine Getriebekühlung und sowie eine spezielle Bremskühlung, da mit dem Optionspaket auch größere Bremsscheiben an der Vorder- und Hinterachse zum Einsatz kommen. Mit Z51-Paket trägt die neue Vette eine kürzere Achsübersetzung (5.17:1 statt 4.89:1) als das US-Basismodell ohne das Optionspaket. Ebenfalls mit Z51-Paket an Bord: Die elektrohydraulisch geregelte Sperrdifferenzial eLSD (US-Basismodell: rein mechanisches Sperrdifferenzial) sowie die Bereifung vom Typ Michelin Pilot Sport 4S. Die C8-Basisversion rollt übrigens auf Ganzjahresreifen (Michelin Pilot Sport ALS) auf den US-Markt. Diese Allwetterpneus wird es aber für Europa nicht geben.

Zurück auf die Rennpiste in der kargen Wüstenlandschaft Nevadas die mit ihrem Streckenlayout, die Vorzüge des neuen Mittelkonzepts perfekt hervorheben kann. Keine Hochgeschwindigkeitsstrecke, sondern ein Wechsel aus langgezogenen Kurvenverläufen und engen Ecken wartet heute. Als „really old“ bezeichnet ein Streckenmitarbeiter die 1998 gebaute Spring Mountain Motorsport Ranch. Ja, so sind sie die Amis: Wenn diese kurz vor der Jahrtausendwende erbaute Rennstrecke „alt“ ist, dann hat der 1927 erschaffenen Nürburgring Fossil-Status. Besonders stolz sind die Corvette-Macher übrigens auf die Nordschleifen-Rundenzeit. Corvette-Werksfahrer Oliver Gavin legte mit einem C8-Entwicklungsfahrzeug eine Rundenzeit von 7.29,9 Minuten hin – rund 9 Sekunden schneller als das Stingray-Z51-Modell der C7-Baureihe.

Nachdem die C8 die kurze Start-Ziel-Gerade von Spring Mountain im Tiefflug abgehakt hat, wartet mit Turn 1 eine langgezogene Dritte-Gang-Rechtskurve, bevor in eine ebenfalls langgezogene Dritte-Gang-Linkskurve umgesetzt werden muss. Schon in diesen mittelschnellen Kurven macht sich die nach hinten verlagerte Gewichtsverteilung (nun circa 40:60 Prozent) positiv bemerkbar. Auf den ersten Metern wirkt das Einlenk- und Eigenlenkverhalten der C8 wesentlich agiler als beim direkten Vorgängermodell. Die Mittelmotor-Corvette vermittelt durch ihren leichtfüßigen Auftritt ein leichteres Gewicht als das von Chevrolet bezifferte Leergewicht von 1530 Kilogramm.

Zur Freude im Grenzbereich trägt auch die Abstimmung der Lenkung bei. Das Handmoment im Track-Modus ist jetzt nicht mehr ganz so übertrieben hoch wie noch in den C7-Modellen, die teilweise an Fitness-Studios auf vier Rädern erinnerten. Insgesamt stimmten die Corvette-Fahrdynamikingenieure die Lenkung zudem noch präziser als in der C7 ab (Übersetzung nun 15,7:1 statt 16,25:1). Um die Mittellage wirkt die C8-Lenkung zu keinem Zeitpunkt zu stumpf oder zu spitz, sondern überzeugt mit guter Dosierbarkeit.

Bereifung fördert Untersteuern

Wie feinfühlig die Corvette über Bewegungen am Gaspedal platziert werden kann, zeigt sich auf der Piste von Spring Mountain vor allem in den langsameren Kurven, die im zweiten Gang durchfahren werden. Die Lastwechselreaktion und das Eigenlenkverhalten der C8 können hier in den engen Kurvenradien produktiv genutzt werden, um Anflüge von Untersteuern in ein neutrales Fahrverhalten umzumünzen.

Dass sich in das weitgehend agile Fahrverhalten der Corvette speziell in den langgezogenen Kurven ein leichtes Schieben über die Vorderachse einstreuen will, liegt vor allem an der Bereifung. Das Gripniveau der Michelin Pilot Sport 4S ZP ist okay, aber kein Vergleich zum griffigen Trockengrip der Michelin Pilot Super Sport oder Cup 2 ZP auf den Vorgängermodellen C7 Grand Sport oder gar C7 Z06. Man darf aber auch nicht vergessen, dass es sich bei dem aktuellen C8-Modell noch um die Basisvariante handelt, von der in Zukunft noch weitere, rennstreckenaffinere Modelle folgen werden.

Corvette C8, Fahrbericht
Chevrolet
Mit dem jetzt elektronischen Bremskraftverstärker stehen für die Bremse verschiedene Modi zur Einstllung bereit.

Auch beim Anbremsen wünscht man sich einen noch gripfreudigeren Reifen, um noch spätere Bremspunkte zu ermöglichen. In der welligen Anbremszone von Kurve 3 schiebt die Corvette beim Verzögern leicht über die Vorderachse. Insgesamt erledigt das ABS seinen Auftrag im Grenzbereich aber weitgehend solide. Die C8 verfügt übrigens über einen elektrischen Bremskraftverstärker. Das Pedalgefühl im Track-Modus ist gut dosierbar und bleibt bei den heißen Rennstreckenrunden konstant. Als besonderen Gimmick kann die Pedalrückmeldung der sogenannten eBoost-Bremsanlage in drei Stufen (Tour, Sport, Track) variiert werden.

Insgesamt ist der Fahrspaß auf der Rennstrecke durch das erfrischende Handling sehr hoch. Agiles Eigenlenkverhalten bedeutet aber nicht automatisch eine schlechtere Fahrbarkeit. Nein, die Reaktionen der Corvette im Grenzbereich sind jederzeit gut beherrschbar und vorhersehbar. Unter Last sprintet die C8 mit leichtem Leistungsübersteuern und weitgehend guter Traktion aus den Ecken.

Ein guten Job macht dabei das optionale Performance Traction Management. Dahinter versteckt sich auch bei der C8 eine Traktionskontrolle mit fünf Einstellungen (Wet, Dry, Sport 1, Sport 2, Race), die auf der Rennstrecke von Spring Mountain mit sensiblen, kaum spürbaren Eingriffen im Race-Modus glänzte.

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Fazit

Und was kostet das Mittelmotor-Vergnügen? In den USA startet das Basismodell der Corvette C8 Stingray bei schnäppchenverdächtigen 59 995 US-Dollar. Mit sämtlichen Ausstattungsoptionen klettert der Preis jedoch schnell. Während die ersten C8 Ende des Monats zu den US-Händlern geliefert werden, müssen sich Kunden in Europa noch deutlich länger gedulden. Hierzulande kann die C8 erst ab dem zweiten Quartal 2020 bestellt werden. Die Händlerauslieferungen beginnen in Europa erst im ersten Quartal 2021. Preise für Europa sind derzeit noch nicht bekannt.