Drei Generationen BMW 3er
Auf der Spur des Markenkerns

Da BMW derzeit die Stammkunden – und ein bisschen auch sich selbst – ständig mit neuen Nischenmodellen verwirrt, wird es Zeit, den Kern der Marke freizulegen. Eine Ausfahrt mit drei Generationen des 3er hilft dabei ungemein. Und: Alle drei finden sich schon für einen schmalen Taler auf dem Gebrauchtwagenmarkt.

Drei Generationen BMW Dreier, Frontansicht
Foto: Achim Hartmann

An besonders arbeitsintensiven Tagen laufen die Schweißperlen schon mal die glatte Fassade des Vierzylinders am Petuelring, München, Bayern, außen herab. Dann denken sie wieder da drin, powerpointen wie die Wilden, in bestem Denglisch natürlich, wollen die Brand shapen, führen hochwissenschaftliche Car Clinics durch – was heutzutage ein Konzern eben so alles unternimmt, um seine Marke hochzuhalten. Bei BMW kamen dabei in den letzten Jahren diverse X-Modelle, GTs, Gran Coupés, Active Tourer und Elektromobile heraus. Zudem wurden die einzelnen Baureihen aufgespalten und die Nomenklatur verkompliziert – so wie beim BMW 3er, dessen schicke Varianten nun 4er heißen.

BMW 3er macht Freude am Fahren

Jedenfalls hilft alles nichts, noch nicht zumindest. Denn vor allem im 3er konzentriert sich alles, was BMW damals praktisch von selbst in die Autos hineinkonstruiert hat und heute Scharen von Marketingspezialisten der gesamten Modellpalette andichten wollen – Fahrspaß. Und zwar in allen Lebenslagen, sei es nun auf dem Weg zum Semmelnkaufen, auf die Arbeit oder am Sonntagnachmittag auf der Flucht vom Kaffeekränzchen bei den Schwiegereltern. Speziell als mit dem 1982 vorgestellten E30 der Sechszylinder im BMW 3er nochmals einen Schritt auf das Volk zuging, wusste jeder um die Freude am Fahren, denn nun gab es den automobilsozialen Aufstieg nicht nur im Topmodell.

In eine Farbe getaucht, die so heißt, wie sie aussieht, nämlich „Rot“, rollt ein 83er 320i ins Bild, dessen Wildheit sich in einer verruchten Gummi-Spoilerlippe auf dem Heckdeckel sowie 5,5-x-14-Alufelgen ausdrückt. Klar, problemlos ließe sich nun das Hohelied auf den Franz Beckenbauer unter den Motoren anstimmen, seine mit der Kurzhubigkeit begründete, ungestüme Drehfreude sowie die großartige Laufkultur lobpreisen. Ja, das wäre wirklich kein Problem, also auf geht’s: Bereits im Leerlauf gemahnt das Zweiliter-Triebwerk an eine Tasse heiße Milch mit Honig, die vorm prasselnden Kaminfeuer serviert wird.

Doch sobald die Entschlossenheit des Fahrers die Drosselklappe öffnet, kommt noch ein ordentlicher Schuss Hochprozentiges hinzu, nährt das Feuer im Antrieb des BMW 3er, lässt die Nadel des Drehzahlmessers schnell an der 4.000/min-Marke vorbeihuschen, worauf sachter Zusatzschub das Engagement des Aggregats verdeutlicht. Der mit 9,8:1 verdichtete Sechszylinder fürchtet sich selbst bei 6.000 Umdrehungen nicht, klingt dabei nach einer großen Maschine, voll, warm, ein bisschen heiser vielleicht – ein Klangbild, das sich bis in die Vierventiler-Generationen herüberrettet.

Beim ersten BMW 3er geht vorwärts nicht viel

Nur vorwärts, nein, vorwärts geht nicht viel. Kein Wunder, denn 125 PS regten selbst Anfang der Achtziger kaum den Speichelfluss der Fans an, das maximale Drehmoment von 170 Newtonmetern ebenfalls nicht, da wurde selbst bei einer Parteiversammlung der frühen Grünen stärker auf den Tisch gehauen, du. Immerhin: Mit einer Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in 9,8 Sekunden ließ sich schon die Mehrheit der Verkehrsteilnehmer erschrecken. Die Einzigartigkeit des BMW 3er offenbart sich allerdings vollends auf Straßen, die kein großes A, sondern ein L oder, noch besser, ein K vor ihrer sortierenden Ziffernfolge tragen. Dann destillieren das leicht übersteuernd ausgelegte Handling, der prestigeträchtige Motor, das exakt wie ein Rechenschieber bedienbare Fünfganggetriebe sowie die aquariumartige Rundumsicht zu einem automobilen Rauschmittel, das selbst an trüben Tagen die Sonne scheinen lässt, solange sich nur genug Kurven finden.

Dort wuselt der BMW 3er (E30) mit bayerischer Selbstverständlichkeit hindurch, ein bisschen stur obendrein, denn dieses Exemplar verkneift sich die Servolenkung. Der 320i zelebriert Punk statt Pop, Schimanski statt Derrick, der Falklandkrieg und der NATO-Doppelbeschluss rücken in weite Ferne, im Hier und Jetzt zählt der Spaß am Gedankenlenkrad, ein Spaß, der zudem uneitel vor der Reihenhaussiedlung abgestellt werden kann. Dann verrät nur das Doppelendrohr den M20-Sechszylinder, dessen Dynamik übrigens der 318i nach der Modellpflege 1988 mühelos mit zwei Pötten weniger erreichte – die aktuelle Zylinder-Diskussion ankert also in der Geschichte der Marke.

Gleich drei Sechszylinder im E36

Der E36 schüttet diese Debatte gleich mit drei Sechszylindermotoren diesseits des M3 zu, alle mit Vierventiltechnik ausgerüstet und bereit, die Vierzylinder auf die Plätze zu verweisen. Zum Fototermin im Blauen Land rollt ein 323i, dessen moreagrüner Metalliclack nur deshalb nicht dezent wirkt, weil die Innenausstattung die Passagiere ebenfalls in Grün anbrüllt.

Ja, manchmal schmerzt Geschichte, selbst wenn sie keine 20 Jahre zurückliegt. Ganze elf Zentimeter mehr Länge und 13 Zentimeter mehr Radstand trennen die beiden Generationen, ebenso fast 300 Kilogramm Gewicht. Erschreckend? Zunächst. Doch der 1990 vollzogene Modellwechsel bedeutet den entscheidenden Schritt für den BMW 3er, der damit nicht nur in die Gegenwart der 90er-Jahre, sondern gleich in die Zukunft gebeamt wird. Selbst heute wirkt der E36 wie ein ordentlicher Gebrauchtwagen, mit dem sich mühelos der Alltag bestreiten lässt – einfach weil er genau das ist. Bereits als 323i schimmert die wahre Sportlimousine durch, der 328i legt noch eine Schippe drauf, und selbst ein 320i wäre noch okay. Das 2,5-Liter-Aggregat mit 170 PS jongliert lässig mit dem Viertürer, jubelt euphorisch durch das Drehzahlband, fordert schnell den nächsten Gang.

Erst 1995 lieferte BMW die M52-Motoren aus, sie lösten die M50-Aggregate mit Graugussblock ab. Ihr Hauptvorteil: das deutlich niedrigere Gewicht, was wiederum die ohnehin schon fast paritätische Gewichtsverteilung nochmals verschob. Gegenüber dem 325i mit M50-Motor bietet der 323i trotz geringerer Leistung ein gutes Pfund mehr Durchzugskraft, denn das maximale Drehmoment von unveränderten 245 Newtonmetern liegt nun bereits bei 3.950/min an, also 750 Umdrehungen früher. Also einfach den Fünften drinlassen? Warum denn? Wo doch der Schalthebel so lustig durch die Gassen schnippt, als warte an deren Ende jeweils eine frisch gezapfte Maß Bier.

Unübsichtlichkeit im Cockpit des E36

Zugegeben, die Übersichtlichkeit des E30 fehlt ihm schon ein wenig, aber auch das Überdekorierte vieler aktueller Modelle. Also freut sich der Fahrer des BMW 3er über die sportlich tiefe Sitzposition, lässt sich von den Rundinstrumenten mit der Eindeutigkeit einer Bahnhofsuhr die wesentlichen Fahrdaten anzeigen und nickt versehentlich der ihm zugewandten Mittelkonsole zu, gibt Gas.

Sofort beißt der Saugmotor zu, breitet einen dick gewebten Klangteppich aus, dreht vibrationsfrei hoch, feiert sich als Motorenwerk. Unter 3.500/min wird es schon ein bisschen fad, also bleibt die Tür zum Drehzahlkeller geschlossen. Seine knapp 1,4 Tonnen schwingt der 323i lässig an Kochel- und Walchensee vorbei, die aufwendige Hinterachskonstruktion mit Längs- und doppelten Querlenkern sowie Stabilisator beruhigt das Fahrverhalten. Nahezu neutral frühstückt der BMW 3er die Kurven ab, flüchtet sich erst spät in sachtes Untersteuern. Übersteuern? Freilich, aber nicht unbedingt auf Lastwechsel, sondern auf Druck. In den frühen E36 half dabei gelegentlich ein Sperrdifferenzial für 895 Mark Aufpreis.

Ab 1998 übernahm die Elektronik traktionsfördernde Aufgaben, der E46 startete. In gedecktem Stahlblaumetallic komplettiert ein Exemplar das Trio, verdeutlicht, dass weder bei Größe noch bei Gewicht und Design BMW nach einer Revolution zumute war. Aber irgendetwas stimmt nicht. Drehzahlmesser nur bis 6.000 Umdrehungen?

Ein Diesel, aha. Ein Vierzylinder obendrein – aber einer, der es schaffte, die Rohstoffzusammensetzung für das Fahrspaß-Destillat namens BMW 3er zu ändern. Der M47-D20-Selbstzünder leistet 136 PS, entwickelt 280 Nm bei 1.750 Umdrehungen und grantelt zunächst ziemlich hinterwäldlerisch, hat so gar nichts mit der Maximilianstraßen-Laufkultur der Sechszylinder-Benziner gemeinsam. Mit der damals geradezu unverschämten Gewalt und selbst nach heutigen Maßstäben herben Wucht seines Drehmoments wickelt er den Fahrer schnell um den Finger. Erstaunlich, denn obwohl der Charakter des Zweiliteraggregats von den Benzinern in etwa so weit entfernt liegt wie ein Besuch der Auer Dult vom Prinzregententheater, bringt es nicht das sensible 3er-Gefüge durcheinander.

Dritter BMW 3er mit reichlich Schub im Diesel

Früh ist der fünfte Gang drin, der Klang bleibt eher nüchtern als emotional, doch die Limousine behält ihre typische Leichtigkeit, das Amigohafte, diesen Passt-scho-Schulterklopfer, mit denen sie über Land wuselt. Die sensible, aber nicht aufgekratzte Lenkung gibt den Takt an die Vorderräder weiter, von hinten kommt immer reichlich Schub, die Traktion passt – und der Verbrauch bleibt auf dem Teppich. Okay, mit hohen Drehzahlen kommt der Direkteinspritzer (1.700 bar Einspritzdruck) wirklich nicht klar, bei 4.400/min geht ihm die Puste aus, obwohl bis zum roten Bereich noch Luft wäre. Aber das Drehmoment eines BMW 328i bei deutlich niedrigerer Drehzahl und das Ganze mit schlimmstenfalls 7,0 l/100 km bezahlen? Bitte, gerne. Das schafften die Sechszylinder-Diesel im E36 bei Weitem nicht, lasteten zudem viel zu schwer auf der Vorderachse.

Der 320d polte selbst die härtesten Fans um, spätestens in der 150 PS starken Variante ab 2001. Lieber doch einen Benziner? Kein Problem. Bis hin zum brillanten, 231 PS starken M54-B30-Triebwerk zelebriert der E46 noch die große Oper des Sechszylindersaugers, im Nachfolger E90 ersetzte bereits ein Vierzylinder den Basis-Sechser.

Und jetzt? Gut, das Vierzylinder-Turbo-Thema dürfte inzwischen allgemein bekannt sein. Sie können eigentlich alles besser, aber die Emotion haben sie etwas vergessen bei BMW. Doch die großen bayerischen Gefühle kosten nicht die Welt, stehen in ordentlichem Pflegezustand für 2.000 bis 6.000 Euro im weltweiten Netz zum Verkauf. Natürlich dauert die Suche nach einem gepflegten E30 länger, in der Schnäppchenecke stehen sie schon längst nicht mehr. Bei E36 wird es allmählich schwieriger, gute E46 fallen dagegen praktisch täglich vom weiß-blauen Himmel. Sollen sie also ruhig weiter powerpointen, meeten, schwitzen und neue Nischenmodelle gebären, es wird schon von Erfolg gekrönt sein. Denn: Früher war nicht alles besser. Aber manchmal eben unkomplizierter – so wie auf dem Fahrersitz eines alten BMW 3er.