Mitfahrt Land Rover Defender (2020)
Erste Offroad-Tour im neuen Landy

Ist der neue Defender noch ein echter Geländewagen? Wir sind der Antwort auf diese Frage ein ganzes Stück nähergekommen – und haben auch auf befestigten Straßen erste Eindrücke gesammelt.

Wer ihn zuerst auf Fotos sieht, ist beim ersten echten Aufeinandertreffen überrascht: Der neue Land Rover Defender ist ein riesiges Auto. Klar, hoch war auch schon der Vorgänger – aber die Breite des Neuen beeindruckt. Während es der alte Defender gerade mal auf eine Breite von 1,79 Meter bringt, ist der neue mit über zwei Meter dabei – mit angeklappten Außenspiegeln. In der Höhe geht es für den Neuen um etwas mehr als drei Zentimeter auf 1,97 Meter runter. Und das ist immer noch hoch, wenn man an den Dachträger oder in sein Dachzelt möchte. Dafür gibt es eine nach unten ausfahrbare Leiter als Zubehör – aber selbst im ausgefahrenen Zustand ist noch ein sehr hoher Schritt nötig, um die erste Sprosse zu erreichen.

Unsere Highlights
12/2019, Land Rover Defender 110 P400 AWD
Jaguar Land Rover / Nick Dimbleby
Redakteur Thomas Harloff mit Mike Cross, Chefingenieur für Fahrzeugintegration, und dem neuen Land Rover Defender.

Am Heck fällt das Reserverad auf – schließlich sind Reserveräder zum einen und deren Aufbewahrungsort am Heck zum anderen aus der Mode gekommen. Land Rover ist das echte vollwertige Reserverad wichtig. Und wer den neuen Defender mit der weiß lackierten 18-Zoll-Stahlfelge bestellt, lässt das retro-schicke Rad auch von seinem Heck strahlen. In diesem Detail ist der Landy also ein waschechter Geländewagen.

Noch ein waschechter Geländewagen?

Um zu beweisen, dass das für das ganze Auto gilt, geht es auf dem Beifahrersitz auf einen heißen Ritt über das Testgelände in Gaydon in der Nähe von Birmingham. Am Steuer sitzt Mike Cross, Chefingenieur für die Fahrzeugintegration. Und der verliert keine Zeit. Immer höher klettert die Zahl im Digitalinstrument. 50, 55, 60. Als sie die 70 mph-Marke (knapp 113 km/h) passiert, richtet sich der Blick des Co-Piloten nach vorne. Irgendwo da vorne müssen sie sein. Die Kuppen, die bei diesem Tempo zu Sprungschanzen werden. Der Defender beschleunigt derweil weiter, kurz bevor er einen Satz macht. Und direkt danach den zweiten. Mike nimmt die Hügel ebenso stoisch wie der Geländewagen. Reaktionen? So gut wie keine. Weder beim Fahrer noch beim Auto, das diese Tortur mehrfach hintereinander klaglos über sich ergehen lässt. Nur der Journalist auf dem Beifahrersitz zeigt Emotionen. Erst Skepsis, dann Erstaunen. Und ja, Spaß hat die Übung auch gemacht.

Mike Cross und der neue Land Rover haben auf dem Gaydon Proving Ground natürlich Heimspiel. Das merkt man beiden auf den Offroad-Passagen an. Ob Schotter, Kies, Schlamm oder Wasserdurchfahrten: Nichts von alledem stellt dem neuen Defender unlösbare Aufgaben. Gewissenhaft arbeitet der Landy seine Aufgaben ab und braucht dafür im ersten Umlauf nicht einmal die Fähigkeiten des Terrain Response-Systems. Dieses ist auf der zweiten Runde aktiviert und bringt im Grass-Gravel-Snow-Modus, in dem sich die Stabilitätskontrolle deaktivieren lässt, mehr Bewegung in die Fuhre. Nun muss Mike etwas zügiger und vehementer am Lenkrad kurbeln, denn nun setzt in so mancher Kurve das Heck zum Überholen an, was der Ingenieur jedoch stets leicht pariert. Man möchte sich nicht vorstellen, wie das im Vorgänger ausgegangen wäre. Er hätte sich wahrscheinlich in einer der ersten Kurven verkantet und wäre einen Gegenpendler später auf der Seite oder dem Dach gelandet.

Nun auch mit Fahrdynamik und -komfort

Gleiches gilt auf der autobahnähnlichen Sektion des Testgeländes. Mit 160 km/h in diese Biegung? Das wäre mit dem Oldie nicht gegangen (und zwar ausdrücklich nicht allein deshalb, weil er so schnell gar nicht fahren konnte). Der Neue aber macht das klaglos mit, und zwar ohne die Pirelli Scorpion-Allwetterreifen zum Quietschen und damit an ihr Limit zu bringen. Das Geräuschniveau bewegt sich jetzt generell bei Autobahntempo in ganz anderen, viel niedrigeren Sphären. Windgeräusche gibt es, aber die immer noch kantige und mit großen Spiegeln versehene Karosserie ließ viel Schlimmeres vermuten. Die Reifen rollen leise ab, und auch der 400 PS und maximal 550 Nm starke, mit Superbenzin gefütterte Reihensechser mit Twin-Scroll-Turbo samt elektrischem Verdichter hält sich akustisch vornehm zurück. Es sei denn, er muss all seine Kraft aufbringen. Dann klingt er kernig, mechanisch, fast schon sportlich. Sitzen wir wirklich in einem Land Rover?

Dass die Grenzen zum komfortabel-luxuriösen Range Rover fortan fließend sind, zeigt sich auch auf jenen Abschnitten, die schlechte Landstraßen in aller Welt simulieren. Tiefe Schlaglöcher nimmt das luftgefederte Fahrwerk ebenso klaglos hin wie die unerschütterlich wirkende, sich kaum verwindende Karosserie. Fahrkomfort kann der neue Defender, dazu bietet er nun – soweit das vom Beifahrersitz aus beurteilt werden kann – auch eine der Fahrzeugklasse angemessene Fahrdynamik und Autobahn-Kompetenz. Das dürfte für künftige Kunden entscheidender sein als die Offroad-Performance, bei der der alte Defender möglicherweise ebenbürtig ist. Wenn auch auf eine andere Art.

Innen viel Platz

Land Rover Defender (2019)
Land Rover
Viel Platz und klare Anordnung der Bedienelemente im neuen Land Rover Defender.

Auch innen dürften die meisten Kunden maximalen Fahrkomfort höher schätzen als den Charme des alten Defender. So groß der neue von außen ist, soviel Platz bietet er auch. Der Fahrer setzt sich bequem hinters Lenkrad und sein linker Arm klemmt nicht mehr zwischen Rippen und Tür. Während der Vorgänger seine Insassen mehr oder weniger einmauerte, bietet der Neue das Raumgefühl einer Traglufthalle. Die Mittelkonsole ist breit – so breit, dass dort gegen Aufpreis ein Klappsitz steckt. Das dicke Lederlenkrad fasst sich eher nach Luxus-Limousine als nach hartem Offroader an und der Instrumenten-Bildschirm überzeugt mit übersichtlichen Skalen. Am oberen Ende der Mittelkonsole sitzt ein Zehnzoll-Infotainment-Bildschirm, der optisch gut zum technischen cleanen Interieur passt – eine deutlich größere Anzeige würden den Look stören. Was ebenfalls zum technisch inspirierten Auftritt passt, sind die echten großen Schrauben, mit denen beispielsweise die Türinnenverkleidungen befestigt sind.

Der Automatikwahlhebel sitzt direkt unter dem Infotainment-Bildschirm, was optisch überrascht, ergonomisch aber gut ist. Über ihm zieht sich ein Armaturenbrett-Panel aus pulverbeschichtetem Magnesium von links nach rechts. Auch wenn man diese Platte nicht unbedingt anfassen muss – sie fühlt sich gut an.

Land Rover Defender (2019)
Land Rover
Großer Ausschnitt: Der Kofferraum des neuen Defender ist gut zugänglich.

Gute Rundumsicht und komfortabel

Die Rundumsicht ist wegen der hohen Sitzposition und der rundum aufrechten Karosserie gut. Das Reserverad taucht zwar im Rückspiegel auf, dieser lässt sich aber per Knopfdruck auf ein reserveradfreies Kamerabild umschalten. Die dazugehörige Kamera sitzt hoch oben in der Haifischflossen-Antenne auf dem Dach.

Land Rover Defender (2019)
Land Rover
Liegeprobe: Das Dach des Defender hält 300 Kilogramm statische Last aus und ist somit für Dachzelte geeignet.

Die bequemen Sitze bieten guten Seitenhalt – Seitenhalt für eine sportliche Fahrweise, die mit dem Vorgänger nicht möglich war. Auch die Oberschenkel-Auflagefläche ist groß genug – schließlich soll der Defender auch bei großgewachsenen Amerikanern punkten. Und Kopffreiheit ist in dem hohen Auto reichlich. Im Fond gibt es zwar keinerlei Seitenhalt, aber dafür ebenfalls richtig viel Platz für Kopf und Beine. Bei der Ausstattung mit Faltdach, sollen die Passagiere in der zweiten Reihe bequem stehen und aus der Dachluke schauen können.

Gut nutzbarer Kofferraum

Für den Defender 110 gibt es auch eine dritte Sitzreihe. Diese ist, wie die meisten dritten Sitzreihen in Pkw, etwas schwerer zu erreichen und bietet auch etwas weniger Platz – die Kopffreiheit ist auch hier hervorragend. Die Köpfe der Insassen sind hier von extrem langen Kopfstützen geschützt – wegen der Umklapp- und Versenkbarkeit ist die Rückenlehne nur sehr niedrig.

Die Hecktür gibt einen großen unzerklüfteten Kofferraum-Ausschnitt mit hoher Ladekante frei, eine Ladeschwelle gibt es nicht und das Gepäck lässt sich prima über den auch bei umgeklappter dritter Sitzreihe ebenen gummierten Ladeboden nach vorn durchschieben.

Umfrage
Würden Sie gerne mal eine längere Strecke in hartem Gelände fahren?
6775 Mal abgestimmt
Ja, das stelle ich mir spannend und anspruchsvoll für mich und die Technik vor.Nein, mir reichen die Orte, die ich auf normalen Straßen erreichen kann.

Fazit

Der neue Defender ist ein Riese. Dementsprechend bietet er viel Platz. Die Sitze sind komfortabel und geben den Insassen der ersten Reihe guten Seitenhalt. Der moderne Innenraum macht die spartanische Einrichtung des Vorgängers zwar vergessen, die Gestalter haben aber deren technischen Charme ins neue Modell gerettet. Auch dessen Offroad-Fähigkeiten kann der Neuling sicher reproduzieren, wenn auch eher dank elektronischer Helfer statt Untersetzung, Sperren und robuster Leiterrahmen-Bauweise. Dafür – und das lässt sich auch vom Beifahrersitz aus beurteilen – ist er auf der Straße um Welten besser als der alte Defender. Ach was: um Galaxien! Für den einen oder anderen Fan des Vorgängers dürfte das aber auch zu viel des Guten sein.

Technische Daten
Land Rover Defender 110 P400
Grundpreis68.900 €
Außenmaße4758 x 1996 x 1972 mm
Kofferraumvolumen786 bis 1875 l
Hubraum / Motor2995 cm³ / 6-Zylinder
Leistung294 kW / 400 PS bei 5500 U/min
Höchstgeschwindigkeit191 km/h
Verbrauch9,6 l/100 km