Fahrbericht Mercedes Vito Tourer 4x4
Eine V-Klasse für Clevere?

Muss es wirklich die noble V-Klasse sein oder genügt auch der einfachere Vito? Um das zu klären, waren wir mit dem neuen Vito Tourer 4x4 am Polarkreis unterwegs. Ski und Rodel gut, und der neue Mercedes-Bus mittendrin.

Mercedes Vito 119 CDI BlueTec Tourer Pro 4x4
Foto: Mercedes

Die neue V-Klasse setzt eine gewisse finanzielle Leistungsbereitschaft beim Kunden voraus. Eine Preisliste auf dem Niveau der E-Klasse unterstreicht, wo Mercedes den Großraum-Van positioniert sehen möchte.

Doch es gibt ja noch den Kollegen aus der Nutzfahrzeugabteilung: Der Vito, mit dem auch Handwerker und Transportunternehmen glücklich werden sollen, setzt bei den Einstandskosten deutlich geringere Hürden. Da liegt der Gedanke nahe, sich gleich in dessen Konfigurator umzusehen, statt auf die V-Klasse zu sparen.

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Mercedes Vito Tourer als Bus-Alternative

Die Lösung in diesem Fall heißt Vito Tourer: so nennt sich die vollverglaste Kombi-Variante, die mit mehreren Sitzreihen geordert werden kann. Drei Ausstattungslinien bietet Mercedes an: den Vito Tourer als Base, Pro oder Select.

Im Falle des Vito Tourer Base handelt es sich tatsächlich um die Nutzfahrzeugvariante, die man vornehmlich im Baustellen-Zubringerverkehr sehen wird. Beim von uns gefahrenen Vito Tourer in der mittleren Pro-Ausstattung darf allerdings schon hinterfragt werden, wie viel Transporter und wie viel Pkw tatsächlich in ihm steckt. Mit im Innenraum ordentlich verkleideten Seitenblechen und Säulen, robustem Bodenbelag und bequemen Stoffsitzen ist er weit vom Tourer Base entfernt, der mit viel nacktem Blech und wenig Airbags glänzt.

Optional lässt sich der Vito Tourer Pro noch weiter verschönern, etwa mit lackiertem Stoßfänger und erweiterter Komfortausstattung. Tatsächlich ist es in erster Linie das Armaturenbrett, das einen echten Unterschied zur teuren V-Klasse erkennen lässt – einfacherer Kunststoff, ein ziemlich aus der Zeit gefallenes Becker-Navigationssystem (das auch noch selbstbewusste 612 Euro Aufpreis kostet) und keine Spur von der in der V-Klasse erhältlichen Hightech-Multimedia-Elektronik.

Damit kann man klar leben, zumal der Fahrkomfort des Vito Tourer der V-Klasse effektiv in nichts nachsteht. Er weist allenfalls ein geringfügig höheres Fahrgeräusch im Innenraum auf, weil bei der V-Klasse noch zusätzliche Teppiche dämmen.

Allrad nur mit Vollausstattung

Die Sache mit dem Preis relativiert sich allerdings zumindest derzeit ein wenig, wenn man den Mercedes Vito Tourer mit dem überlegenen Antriebskonzept ausstatten möchte. Den reinen Allrad-Aufpreis für den Vito Tourer gibt Mercedes mit 3.927 Euro an, das wäre für das Plus an Traktion und Fahrsicherheit gerade noch vertretbar. Allerdings muss auch bei Motor und Getriebe in die Vollen gegriffen werden, der Vito bekommt den Allradantrieb nur in der Topversion 119 BlueTec, mit dem 190-PS-Diesel und Siebenstufen-Automatik. Die schwächeren Varianten Vito Tourer 114 CDI (136 PS) und 116 CDI (163 PS) sollen jedoch, verspricht Mercedes, in wenigen Monaten ebenfalls mit Allrad zu haben sein.

Die unbedingte Pflicht zur Siebenstufen-Automatik ist dagegen im Aufbau des neu entwickelten Allradantriebs begründet. Hier ist das ausgesprochen kompakt bauende Verteilergetriebe direkt an das Automatikgetriebe angeflanscht und teilt sich mit diesem auch den Schmieröl-Vorrat. Das neue Allradsystem verteilt die Kraft permanent im Verhältnis 45:55 zwischen Vorder- und Hinterachse, zusätzlich ist eine automatische Lamellensperre integriert, die bei Traktionsverlust an einer Achse entsprechend sicherstellt, dass das gegenüberliegende Pendant weiterhin ausreichend Drehmoment abbekommt. Ebenfalls neu und ebenfalls sehr kompakt bauend ist die eigens für V-Klasse und Vito entwickelte Allrad-Vorderachse, die mit zur Gewichtsersparnis des Allradantriebs im Vergleich zum Vorgänger beiträgt. Mit lediglich 50 Kilo beziffert Mercedes das Mehrgewicht des gesamten Allradantriebs gegenüber dem Modell mit Hinterradantrieb. Den Verbrauchsvorteil gegenüber dem bisherigen Vito 4x4 gibt Mercedes mit beachtlichen 20 Prozent an, offizielle Daten hierzu liegen aber noch nicht vor.

199 km/h – da freut sich der Mercedes Vito 4x4-Fahrer

Garagenbesitzer wird es freuen, Offroad-Fans dagegen nicht so sehr: durch die neue Vorderachse ist die bisherige leichte Höherlegung des Allrad-Vito nicht mehr nötig, der 4x4-Transporter baut insgesamt neun Zentimeter niedriger als das Vorgängermodell. Der Schlechtwege-Vorteil des Mercedes Vito 4x4 bleibt damit auf die Traktion begrenzt, unter dem Auto rumpelt es bei tief ausgefahrenen Löchern oder großen Findlingen im Fahrweg ebenso schnell wie beim Standard-Vito.

Im Handling hat der Vito 4x4 so ziemlich alles Transporter-hafte abgelegt. Die neue elektro-mechanische Lenkung mit variabler Unterstützung fasst sich bei schneller Fahrt ebenso souverän an wie beim gemütlichen Gleiten durch Ortschaften oder beim leichthändigen rangieren. Das Fahrwerk ist eher in Richtung straff abgestimmt, was zwar Lastwagen-artiges taumeln zuverlässig unterbindet, andererseits aber bei derberen Unebenheiten auf unbefestigten Wegen eine gewisse Souveränität vermissen lässt. Mit den 190 PS und der sämigen Siebenstufenautomatik des Topmodells muss man jedenfalls nichts anbrennen lassen, der Vito 119 CDI 4x4 lässt sich richtig rasch bewegen – für einen so voluminösen Kastenwagen. 199 km/h Höchstgeschwindigkeit und 9,5 Sekunden für Nullhundert verspricht der Hersteller, da freut sich der Busfahrer.

Gelungener Allradantrieb im Vito

Auf unserer ersten Testfahrt mit dem Vito 119 CDI 4x4 in Nordschweden lag das Augenmerk allerdings weniger auf Autobahn-Gebolze, stattdessen waren wir im Auftrag der Traktion unterwegs. Eine Mission, die der Vito 4x4 auf hohem Level erfüllt. Das Zusammenspiel von Allradantrieb, elektronischen Fahrhilfen, homogener Leistungsentfaltung und fein abgestimmtem Automatikgetriebe darf man schlicht als gelungen bezeichnen. Mit stoischer Ruhe lässt sich der Vito 4x4 über verschneite und vereiste Strecken treiben, bleibt eine gefühlte Ewigkeit neutral und sicher, bevor das ESP mit verstärkten Regelimpulsen darauf aufmerksam macht, es doch bitte etwas weniger flott anzugehen. Dann ist man allerdings bereits mit einem Tempo unterwegs, das im winterlichen Straßenverkehr üblicherweise nichts zu suchen hat.

An einer anderen Stelle kann die Traktionselektronik zeigen, was in ihr steckt. Ein vereister Bergpfad, Typ verwahrloster Almweg, mit durchaus nennenswerter Steigung. Wo frühere Generationen elektronisch geregelter Allradler mit hektischem Stakkato-Bremsen die Kraft mal an dieses Rad leiten, mal an jenes, fährt der neue Allrad-Vito einfach hinauf. Vom emsigen Wirken der Lamellensperre und der Bremsarbeit der elektronischen Traktionskontrolle ist kaum etwas zu spüren. Erst als Fahrer und Beifahrer anschließend aussteigen und sich um ein Haar der Länge nach vor dem Vito ausbreiten, wird deutlich, wie glatt das gerade tatsächlich war.

Der Mercedes Vito 4x4 ist die V-Klasse für Clevere!

Eine weitere Neuerung enthält die bei Mercedes DSR (Downhill Speed Regulation) genannte Bergabfahr-Kontrolle. Denn den eisigen Pfad müssen wir auch wieder hinunter. Zusätzlich zur bisherigen Steuerung der Bergabfahrhilfe über den Tempomathebel verarbeitet die DSR jetzt auch Signale von Brems- und Gaspedal: wird es zu flott, regelt man mit der Bremse die Geschwindigkeit ein, die dann gehalten wird. Funktioniert auch umgekehrt – wenn die regulierte Talfahrt Langeweile verursacht, einfach etwas Gas geben, fortan bleibt die erreichte Geschwindigkeit im DSR eingestellt. Das funktioniert sehr viel intuitiver als bisher, bis zu einem Tempo von 45 km/h und damit auch im Straßenbetrieb hilfreich.

All diese Erfahrungen gelten selbstverständlich auch für die neue V-Klasse, die ja mit der identischen Technik ausgestattet ist. Was uns zur überraschend einfachen Beantwortung der eingangs gestellten Frage bringt: ist der Vito die V-Klasse für Clevere? Antwort: Absolut, sofern man auf edlere Sitzbezüge und Entertainment auf dem Level der Mercedes-Pkw verzichten kann. Und solange man sich mit Kunststoff im Armaturenbereich anfreundet, der zwar nicht billig, aber ziemlich nutzwertorientiert wirkt. Dass die Transporter-Version eines Großraum-Kombis immer nach Arbeitshose aussieht und nach Zementmischer klingt, ist jedenfalls spätestens mit dem neuen Vito vorbei. Mit dem Mercedes Vito Tourer Pro kann man auch vor der Oper vorfahren, ohne den Lieferanteneingang gezeigt zu bekommen.

Fazit:

Sparen wir uns die ausgenudelte „mehr XYZ braucht kein Mensch“-Floskel. Fakt ist: für kühle Rechner, Pragmatiker und Barzahler ist der Vito tatsächlich die bessere V-Klasse. Wer jedoch als Belohnung für Preise auf Mercedes-Niveau (auch der Vito ist in hübsch alles andere als günstig) täglich auf feine Auslegeware blicken und sich von seinem Wagen erlesen unterhalten lassen möchte, ist mit der V-Klasse besser beraten. Was beide in der 4x4-Version eint, ist die beachtliche Traktionsstärke und Fahrsicherheit, die selbst manchen Allrad-Pkw in den Schatten stellt.