Abarth 595C trifft Formel-4-Rennwagen
Abarthiger Vergleich

Was ein Formel-4-Monoposto und der Abarth 595C als Monster Energy Yamaha Edition gemeinsam haben? Das finden wir beim Tracktest auf dem Autodromo Nazionale di Monza heraus.

Formel 4 und Abarth 595C
Foto: Dino Eisele

Die Tasche ist gepackt, Helm und Rennoverall liegen im Kofferräumchen des Abarth 595C bereit. Wo es hingeht? Nach Italien! Abarth lädt zum Formel-4-Tracktest: einen Tag Rennfahrer spielen, wie Schumi, Vettel und Co. Klar, dass ich zur Einstimmung statt der kürzesten Tunnelroute von Stuttgart durch die Alpen nach Monza lieber den kurvigen Umweg über den Splügenpass wähle. Der ist zu dieser Jahreszeit nahezu menschenleer und mit seinen unzähligen Tornati wie geschaffen für den 3,66 Meter kurzen 595.

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Trotz Minusgraden steht das Dach weit offen. Der Fahrtwind tobt ungehemmt durch den mit Monster-Energy-Logos verzierten Innenraum. Achtung, scharf anbremsen. Der ohnehin kopflastige Abarth nickt vorn noch stärker ein. Einlenken. Der Fronttriebler sträubt sich, will förmlich in die Kehre gezwungen werden. Ja, sein Wendekreis erinnert eher an eine S-Klasse, und zwar nicht die neue mit Hinterachslenkung. Doch der Abarth ist ein Typ der alten Schule: manuell geschaltet und mit Handbremshebel gesegnet. Und damit lässt sich hier, auf gut 2.000 Metern über null, viel Unfug treiben. Dazu knattert und knallt es – durch das Felswandecho verstärkt – schelmisch aus den vier Endröhrchen. Doch trotz des immensen Unterhaltungswerts ahne ich: Das ist nur ein kleiner Vorgeschmack auf den Formel-4-Monoposto.

Deutlich schneller als vom Tom-Tom-Navi vorhergesagt lande ich am Autodromo di Monza. In der Boxengasse herrscht reger Betrieb. Die ersten Trainings sind an diesem Freitag gerade gelaufen. Und so ruhen die drei F4 des Iron-Lynx-Teams aufgebockt und flügelamputiert im Werkstattzelt. Die Begrüßung fällt italienisch herzlich aus und wird mit einem Espresso zelebriert, bevor es ans Eingemachte geht. Das ist durchaus wörtlich zu verstehen, denn das schmale Cockpit hat etwas von einem Einweckglas. Klar, schließlich ist der Einsitzer für 15-jährige Nachwuchsrennfahrer konstruiert, für die normalerweise eine Sitzschale aufwendig um den Körper gegossen wird.

Mir muss an diesem Wochenende eine spärlich gepolsterte Dummy-Schale reichen. Während ich beim ersten Sit-in mehr im Auto liege, passt Mechanikerin Eva die Pedaleinheit an. Dann wird der Sechspunktgurt zurechtgezurrt. Andrea Piccini erklärt mir derweil die Lenkradknöpfe samt Startprozedur und kündigt gleich mal an, dass ich den Turbomotor auf jeden Fall beim ersten Startversuch abwürgen werde. Der Italiener weiß, wovon er spricht. Schließlich fuhr er einst selbst Formel-Renner bis hin zur Königsklasse und gewann unzählige GT-Rennen. Nun fördert der 42-Jährige in seinem Team junge Talente und eben einen – sagen wir mal – jung gebliebenen Redakteur.

Formel 4 und Abarth 595C
Dino Eisele
Der Abarth 595C als Monster Energy Yamaha Edition mit 1,4-Liter-Motor und 165 PS.

Digitale Schulbank drücken

Und der muss noch viel lernen. Also raus aus dem Auto und rein in den Team-Truck. Der 40-Tonner ist Umkleidekabine, Ersatzteillager und heute auch Schulungsraum. Dank einer Tageslizenz des italienischen Motorsportverbands ACI darf ich den Formel-4-Abarth zwar fahren, doch wie man das am besten anstellt, erfahre ich erst jetzt. Auch den Kurs kennt unsereins nur virtuell von der Playstation und von Formel-1-Rennen aus dem Fernsehen. Zeit für einen ausführlichen Track-Walk bleibt nicht, denn es dunkelt bereits.

Stattdessen erklärt mir Piccini die Streckeneinführung am Laptop anhand der Onboard-Aufnahmen von Teamkollegin Hamda Al Qubaisi. Die 18-jährige Araberin fährt ihre erste F4-Saison – denn Rennen fahren war Frauen in den Emiraten noch bis vor Kurzem verboten. Schnell ist sie trotzdem. In der Stop-and-Go-Videoanalyse versuche ich, mir ihre Ideallinie samt Brems-, Einlenk- und Schaltpunkten einzuprägen. Später im Hotelzimmer fahre ich den 5,8 Kilometer langen Grand-Prix-Kurs immer wieder im Kopf ab – das muss als Vorbereitung reichen.

Samstag, es wird ernst. Die Qualifikation und das erste von drei Rennen laufen gut für den Iron-Lynx-Rennstall. Doch ein Unfall, in den auch Teamkollegin Hamda verwickelt ist, lässt das Zeitfenster für meinen ohnehin knapp kalkulierten Einzelstint schmelzen. Gleichzeitig steigen bei mir Vorfreude und Nervosität im selben Maße an. Dann endlich einsteigen: den rechten Fuß vor die Sitzschale fädeln, dann den linken hinterherziehen, mit beiden Händen abstützen und die Füße in den schmalen Schacht des Einbaums zwängen. Die drei Pedale stehen nicht nur sehr nah zusammen, sondern auch so steil, dass die Wadenmuskulatur schon jetzt verkrampft.

Erneut liegt mein Körper nur wenige Zentimeter über dem Asphalt, während er von außen mit dem Sechspunktgurt wie ein Weihnachtspaket verschnürt wird. Ohne Klimaanlage brutzele ich im feuerfesten Rennoverall in der warmen Sonne, als endlich via Funk das Startsignal von der Rennleitung kommt. Wie vorhergesagt würge ich beim ersten Anfahren ab, denn der Schuh Größe 43 verhakt sich zwischen Kupplungspedal und Karosserie. Beim dritten Versuch rollt der nur 570 kg leichte Renner inklusive Fahrer mit eingeschaltetem Speed-Limiter durch die Boxengasse. Gefolgt vom doppelt so schweren Abarth 595 und einem Fotografenauto fahren wir anschließend um den Grand-Prix-Kurs.

Fotograf Dino lichtet in aller Ruhe das Abarth-Doppel ab. Aus meiner Perspektive wirkt selbst der kleine 595 wie ein Riese. Dabei verschwimmt der im Design des MotoGP-Teams um Valentino Rossi gestylte Abarth durch die massiven Vibrationen im Rückspiegel zu einem zittrigen Brei, weil die über Schubstangen betätigte liegende Feder-Dämpfer-Einheit, die separat in Zug- und Druckstufe einstellbar ist, alle Fahrbahnunebenheiten nahezu ungefiltert an das Tatuus-Chassis weitergibt.

Formel 4 und Abarth 595C
Dino Eisele
Nur der gemeinsame Antrieb verbindet den Formel-4-Monoposto und den Abarth 595C als Monster Energy Yamaha Edition.

Zudem mag der 1,4-Liter-Turbo in meinem Rücken das Trödeltempo mit Halbgas überhaupt nicht, er bockt und ruckelt, will gefordert werden. Kaum zu glauben, dass hier der gleiche Motor wie im 595 arbeitet. Im F4 bremsen ihn aber keine Partikelfilter, dazu liegt er mittig längs statt vorne quer und treibt die Hinter- anstelle der Vorderräder an. Nach einer Runde sind die Fotos im Kasten, und die Begleitfahrzeuge biegen ab in die Box.

Fünf Runden im Renntempo

Der rechte Fuß senkt sich schlagartig aufs Bodenblech. Schaltblitze am oberen Lenkradsteg jagen in Sekundenbruchteilen in den roten Bereich. Das Gas bleibt durchgedrückt, während das rechte Schaltpaddel den nächsten Gang reinhämmert – Kuppeln ist zum Glück nur beim Anfahren und Anhalten nötig. Von einem unsichtbaren Gummiband gezogen, schnippt der Rennwagen in unter vier Sekunden auf Tempo 100, ab 150 km/h drückt der Fahrtwind den Helm an die Rückwand. Im sechsten Gang bei Ü-200 schlüpft der Wind unters Kinn und reißt den Kopf nach oben, sodass die Nackenmuskulatur mit voller Kraft dagegenhalten muss.

Am Ende der Start-Ziel-Geraden – die in Wirklichkeit eine seichte Ungerade ist – stehen bis zu 240 km/h auf dem Digitaldisplay. Statt auf letzter Rille hart anzubremsen, habe ich Piccinis Rat in den Ohren: "Sanft rantasten und 100 bis 50 Meter früher als Hamda bremsen." Die Augen peilen mittels der an doppelten Dreiecksquerlenkern frei aufgehängten 13-Zoll-Räder die erste S-Kurve an. Viel mehr sieht man ohnehin nicht über den hohen Rand der Carbonzelle. Bremse lösen. Erst jetzt stark nach rechts, dann links einlenken – was auch ohne Servounterstützung kaum Kraft erfordert. Am Kurvenausgang die kommunikative Lenkung langsam immer weiter öffnen und parallel den Gasfuß senken. Das Heck zuckt. Gegenlenken – das war zu ungestüm für die noch kalten Reifen.

Die lang gezogene Biassono-Kurve geht voll, du musst dich nur trauen. Denn die G-Kräfte ziehen den Körper nach außen. Auf dem welligen Belag scheint der Renner bei jedem Schaltvorgang leicht zu versetzen. Gleichzeitig spürst du, wie die Aero mit jedem km/h mehr den Formelwagen niederdrückt. Und das obwohl Front- und Heckflügel auf dem High-Speed-Kurs mit rund 70 Prozent Vollgasanteil nur spärlich bestückt sind.

Anbremsen, diesmal etwas später und mit mehr Pedaldruck. Rauch steigt auf. Die Vorderräder blockieren leicht, denn ABS hat ein Formel 4 nicht. Parallel dazu runterschalten in den Dritten und die Randsteine sanft mitnehmen. Es folgen die zwei Lesmo-Kurven. Die erste ist eine lange Rechts mit blindem Ausgang. Nummer zwei hingegen macht früh zu und braucht mehr Lenkwinkel. Die vom Coach angemahnte lineare Blickführung ist hier unerlässlich, um die ganze Straßenbreite auszunutzen und so viel Speed auf die Serraglio-Passage mitzunehmen. Die Schatten der Baumriesen, die hier direkt neben der Strecke im Königlichen Park thronen, fliegen vorbei, und der Tunnel kündigt die gefährlichste Stelle des GP-Kurses an: Ascari.

Aus weit über 200 km/h wirft man den Anker, räubert über den linken Curb in eine lang gezogene Rechts-Links-Kombination. Wer hier zu stark schneidet oder unbedarft angast, verliert schnell das Heck und findet sich in einer Mauer wieder. Wie zur Warnung dokumentieren zahlreiche schwarze Streifen auf dem Asphalt die Einschläge der Junioren. Ein Totalschaden wäre mit rund 55.000 Euro doppelt so teuer wie die auf 2.000 Exemplare limitierte Monster Energy Yamaha Edition des 595. Ein Schnäppchen – verglichen mit den Kosten einer Rennsaison, die mindestens 350.000 Euro betragen.

Formel 4 und Abarth 595C
Dino Eisele
Der 1,4-Liter-Turbo in meinem Rücken mag das Trödeltempo mit Halbgas überhaupt nicht, er bockt und ruckelt, will gefordert werden.

Doch daran denke ich jetzt natürlich nicht. Im fünften Gang geht es mit Vollgas auf die Gegengerade. Erneut dreht sich der Abarth-Motor im sechsten Gang bei 6.000 Touren in Ekstase. Dann die letzte Kurve: Parabolika. Spät anbremsen. Der Carbonrenner tänzelt leicht. Die jungen Profis nehmen beim Herausbeschleunigen den grün bemalten Randasphalt voll mit. Doch ich folge Piccinis eindringlichem Appell: "Stay on the grey!", auch in den folgenden vier Runden. Als die schwarz-weiß-karierte Flagge fällt, stehen knapp zehn Sekunden Respektabstand zur Teamkollegin auf der Stoppuhr. Zurück in der Box, gibt es dafür vom Mentor einen Schulterklopfer mit anschließender Videoauswertung. Ganz so wie bei einem echten Rennfahrer.

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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

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