Fuso Next Generation E-Canter 2023 im Fahrbericht
So fährt Daimlers neuer Elektro-Truck

Daimler Trucks-Tochter Fuso hat den neuen E-Canter vorgestellt. Wir konnten den stark verbesserten Elektro-Lkw bereits fahren.

FUSO Next Generation eCanter 2023
Foto: Daimler Truck AG

Während andere Lkw-Hersteller noch an ihren elektrischen Erstlingswerken basteln, geht Fuso bereits in die zweite Runde. Das japanische Tochterunternehmen von Daimler Trucks war mit der ersten Generation des E-Canter bereits 2014, damals noch mit Vorserienmodellen, gestartet. Mit dem Beginn der Serienproduktion im Jahr 2017 war Fuso dem Rest der Nutzfahrzeugwelt ein gutes Stück voraus und trägt diesen Vorsprung nun mit dem E-Canter "Next Generation" in die Verlängerung.

Unsere Highlights

Das mit der Verlängerung kann dabei durchaus wörtlich genommen werden. Denn im Gegensatz zur ersten Generation, noch ein Einheitsmodell ohne Wahlmöglichkeiten, stehen nun vier Tonnageklassen und sechs Radstands-Varianten zur Wahl, was die Individualisierungsmöglichkeiten je nach Einsatzzweck erheblich verbessert. In der kleinsten Version startet der E-Canter nun in der 4,25-Tonnen-Klasse und kann in drei weiteren Varianten bis zu einem zulässigen Gesamtgewicht von 8,55 Tonnen bestellt werden. Diese vom üblichen Schema (3,5 bis 7,5 Tonnen) bei den mittelschweren Lkw abweichenden Tonnagen unterliegen einer etwas komplizierten EU-Führerscheinregelung, die vereinfacht dargestellt das zusätzliche Gewicht der Antriebsbatterien berücksichtigt. So kann der 4,25-Tonner mit der B-Fahrerlaubnis und der 8,55-Tonner mit der C1-Lizenz gefahren werden.

Sechs Radstände verfügbar

Durch die verschiedenen Radstände ist der neue E-Canter variabler bei der Batteriegröße. Die Antriebsbatterien werden nun platzsparend innerhalb des Fahrzeugrahmens untergebracht, beim Vorgänger waren sie noch außen am Rahmen untergebracht. Der Grund für diese Verbesserung ist die neue Antriebstechnik. Der alte E-Canter hatte noch die vom Dieselmodell übernommene Hinterachse, die über eine Kardanwelle vom Elektromotor angetrieben wurde. Beim E-Canter Next Generation kommt nun eine E-Achse zum Einsatz: Motor und Getriebe sind in einem Komplettpaket im Hinterachsgehäuse integriert.

FUSO Next Generation eCanter 2023
Daimler Truck AG
Die elektrische Hinterachse ist eine Eigenentwicklung von Fuso.

Die E-Achse ist eine Eigenentwicklung von Fuso und ist mit einer Elektromaschine von Bosch ausgerüstet, ein Permanentmagnet-Synchronmotor mit Wasserkühlung. Für die Batterien greift Fuso auf Module des chinesischen Zulieferers CATL zurück. Hierbei handelt es sich um Lithium-Eisenphosphat-Batterien. Diese gelten im Vergleich zu den in aktuellen E-Autos üblichen Lithium-Cobalt-Dioxid-Akkus als robuster, langlebiger und zyklenfester. Der Nachteil der geringeren Energiedichte ist beim Einsatz im Nutzfahrzeug dagegen verschmerzbar. Je nach Rahmenlänge kann der neue E-Canter mit bis zu drei identischen Batteriepaketen ausgerüstet werden. Jedes Modul verfügt über eine Kapazität von 41,3 kWh, entsprechend kann die Gesamtkapazität wahlweise auf 82,6 oder 123,9 kWh erhöht werden.

Realistische Reichweitenangabe

Für die Reichweitenangaben verwendet Fuso einen eigenen Mess-Standard, der sich von üblichen Labormessungen unterscheidet und vom Hersteller als realistischer dargestellt wird. Dabei wurde das Testfahrzeug mit Kofferaufbau, halber Nennbeladung und mit einer gebrauchten Batterie durchgeführt. In der S-Ausführung mit einer Batterie liegt diese "echte" Reichweite demnach bei 70 km, das M-Paket kommt auf 140 und das L-Paket mit drei Batterien auf 200 Kilometer Reichweite. Das macht gleich deutlich, wo der Einsatzzweck des E-Canter liegt: Nicht auf der Langstrecke. Stattdessen im Fokus: Kommunale Anwender, Lieferdienste und Handwerksbetriebe im städtischen Umfeld, die jetzt vom viel größeren Variantenreichtum profitieren.

Profitiert hat auch der E-Canter, nämlich von der großen Modellüberarbeitung der Baureihe im Sommer 2021. Neben dem modernisierten Außendesign bringt das ein neues Cockpit, dass nun etwas wohnlicher wirkt als im recht spartanischen Vorgänger. Hinzugekommen ist außerdem ein Abbiegeassistent mit seitlicher Fußgänger/Radfahrer-Erkennung. Die Kabine ist besser gedämmt als beim Vorgänger und verspricht damit ein geringeres Geräuschniveau.

Wuchtiger Vortrieb ohne Lärm

Das bestätigt sich gleich auf der ersten Testfahrt mit dem E-Canter, der statt mit rüde nagelndem Diesel ganz flüsterleise seine Bahn zieht, nur der Fahrtwind und die Abrollgeräusche sind zu hören. Das vorherige Einrichten des gut sortierten Arbeitsplatzes ging schnell von der Hand. Das in Höhe und Neigung verstellbare, aber generell Lkw-mäßig sehr flach stehende Lenkrad in die richtige Position gezupft, per Schalterdreh das Fahrzeug "hochgefahren" (es dauert tatsächlich ein-zwei Sekunden, bis ein grünes Symbol die Betriebsbereitschaft signalisiert). Volldigitale Instrumente zeigen alle relevanten Informationen, die Fahrtrichtung wird mit einem kleinen Schalthebel vorgewählt.

Dieser Schalthebel hat außerdem die Funktion, die gewünschte von jetzt vier Rekuperationsstufen vorzuwählen. Vom rekuperationsfreien "segeln" bis zu einer sehr starken Verzögerung (und damit Stromgewinnung) beim Lupfen des Fahrpedals sind diese Stufen praxistauglich, besonders im Stadtverkehr ist damit das "One-Pedal-Driving" ohne Einsatz der mechanischen Bremsen sehr gut möglich.

Wirklich überraschend ist der Antritt der E-Maschine. Je nach Gewichtsklasse leistet der E-Canter 110 kW (150 PS) oder 129 kW (175 PS). Hört sich nach gar nicht mal so viel in einem Lkw an, ist aber dank des E-typisch vom Stand weg verfügbaren maximalen Drehmoments (maximal 430 Nm) nicht mit konventionellen Dieselantrieben vergleichbar. Bei voller Beschleunigung des unbeladenen E-Canter ist ein leichtes Reifenquietschen von der Hinterachse vernehmbar, auf losem Untergrund leitet der Spontanschub bei schwerem "Gas"fuß sogar einen kecken Drift ein. Das macht im echten Leben natürlich keiner, Ehrenwort, der E-Canter ist schließlich ein ernstes Arbeitsfahrzeug. Tatsächlich wichtig ist der bemerkenswerte Schub in jeder Lebenslage hingegen, um auf Schnellstraßen aufzufahren, wo der E-Canter auf der Beschleunigungsspur fast wie ein Pkw Tempo aufnimmt und so ein gefahrloses Einfädeln in den fließenden Verkehr ermöglicht.

FUSO Next Generation eCanter 2023
Daimler Truck AG
Auf schlechtem Untergrund ist der Federungskomfort recht herbe, erst recht im unbeladenen Zustand.

Eher rustikal ist das Fahrwerk des Lkw, der vorn wie hinten auf robuste Blattfedern setzt. Der Federungskomfort ist auf schlechtem Untergrund entsprechend mager, ganz besonders ohne Beladung. Der serienmäßige Schwingsitz sorgt allerdings dafür, die groben Stöße auszufiltern. Dafür entschädigt der E-Canter mit einer beispiellosen Wendigkeit. Mit dem kürzesten Radstand liegt der Wendekreis bei 10,8 Meter, mit dem längsten bei 13,4 Meter (Komfortkabine) beziehungsweise 14,0 Meter (Standardkabine). Das ist gleich der Hinweis auf eine weitere Besonderheit des Fuso E-Canter: Er kann mit zwei verschiedenen Kabinenbreiten geordert werden. Die Standardkabine mit 1,7 Meter Außenbreite macht den Wagen bemerkenswert schmal (Gesamtbreite 1.798 mm ohne Spiegel), was im städtischen Einsatz ein großer Vorteil ist. Dennoch lassen sich hier drei Personen unterbringen, wobei es auf der Zweier-Beifahrersitzbank dann natürlich etwas kuscheliger zugeht. Die Komfortkabine bringt innen wie außen einen Breitenzuwachs um 30 Zentimeter. Gemeinsamkeit beider Kabinen ist der bequeme Zustieg über eine niedrige Trittstufe.

Schnellladung mit maximal 104 kW

Nicht ganz unwichtig ist das Thema Laden. Fuso geht dabei von der regelmäßigen Aufladung der Fahrzeuge auf dem Betriebsgelände und nur sporadischem Ad-Hoc-Laden unterwegs aus. Serienmäßig integriert sind AC- und DC-Lader. Mit Wechselstrom ist die Ladeleistung auf 11 kW begrenzt, am Gleichstrom-Schnelllader auf 70 kW. Bei den schweren Ausführungen mit der stärkeren 129 kW-Maschine sind 22 kW (Wechselstrom) und maximal 104 kW (Gleichstrom) Ladeleistung möglich.

Eine Preisangabe ist im Nutzfahrzeugbereich mit den zahlreichen Konfigurationen – allein mit den ab Werk lieferbaren Aufbauten sind bereits 42 Varianten des E-Canter möglich – kaum exakt darstellbar. Fuso spricht vom Faktor 2,1 gegenüber einem vergleichbaren Diesel-Canter, der Stromer kommt entsprechend ungefähr doppelt so teuer. Allerdings sind Kostenreduzierungen durch öffentliche Förderprogramme, Steuererleichterungen oder auch Maut-Einsparungen zu berücksichtigen. Den Verbrauch beziffert Fuso mit 56 kWh auf 100 Kilometer, auch hier ist die individuelle Situation beim Kunden beziehungsweise die jeweiligen Stromtarife entscheidend, um den Kostenvorteil gegenüber einem Diesel-Modell zu errechnen. Fuso bietet den Canter außerdem im regulären Leasing und in einem Full-Service-Leasing an.

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Ja - die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Hersteller bekommen das anscheinend hin.Nein - hier muss nach wie vor ein Verbrennungsmotor ran.

Fazit

Mit der zweiten Generation des E-Canter profitiert Fuso von den umfangreichen Erkenntnissen, die bei rund 500 Vorgängermodellen in Kundenhand gewonnen werden konnten. Entsprechend fokussiert sind die Verbesserungen gegenüber der ersten Generation vorgenommen worden. Das Gesamtpaket ist stimmig und der Variantenreichtum nun groß, was das Modell für zahllose Transport- und Arbeitsaufgaben im innerstädtischen Bereich und in Ballungsräumen denkbar macht. Die Bedienung ist denkbar mühelos, die Wendigkeit und die kompakten Abmessungen bringen im Großstadtverkehr echte Vorteile. Klar ist aber auch: Für den Fernverkehr geht aktuell auch bei Fuso nichts am Dieselmotor vorbei, für tägliche Fahrstrecken von mehreren hundert Kilometern ist der E-Canter selbst mit dem größten Batteriepaket nicht wirklich geeignet.

Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024

Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten