Land Rover Defender 110
In Namibia darf sich der Neue offroad beweisen

Über 70 Jahre nachdem der erste Landy losroverte startet Nummer zwei. Zumindest wenn man die Herumdoktereien an Nummer eins im Rhythmus der Dekaden mal außen vor lässt. Kann er die Position seines Vorgängers verteidigen. Oder schafft er eine ganz neue? Wir fahren es raus. Offroad in Namibia!

Land Rover Defender 110, Exterieur
Foto: Land Rover

Wir sind guter Hoffnung, dass es dem armen Kerl wieder gut geht, der den elektronischen Big Bang beim neuen Defender erklären muss. Endete die Konnektivität früher bei kratzigem UKW-Klang, einem schnarrenden Funkgerät oder einem kernigen Hupsignal verbunden mit einem zünftigen Fluch, wenn sich in der Pampa irgendwelches Viehzeug vor der Haube lümmelte, gehen im Defender zukünftig die Bits und Bytes steil. Wir sagen nur: Eva 2.0 (Elektronikarchitektur), Pivi (Infotainmentsystem), Snapdragon (Prozessor), QNX (Betriebssystem) und Over the Air-Updates. Tja, wir haben 2020, und da kann und will der berühmteste aller Land Rover nicht zurückstehen.

Unsere Highlights

Wer mag, kann also an der Bar mit den 85 Steuergeräten seines Defender kokettieren, den 21 Datenpunkten die konstant verarbeitet werden, den 14 Modulen, die stets upgedatet werden. Und solange man "Authentifizierungssteuerung" noch nuschelfrei über die Lippen bringt, ginge auch noch ein Gin Tonic mehr.

Historie? Von gestern. Der Defender ist für heute und morgen

Wobei das aber eigentlich schade wäre, denn Fahren kann der Neue vorzüglich. Besser als alles, was bisher defenderte. Okay, das ist jetzt auch nicht sooo schwer. Es beginnt schon mit der Sitzposition, die man diesmal doch tatsächlich mit unter Berücksichtigung des menschlichen Körpers entwickelte.

Land Rover Defender 110, Exterieur
Land Rover
Die Sitzposition hat man in der neusten Ausgabe des Landy unter Berücksichtigung des menschlichen Körpers entwickelt.

Kaum sind 70 Jahre um, da kommen sie auf Ideen… Nun, das Original sollte ja auch nicht verzärteln, sondern richtig was wegschaffen, arbeiten. Es entstand unter den Vorzeichen seiner Zeit. Was übrigens auch für den Neuen gilt, aber das nur nebenbei.

Widmen wir uns doch noch mal kurz dem Urtyp. Damals, 1946 schaute sich Maurice Wilks kurz den Willys Jeep seines Nachbarn an, und überzeugte seinen Bruder, auch so etwas zu bauen. Da die Brüder Chefentwickler und Direktor der Rover-Werke waren, lief die Sache. Es kursiert noch eine andere Legende, dass Mister Wilks die Konstruktion mit dem Finger in den Sand am Strand pinselte.

Wate mal ab…

Egal wie, so geht das heute natürlich nicht mehr. Das wäre ja, als ob man beim Joggen einfach losliefe. Heute brauchst Du schon Wearables, Karbonplattensohlen, exakt getaktete Musik und mindestens die Strava-App zum Teilen den Taten. Deshalb geht auch der Defender mit der Zeit. Andererseits: so wie der Fußball noch nie so schnell, die Marathonzeiten noch nie so niedrig waren, fuhr der Landy noch nie so geschmeidig (er war noch nie irgendwie geschmeidig), so vielseitig, und vor allem so nutzerfreundlich.

Es beginnt im Innenraum, der 20 Millimeter höher liegt, als bei üblichen SUV und dank der quadratischen Karosserieform gute Übersicht bietet. Und das Cockpit? Luftig, geräumig mit reichlich Ablagen und noch mehr Anschlüssen für USB, 12 Volt und Co (sie haben Kinder? Die werden das lieben…).

Der Armaturenträger ebenso rustikal wie stilsicher arrangiert und dank eines soliden Magnesium-Querträgers, der Teil der Karosserie extrem steif. Was ebenso überzeugt wie die klar beschrifteten Tasten und die Instrumente. Entweder volldigital in sachlich-analoger Anmutung oder in der Basisvariante ebenso übersichtlich teilanalog. Der Zehnzoll-Bildschirm in der Mitte stört nicht, gefällt mit feiner Grafik und zeitgemäßem Infotainment-Angebot, ohne sich optisch aufzudrängen. Wer keine Lust hat selbst zu singen lässt die optionale Meridian-Anlage musizieren.

Land Rover Defender 110, Interieur
Land Rover
Der Zehnzoll-Bildschirm in der Mitte stört nicht, gefällt mit feiner Grafik und zeitgemäßem Infotainment-Angebot.

Doch eigentlich spielt die Musik im Gelände. Du dorthin dürfen auch Menschen, die nicht mit Differenzialsperren, Sandbrettern uns Stöckern zur Wat-Tiefenmessung groß wurden. Stichwort Terrain Response 2, ein Strauß ausgefuchsterer Fahrprogramme, die alles nach Wunsch einrichten beim Kraxeln und Wühlen helfen helfen, beim Waten dienstbar alle Luftklappen schließen, Lüftung auf Umluft stellen, die Wassertiefe checken (bis zu 900 Millimeter sind möglich) um danach behutsam die Bremsscheiben wieder trocken zu bremsen. Wem die voreingestellten Programme zu profan erscheinen, der darf sich nun erstmals ein eigenes konfigurieren.

Sie merken schon, dieser Defender (ab 55.600 Euro) ist ein guter Typ. Luftgefedert (je nach Version), mit enorm steifem Alu-Chassis (grundsätzlich), bequemen Sitzen und zeitgemäßem Interieur. Sowie zeitgemäßen Motoren. Und nicht vergessen: einem ordentlichen Trainingszustand. Den musste er neben vielen anderen Checks während seiner Entwicklung unter anderem bei einem harten Bordsteintest beweisen.

Wir wollen aber nicht über Bordsteine kraxeln, Einkaufstüten nutzlasten oder in Boutiquen-Scheiben narzissen, sondern den Landy standesgemäß rannehmen, einstauben, rumkraxeln. landrovern halt. Wo? Och, Namibia wäre doch nett für sowas. Schon klar, entwickelt wird in England, aber in Afrika war und ist so ein Defender ja auch zuhause. Nicht nur für Daktari-Fans.

Dreiliter-Sechszylinder-Mildhybrid: kultiviert und druckvoll

Als ob er nur auf Auslauf gewartet hätte, nach dem öden Blitzlichtgewitter auf den Messebühnen legt unser 110er los. Sonne, Staub, wilde Tiere. Hier können die beiden zum Start verfügbaren Motoren zeigen, was geht. Am Start sind der 400 PS starke Dreiliter-Sechszylinder-Benziner mit elektrischem Verdichter, Twinscroll-Lader und 48-Volt Mildhybrid. Per integriertem Startergenerator liefert der bis zu 140 Newtonmeter Drehmoment extra.

Land Rover Defender 110, Exterieur
Land Rover
Am Start ist der 400 PS starke Dreiliter-Sechszylinder-Benziner mit elektrischem Verdichter, Twinscroll-Lader und 48-Volt Mildhybrid.

Der stärkere der beiden Zweiliter-Biturbo-Diesel liefert 240 PS und 430 Newtonmeter Mit dem Schalthebel herumrangeln ist bei allen Modellen passé, der Benziner geht ebenso wie der Diesel eine Zwangsehe mit der ZF-Achtgangautomatik ein. Eine gute Wahl, die Box arbeitet kultiviert, mit den Stufen stets auf Ballhöhe. Wie früher sind Allradantrieb samt sperrbarem Mittendifferenzial Standard, auf Wunsch kommt noch ein aktives Sperrdifferenzial an der Hinterachse dazu. Praktisch in hartem Gelände: das zweistufige Untersetzungsgetriebe

Bodenfreiheit, Verschränkung, Traktion: alles da!

Was wir am Van Zyls-Pass gleich mal nutzen. Das steile Biest ist gespickt mit verblockten Felsen. Okay, 1920 haben sie es auch mal mit einem Ford T-Modell geschafft, aber egal. Wir fahren die Karosserie maximal rauf, freuen uns über die kurzen Karosserieüberhänge, fast 30 Zentimeter Bodenfreiheit, 50 Zentimeter Verschränkung und reichlich Traktion. So kraxelt der 2,4-Tonner stoisch von Block zu Block, ungerührt, ungestresst. Er flüstert seinem Fahrer die ganze Zeit zu: "Wir kriegen das hin, alles gut." Und irgendwann sind wir oben. Ohne die umfangreiche Kameraausrüstung, die den Wagen auf Wunsch von allen Seiten zeigt und sogar virtuell durch die Motorhaube gucken kann, genutzt zu haben.

Eine der Kameras schaut nach hinten, das Bild lässt sich im Innenspiegel aufrufen. Praktisch, wenn die Sicht nach hinten versperrt ist, etwa wenn der optionale Mittelsitz vorn als Alternative zur konventionellen Konsole oder freiem Durchstieg am Start ist. Für lange Strecken kaum tauglich dürfte der kultige Klappstuhl vor allem Kinder erfreuen. So wird der fünf Meter lange Defender 110 wahlweise zum Fünf-, Sechs oder Siebensitzer, der etwas später erscheinende, kürzere 90 (ab 49.700) maximal zum Sechssitzer.

Schneller Swing in tiefem Sand? Yes, please!

Doch nun wird erstmal der 110er zum Wüstenprofi, Richtung Skeleton Coast warten heftigen Sandpassagen und ausgetrocknete Flussbetten. Mächtige Staubfontänen begleiten uns beim Herausbeschleunigen aus Kurven, der Landy nimmt Tempo auf, der lange Radstand fördert die Stabilität, selbst in Spurrillen kannst Du das Tempo lässig halten.

Egal ob 18 Zoll-Stahlräder oder die größten 22 Zoll-Alus, der Außendurchmesser beträgt immer 815 Millimeter. Die Lenkung gibt stets genug Rückmeldung ohne je nervös zu werden. Beim Gaswegnehmen dreht der Defender zart ein, um den Radius zu verkleinern, ohne dir querzukommen. Das hilft beim zügigen Swing auf losem Untergrund, sei es Sand oder Schotter. Wer übermütig geworden mal eine Welle übersieht wird von der Luftfederung vor harten Schlägen geschützt. Sie arbeitet progressiv genug, um Durchschlagen zu verhindern.

Land Rover Defender 110, Exterieur
Land Rover
Die Dreieckslenker vorn und die Multilenkerachse hinten schlucken mit Luftfedern und Bilstein-Adaptivdämpfern Unebenheiten und halten Bodenkontakt.

Kleine Sprünge? Kein Thema. Defender goes Rallye. Na ja, ein bisschen. Der Benziner schiebt ebenso leise wie mächtig, die Dreieckslenker vorn und die Multilenkerachse hinten schlucken mit Luftfedern und Bilstein-Adaptivdämpfern Unebenheiten und halten Bodenkontakt. Im Notfall interveniert das ESP. Manchmal etwas zu früh, aber lieber auf der sicheren Seite bleiben.

Gib ihm was aufs Dach

Immerhin kann der Defender bis zu 168 Kilogramm dynamisch aufs Dach nehmen, 300 Kilogramm statisch, wichtig für Freunde gepflegten Dachzeltens. Gepäckraum rund 2.400 Liter, Anhängelast 3,5 Tonnen, Zugfestigkeit der Schleppösen 6,5 Tonnen. Man weiß ja nie. Die optionale Winde funktioniert jedenfalls hervorragen, wie wir an einer zu optimistisch genommenen tief ausgefahrenen Rinne lernen. Hier hilft nicht mal mehr die per Luftfederung abrufbare Reserve-Bodenfreiheit, die die zunächst anliegenden 70 Millimeter um weitere 75 erhöht: der Defender sitzt auf seinem – glatten – Unterboden auf.

Zum Glück rettet das Partnerauto per Winde. Wäre ja auch schade, wenn das gute Stück – so wie viele Schiffe – an der Skeleton Coast für immer gestrandet wäre. Wir wollen ihn schließlich auch noch beim Boutiquen-Hopping erleben. Dass er Offroad kann wissen wir ja jetzt.

Fazit

Man kann den alten Defender lieben. Aber man muss den Neuen mögen. Stilsicher, komfortabel, zeitgemäß. Klar kannst Du ihn nicht mit Rödeldraht und Vorschlaghammer reparieren, aber das ging beim Vorgänger ja auch schon lange nicht mehr. Dafür kommt einem der Neue mit Komfort, Ergonomie und Handling entgegen. Einkaufbummel, Familienurlaub, felsiger Pass oder tiefer Wüstensand: der Kerl steht dir bei. Wer befürchtet hat, aus dem Tool wurde ein Toy, sieht sich getäuscht. Insofern dürfte es dem armen Kerl, der den elektronischen Baukasten des Defender erklären darf, gut gehen.