Offroad-Monster-SUV Mercedes EQC 4X4² (2020)
Grenzenlos hoch zwei

Mercedes hat es wieder getan: Die Ingenieure lassen einen Extrem-Offroader, Prädikat 4x4², von der Leine. Dieses Mal auf Basis des Elektro-SUV EQC 400.

SPERRFRIST 13.10.20 00.01 Uhr Mercedes EQC 4X4² Offroad Fahrbericht
Foto: Patrick Lang

Während die automobile Welt noch grübelt, wo es mit der Elektromobilität hingehen soll, denkt Mercedes längst über den Fahrbahnrand hinaus. Weit weg von urbanen Mobilitätslösungen, Ladesäulen und Stop-and-Go-Verkehr. Der Mensch muss zurück in die Natur, raus an die frische Luft. Mal wieder Dreck unter den Fingernägeln haben, Schlammspritzer auf der Hose, Sand im Schuh. Im Schatten einer Pandemie sind es eben kleine Freuden statt großer Reisen. Obgleich diese Reise irgendwie doch eine große ist.

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Nun, wo kommen einem denn ein allzeit verfügbares Drehmoment und ein konstruktionsbedingt niedriger Schwerpunkt zupass? Exakt: Im steinigen Geläuf des Mercedes Prüf- und Testgeländes In Geisingen bei Immendingen. Steile Hügel, tiefe Sandgruben und fiese Wasserlöcher reihen sich hier aneinander. Was sie allesamt vereint: Sie stellen keinerlei Hindernis für den EQC 4x4² dar. Der reckt sich 20 Zentimeter weiter in die Höhe als sein Serienpendant und wirkt mit den Zehn-Zentimeter-Kotflügelverbreiterungen aus dem 3D-Drucker wie aus einem Science-Fiction-Epos gegriffen.

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Konstantin Tschovikov
Nichts von dem, was Sie hier auf dem Foto sehen, ist ein Hindernis für den extremen Offroad-EQC.

Doppelte Bodenfreiheit

Der Extrem-Offroader hat seinem Spenderfahrzeug im Gelände umbaubedingt einiges voraus. So hat sich die Bodenfreiheit mit 293 Millimetern mehr als verdoppelt (Serie: 140 Millimeter); Gleiches gilt für den Rampenwinkel, der von 11,6 auf 24,2 Grad klettert. Am Fuß eines Geröllgebirges helfen die Böschungswinkel von 31,8 Grad vorne und 33 Grad hinten (Serie 20,6 und 20 Grad). Im Gewässer profitiert der 4x4² von 400 statt 250 Millimetern Wattiefe. Bleibt die Frage, wie die Verantwortlichen das technisch angestellt haben.

So viel vorab: Es stecken keine Teile aus Unimog oder G-Klasse im elektrischen Gelände-Pflug. Statt Starrachsen setzt das interdisziplinäre Entwickler-Team rund um Jürgen Eberle auf Mehrlenker-Portalachsen. Vorne kommt aber nicht wie beim G-Modell eine Doppelquerlenker-Variante, sondern eine Vierlenker-Achse zum Einsatz. Dadurch entsteht ein erstaunlich kompakter Wendekreis, ohne dass die über 20-Zöller gespannten Gelände-Pneus am Auto scharren. Stattdessen neigen sich die Reifen in die Kurven-Richtung. Angesichts der im Vergleich zum Serien-EQC deutlich gewachsenen Ausmaße ist das am Steuer ein fast surreales Erlebnis. Es fühlt sich an, als könnte der 4x4² im rechten Winkel ums Eck fahren.

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Die opulenten Kotflügelverbreiterungen kommen aus dem 3D-Drucker.

Radmitte ungleich Achsmitte

Das eigens für den Offroad-EQC konzipierte und gebaute Fahrwerk sitzt an den gleichen Aufnahmepunkten wie das Serienfahrwerk. Der wesentliche Unterschied beim Einsatz von Portalachsen besteht darin, dass Rad- und Achsmitte sich nicht überlagern. Durch die Portalgetriebe an den Achsköpfen sitzen die Räder deutlich unter der Achse. Oder anders ausgedrückt: Das Auto wird in die Höhe gestemmt. Um nochmal den "G" zu bemühen: Die Gelände-Ikone liegt fast sechs Zentimeter tiefer als der EQC 4x4².

Im Innenraum unterscheidet den Geländegänger auf den ersten Blick nichts vom Serienmodell. Erst wenn man sich durch die Fahrmodi klickt, fällt auf, dass da plötzlich "Offroad" und "Offroad+" zur Wahl stehen. Zudem gibt es eine Downhill Speed Regulation (DSR), zu Deutsch: Bergabfahrhilfe. Die neu implementierten Modi helfen mit einem verbesserten Drehmomentverlauf inklusive gezielten Bremseingriffen auf losem Untergrund. Im Fahrbetrieb hat der Pilot damit das Gefühl, nichts könne ihn aufhalten. Und sei die Sandgrube noch so tief, der EQC 4x4² gleitet vorwärts, als träfen die Räder auf einen handelsüblichen Feldweg.

Zum Glück mit Kamerasystem

Hebt der martialische EQC mal das Beinchen, hält das System das in der Luft stehende Rad still und schickt die Kraft dorthin, wo Kontakt zum Untergrund besteht. Mit insgesamt 300 kW und 760 Newtonmetern stemmt sich der Elektro-SUV so locker aus jeder Grube. Doch auf dem Offroad-Spielplatz in Geisingen geht es nicht nur durch Vertiefungen, sondern mitunter auch steil bergauf. Manche Hügel recken sich derart senkrecht gen Himmel, dass vom Cockpit aus die Vögel auf dem Weg nach Süden beobachtet werden können. Hier kommt die 360-Grad-Kamera sehr gelegen.

Versagt nämlich die Steigung den Blick auf die, nun ja, nennen wir es "Fahrbahn", dann gibt das Kamerabild im Infotainment-Screen Aufschluss darüber, was oben hinter der Kuppe wartet. Das kann mitunter auch mal eine scharfe Linkskurve sein, die sich gleich nach dem Aufstieg wieder in Richtung Tal stürzt. Untermalt wird der Ausflug ins raue Gelände von eigens komponierten Klangwelt. Der EQC 4x4² sieht also nicht nur gewaltiger aus als ein herkömmliches Elektroauto. Er klingt auch so, als verlange er nach Respektsabstand.

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Konstantin Tschovikov
Sandgrube? Welche Sandrube?

Während im Serienfahrzeug Lautsprecher in den Stoßfängern für das gesetzlich vorgeschriebene Außengeräusch sorgen, haben die Ingenieure dem Offroader Lautsprecher in Front- und Heckscheinwerfer gepackt. Im Stand umgibt den 4x4² ein energetisch aufgeladenes, dumpfes Wabern. Während der Fahrt beeinflusst ein Algorithmus auf Basis von Pedalstellung, Tempo oder Rekuperation den Sound, der durch den Innenraum surrt. Die vermeintliche Spielerei soll der Emotionalisierung des Elektroantriebs dienen, aber mal ehrlich: Bei diesem Ungetüm wäre das gar nicht mehr nötig gewesen. Nur ein einziges Problem hat der EQC 4x4² – da wo er hinfährt, gibt es unter Garantie keine Ladeinfrastruktur.

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Der EQC 4X4²

Fazit

Die Emotionalilsierung der Elektromobilität hat im EQC 4x4² einen echten Höhepunkt erreicht. Leider bleibt die Machbarkeits-Studie ein Einzelstück. Wobei: Geben wir die Hoffnung nicht auf, den G 500 4x4² haben sie am Ende schließlich auch gebaut.