Mercedes V 250 Bluetec und VW Multivan 2.0 BiTDI
Die Multitalente im Fahrbericht

Das war ja klar: Mit umfassender Sicherheitsausstattung, noch mehr Platz und vielen cleveren Details bei beflissenem Komfort will es die neue Mercedes V-Klasse mit dem VW Multivan aufnehmen. Und dann fordert der Mercedes den Meister der Großräumerei ausgerechnet in dessen Wohnzimmer heraus.

Mercedes V 250 Bluetec, VW Multivan 2.0 BiTDI, Frontansicht
Foto: Dino Eisele

Der Strand von St. Peter-Ording ist natürlich eine Dreistigkeit. Ein Affront. Also nicht dieser wunderbare, zwei Kilometer breite und zwölf Kilometer lange Sandstreifen an sich. Und auch nur zu Teilen seine Besucher, die von grellen Windjacken und neonfarbenen Stirnbändern geschützt mit ihren Nordic-Walking-Stöcken kleine Löcher in den Sand pieksen, die sich als wirr mäandernde Punktelinien bis zum Leuchtturm von Westerhever ziehen. Die Mercedes V-Klasse fordert den Multivan ausgerechnet am Ort seines größten Ruhms heraus. Der entstand zu einer Zeit, als sich St. Peter-Ording noch als gesundheitsförderndes „Nordseeheil- und Schwefelbad“ um Familienferien bewarb. Verwegene ließen sich schon damals auf Surfbrettern vom Wind über die See fegen, und den ganzen Kladderadatsch dafür packten sie in Bullis. Der Glanz des Wellenreitens strahlte so erfolgreich auf den VW ab, dass er selbst dann lässig wirkt, wenn Superpapi mit ihm eine Monatsladung Höschenwindeln einkauft.

Mehr Platz im VW, Mercedes im cleveren Details

Der VW-Bus, seit 1985 als Multivan mit serienmäßigem Klappbett im Programm, zählt zu den wenigen Autos, die ihre eigene Klasse definieren und regieren. Nun versucht Mercedes nach 1996 und 2003 zum dritten Mal, ihn zu stürzen, diesmal mit der neuen Mercedes V-Klasse. In der Langversion überragt sie den kurzen Multivan um fast 25 Zentimeter, im Radstand sind es 20. Dagegen reckt sich der VW neun Zentimeter höher und maximiert sein Raumangebot auf 9,31 Quadratmetern Grundfläche durch Quermotor und Vorderradantrieb.

Die Mercedes V-Klasse trägt ihren Motor weiter längs im Bug, schickt die Kraft an die Hinterachse. Das kostet ebenso Platz wie die Maßnahmen zum Fußgängerschutz – dafür braucht die Front die ganzen zehn Zentimeter Längenzuwachs auf. Drinnen eröffnen sich noch immer üppige Raumweiten. Wobei es ja nicht nur auf Platz ankommt, im Alltag sind es kleine Details, die ein großes Auto ausmachen. Die doppelte Ladeebene der Mercedes V-Klasse etwa, die exakt auf Höhe der separat öffnenden Heckscheibe beginnt. Oder die zwei Klappkisten in der Zwischenablage, in denen sich kleines Gepäck verstauen lässt, damit es nicht im 1.030 Liter großen Kofferraum herumkullert. Oder der Parklenkassistent, der diesen 5,14 Meter langen Koffer in 6,14 Meter lange Parklücken rangiert.

Schnell parken, clever laden

Dabei lenkt das System nicht nur selbstständig, sondern bremst auch, der Mercedes V-Klasse-Fahrer muss nur noch die Gangstufen wechseln und zum Vorwärtsfahren einen kurzen Gasimpuls geben. Und dann gibt es noch die 360-Grad-Kamera, eine Gegensprechanlage in den Fond, große Ablagen oder besonders funktionale Isofix-Anker an allen Rücksitzen.

Den Mercedes V-Klasse-Testwagen möblieren sechs Einzelsitze, wie beim Multivan gibt es aber auch eine zum Bett umklappbare Dreierrückbank sowie unzählbar viele weitere Konfigurationen. Die Sessel im Fond verrücken längs auf Schienen, können die Lehnenneigung variieren und umklappen. All das geht auch im VW, zudem lassen sich hier die Einzelsitze der mittleren Reihe drehen. In der Mercedes V-Klasse müssen die Sitze dafür ausgebaut und umgesetzt werden, wobei das Ausbauen leichter und schneller klappt als beim VW. Allerdings räumt man die guten Stuben ja nicht permanent um, schon wegen der hohen Gewichte der Sitze: Im VW wiegen sie 39,5 Kilo, die des Mercedes liegen zehn Kilo darunter, wegen der aufwendigen Konstruktion samt Magnesiumrahmen.

An den Sitzen hätten Entwickler und Designer sogar länger gearbeitet als am Cockpit, heißt es bei Daimler. Da bekommt die Mercedes V-Klasse nun das neue Comand-System der C-Klasse. Ja, es ist viel besser als die altertümliche Anlage im Viano und auch dem angestaubten VW-Navi weit überlegen. Doch wie in C- und S-Klasse verirrt man sich leicht in den Menütiefen. Und sich da wieder herauszudrehdrücken, wird durch die Funktionsdoppelung des schrifterkennenden Touchpads nicht gerade leichter. Eingewöhnung braucht zudem die Bedienung des verschachtelten Bordcomputers.

Mercedes V-Klasse mit vielen Helfern an Bord

Er aktiviert auch viele der Fahrassistenzsysteme, die Mercedes nun als Erster in der Van-Klasse anbietet. Die Mercedes V-Klasse fährt das ganze Assistenzarsenal auf: Spurhalte- und -wechselhelfer, Kollisions- und Müdigkeitswarner, Tempolimitanzeige, Falschfahrwarnung, Abstandstempomat, dazu den neu entwickelten Seitenwindausgleich. Denn wenn der Mercedes V 250 Bluetec auf der Autobahn nach St. Peter eilt und oben an der Brücke des Nord-Ostsee-Kanals der Wind zu heftig pustet, bremst das ESP den Mercedes schnell wieder auf seine Bahn zurück.

Dagegen warnt der Multivan optional nur vor törichten Spurwechseln. Will der Seitenwind ihn abdrängen, muss der Fahrer selbst gegenhalten. Doch das gelingt viel einfacher als zu Zeiten der Heckmotorbullis. Von denen hat der T5 allerdings das sachte Fahrwerkswippen übernommen, das auf Pilot und Co. ein wenig truckerig wirkt und bei der Fondbesatzung eine gewisse Seetüchtigkeit voraussetzt. Noch heute fährt nur ein VW-Bus wie ein VW-Bus, auch wegen der hohen Sitzposition und dem steil stehenden Lenkrad.

VW-Diesel bietet mehr Temperament

Der Mercedes integriert seine Passagiere so tief ins Auto, dass er sich für den Fahrer fast schon wie ein Kombi anfühlt. Ein sehr großer und schwerer Kombi allerdings, der zwar erstaunlich handlich selbst durch Parkhäuser kurvt, den jedoch selbst die stärkste Version des 2,1-Liter-Turbodiesels eher besonnen als energisch motorisiert. Im 250 Bluetec leistet der Oelmotor 651 eigentlich 190 PS, legt aber im Overboost-Modus noch mal 14 PS und 40 Newtonmeter drauf. Mit einem kleinen Hochdruck- und einem großen Niederdruck-Turbolader legt die V-Klasse erst homogen los, drückt bei höheren Drehzahlen (wobei es kaum mal mehr als 3.800/min werden) noch engagiert voran. Dazu muss aber schon der deutlich dynamischer programmierte Sport-Modus aktiviert sein, in dem die treffsichere Siebengang-Wandlerautomatik den Mut zu etwas höheren Drehzahlen aufbringt und der Motor viel bissiger anspricht. Wer es gemächlicher mag, wählt den deutlich trägeren Economy-Modus. Der reduziert neben der Leistung des Motors auch die der Klimatisierung und damit den Verbrauch. Laut Bordcomputer lag er mit zehn Litern Diesel pro 100 Kilometer auf Niveau des VW. Dessen Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe legt im Schiebebetrieb den Leerlauf ein, nutzt so den Schwung, in den der Zweiliter-TDI den Bulli gebracht hat. Trotz weniger Leistung zieht der Biturbo temperamentvoller los, selbstzündet zudem kultivierter als der turboschnaubende Mercedes-Diesel. Der versteht sich im Grunde seines Graugussblocks eben noch ganz als Explosions-Kraftmaschine, nagelt mit seinem Radau gegen die sorgsame Geräuschdämmung an und kratzt so am ansonsten so hohen Fahrkomfort.

Mercedes V-Klasse punktet beim Komfort

Für den sorgt neben bequemen Sitzen das Fahrwerks-Set-up. Zwar gibt es nun keine Luftfederung mehr – sie biete keine Vorteile mehr, so die Entwickler, und auf ihre Funktion als Niveauregulierung könne man wegen des knappen hinteren Überhangs verzichten. Stattdessen bekommt der V nun normale Federn an der Schräglenker-Hinterachse. Dazu hat der Avantgarde selektive Stoßdämpfer, die bei milder Fahrweise sacht, bei eiligerer straffer dämpfen sollen. Damit fängt die Mercedes V-Klasse kurze Unebenheiten wie der T5 weich ab, lässt aber nach langen Wellen das Schunkeln sein. Das Dynamische – wer hätte es gedacht – liegt beiden allerdings gleichermaßen wenig. Der VW kommt in schnellen Kurven mit der Vorderachse leicht ins Stampfen, bleibt aber ebenso sicher wie die früh vom ESP eingebremste Mercedes V-Klasse. Mit ihren rückmeldungsschüchternen, indirekt übersetzten Lenkungen sind beide zudem eher auf Wendigkeit als auf Handling abgestimmt.

Am Strand übrigens fährt sich die hinterradgetriebene Mercedes V-Klasse schneller fest als der frontgetriebene VW. Abhilfe schafft der Allradler – der nicht mehr so hochgebockt daherkommt wie der Viano – in ein paar Monaten. Der neue Maßstab der großen Vans ist die Mercedes V-Klasse bei Komfort und Sicherheit aber jetzt schon. Ording completed.

Fazit

V-Klasse: Derzeit bietet kaum ein Auto so viel Platz und kein anderer Van eine solch umfassende Sicherheitsausstattung und mehr Komfort. Dazu überzeugt die V-Klasse mit hoher Variabilität und vielen cleveren Details..

Multivan: Auch nach zwölf Jahren Bauzeit ist er noch eines der großen automobilen Universaltalente: geräumig, komfortabel, variabel. Bald kommt der Nachfolger – mit mehr Assistenzsystemen und modernerem Infotainment.

Technische Daten
Mercedes V 250 Bluetec lang VW Multivan 2.0 BiTDI lang Comfortline
Grundpreis49.183 €52.890 €
Außenmaße5140 x 1928 x 1880 mm5292 x 1904 x 1990 mm
Kofferraumvolumen1030 bis 4630 l657 bis 5000 l
Hubraum / Motor2143 cm³ / 4-Zylinder1968 cm³ / 4-Zylinder
Leistung140 kW / 190 PS bei 3800 U/min132 kW / 180 PS bei 4000 U/min
Höchstgeschwindigkeit206 km/h191 km/h
Verbrauch6,0 l/100 km8,1 l/100 km