Sin Cars Sin R1 im Fahrbericht
Exot mit V8 und 450 PS

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„Sin“ bedeutet im Englischen nicht nur Sünde, sondern steht ab sofort auch für eine neue Sportwagenmarke mit – aufgepasst – bulgarischen Wurzeln. Exklusiver Fahrbericht im 450 PS starken Sin R1 von Sin Cars.

Sin Cars Sin R1, Frontansicht
Foto: Rossen Gargolov

Was haben der Sofia Typ B und der Sin R1 gemeinsam? Es könnte die Millionenfrage beim TV-Quiz „Wer wird Millionär?“ sein. Wir hätten die Million bei Günther Jauch definitiv nicht abgeräumt. Nur ausgewiesene Ostalgiker werden den ersten bulgarischen Sportwagen namens Sofia Typ B kennen. Ab 1985 entstand eine Kleinserie mit Glasfaserkarosserie, Interieur und Motor von Lada. Nach hiesigen Maßstäben hatte der Sofia Typ B allerdings wenig mit einem Sportwagen gemeinsam. 29 Jahre später betritt jetzt mit dem Sin R1 ein ernstzunehmenderer Sportler mit bulgarischen Wurzel die Bühne.

Sin R1 mit ähnlichen Flügeltüren wie Ferrari LaFerrari

Dob-r den, guten Tag Sin R1 – wir treffen den Sportwagen-Novizen nicht etwa im bulgarischen Sofia, Plowdiw oder Warna, sondern in Ludwigsmoos-Königsmoos, einer 1.000-Seelen-Gemeinde 24 Kilometer vor den Toren Ingolstadts. „Hier wird unsere deutsche Niederlassung entstehen“, erzählt Rosen Daskalov, Erfinder des Sin R1 und Gründer der bulgarischen Kleinserienmarke Sin Cars.

Dort wo die „deutsche Niederlassung“ entstehen soll, herrscht heute noch dörfliche Idylle. Ludwigstraße 80, ein 60er-Jahre-Bausparhaus mit Patina. Leise quietschend schwingen die Stahltore der angrenzenden Garage auf. In der verschlafenen Werkstatt dahinter vermutet man eher einen dumpf bollerndern Lanz Bulldog, stattdessen mischt ein Hauch von Miami Beach die ländliche Umgebung auf.

Muskulöse Linienführung, Flügeltüren, die ähnlich wie beim Ferrari LaFerrari weit in die Dachpartie öffnen, eine markante Dachansaughutze à la Gumpert Apollo, eine zerklüftete Heckpartie mit Diffusor, dazu ein kontrastreicher Farbmix aus knallorangem Mattlack und Sichtcarbon – wow, nicht nur das Karosseriekleid des Sin R1, sondern auch seine Größe lässt so manchen arrivierten Sportwagen fast schmächtig aussehen. Mit 4,80 Metern Länge und zwei Metern Breite (inkl. Außenspiegeln 2.251 mm) überragt der bulgarische Neuling den Audi R8 V10 plus (Länge: 4.440 mm, Breite: 1.929 mm), den McLaren 650S (4.512 mm, 1908 mm) und den Ferrari 458 Italia (4.527 mm, 1937 mm).

Sin R1 mit V8 aus der Corvette

Und die Verarbeitungsqualität? War klar, dass so etwas nahe der Audi-Premium-Stadt Ingolstadt kommen musste. Gegen solche Nörglerfragen wehrt sich der in puncto Spaltmaßen & Co. noch im Entwicklungsstadium befindliche, zweite je gebaute Sin-R1-Prototyp mit einem alten Bekannten. Rau und ungezähmt belebt sein V8-Anlassbrabbeln mit der Sanftheit eines Erdstoßes.

Die Achtzylinder-Verbrennungsmelodie verrät sofort, wer uns da die letzten morgendlichen Sandkörner aus den Augen treibt: 6,2-Liter-LS3 mit zentraler untenliegender Nockenwelle, Stoßstangen-Ventiltrieb und zwei Ventilen pro Zylinder – unkaputtbare Technik, die in der Corvette Kultstatus erlangte. Im Sin R1 leistet das GM-Aggregat im Zusammenspiel mit einer selbst angefertigten Abgasanlage 450 PS. „Der LS3 kostet einsatzfähig rund 6.500 Euro. Ein V8-Biturbo aus dem M5 liegt bei 25.000 Euro“, erläutert Sin-Macher Daskalov.

Gott sei Dank, nicht noch ein Biturbo! Der rustikale Saugmotor erwärmt nicht nur akustisch das Gemüt wie ein bulgarischer Rakia- Schnaps, sondern hängt auch so stark am Gas wie Borussia Dortmund trotz Niederlagenserie an Jürgen Klopp. Italienischen Sportwagencharme versprüht derweil das klackende Gangwechselgeräusch des manuellen Sechsganggetriebes von Zulieferer Graziano.

Sin R1-Prototyp ohne Fahrhilfen

Anders als bei Ferrari und bei Lamborghini darf im Sin R1 noch gewählt werden – entweder ein halbautomatisches Getriebe mit Wippenschaltung am Lenkrad oder ein manuelles mit offener Kulissenschaltung. Auch wenn es derzeit noch ein bisschen hakelt, passt letzteres sicherlich besser zum herrlich ungefilterten Charakter des Sin R1.

Stichwort ungefiltert: Neben den dicht zusammenliegenden Alu-Pedalen, die schmales Schuhwerk erfordern, geht der R1-Prototyp derzeit komplett ohne Fahrhilfen an den Start. Ein optionales ABS-System ist derzeit noch gemeinsam mit Bosch in der Entwicklung.

Während der Einarmscheibenwischer mit dem bayerischen Landregen kämpft, ist im Fahrbericht gefühlvolles Anbremsen gefragt. Neben der ABS-freien AP-Racing-Bremsanlage mit Sechskolben-Sätteln und 363-mm-Scheiben rundum trägt der Prototyp nämlich Michelin-Pilot-Sport-Cup-2-Reifen. Kalte Semis bei Temperaturen um den Gefrierpunkt plus eine Bremse ohne ABS können den Pulsschlag ungewollt steigern. Also erst mal ganz gemütlich rollen.

271 Kilometer warten auf uns – von der oberbayerischen Provinz geht es im Fahrbericht, wie kann es anders sein, ins sport auto-Wohnzimmer nach Hockenheim. Knapp drei Stunden Zeit zum Unterhalten. Okay, unterhalten ist im Cockpit des Sin R1 auf der Autobahn so entspannt wie eine tiefgreifendes Gespräch in einer Techno-Diskothek. Der mechanische Gesang des Mittelmotors hat seinen Ursprung dicht hinter dem Rücken der Passagiere. Zwischen Ami-V8 und den OMP-Schalensitzen liegt nur die Monocoque-Trennwand. Gefällt uns – lieber ehrliche Krawallbüchse als überdämmte Sportwagen-Flüstertüte.

300 km/h soll der Sin R1 rennen

Bis zu Tempo 300 sollen in der späteren Kleinserienversion möglich sein. Zur morgendlichen Autobahn-Rushhour kratzt der orange Renner mal kurz die 250-km/h-Marke und punktet dabei mit erstaunlich gutem Federungskomfort und ruhigem Geradeauslauf.

Fest verschnürt in den Sechspunktgurten legt Rosen Daskalov parallel mit seiner Erzählung los. In der Jugend fuhr der Bulgare Kartrennen. Später, nach dem Einstieg ins Berufsleben, blieb der Unternehmer seiner Motorsportleidenschaft treu, bestritt zunächst mit einem E39 M5 Rennen, dann mit einem modifizierten Radical. Im September 2012 begann er zusammen mit einem Team aus jungen Ingenieuren und Designern, seine Sportwagen-Vision zu verwirklichen.

Eine Entwicklungsgeschichte im Zeitraffer. Januar 2013: Präsentation des ersten R1-Prototyps auf der Motorsportmesse Autosport International in Birmingham. Juli 2013: Präsentation beim Goodwood Festival of Speed. September 2013: Straßenzulassung für den Sin R1 in Großbritannien. Januar 2014: Präsentation des zweiten Prototyps auf der Autosport International in Birmingham. Juni 2014: Erneute Teilnahme beim Festival of Speed in Goodwood. Parallel entstanden zwei Rennversionen mit Siebenliter-LS7-V8, mit denen der Firmengründer 2013 und 2014 recht erfolgreich in der britischen GT-Rennserie GT Cup Championship startete.

Sin R1 wiegt 1.296 Kilogramm mit vollem Tank

„In Großbritannien sind Regularien für die Straßenzulassung wesentlich einfacher umzusetzen, und der Markt ist sehr interessant für Kleinserien-Sportwagen“, erklärt Daskalov, der bei der R1-Fertigung mit dem britischen Spezialisten ProFormance Metals zusammenarbeitet. Hier entstand die aus einem komplexen Stahlgitterrohrrahmen bestehende Chassiskonstruktion. Sämtliche Karosserieteile sowie die Fahrgastzelle in Monocoque-Bauweise bestehen aus Carbon-Elementen, die teils in England, teils im bulgarischen Ruse gefertigt werden. Zukünftig soll die Endmontage am neuen Standort im britischen Hinckley (Leicestershire) durchgeführt werden.

Interessanter als die Entstehung der beiden Prototypen und der Sin-Rennwagen ist die Frage, wie schwer der R1 wirklich ist. Sin Cars verspricht ein Trockengewicht von 1.150 Kilo. Ankunft Hockenheim, schnell den 100-Liter-Tank füllen, und ab geht's zur Waage, wo wir den Body-Mass-Index von sämtlichen Testfahrzeugen ermitteln. Die Vorderachslast liegt bei 528 Kilo, während das Gesamtgewicht mit vollem Tank bei 1.296 Kilo liegt. Macht eine Gewichtsverteilung von 40,7 zu 59,3 Prozent.

Und was geht mit einem Leistungsgewicht von 2,9 kg/PS auf dem Kleinen Kurs in Hockenheim? Während die servofreie Lenkung auf den ersten Testrunden im Grenzbereich mit einer messerscharfen Rückmeldung begeistert, ist die Fahrwerksabstimmung des R1-Prototyps insgesamt noch zu weich. Spürbare Karosseriebewegungen begleiten derzeit das Einlenkverhalten. In langsamen Kurven drängt der Sin R1 im Fahrbericht noch leicht ins Untersteuern, während er in schnellen Knicks auf Lastwechsel etwas nervös reagiert.

Schnäppchen ab 88.000 Euro

Kein Wunder, anders als die 2015 anlaufende Kleinserie trägt der Prototyp noch keine Stabis. Eine aussagekräftige Rundenzeit holen wir nach, sobald das einstellbare Fahrwerk mit Pushrod-Aufhängung samt Nitron-Dämpfern feinjustiert wurde. „Wir haben eine sehr gute Fahrwerksabstimmung in der Rennversion ausgiebig erprobt und werden diese nun auf die Straßenvariante adaptieren“, erklärt der R1-Macher.

Und der Preis? Laut eigenen Angaben hat Daskalov bereits zwei Millionen Euro in sein Projekt gesteckt. Der Grundpreis des Sportlers mit den bulgarischen, bayerischen und britischen Wurzeln soll bei 88.000 Euro liegen – erstaunlich niedrig für ein Fahrzeug mit Vollcarbonkarosserie. Da sollte man sich auch nicht an den Lüftungsdüsen (vom Audi TT), den Türöffnern (Mini) oder den Außenspiegeln (Opel Corsa) stören. „Es ist der falsche Weg, mit utopischen Preisen in das Segment einzusteigen. Wir wollen die Interessenten ja nicht abschrecken, sondern begeistern“, sagt Daskalov lächelnd, der bis zu 100 Fahrzeuge pro Jahr verkaufen will.

Mal ein anderer Ansatz als bei den meisten Kleinserienboliden, die oft so schnell wieder von der Bildfläche verschwinden, wie sie gekommen sind. Dem Sin R1 ist zu wünschen, dass ihm das Schicksal als One-Hit-Wonder erspart bleibt.

Technische Daten
Sin-Cars Sin R1 6.2 V8
Grundpreis88.000 €
Außenmaße4830 x 2000 x 1285 mm
Hubraum / Motor6162 cm³ / 8-Zylinder
Leistung331 kW / 450 PS bei 6100 U/min
Höchstgeschwindigkeit300 km/h
Verbrauch15,0 l/100 km