Ferrari California und 365 GT
Generationen-Vergleich Frontmotor-Ferrari

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Kinder, wie die Zeit vergeht: 320 PS aus zwölf Zylindern - damit konnte man 1969 nicht nur im Autoquartett auftrumpfen. Vierzig Jahre später lockt schon der kleinste Ferrari mit 460 PS, dazu reichen ihm acht Töpfe. Ein hochoktaniger Zwei-Generationen-Vergleich der beiden Frontmotor-Gran-Turismo.

Ferrari California, Ferrari 365 GT
Foto: Frank Herzog

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Das haben wir immer schon so gemacht. Wie der Herr, so 's Gescherr. Wer kennt sie nicht, die schlauen Sprüche der Väter, Onkel und Großväter? Was haben wir sie gehasst und uns auf die Lippen gebissen, damals in den sechziger und siebziger Jahren. Und heute? Moderne Zeiten. Die Jungen erklären den Alten, wie die Welt funktioniert. Handy, Internet, Navi - kaum ein Senior, der nicht (gerne) die Hilfe vom Junior in Anspruch nimmt. Ergo: Alles frisch, alles neu, alles besser. Der Fortschritt ist nicht aufzuhalten - und wo wäre dies besser spürbar, als beim automobilen Vergleich Alt gegen Neu?

Unsere Highlights

Was hat sich in 40 Jahren getan bei Ferrari

Die Kandidaten: Ferrari 365 GT, Baujahr 1969, V12-Triebwerk mit 4,4 Liter Hubraum und 320 PS. Der klassische Frontmotor-GT mit 2+2-Sitzkonfiguration für die lange, schnelle Reise. 40 Jahre später: Ferrari California, Modelljahr 2009, Achtzylinder-Frontmotor , 460 PS stark und auch als 2+2-Sitzer positioniert. Schnelle Reise? Kein Problem, gern auch offen, denn der GT lockt mit einem vollautomatischen Klappdach à la Mercedes SL. Komfort plus Leistung also hier wie da - quasi bei Vater und Sohn.

Ein beliebter Stammtisch-Spruch, damals wie heute: Früher war alles besser. Langsam - erst mal einsteigen. Schnell wird klar, dass es Fortschritte bei der Ergonomie gab, denn der Neue passt perfekt wie das Lieblings-Fleeceshirt. Kuschlig, bequem, maßgeschneidert. Mit vielen Ablagen und individuell konfigurierbar bis zur Selbstverleugnung. Augenfälligstes Beispiel: Das Multifunktionsdisplay mit digitalen Temperaturmessern für Kühlwasser und Motoröl links vom Mega-Drehzahlmesser. Und Balken-Diagramm für den Spritvorrat. Genau wie im Toyota IQ. Brrrrr. 

Aura des unsterblichen Ferrari-Mythos

Das traut sich der Alte nicht: Aqua, Olio und Benzina prangt stolz auf den analogen Rundinstrumenten. Wer sich weiter im 365 GT umsieht, fühlt sich wie in einer Zeitmaschine: Unlackiertes Holz, feine Kippschalter, zerbrechlich wirkende Chrombeschläge - hier geht das Herz auf. Man schließt die Augen, inhaliert einen tiefen Zug vom typischen Oldtimer-Duft und verinnerlicht die Aura des unsterblichen Ferrari-Mythos. Enzo forever. Bis einen das Sirren des Anlassers weckt und uns der 4,4-Liter-V12 mit sonorem Röhren ins Jetzt zurückholt. 1. Gang, Kupplung kommen lassen, raus aus der Stadt. Überraschend handzahm folgt der knapp fünf Meter lange GT den Befehlen am Riesen-Steuerrad. Die Servolenkung (Serie!) hilft enorm, agiert aber vergleichsweise indirekt. Dies zeigt sich auch bei der flotten Fahrt über Land, wo der Verbund aus gefühlsarmer Lenkung und zeitgenössischen Ballonreifen im Format 205/70 VR 15 zur Mäßigung animiert.

Technische Ausnahmestellung des Ferrari 365 GT

Doch nach ein paar Kilometern gegenseitigen Aufwärmens spürt man die für damalige Zeiten technische Ausnahmestellung des Ferrari 365 GT: Doppelquerlenker-Aufhängungen rundum, Niveauregulierung hinten und vier Scheibenbremsen waren in den späten Sechzigern sehr fortschrittlich. Und der V12-Motor? Er war schlicht und einfach State of the Art. Das fast in Vergessenheit geratene Ansauggeräusch der drei Weber Fallstrom-Doppelvergaser mischt sich mit dem lasziven Trompeten der Vierrohr-Abgasanlage zu einem Andante furioso und wirkt definitiv intensiver als ein Espresso ristretto.
 
Das direkte Ansprechverhalten - mechanisches Gaspedal plus drei mal zwei Drosselklappen - animiert zum fröhlichen Gasgeben und bringt jedes Nackenhärchen in Hab-acht-Stellung. Dabei gefällt der V12 mit Drehfreude und Durchzug, denn schaltfaules Cruisen beherrscht er ebenso gut wie hochtouriges Fahren. Serienmäßig fünf Gänge portionieren die bei 6.600 Touren fälligen 320 PS. Auch wenn die Fahrstufen präzise einrasten, erfordert der leider ohne offene Schaltkulisse geführte Hebel Nachdruck bei jedem Schaltvorgang. 

Alles lässt sich elektronisch am Lenkrad einstellen

Zeitsprung. Ganz anders der Ferrari California Jahrgang 2009. Nachdem der 4,3-Liter-V8 per Startknopf zum Leben erweckt wurde und heiser-bollernd um Aufmerksamkeit buhlt, muss der erste Gang des Doppelkupplungsgetriebes via Lenkrad-Paddel aktiviert werden. Rein elektronisch. Bits, Bytes und Can-Busse steuern alles, ob Gangwechsel, Gaszufuhr oder den Driftwinkel, der sich mittels Manettino am Lenkrad einstellen lässt.
 
Alles ist aufs problemlose Schnellfahren und maximalen Fahrspaß perfektioniert. Der Tonfall des direkt einspritzenden V8 reicht von sattem Schnurren bis zum kehligen Schreien, grandios. Und der Fortschritt? Der zeigt sich im Spannungsfeld zwischen Verbrauch und Abgasnormen. Schließlich konsumiert der Neue gegenüber dem Alten nur etwas mehr als die Hälfte - und dies trotz knapp 1.800 Kilogramm Leergewicht. Die Masse kommt auch vom elektrohydraulischen Klappdach, das den in Alu-Bauweise gefertigten California in ein Cabriolet verwandelt. Offen reduziert es den Kofferraum spürbar. Hier spielt der 365 GT in einer anderen Liga, ebenso beim Platz auf den Rücksitzen. 

Ferrari California ist mehr GT als Racer

Andererseits ist der California vergleichsweise überirdisch schnell und fahrsicher. Magnetisch gesteuerte Stoßdämpfer, Launch Control, Keramik-Bremsen, F1-Trac - die Welt hat sich drastisch verändert. Trotz der hohen Fahrdynamik: Der California ist mehr GT als Racer, denn er verzichtet keinswegs auf Komfort, wie auch die spürbare Seitenneigung in schnellen Kurven zeigt. Und er gönnt den Passagieren reichlich Platz, zumindest in Reihe eins. Außerdem: Goodies wie Bluetooth, iPod-Kopplung und Navi sind Annehmlichkeiten, die heute jeder Ferraristi zu schätzen weiß.
 
Zurück auf dem Parkplatz stellt sich die Frage: Alt oder neu? Der gelbe GT von 1969 wird mit rund 150.000 Euro günstiger gehandelt als der rote California, für den Ferrari Deutschland aktuell 176.200 Euro aufruft. Nachdenklich stimmt jedoch, dass der 365 im Jahr 1969 nur 71.540 Mark oder umgerechnet 36.578 Euro gekostet hat. Also schnell einen sichern? Nun, es wurden nur 791 Fahrzeuge gebaut. Ein ähnlich schönes Exemplar zu finden, wie es Helmut Eberlein besitzt, könnte länger dauern. Womöglich ähnlich lange, wie die Wartezeit auf den California...

Technische Daten
Ferrari California 4.3 V8
Grundpreis180.596 €
Außenmaße4563 x 1902 x 1308 mm
Kofferraumvolumen240 l
Hubraum / Motor4297 cm³ / 8-Zylinder
Leistung360 kW / 490 PS bei 7750 U/min
Höchstgeschwindigkeit312 km/h
Verbrauch13,1 l/100 km
Die aktuelle Ausgabe
Sport Auto 03 / 2022
Sport Auto 03 / 2022

Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten