Gebrauchte Sportwagen Lancia Delta HF integrale
Rallye-Klassiker als Gebrauchtwagen

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Es gab Zeiten, da schaukelte ein Lancia Delta noch nicht wie eine Sänfte durch die Kurven. Im Gegensatz zum aktuellen Modell flog der Ur-Delta in der Rallye-WM sechs Mal in Folge zum Titel. Wir erinnern uns an den Sportwagen und fuhren den 92er Champion Lancia Delta HF integrale Evo als Gebrauchtwagen.

Lancia Delta HF integrale, Heck
Foto: Rossen Gargolov

Zündung an, der Lampenbaum flammt auf, und das Gruppe A-Monster brüllt mit unrundem Leerlauf los. Fehlt eigentlich nur noch der Weltmeister. Die Nacht der langen Messer kann beginnen. Doch Juha Kankkunen kommt nicht. Kein Wunder, wir stehen auch nicht inmitten von Schneemassen am Fuße des Col de Turini beim Start der legendären Nachtprüfung zur Rallye Monte Carlo. Nein, der Gruppe A-Urschrei erklingt in der unterfränkischen 10.000-Seelen-Gemeinde Goldbach bei Aschaffenburg. Wir sind zu Gast in der Werkstatt von Lancia Delta integrale-Spezialist JMR.

Unsere Highlights

Lancia Delta HF integrale Evo als Straßenversion

Rennhelm auf und losbrezeln: Leider nicht mit der Gruppe A-Replica des 92er Rallye-integrale, der so gut in Schuss ist, als wäre gerade erst die Champagner-Siegerdusche übers Blech gespritzt. Mit sechs Marken-WM-Titeln in Folge (1987 bis 1992) gilt der Lancia Delta bis heute als erfolgreichstes Rallye-Auto. „Für euch habe ich einen Evo 1 vorbereitet“, sagt Ralph Sauer, Chef von JMR. Der 42-jährige hat 1985 bei Lancia gelernt und sich 1992 bei einem Monte-Besuch in den Kompakt-Sportler verliebt: „Da fiel der Entschluss, sich auf 4WD, integrale und Evo zu spezialisieren.“

Ein kurzer Rückblick für alle, denen noch nicht eine Überdosis integrale-Leidenschaft injiziert wurde. Auf der IAA 1979 begann der Lancia Delta seine Karriere: Zuerst mit 75-PS-Frontantrieb. 1982 folgt der Delta GT mit 105 PS, ein Jahr später der Delta HF Turbo (131 PS). Ein erster Trommelwirbel der Lancisti dann 1985: Als Homologationsmodell für die Gruppe B fauchten 200 Delta S4 stradale mit Rohrrahmen, 250-PS-Turbovierzylinder und Schalensitzen auf die Straße. Über den Delta HF 4WD (1986/165 PS) führte der Weg zum Delta HF integrale mit 185 PS, welcher auf der IAA 1987 präsentiert wurde. Lancia zündete weitere Stufen: Im Mai 1989 kam der Delta HF Integrale 16V mit 200 PS. Das Denkmal aller integrale-Anbeter erschuf Lancia 1991 mit dem Delta HF integrale „Evoluzione“ - kurz Evo.

Gebrauchtwagen mit 215 PS und grüner Plakette

Von 1991 bis 1992 entstand der Lancia Delta HF integrale Evo 1 mit Zweiliter-16V-Triebwerk und 210 PS ohne Spielverderber namens Katalysator. In den Exportmärkten Deutschland, Österreich und Schweiz wurde damals ausschließlich eine 8V-Version mit Kat und 177 PS angeboten. 1993 debütierte die letzte Evolutionsstufe, kurz Evo 2, in Deutschland auch Sedici genannt. Nochmals erstarkt toben hier von einem geregelten Dreiwege-Katalysator gereinigte 215 PS. „Der Evo 2 ist sehr beliebt, da er heute eine grüne Plakette bekommt“, sagt der integrale-Spezialist.

Bei Sammlern stehen vor allem die limitierten Sonderserien hoch im Kurs. So, wie der Martini 5, der für den sport auto-Besuch aus dem Winterschlaf geweckt wurde. Bei Nummer 386 von 400 begrüsst nach dem Motorstart plötzlich eine japanische Stimme den Fahrer. „Der Wagen stammt aus Japan, die Begrüssung gibt die Alarmanlage kurz nach dem Motorstart von sich“, erklärt Ralph Sauer schmunzelnd. Im Land der aufgehenden Sonne finden sich heute zum Teil noch gut erhaltene integrale. Höchste Vorsichtig ist bei günstigen Lockangeboten aus Italien und Spanien angebracht.

Als Winterauto ist der Integrale zu schade

„Als Winterauto ist der Integrale heute zu schade“, sagt JMR-Geschäftsführer Sauer. Die Schnäppchen-Tiefstpreiszeit des Lancia Delta HF integrale lag zwischen 1998 und 2000. Seit 2005 haben sich die Preise verdoppelt. Evo 1 16V-Modelle mit 140.000 Kilometer Laufleistung starten bei rund 18.000 Euro. Sondermodelle sind längst in astronomische Preisbereiche abgedriftet. Der Martini 5 mit 79.000 Kilometern liegt bei rund 45.000 Euro. Besonders seltene Exemplare, wie der nur 15 Mal gefertigte Evo 1 „Club Italia“, werden für utopische 150.000 Euro angeboten.

Zurück zum Gebrauchtwagen nach Goldbach: Grummelnd legt der weiße Lancia Delta HF integrale Evo mit den rot-blauen Martini-Streifen, die an den Sponsor des ehemaligen Rallye-Teams erinnern, los. Raus auf die Landstraßen in den Spessart bei Allrad-Wetter: Diesmal schnupft der Rallye-Haudegen keinen vereisten Turini-Schnee, sondern schmierig-feuchten Asphalt lässig weg. Ein Turboloch ist spürbar, von einer Anfahrschwäche kann aber keine Rede sein. Für die Traktion und den Vorwärtsdrang gibt es auch heute noch Lob. Während die Ladedruckanzeige nach oben zuckt, fällt die Tanknadel schnell nach unten. „20 Liter auf 100 sind locker drin, vor allem wenn der dreifach verstellbare Heckflügel ganz oben steht“, erklärt der Delta-Experte.

Kein Dauervollgas und Nachlaufen ist ein Muss

Kein Wunder, dass sich der Lancia Delta HF integrale Evo mit dem cw-Wert eines Scheunentors nur auf eine Höchstgeschwindigkeit von maximal 220 km/h quält. Unter Last untersteuert der Integrale sanft, bei abrupten Lastwechseln tanzt das Heck mit einem emotionalen Seitwärtsschritt. Aufs Anpendeln im Kankkunen-Stil verzichten wir heute mal, schließlich ist dieser Martini 5 ein gut gepflegtes Baby. Aus dem Baby kann aber auch schnell eine zickige Diva werden. „Dauervollgas auf der Autobahn oder Nordschleife mag der integrale nicht“, mahnt JMR-Chef Sauer. Damit wendet er sich vor allem an die Playstation-Fraktion, die „hier in die Werkstatt mit Ken-Block-Kappe reinmarschieren.“ Nicht umsonst trägt sein Import einen nachgerüsteten Turbo Timer. Wer das Rallye-Ass nach der Serpentinen-Jagd achtlos in der Ecke abstellt, schlachtet in kurzer Zeit den Turbolader vom Typ Garrett T3. Nachlaufen ist ein Muss.

„Außerdem gibt es typische Roststellen“, fährt der Delta- Fachmann fort. Frontscheibenrahmen, Radhäuser, Türkanten, Schweller, Wagenheberaufnahmen, die Dachabschlusskante und die Heckklappenkante befällt die braune Pest. Wir reden hier über einen Italiener, da spinnt die Elektrik beinahe schon ab Werk. Beim Lancia Delta HF integrale Evo zeigt das Mäusekino teilweise den falschen Ölstand an. Gebläse, Fensterheber oder Blinkerwählhebel kränkeln gern mal. „Richtig Probleme machen integrale, die nicht regelmäßig gewartet werden“, erklärt Ralph Sauer. Einlaufende Haupt- und Pleuellager führen in solchen Fällen schnell zu Kurbelwellenschäden. Auch der Nockenwellenverschleiß ist ein Thema. Vor allem hochgezüchtete Tuning-Exemplare fallen durch thermische und mechanische Probleme auf.

Der Martini 5 lässt sich nichts anmerken und schlürft eine Spessart-Kurve nach der anderen souverän weg. Dabei bieten die Recaro-Highback-Schalensitze wie ein aktueller Sportler guten Seitenhalt. Ansonsten ist die Ergonomie der Sitz-, Lenkrad- und Padelerieposition eher für den 1,70 Meter großen Durchschnitts-Italiener geschneidert. Alle anderen klemmen sich mit Fahrspaß-Grinsen unter den Dachhimmel oder, wie sport auto anno 1992 schrieb: „Lancia Delta integrale-Fahrer sollten am besten lange Arme und kurze Beine haben, um optimal zu sitzen.“

Technische Daten
Lancia Delta HF Integrale
Grundpreis33.065 €
Außenmaße3900 x 1770 x 1365 mm
Kofferraumvolumen200 bis 940 l
Hubraum / Motor1995 cm³ / 4-Zylinder
Leistung155 kW / 210 PS bei 5250 U/min
Höchstgeschwindigkeit220 km/h
0-100 km/h6,4 s
Verbrauch12,7 l/100 km
Die aktuelle Ausgabe
Sport Auto 03 / 2022
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Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten