McLaren MP4-12C Fahrbericht
Wie fährt sich der britische Ferrari?

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Der McLaren MP4-12C will die Gegner mit 600 PS und rund 1.400 Kilogramm schwindelig tanzen. Ob dem britischen Supersportwagen das gelingen könnte, verrät der Fahrbericht des exklusiven Technik-Spielzeugs.

McLaren MP4-12C, Flügeltüren
Foto: McLaren

Highheels, figurbetonter Hosenanzug und eine blonde Mähne. So manche Mitarbeiterin am McLaren-Firmensitz in Woking sorgt auf den ersten Blick für mehr Aufsehen als das kryptische Kürzel MP4-12C. Kritiker meinen, es gäbe leidenschaftlichere Automobilnamen. Doch hinter der Mischung aus dem Vornamen MP4, den auch alle GP-Rennwagen von McLaren ab 1981 tragen, dem Effizienz-Index 12 und dem Buchstaben C für Carbon versteckt sich der erste richtige Seriensportwagen des F1-Rennstalls: der McLaren MP4-12C.
 
Die Idee ist nicht neu. Von 1993 bis 1997 entstanden 72 Exemplare des Mittelmotor-Dreisitzers McLaren F1 (Hier kommen Sie zu den Gebrauchtwagentipps McLaren F1). Aus der Partnerschaft mit Mercedes (2003 bis 2009) gingen 2153 Modelle des Supersportlers SLR hervor. "Neu ist, dass wir diesmal nicht nur ein neues Auto, sondern auch eine neue Automarke präsentieren", erklärt McLaren-Oberhaupt Ron Dennis. McLaren startet durch: Für 40 Millionen Pfund entsteht in Woking ein neues Produktionszentrum, in dem der 200.000 Euro teure Supersportler ab Mai in Handarbeit gefertigt wird. Zudem steht ein globales Händlernetz mit 35 Vertragspartnern in 19 Ländern startbereit.

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Eigenständiger Supersportler von McLaren

Der Formel 1-Rennstall mit dem Serienwagentraum macht Ernst: 2005 fiel der Startschuss für die intern „Project 11“ genannte Entwicklung eines eigenständigen Supersportlers. Neben statischen Tests im Hightech-Simulator der Formel 1-Abteilung absolvierte bis heute eine Armada von über 50 Prototypen rund eine Million Testkilometer.
 
Das Ergebnis formuliert McLaren-Guru Dennis vor den ersten Journalisten, die den McLaren MP4-12C nicht nur ansehen, sondern auch fahren dürfen, mit einem Satz frei von jeglichem britischen Understatement: „Die Überschrift für ihre McLaren MP4-12C-Geschichte steht schon fest - best handling car ever.“ Auf gut deutsch: der beste Sportwagen aller Zeiten. „So gut wie alle anderen sein, ist nicht gut genug“, fügt McLaren Automotive-Geschäftsführer Antony Sheriff hinzu. Selbstbewusste Sprüche wie im Vorfeld eines Boxkampfes. Dabei sind die Gegner vom Schlage eines Ferrari 458 Italia oder Porsche 911 GT2 RS allesamt Helden der Längs- und Querdynamik.

Cockpit passt wie ein Maßanzug

Als der Stolz auf ihren Nachwuchs schon etwas an den Nerven zerrt, schwingen die Flügeltüren endlich auf. Nein, nicht in Woking. Nach der Werksbesichtigung im Schnelldurchlauf ging’s per Jet zur portugiesischen Rennstrecke Portimão. Klack, Flügeltür zu, erste Kontaktaufnahme: Das Cockpit des McLaren MP4-12C passt Normalwüchsigen wie ein Maßanzug. Zwischen dem breiten Schweller und der freistehenden Mittelkonsolenkonstruktion sitzt der Pilot tief im bequemen Recaro-Schalensitz mit gutem Seitenhalt in einer fahrerorientierten Karbon-Alcantara-Leder-Wohlfühlwelt - umschlungen, aber nicht eingeengt. 

Echte Sportfahrer werden die Ergonomie des Cockpits lieben: wenige Schalter, ein mittiger Drehzahlmesser und eine perfekte Aussicht durch die trapezförmige Windschutzscheibe. Der Blick aus der Cockpit-Kanzel lässt LMP-Gefühle aufkommen - die Technik unter der Alu-Karosserie ebenso. Ähnlich wie der Aston Martin One-77 trägt der McLaren MP4-12C darunter ein Kohlefaser-Monocoque, das nur 75 Kilo wiegt. Aus Kostengründen bestehen die Hilfsrahmen für Radaufhängungen, Motor und Getriebe aus Alu. Leichtbau, der Wirkung zeigt: Mit 1.434 Kilogramm soll der Brite vollbetankt rund 100 Kilo leichter als ein Ferrari 458 Italia sein.

McLaren mit 600 PS starkem V8-Biturbo

Für den Titel des McLaren MP4-12C in der ersten Sportwagenliga feilten die Entwickler im F1-Windkanal lange an der Aerodynamik: Um einen Gesamtabtrieb von 180 Kilogramm bei 240 km/h zu erreichen, wurde auch ein mittelmäßiger cW-Wert von 0,37 akzeptiert.
 
Ein Knopfdruck, kurzes Anlasserrasseln - der V8-Biturbo mit 600 PS und 3,8 Liter Hubraum erwacht im McLaren MP4-12C sonor grummelnd zum Leben. Hier schreit zwar kein Nachbarschafts-Kaltstart-Schreck auf, aber im Vergleich mit anderen Turbo-Vertretern überzeugt der intern als M838T bezeichnete Mittelmotor mit kernigem Ansauggeräusch. Gefühlter Schub: Irgendwo zwischen Nissan GT-R und Porsche 911 GT2 RS - kurz: ausreichend Leistung.
 
Bereits ab 1.500/min liegen rund 400 Nm Drehmoment an. Das spontane Ansprechverhalten erinnert dabei etwas an einen Saugmotor. Turboloch? Nix dergleichen, hier prügelt keine Turbo-Keule zeitverzögert, aber dann explosionsartig los. Von so einer gleichmäßigen Leistungsentfaltung wie im McLaren MP4-12C hätte Niki Lauda im F1-Siegerauto McLaren TAG-Turbo anno 1984 nur träumen können.

Hecktriebler spurten in 3,1 Sekunden auf 100

Ein Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe von Graziano leitet die Kraft ausschließlich an die Hinterachse. McLaren verspricht Traumwerte für einen Hecktriebler. Ob das McLaren MP4-12C-Projektil mit optionaler P Zero Corsa-Bereifung und samt Launch-Control wirklich in 3,1 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 pfeift, muss ein Test später klären.
 
Messerscharf und präzise folgt der Wagen bei den ersten Runden auf der Rennstrecke Lenkbefehlen. Untersteuern? Fehlanzeige. Neben dem guten Gripniveau der Pirelli P Zero-Reifen nutzt McLaren zudem die sogenannte Brake Steer-Bremsregelung, um Untersteuern zu reduzieren. Das bereits in ähnlicher Form im F1-Fahrzeug von 1997 eingesetzte System bremst im Mclaren MP4-12C durch moderate ESP-Eingriffe das kurveninnere Hinterrad ab. In umgekehrter Form arbeitet das System wie eine elektronisch simulierte Differenzialsperre und soll traktionsfördernd wirken.

Während der McLaren MP4-12C auf dem welligen Asphalt des Autódromo Internacional do Algarve, der phasenweise eher dem Flickenteppich einer ukrainischen Landstraße als einer Rennstrecke gleicht, beim harten Anbremsen aus hohem Tempo im ersten Moment leicht versetzt, stabilisiert wenige Zehntelsekunden später die sogenannte McLaren-Airbrake das Fahrverhalten spürbar. Ähnlich wie beim SLR schnellt auch hier während des Anbremsens über 95 km/h der Heckflügel als Luftbremse nach oben, um der dynamischen Radlastverteilung entgegenzuwirken.

McLaren entwickelt neue Technik

Die optionale Keramik-Bremsanlage von AP Racing packt giftig, aber mit gut dosierbarem Druckpunkt zu. McLaren verspricht Motorsportähnliche Verzögerungswerte: Ob der Neuling wirklich schon nach 30,5 Meter aus 100 km/h steht, bleibt zu klären. Auch in puncto Fahrwerk schlägt McLaren ohne Stabis einen unkonventionellen Weg ein. „Stabis sind eine Lösung, um das Handling zu verbessern, aber unter der dauerhaften Steifigkeit leidet der Komfort im Alltag“, erklärt Fahrdynamikchef Paul Burnham.
 
Ein aufwendiges, elektronisch gesteuertes Hydrauliksystem namens Proactive Chassis Control steuert die Roll- und Wankneigung. Über den rechten Drehregler auf der Mittelkonsole justiert der Fahrer (Modi: Normal, Sport, Track) neben der Fahrwerkshärte auch den Ausgangsbremsdruck für ein spontaneres Ansprechen der Bremse sowie die ESP-Abstimmung. Der fast zügellose Track-Modus macht mit späten Regeleingriffen gut dosierbares Leistungsübersteuern und erfrischende Driftwinkel möglich. „Das ESP kann auch komplett deaktiviert werden. Der McLaren MP4-12C ist aber im Trackmodus ebenso schnell“, verspricht Chef-Testfahrer Chris Goodwin.
 
Verspannte Unterarmmuskeln, weiß angelaufene Fingerknöchel und ein pelziges Gefühl auf der Zunge? Nein, keine Spur von Anspannung im McLaren-Cockpit. Trotz heckbetonter Gewichtsverteilung agiert der Power-Hecktriebler bei den ersten schnellen Runden beeindruckend neutral und leicht beherrschbar. Doch Anspannung und Pulsschlag werden steigen - spätestens am absoluten Limit auf der Nordschleife. Denn die McLaren-Mannschaft hat die Hausaufgaben für eine schnelle Ringzeit scheinbar richtig gemacht.

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Erscheinungsdatum 04.02.2022

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