Doch keine Strafe gegen Alonso
FIA-Blamage nach US-Grand-Prix

Fernando Alonso erhält seinen siebten Platz vom GP USA zurück. Die Sportkommissare revidierten vier Tage nach dem Rennen ihre Entscheidung. Sie gaben Alpine im zweiten Anlauf recht. Der Fall wirft ein schlechtes Licht auf die Sportjustiz der FIA.

Fernando Alonso - Alpine - GP Mexiko 2022
Foto: xpb

Kein Rennen vergeht mehr ohne Kontroversen. Im Mittelpunkt stehen die Regelhüter der FIA, die ihre Sportgesetze in gleichen Fällen unterschiedlich auslegen oder ihr eigenes Regelwerk im Detail nicht kennen. Vier Tage nach dem GP USA wurden die teils chaotischen Zustände nochmals offengelegt. Erst wurde der Protest von Alpine abgewiesen, ein zweites Gesuch dann aber zugelassen. Mit dem Ergebnis, dass Fernando Alonso doch nicht mit 30 Sekunden abgestraft wird.

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So erhält der Spanier seinen siebten Platz zurück. Und damit sechs WM-Punkte. Alpine gewinnt in Summe fünf Zähler für die Team-WM, was dem Rennstall gegenüber McLaren etwas mehr Luft verschafft. Man hat drei Rennen vor Saisonende nun elf statt sechs Punkte Vorsprung auf McLaren. Die nachträgliche Ergebniskorrektur wirft Sebastian Vettel auf den achten, Kevin Magnussen auf den neunten und Yuki Tsunoda auf den zehnten Platz zurück. Der zweite Alpine von Esteban Ocon geht als Elfter leer aus.

Fernando Alonso - GP USA 2022
Motorsport Images
Kein Spiegel, aber Punkte zurück: Fernando Alonso.

Rennleitung ohne Schlüssigkeit

Die Sportkommissare aus den USA fanden sich am Donnerstagabend vor dem GP Mexiko virtuell mit Vertretern von Haas und Alpine zusammen, um den Fall Alonso noch einmal aufzurollen. Alpine hatte Einspruch gegen das Urteil eingelegt, Alonso nach Rennende mit 30 Sekunden zu bestrafen. Was den Spanier aus den Punkten warf. Die Kommissare hatten den Alpine als gefährlich eingestuft, weil am Auto nach dem Auffahrunfall mit Lance Stroll erst der Seitenspiegel baumelte, und dieser später ganz abfiel. Dabei hätte ein Konkurrent getroffen werden können.

Prinzipiell haben sie in ihrer Auslegung recht. Gestützt werden sie vom Regelwerk und vom Urteil des Technikdelegierten. Jedoch hätte die Rennleitung schon während des Grand Prix eingreifen müssen, und Alonso die schwarz-orange-farbene Flagge zeigen müssen. Dann hätte Alpine auch reagieren können. Haas hatte die Rennleitung zweimal aufmerksam gemacht, dass der Spiegel am Alpine lose sei. Der US-Rennstall musste seinerseits Kevin Magnussen in diesem Jahr bereits drei Mal in die Boxenstraße zitieren, nachdem sich der Däne in der Startphase den Frontflügel kaputtgefahren hatte. Die Endplatten waren jeweils beschädigt gewesen.

Magnussen wurde jeweils die schwarze-orange Flagge gezeigt. Alonso nicht. Und auch nicht Sergio Perez und George Russell, deren Endplatten beim GP USA ebenfalls beschädigt waren. Bei Max Verstappen war augenscheinlich der linke Kotflügel nicht mehr astrein befestigt. Hier griff die Rennleitung nicht ein, bei Magnussen zuvor schon. Haas fühlte sich ungerecht behandelt. Und reichte deshalb Protest gegen Perez und Alonso ein. Nicht, um dem Gegner zu schaden, sondern damit gleiche Fälle auch endlich gleich behandelt werden.

Alpine wehrt sich erfolgreich

Der Fall Perez wurde abgewiesen, weil Red Bull nachwies, dass der Frontflügel keine Gefahr darstellte. Unverständlich, denn die Endplatte flog irgendwann weg und hätte einen Gegner treffen können. Gegen Alonso hatte Haas zunächst Erfolg. Alpine wehrte sich seinerseits und erwirkte, dass die Strafe vier Tage später aufgehoben wurde.

Die Franzosen hatten die Entscheidung der Sportkommissare angefochten. Jedoch lehnten diese das erste Gesuch ab. Alpine hatte die Frist von einer halben Stunde überschritten. Das Team hatte seinen Einspruch 1:08 Stunden nach dem Urteil eingereicht. Und der Internationale Sportcode der FIA gebe es nicht her, in dieser Form gegen eine Entscheidung der Stewards zu protestieren. Oder gegen eine einberufene Anhörung.

Allerdings blieb Alpine eine zweite Möglichkeit. Sie nennt sich "Right of Review". Jedem Teilnehmer steht das Recht auf eine Neubewertung innerhalb einer Frist von zwei Wochen zu. Sofern man neue (signifikant relevante) Beweise vorlegen könne. Was Alpine dann auch tat. So wurde also nochmals der Hergang aufgerollt, wie und wann die Sportkommissare überhaupt zu ihrer Entscheidung, Alonso nachträglich zu bestrafen, gekommen waren.

Lance Stroll - GP USA 2022
xpb
Stroll fährt Alonso auf: Die Rennleitung reagiert später nicht, obwohl Haas sie aufmerksam macht, dass der Seitenspiegel am Alpine mit der Startnummer 14 baumelt.

Alpine holt Wörterbuch raus

Jetzt wird es noch komplizierter. Haas hatte seinen Protest mit einer Verspätung von 24 Minuten nach Ablauf der halbstündigen Frist eingereicht. Trotzdem ließen es die Sportkommissare zu. Alpine bekam von der Verspätung aber erst Wind, als die Sportkommissare ihr Urteil öffentlich machten.

Kurios: Haas hatte die Rennleitung nach Rennende um eine Klarstellung gebeten. Die erläuterte unter Führung von Rennleiter Niels Wittich, dass das Team eine Stunde habe, um das Ergebnis per Protest anzufechten. Ein Fehler, denn man hat dazu – wie per Regelwerk festgeschrieben – nur eine halbe Stunde. Die Sportkommissare waren in Austin noch der Haas-Argumentation gefolgt, dass es "unmöglich gewesen" sei, rechtzeitig die notwendigen Unterlagen einzureichen. Vermutlich aufgrund der Auskunft aus der Rennleitung.

Alpine kramte das Oxford-Wörterbuch heraus, um die Definition von "impossible" (unmöglich) vorzutragen. Dieses beschreibt das Wort als etwas, "dass nicht passieren/eintreten oder nicht erreicht werden kann". Jedoch gab Haas bei der Anhörung am Donnerstag (27.10.2022) zu, dass man seinen Protest handschriftlich innerhalb der Frist hätte einreichen können. Es jedoch nicht aufgrund der Ausführung der Rennleitung tat. Haas spielte mit offenen Karten, was nochmals verdeutlicht, dass es dem Team um die Sache ging.

FIA-Präsident schaltet sich ein

Die Sportkommissare folgten jetzt der Argumentation von Alpine. "Unmöglich" stelle in der Tat eine hohe Hürde dar. Und es sei für Haas eben nicht unmöglich gewesen, fristgerecht zu handeln. Dieser Fakt war den Stewards bei ihrer ursprünglichen Entscheidung nicht bekannt gewesen. Der neue Beweis reichte, um das Urteil zu kippen.

Das Chaos wirft kein gutes Licht auf die FIA-Justiz. Und die Rennleitung. Es herrscht dringender Handlungsbedarf, das Regelwerk zu präzisieren beziehungsweise zu entrümpeln und klarzuziehen. Wann ist ein Auto überhaupt als unsicher einzustufen? Und kann man überhaupt noch nachträglich eingreifen, wenn es während des Rennens nicht passiert ist? Vor allem dann, wenn selbst der Zuschauer sieht, dass da ein Teil lose ist.

Jedes Team muss wissen, woran es ist. Die Rennleitung sollte nicht mal so, mal so handeln können. FIA-Präsident Mohammed bin Sulayem hat sich bereits eingeschaltet: Er lässt prüfen, wie die schwarz-orange Flagge zu verwenden sei.