Anti-Dive-Verstellung am Mercedes
So funktioniert der Querlenker-Trick

Mercedes schickte den W15 in Bahrain mit unterschiedlichen Querlenker-Positionen auf die Piste. Wir verraten, wie der Trick mit der variablen Kinematik funktioniert und warum die extreme Anti-Dive-Konfiguration wohl gar nicht mehr zu Einsatz kommen wird.

Mercedes-Aufhängung - Technik - Bahrain-Test - 2024
Foto: Wilhelm

Wer sich die Vorderradaufhängung am Mercedes-AMG W15 an den ersten beiden Testtagen von Bahrain genauer angeschaut hatte, der ahnte schon, dass hier etwas nicht stimmt. Erstens zeigten die Renderings vom Launch-Modell eine ganz andere Positionierung des oberen Querlenkers. Und zweitens zeichneten sich an der Wand des Chassis die Konturen einer ungewöhnlich großen Carbonklappe ab.

Am dritten Testtag auf dem Wüstenkurs in Sakhir rückte der Silberpfeil dann plötzlich in einer neuen Konfiguration aus. Der hintere Arm des oberen Querlenkers war über Nacht mehrere Zentimeter nach unten gewandert. Dass die Anlenkpunkte der Aufhängungselemente leicht variabel sind, ist nichts Ungewöhnliches. Aber eine so große Verschiebung hatte man an noch keinem Auto zuvor gesehen.

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Am dritten Testtag wanderte der hintere Querlenker mehrere Zentimeter nach unten.

Querlenker-Umbau im Training nicht praktikabel

Mercedes ist bekannt für innovative Tricks mit der Mechanik. Wir erinnern nur an die clevere Spurverstellung namens "Dual Axis Steering" am Mercedes-AMG W11 aus der Saison 2020. Mit dem DAS-System konnten die Fahrer den Winkel der Vorderräder während der Fahrt anpassen, indem sie das Lenkrad näher an sich heranzogen oder wegdrückten.

Die nun vorgestellte Verstellung der Querlenker geht nicht ganz so einfach. Der Umbau ist praktisch nur im Rahmen von Testfahrten möglich, wenn über Nacht genügend Zeit für die umfangreichen Arbeiten am Auto bleibt. Selbst für Freitagstrainings an einem Grand-Prix-Wochenende wäre die Aktion eine gewagte Nummer, weil neben dem Umbau selbst auch eine genaue Vermessung notwendig ist.

Anfangs herrschte bei den Beobachtern großes Rätselraten, wie der Trick genau funktioniert. Einige Experten spekulierten sogar, dass der Querlenker in einem bestimmten Bereich stufenlos verstellbar sei. Doch unter der Verkleidung sind an der Chassisröhre nur zwei unterschiedliche Anlenkpunkte versteckt – einer weiter oben und einer weiter unten.

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An der Größe der Carbon-Klappe erkennt man, wie weit die beiden Anlenkpunkte auseinanderliegen.

Keine Verbesserung mit mehr Anti-Dive

Alle anderen Teams setzen bei Ihrer Aufhängung auf eine fixe Kinematik, die sich wie erwähnt nur minimal justieren lässt. Doch nach den Problemen im Vorjahr wollte Mercedes offenbar auf Nummer sicher gehen. Der alte W14 tauchte beim Bremsen zu stark mit der Vorderachse ein. Das störte die aerodynamische Plattform und raubte den Fahrern das Vertrauen.

Durch die Verlegung des hinteren Querlenkerarms nach unten lässt sich die sogenannte "Anti-Dive"-Charakteristik verstärken. Das Auto bleibt beim Verzögern in einer waagerechten Position. Schon die obere der beiden Einstellmöglichkeiten produziert mehr Anti-Dive als das Vorjahresmodell. Mit der unteren Position des Querlenkers wollten die Ingenieure ganz auf Nummer sicher gehen.

Die Übung hätte man sich aber wohl sparen können. Der W15 ist aerodynamisch und mechanisch ein deutlich stabileres Auto als sein Vorgänger, was auch an der neuen Hinterachse liegt, die mit Drehstabfedern und nicht mehr mit Tellerfedern arbeitet. Beim Anbremsen reagiert die Plattform längst nicht mehr so kritisch auf eine veränderte Anströmung.

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Mercedes wird wohl bei der Standard-Konfiguration bleiben. Die unter Position war in puncto "Anti-Dive" etwas zu viel des Guten.

Test bestätigt Simulation

Die extreme Anti-Dive-Einstellung wäre wohl gar nicht nötig gewesen. Im Gegenteil: Beide Fahrer zeigten sich am letzten Testtag deutlich weniger zufrieden mit dem Setup des Autos. Die Verlegung des Querlenkers nach unten führte dazu, dass das Heck in den Bremsphasen und am Kurveneingang deutlich unruhiger wurde. Wir erwarten also, dass der untere Anlenkpunkt am W15 gar nicht genutzt wird.

Die Ingenieure hatten schon vor dem letzten Testtag vermutet, dass sich die veränderte Kinematik eher negativ auf das Fahrverhalten auswirkt. Trotzdem wurde das Experiment durchgezogen, um zusätzliche Daten zu sammeln. Obwohl die Piloten jammerten, werteten die Techniker das Ergebnis als positiv. Immerhin weiß man jetzt, dass man den Simulationen vertrauen kann. Die Korrelation mit der Strecke passt.

Jetzt müssen die Ingenieure nur noch das Problem mit dem Bouncing lösen, über das sich die Fahrer in Bahrain regelmäßig beschwerten. Das sogenannte Porpoising war vor allem dann aufgetreten, wenn das Fahrwerk des Silberpfeils weit nach unten geschraubt wurde, um die maximale Aero-Performance des Unterbodens zu extrahieren. Für den Saisonstart ist beim Setup also mal wieder ein Kompromiss gefragt.

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