Mercedes-Teamchef Toto Wolff zieht Saisonbilanz
„Platz zwei war wichtiger als gedacht“

Mit etwas Abstand zum Saisonfinale von Abu Dhabi zieht Toto Wolff eine nüchterne Saisonbilanz. Der Mercedes-Teamchef erklärt jedoch, warum die Freude über WM-Platz zwei am Ende größer ausfiel als erwartet.

Toto Wolff - Mercedes - GP Australien 2023 - Melbourne
Foto: Wilhelm

Für Mercedes muss die Saison 2023 als Fehlschlag abgehakt werden. Statt dem erhofften Aufschwung gab es 106 WM-Punkte weniger als im Jahr zuvor. Einen Siegerpokal konnte man der heimischen Vitrine in Brackley nicht hinzufügen. Erzrivale Red Bull drehte seine Runden zumeist in einer ganz anderen Umlaufbahn als die schwarzen Silberpfeile.

Teamchef Toto Wolff ist bekannt für klare Worte. Die Saisonbilanz fällt entsprechend nüchtern aus: "Es gab so viele Momente, an denen wir hohe Erwartungen hatten, und es dann nicht so gelaufen ist, wie wir dachten. Brasilien war so ein Beispiel. Da hatten wir im Jahr zuvor so ein starkes Wochenende und 2023 war das komplette Gegenteil der Fall."

Unsere Highlights

An den Fahrern lag es nicht. Lewis Hamilton und George Russell kämpften zumeist mit stumpfen Waffen. Selbst nach dem Großumbau, der beim sechsten Saisonrennen in Monaco debütierte, ging nicht viel voran. In der zweiten Saisonhälfte präsentierte sich das Werksteam regelmäßig nur noch als dritte Kraft. Große Formschwankungen deuteten darauf hin, dass die Ingenieure ihr Paket nicht ganz verstanden hatten.

Lewis Hamilton - Mercedes - Sprint - GP USA 2023 - Austin
Motorsport Images

Den zweiten Platz von Lewis Hamilton in Austin sieht Toto Wolff als Höhepunkt des Jahres - obwohl der Brite anschließend disqualifiziert wurde.

Mercedes nicht im richtigen Arbeitsfenster

"Im Laufe des Jahres haben wir realisiert, dass die Plattform nicht so stabil war, wie wir es erwartet hatten", erklärt Wolff das Grundproblem. "Wir haben das Auto einfach nicht für das richtige Arbeitsfenster entwickelt. Die Zusammenarbeit zwischen Chassis und Reifen hat nicht perfekt gepasst. Das war die wichtigste Lektion des Jahres."

Bei der Frage nach den positiven Highlights muss Wolff etwas länger grübeln. Dann nennt der Österreicher überraschend das Rennwochenende von Austin, wo Lewis Hamilton am Ende disqualifiziert wurde. "Wir haben dort ein Upgrade-Paket gebracht, das funktionierte. Das Auto hat gut performt und wir konnten den Spitzenreiter jagen. Natürlich kann man anmerken, dass wir wegen des zu tiefen Autos disqualifiziert wurden, aber die Pace war echt. Das war unser bestes Wochenende, weil die Korrelation zwischen Windkanal und Strecke gepasst hat."

Auch aus Abu Dhabi reiste man mit einem guten Gefühl ab, obwohl Mercedes hier mal wieder keine Chance auf den Siegerpokal hatte. Es war das Rennen, in dem man sich den zweiten Platz in der Konstrukteurs-WM gegen Ferrari gesichert hat. Lediglich drei Pünktchen machten am Ende den Unterschied zugunsten des deutsch-britischen Rennstalls.

George Russell - Formel 1 - GP Abu Dhabi 2023
xpb

Mit der Fahrt aufs Podium von Abu Dhabi sicherte George Russell Mercedes Platz zwei in der Teamwertung.

Platz zwei doch nicht irrelevant

"Wenn man mich vor der Saison gefragt hätte, dann hätte ich gesagt, dass es irrelevant ist, ob wir auf das Jahr auf Platz zwei oder drei beenden. Für einen schlechteren Platz hätten wir sogar einen sportlichen Vorteil in Form von mehr Windkanalzeit bekommen. Auf der anderen Seite muss man aber auch den finanziellen Aspekt betrachten, in Form von Bonuszahlungen für unsere Angestellten. Zusammen mit der restlichen Teamleitung habe ich die Verantwortung, mich um alle zu kümmern", erklärt Wolff.

Deshalb fiel die Freude und die Erleichterung nach der letzten Zielflagge des Jahres größer aus als erwartet, wie Wolff zugibt: "Als wir den zweiten Platz gesichert haben, hat sich das großartig angefühlt. Das hatte ich so gar nicht erwartet. Man konnte sehen, welche großen Emotionen durchs Team gegangen sind und was das für einen wichtigen Schub in Sachen Moral bedeutet hat."

Gut drei Wochen später ist Abu Dhabi aber schon wieder Schnee von gestern. Der Blick geht nach vorne. Nach zwei mageren Jahren mit nur einem einzigen Sieg soll die Aufholjagd auf Red Bull endlich gestartet werden. Wolff warnt allerdings davor, die Erwartungen zu hoch anzusetzen. Vor zwölf Monaten wurde schon einmal ein großer Angriff angekündigt, der dann aber schnell abgeblasen werden musste.

Toto Wolff & Christian Horner - Formel 1 - GP Abu Dhabi 2023
Red Bull

Toto Wolff warnt vor zu hohen Erwartungen für 2024. Die Lücke zu Red Bull ist groß.

Gegner werden Siege bereuen

"Der Berg, den wir erklimmen müssen, ist hoch. Es gibt da ein sehr erfolgreiches Team und wir haben einen großen Rückstand aufzuholen", gibt sich Wolff vorsichtig. "Es wurden schon einige proaktive Schritte eingeleitet, um die Lücke zu schließen. Wird das ausreichen? Das weiß ich nicht. Das werden wir bei den Testfahrten und dem ersten Rennen in Bahrain sehen. Die Vorfreude ist jetzt aber schon extrem hoch. Ich würde am liebsten sofort loslegen."

Bei Red Bull sollte man den angeschlagenen Gegner nicht unterschätzen. Mercedes hat schon häufig gezeigt, dass man aus Krisen gestärkt hervorgeht: "In den Rennen und Jahren, die schwierig sind, lernt man am meisten. Wir sagen immer, dass unsere Gegner die Tage bereuen werden, an denen wir verlieren. Es gab letzte Saison so viele Lektionen für uns als Organisation und als Menschen, aber auch aus technischer Sicht, die uns beim Blick nach vorne helfen werden."

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