Böser Abflug und Kritik an Einheitsbauteilen
Formel-E-Teams unter Zeitdruck

Die ersten Testfahrten der dritten Auto-Generation offenbarten größere Probleme. Ein heftiger Unfall und schwächelnde Einheitsbauteile kosteten wertvolle frühe Entwicklungszeit. In den kommenden Wochen beginnt nun die heiße, aber kurze Testphase. Könnte der Saisonstart Mitte Januar wackeln?

Porsche-Rollout - Pascal Wehrlein - Formel E - Gen3 - Weissach - 2022
Foto: Porsche

Die gute Nachricht zuerst: Obwohl etliche Krisen die Weltwirtschaft weiterhin fest im Griff haben, sind die Vorbereitungen auf die neunte Saison der Formel E weit vorangeschritten. Die Hersteller haben nicht nur allesamt ihre Testträger erhalten. Darüber hinaus konnten die meisten mehrere Testtage abspulen. Florian Modlinger, Formel-E-Gesamtprojektleiter bei Porsche, berichtet zum Stand der eigenen Komponenten: "Von unserer Seite hatten wir keine Showstopper oder große Themen, an denen wir hart nacharbeiten mussten."

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Und auch James Barclay, sein Gegenstück bei Jaguar, sollte beim Saisonfinale in Seoul einen positiven ersten Eindruck vermelden: "Wir haben unseren Entwicklungsplan für die Gen3 parallel zum Rennbetrieb aufgezogen, konnten aber trotz der Doppelbelastung Kilometer sammeln."

Angesichts der hohen Komplexität der Autos mit ihrer Mischung aus Einheitsbauteilen und selbstgefertigten Komponenten gehe der Trend in die richtige Richtung. Zum selben Fazit kommt DS-Sportchef Thomas Chevaucher. Der Franzose erzählt: "Wir konnten fleißig Kilometer abspulen. Das Auto ist schnell und macht technisch einen großen Sprung im Vergleich zur zweiten Generation. Es gibt nur ein paar kleine Probleme, aber nichts Großes. Das gehört in diesem Business einfach dazu."

Formel E- Mahindra Racing - Gen3 - Goodwood 2022
Motorsport Images
Mahindra Racing erlebte einen harzigen Start in die Gen3-Ära. Ein heftiger Unfall warf das Team schon früh zurück.

Schwerer Crash stoppt Mahindra

Während nach außen also von den meisten Verantwortlichen ein wohlwollendes Bild gezeichnet wird, gibt es hinter den Kulissen jedoch durchaus nennenswerte Probleme. Unter anderem flog der Mahindra-Fahrer Oliver Rowland ab, nachdem sich sein Antrieb während des Fahrens heruntergefahren hatte.

"Ich bin den ersten Testtag gefahren, und es lief okay. Wir hatten einige Probleme mit unserer Zuverlässigkeit, aber konnten etliche Runden fahren. Am zweiten Tag hatte ich dann meinen mächtigen Unfall. Wegen des Schadens haben wir weitere geplante Testtage in den September verschoben. Das gab uns immerhin die Zeit, in Ruhe in die Fehleranalyse zu gehen", blickt der Brite zurück. Sein Teamchef Dilbagh Gill ergänzt: "Unser Programm ist wieder zurück in der Spur. Wir haben herausgefunden, wo die Auslöser lagen. Dafür sind Tests ja da."

Nicht ganz so schnell zu lösen sind hingegen Probleme mit den Einheitsteilen. In diesem Bereich hat allen voran Porsche bislang größere Schwierigkeiten angetroffen. "Was den gesamten Stand betrifft, kann ich nicht zufrieden sein. Es wäre mir recht, wenn wir schon mehr Kilometer auf dem Auto hätten und weniger Probleme", sagt Florian Modlinger.

"In meinen Augen sollte es nicht der Anspruch in einer Serie mit Einheitsbauteilen sein, dass wenn die Fahrzeuge und Einheitsbauteile in die Hände der Hersteller gelangen, noch Entwicklungsarbeit geleistet werden muss." Neben Porsche kämpften auch andere Hersteller mit nicht näher benannten Schwierigkeiten. Laut Informationen von auto motor und sport traten sie jedoch nicht geschlossen bei allen Teams auf.

Porsche - Formel E - Gen3 Rollout - Weissach
Porsche
Mit einer Topleistung von 350 kW macht die dritte Auto-Generation einen gewaltigen Schritt. Das Zusammenspiel aus selbstentwickelten Komponenten wie dem Motor und Einheitsbauteilen war bislang herausfordernd.

Beruhigende und warnende Worte

Wohl auch deswegen fällt die Reaktion auf die Porsche-Kritik unterschiedlich aus. DS-Mann Chevaucher, dessen Ingenieure ebenfalls die technische Basis für das Maserati-Team legen, hält beruhigend fest: "Wir arbeiten mit der FIA, der Formel E und den Zulieferern zusammen, um das Auto so schnell und zuverlässig wie möglich zu machen. Ich sehe da gar nicht so große Hürden." Jaguar-Teamchef Barclay, der zu den Glücklichen ohne Probleme gehört, erklärt: "Die Umstände bei der Entwicklung eines solchen Autos sind nicht einfach. Wir müssen da jetzt zusammen durch."

Tommaso Volpe von Nissan äußert sich hingegen etwas warnender: "Es ist kein großes Geheimnis, dass es größere Verzögerungen bei den Einheitsteilen gab und der Zeitplan sehr eng ist. Wir stehen alle unter großem Druck: Wenn alles wie geplant läuft, passt es – aber wenn ein spezifisches, unerwartetes Problem auftritt und große Verzögerungen provoziert, wird die Gesamtlage herausfordernd."

Mit den offiziellen Tests in Valencia (11. bis 14. Dezember) muss die Entwicklung abgeschlossen sein, da die Autos im Anschluss für den Saisonauftakt in Mexiko-Stadt (14. Januar) vorbereitet werden. Bis dahin gibt es mehrere kollektive und private Tests, in welche die Hersteller zudem zügig ihre Kundenteams einbinden.

Porsche 963 - LMDh-Test Daytona Beach - IMSA- WEC
Porsche
Auch bei der Entwicklung des neuen LMDh-Prototyp 963 hatte Porsche Probleme mit Einheitsbauteilen. Sportchef Thomas Laudenbach erkennt in beiden Fällen Lektionen für den gesamten Motorsport.

Formel E trifft auf LMDh

Für Porsche-Sportchef Thomas Laudenbach, der parallel eng die Entwicklung des LMDh-Prototyps 963 verfolgt, zeigt sich bei den Einheitsbauteilen ein größeres Problem für den gesamten Motorsport. Er erklärt: "Generell gesehen ist das Thema Einheitsbauteile eines, das wir auch in Zukunft haben werden. Wir müssen also zusammen mit den beauftragenden Organisationen den Prozess verbessern. Denn späte Probleme kosten uns viel Geld, und das ist natürlich nicht akzeptabel."

Techniker Florian Modlinger ergänzt: "Man muss es als Gesamtprozess sehen. Von der Ausschreibung bis zum fertigen Bauteil gibt es Dinge, die man sich beim Prozess anschauen muss. Da muss man aus den Lektionen wirklich lernen und Schwächen aufdecken."

Laudenbach zeigt sich dabei verständnisvoll gegenüber der Situation der durch Lieferketten gebeutelten Zulieferer: "Man muss akzeptieren, dass ein Lieferant kein eigenes Auto hat, um die Komponente zu erproben. Aber diese Erprobung dann den Teams zu überlassen, ist auch nicht fair. Das Ziel muss sein, dass wir unsere Entwicklungsabläufe so abfahren können, dass die geplanten Kosten in den Grenzen gehalten werden." Die hätte man den Entscheidern und Vorständen ja versprochen.

In den kommenden Wochen wird sich zeigen, wo die Gen3 wirklich steht. Nachdem bei den ersten Tests die Zuverlässigkeit im Mittelpunkt stand, verschiebt sich der Fokus nun stetig in Richtung der Performance. Noch vor dem Jahreswechsel müssen die Autos schließlich rennbereit sein.

Porsche-Mann Modlinger resümiert: "Momentan steht alles bei der Timeline. Mit dem ersten Rennen schon im Januar ist sie sportlich, sehr sportlich. Es bestehen immer Restrisiken, aber ich sehe nichts, was den Saisonstart in Mexiko gefährdet."

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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

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