Formel E Tracktest
Veganer Motorsport im Selbstversuch

Bisher durfte weltweit noch kein Journalist einen Formel-E-Renner fahren. Bisher. Die Geschichte einer sehr exklusiven Testfahrt am Stromlimit - mit dem Weltmeister als Instruktor.

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Foto: Hans-Dieter Seufert

"Dieses Safety-Car ist kein reiner Verbrenner, sondern es nutzt sowohl Verbrennungs- wie Elektromotor." Formel-E-Weltmeister Nelson Piquet junior erklärt mir die große weite Welt der Elektromobilität. Ich klemme dabei im Rennanzug zwischen den harten Wangen eines BMW-i8-Schalensitzes, und Piquet lümmelt im frisch gebügelten Poloshirt daneben. Gemeinsam drehen wir Einführungsrunden auf dem Homestead Raceway bei Miami.

"Ist ja interessant", nicke ich freundlich und klicke nebenbei den i8 in den Sportmodus. Jetzt hält der 231-PS-Dreizylinder den Lithium-Akku konstant auf hoher Ladung. So kann der Elektrospeicher immer maximalen Strom in den 96-kW-E-Motor schieben. Sonst herrscht bald Ebbe in der elektrischen Zusatzleistungs-Kasse. Blöd auf einer Rennstrecke. Piquet erläutert derweil weiter engagiert, was so einen Hybriden denn genau ausmacht, während ich versuche, mir das Strecken-Layout einzuprägen.

Elektro-Rennsport mit Tücken

BMWs Öko-Sport-Flunder dient dabei im wahrsten Sinne des Wortes als Safety-Car. Er ist das mir wohlbekannte Hybrid-Vehikel, mit dem ich sicher die neuralgischen Brems- und Einlenkpunkte dieses doch sehr winkligen Innenkurses erfahren kann. Und er ist wieder einmal überraschend schnell. Das muss er aber auch sein, wenn er im Rennen die Horde von Formel-E-Rennern als Leitwolf führen will, ohne dass deren Reifen allzu sehr an Temperatur abbauen.

"Hier musst du weiter außen anfahren, wenn du die folgende Kurve sauber bekommen willst", rauscht plötzlich wieder Nelsons Stimme in mein rechtes Ohr. Ich positioniere den i8 brav um und spüre, wie Nervosität in mir aufsteigt. Wie wird sich der Formel-E-Renner hier benehmen? Wie viel früher liegt sein Bremspunkt? Der kleine Piquet spürt meinen inneren Monolog: "Die Bremsen bei den Formel E sind extrem zickig. Wenn sie kalt sind, hast du nur 50 Prozent der Leistung wie im heißen Zustand. Vorsicht bei deiner ersten Runde."

Und ich denke sofort an den japanischen Journalisten, der keine zwei Stunden zuvor das Recht der ersten Runde hatte. Mit wehenden weißen Rauchfahnen zwang der etwas übermotivierte Sohn Nippons dem Kurs eine weitere ungeplant rechtwinklige Kurvenkombination auf. Wehe dieser Ukyo Katayama für Arme hätte meinen Formel-E-Ausritt sabotiert. Hat er nicht. Das silberne Carbonfaser-Alu-Monoposto nuckelt brav und unversehrt an der Schnellladeeinheit im Fahrerlager. Rund eine Stunde dauert es, bis die Gleichstromtechnik die 28 kWh große Batterie wieder gefüllt hat.

Das ist viel zu lang für einen Boxenstopp im Rennen. Deshalb wechseln die Fahrer nach rund 20 Minuten einfach das Auto. Das mache ich jetzt auch: vom i8 in den Formel E. Überraschend problemlos fädeln 1,89 Meter in das Cockpit für sonst viel kleinere Kerle ein. Die Füße ertasten zwei furchtbar eng beieinanderstehende Pedale, die Hände ein Carbonfaser-Lenkrad mit vielen bunten Knöpfchen.

Formel E-Renner mobilisiert 200 kW

Alles wie gehabt in der bekannten Formel-Welt. Nur lauert hier im Kreuz kein kreischender Verbrenner, sondern ein bis zu 200 kW (272 PS) starkes asynchrones Hochdrehzahlmonster aus Kupferwicklungen. "Und wofür sind die Lenkrad-Paddles?", frage ich den französischen Renningenieur irritiert. "Damit du die vier Gänge durchschalten kannst. Im Rennen haben wir sogar fünf." Gänge im Elektroauto? "Ja, die brauchen wir. Umso mehr Gänge, desto schneller ist er. Du wirst schon sehen", grinst der Renault-Techniker.

Nur eine mechanische Kupplung braucht der Hochvolt-Athlet nicht. Elektromotoren fahren sowieso besonders gerne an, und die Gangübergabe wird per Drehzahlabgleich gelöst. Dafür wird auf Paddle-Zug der Motor mit einem quasi negativen Moment abgebremst und der nächste Gang über einen pneumatischen Acht-Bar-Schubser eingelegt.

Ein kurzer Zug am Paddle, und der Formel E rollt sanft wie ein Renault Zoe los. Wie freundlich, keine Rennkupplung kann dir die erste Runde versauen. Noch leuchtet das blaue Lämpchen für den Speed-Limiter in der Box, und das rote Drehmoment-Rädchen am Lenkrad steht auf eins für minimale Kraft.

Raus aus der Boxengasse, zweiter Zug an den Paddles und ab gehen die Ampere. So schnell kannst du gar nicht ziehen, wie die rote Schaltanzeige den nächsten Gang einfordert. 17.000 Touren sirren gegen deinen Helm. Die Formel E ist außen leiser, aber nicht leise. Assoziationen von mutierten S-Bahnen schwirren durch den Kopf. Mich treibt der Hulk der E-Mobilität voran.

Brutaler Strom-Schub beim Beschleunigen

In Drehmomentstufe eins ist der Vortrieb schon zügig. Sechs stehen zur Verfügung. In der zweiten Runde darf ich umstellen. Klick. Jetzt ist der Schub brutal und ansatzlos, aber er ist doch weit weg von dem der Formel 1. Der 900-Kilo-Renner erreicht die Beschleunigung eines Tesla Model S P85D, nur eben mit einer Querdynamik, gegen die der kalifornische Straßenkreuzer wie ein schunkeliger 2CV wirkt.

Ob das mit den vielen Stufen wirklich schneller ist, wird zweitrangig. Du hast einfach eine weitere Beeinflussungskomponente, und die macht Laune. Obwohl die Reifen aus - ähem - Nachhaltigkeitsgründen keine Slicks, sondern Michelin-Sportpneus sind, katapultiert dich das Strom-Biest in jeder Kurve in den Fahrspaß-Himmel. So direkt, so präzise und so spät beim Anbremsen. Was sich im Übrigen als nicht ganz so kompliziert herausstellt, wie Piquet junior es prophezeite. Und vor dir tanzen die Räder im Takt des Straßenbelags. Mag sein, dass das hier veganer Motorsport ist, aber einer, der beim Fahren exzellent schmeckt.

Das recht hohe Gewicht - allein die Akku-Einheit wiegt 350 kg - stört das packende, weit im Grenzbereich minimal untersteuernde Handling kaum. Dabei steht die Formel E mit Technikpartner Renault erst am Anfang. Noch fahren alle aus Kostengründen mit Einheitsmotoren von McLaren und Batterien von Williams Advanced Engineering. Ab nächster Saison ist die Entwicklung des Antriebs freigegeben.

Noch ein Jahr später ist dann endlich individuelle Akku-Entwicklung möglich. Dann gibt es mehr kW, mehr kWh und mehr Speed. Das wäre auch für BMW die Chance, sich durch einen eigenen Rennwagen zu profilieren und nicht allein durch das ökologisch korrekteste Safety-Car der Welt.

Ob dann in Zukunft die Formel E trotz Sounddefizit einmal zu den populären Rennserien aufschließen wird, hängt auch davon ab, wie aufregend die Zweikämpfe sind. Piquet junior bleibt ganz der Erklärer: "Das Spannende ist ja, dass du nicht immer Vollstrom geben kannst. Du musst da taktieren, weil die E-Wagen eine begrenzte Reichweite haben." Ja, so ist das.