Formel E London 2023 - Rennen 2
Nick Cassidy schenkt Envision Team-WM

Ein erbarmungsloser Wolkenbruch beim letzten Saisonlauf in London sorgte für das bislang längste Rennen der Formel E. Nach dem Super-GAU am Samstag schlug Nick Cassidy eindrucksvoll zurück und sicherte mit seinem Sieg die Team-Weltmeisterschaft für Envision-Jaguar.

Formel E - London II 2023 - Nick Cassidy - Envision-Jaguar
Foto: Motorsport Images

Auch am Sonntag haderte Nick Cassidy noch massiv mit den Ereignissen des Vortages. Der Schrecken des Samstagsrennens rund um den teaminternen Crash und die damit verlorene Chance auf die Fahrer-Weltmeisterschaft hatte den Neuseeländer sogar bis in den Schlaf hinein verfolgt. Er erzählte: "Ich bin heute um 2:00 Uhr aufgewacht und dachte kurz, dass alles nur ein fieser Albtraum gewesen sei." Doch dann holte ihn die Realität wieder ein.

Trotz der unruhigen Nacht und einer verspäteten Ankunft an der teils überdachten Strecke unterstrich der Jaguar-Kunde bereits in der Quali seine Qualitäten – und seine Professionalität. Er setzte sich in seiner Gruppe mühelos durch und traf später im Finale auf den Besten der zweiten Gruppe, Mitch Evans (Jaguar). Dieser war in den anderen Runden der K.o.-Phase zwar im Quervergleich schneller gewesen, aber unterlag Cassidy im Finale denkbar knapp mit 0,01 Sekunden Rückstand.

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Norman Nato (Nissan), Weltmeister Jake Dennis (Andretti-Porsche) und der entthronte Stoffel Vandoorne (DS Penske) komplettierten die Top 5. Für die beiden Porsche-Werksfahrer lief es wiederholt enttäuschend. Pascal Wehrlein qualifizierte sich nur auf dem zehnten Platz, António Félix da Costa stürzte sogar auf Rang 20 ab.

Formel E - London II 2023
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Fieser, zurückkehrender Regen provozierte zu Beginn lange Unterbrechungen.

Zweimal rote Flagge wegen Regen

Der Start des 16. Saisonlaufs erwies sich als Hängepartie. Nach einem intensiven Wolkenbruch gingen die 22 Fahrer zunächst hinter dem Safety Car ins erste Regen-Rennen der Gen3-Ära. Einige "Proberunden" brachten dem Renndirektor Scot Elkins jedoch die Erkenntnis, dass die Bedingungen zu riskant waren. Mit einer roten Flagge beorderte er die Piloten in die von der Messehalle geschützte Pitlane zurück.

Auch der zweite Anlauf wurde nach längerer Wartezeit wegen auffrischenden Regens schnell abgebrochen. Ergänzt um die erneute rote Flagge verstrich so deutlich über eine Stunde ohne Renn-Action. Beim dritten Versuch sollte es dann aber klappen. Zu diesem Zeitpunkt waren gerade einmal sieben der 34 angesetzten Runden absolviert.

Massive Rutscher quer durch das Feld hinweg belegten danach die herausfordernden Bedingungen. Nur der Führende Nick Cassidy schien sich in der Mischung aus Pfützen, Rampen und trockenen Abschnitten in der Messehalle wohlzufühlen. Auch deswegen konnte er zügig einen Abstand herausfahren, der ihn nach der ersten Attack-Mode-Aktivierung an der Spitze hielt. Ein Großteil des Feldes absolvierte zügig die zwei Pflichtbesuche in den Boost-Schleifen, wodurch sich nur wenige Verschiebungen ergaben.

Formel E - London II 2023
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Der kompakte Kurs auf dem Londoner Messegelände Excel ist nicht nur inner- und außerhalb, sondern auch mit unterschiedlichen "Stockwerken" versehen.

Jaguar nicht zu schlagen

Die zweite Rennhälfte war laut den meisten Piloten nach außen ein "Langweiler". Nico Müller (Abt-Mahindra), der auf einem starken achten Rang ins Ziel kam, erklärte die Perspektive im Cockpit: "Man musste schon bei der Sache sein. Gerade die Rampe mit dem rutschigen Belag war herausfordernd." So gab es nur eine effektive Linie auf den äußeren Straßen. In der Halle selbst boten sich zwar auch gute Überholstellen. Aber durch die kürzere Distanz als am Samstag lagen die Geschwindigkeiten der Autos zu nah beieinander für mutige Manöver.

Nick Cassidy nutzte den extrem erhöhten Vollgas-Charakter zu seinen Gunsten und fuhr dominant davon. Nur einmal näherte sich sein Verfolger Mitch Evans. Doch die erhoffte Aufholjagd wurde schnell wieder abgeblasen. Der neue Weltmeister Jake Dennis konnte den beiden Jaguar-Fahrern nicht folgen und gab sich mit dem dritten Platz zufrieden. Es war sein elftes Saisonpodium.

Der wahrscheinlich zum Jaguar-Werksteam wechselnde Vize-Weltmeister Cassidy resümierte: "Ich habe mich sehr gut im Auto gefühlt. Im Rennen hatte ich nicht eine einzige schwierige Situation gehabt." Zudem bedankte er sich bei seinem Envision-Team, welches sich nach einer kurzen Nacht stark zurückmelden konnte.

Formel E - London II 2023 - Envision Racing
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Am Samstag zerfiel das Jaguar-Kundenteam Envision Racing teils in seine Einzelteile. Am Sonntag holte man den Teamtitel.

Beide WM-Titel gehen an Kunden

Die englische Truppe mit Geldgebern aus China gehörte wie Dennis' Team Andretti Autosport zu den Gründungsmitgliedern der Formel E. Schon als Virgin Racing kämpfte man um Titel. In der dritten Saison als FIA-Weltmeisterschaft sollte es endlich klappen. Sébastien Buemi und Cassidy sammelten final 304 Punkte, der Werkspartner Jaguar wurde mit 292 Zählern Zweiter. Porsche (242) wurde ebenfalls in der Endabrechnung vom Kunden Andretti (252) überflügelt.

Die Sommer- bzw. Winterpause wird auch in diesem Jahr kurz ausfallen. Für die zweite Gen3-Saison stehen diverse Tests an. Unter anderem wollen sich die Teams noch mehr an die neuen Hankook-Reifen gewöhnen, dazu werden zahlreiche neue Fahrerpaarungen erwartet. Der offizielle Vortest in Valencia findet vom 23. bis 27. Oktober statt. Die zehnte Saison der Formel E wird in Mexiko am 13. Januar 2024 eröffnet.

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