André Lotterer im Interview
„Für mich stand Porsche an erster Stelle“

André Lotterer fährt in Südkoreas Hauptstadt Seoul seine letzten Rennen als Formel-E-Werksfahrer von Porsche. Im Interview erklärt der 40-Jährige, wie er seine Skepsis abgelegt hat, weshalb er fehlenden Siegen nicht hinterhertrauert und ob er trotzdem noch eine Zukunft in der Serie haben könnte.

Porsche Formel E - Abschiedsrennen André Lotterer - Seoul
Foto: Porsche

Drei herausfordernde, aber nicht unerfolgreiche Jahre im Porsche-Formel-E-Team enden am kommenden Wochenende. Spüren Sie schon etwas Wehmut?

Lotterer: Wie üblich bin ich ganz auf die Rennen fokussiert, aber ich versuche trotzdem, die Zeit auf der Strecke und mit meiner Truppe zu genießen. Ich mag jeden einzelnen meiner Mechaniker sehr gerne. Sie sind für jeden Spaß zu haben. Das gilt auch für meinen Renningenieur und Freund Fabrice Roussel, der damals mit mir von DS-Techeetah hinübergewechselt ist. Es war bisher eine spannende Challenge, aber ich musste mich zwischen der Formel E und der Langstrecke entscheiden.

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Ursprünglich stammen Sie aus dem Langstrecken-Sport und gewannen dreimal die 24 Stunden von Le Mans – allerdings mit der Konzernschwester Audi. Haben Sie hinsichtlich Ihres neuen Arbeitgebers also eine Rechnung offen?

Lotterer: Das war keine einfache Entscheidung, denn beide Programme wären gut für mich gewesen. Es ist auch nicht so, dass ich mich dabei gegen etwas entschieden hätte. Ich wollte wieder nach Le Mans zurück und die Herausforderung mit den neuen LMDh-Prototypen mitmachen. Das bedeutet nicht, dass ich die Formel E nicht mehr toll finde oder dass ich keine Lust mehr habe.

Porsche Formel E - Abschiedsrennen André Lotterer - Seoul
Porsche
André Lotterer wird die gute Laune in der Formel-E-Garage von Porsche vermissen.

Durften Sie selbst zwischen den beiden Programmen wählen?

Lotterer: Wir haben es zusammen entschieden. Am Anfang gab es die Idee, beides zu machen, aber dann haben wir gemerkt, dass es kompliziert wird. Natürlich hat mir Porsche die finale Entscheidung überlassen.

Eigentlich waren Sie als Porsche-LMP1-Fahrer eingeplant, doch das Projekt endete nach nur einem Auftritt von Ihnen. Kam Ihre Formel-E-Karriere also eher per Zufall?

Lotterer: Ich habe damals meine Hausaufgaben gemacht und bin sofort in die Formel E umgestiegen, um die nötige Erfahrung zu sammeln. Ich wusste, dass sie bei Porsche auf dem Plan stand. Es war mein Wunsch, so unsere Geschichte gemeinsam weiterzuführen. Dass ich mit DS-Techeetah ein tolles Team zu Beginn hatte, war ein Extra. Dort konnte ich viel lernen und auf diesem Weg später Porsche beim Einstieg helfen.

Auch abseits von Prototypen hat Porsche mehrere Langstrecken-Projekte. Haben Sie langfristig immer auf eine Rückkehr gehofft?

Lotterer: Die aktuellen Entwicklungen waren zu Beginn meiner Formel-E-Zeit noch nicht absehbar, und es wäre auch noch zu früh gewesen, weil mein Fokus voll auf dem neuen Projekt lag. Es gab kurz die Frage, ob ich bei DS-Techeetah bleibe. Für mich stand aber Porsche an erster Stelle. Als die LMDh-Plattform aufkam, gab es aber relativ früh Gespräche.

Porsche LMDh Spa-Test
Team Penske
Im nächsten Jahr fährt der 40-Jährige einen LMDh-Prototypen. Der dreifache Le-Mans-Sieger will auch mit Porsche nach 24 Stunden jubeln.

Vor Ihrem Einstieg in die Formel E galten Sie eher als Skeptiker. Über mittlerweile fünf Saisons haben Sie sich nun zu einem Spezialisten für das teils harte Racing entwickelt. Wie blicken Sie auf Ihre Entwicklung zurück?

Lotterer: Für Rookies ist es schwierig, in die Formel E reinzukommen. Ich fuhr meine ersten Rennen in der vierten Saison und merkte sofort, dass durch die Erfahrung der Konkurrenten hier ein anderer Ton herrscht. Mein Debüt in Hongkong war hart, ich habe etliche Strafen gefangen. Zum Beispiel habe ich vergessen, das Auto auszuschalten. Nach dem ganzen Chaos im Rennen und wegen des fehlenden Sounds bin ich einfach so ausgestiegen (lacht).

In der Formel E kann man dazu kaum relevant testen und muss versuchen, sich vorher auf klassischen Teststrecken wie Valencia heranzuarbeiten. Wenn man dann auf den typischen Stadtkursen ankommt und dort etwas später bremst, ist man gleich in der Wand. Als Fahrer muss man sein Selbstvertrauen Stück für Stück aufbauen.

Nach dem schwierigen Auftakt in Hongkong ging es aber schnell bergauf.

Lotterer: Schon beim dritten Rennwochenende in Chile hatte ich die Möglichkeit zu gewinnen und lag am Ende auf Platz 2. Der Lernprozess ging angesichts der neuen Strecken und Mechaniken wie dem Energiesparen trotzdem immer weiter.

Über die Zeit bekamen Sie den Ruf verpasst, ein teils überharter Racer zu sein. Können Sie damit leben?

Lotterer: Ich versuche, immer fair zu sein. Natürlich mögen es meine Konkurrenten nicht, wenn ich nahe auffahre und sie manchmal berühre. Das geschieht aber nie mit der Absicht, sie abzuschießen. Ich muss mir dann anhören: Wenn André hinter mir ist, kriege ich zu 100 Prozent einen Schubser. Ich denke, es ist besser geworden (schmunzelt).

Bei einigen Szenen in der letzten Saison war ich zur falschen Zeit am falschen Ort. Und am Ende sind wir alle ziemlich krass unterwegs. Aber was soll man bei so engen Stadtkursen mit nur einer echten Linie auch anderes erwarten? Das gehört zur Show!

Porsche Formel E - Abschiedsrennen André Lotterer - Seoul
Porsche
Quasi-Abschiedsgeschenk: Beim Saisonfinale der Formel E in Seoul tragen die beiden Porsche eine Sonderfolierung, die auf eine neue Uhr des Partners TAG Heuer anspielt. Der bekennende Zeitmesser-Fan mit Geburtsort Duisburg präsentiert sie am Fuße des Olympiastadions.

Ihnen gefällt diese Art von Racing im Gegensatz zu diversen Kollegen, oder?

Lotterer: Auf jeden Fall! Ich mag die Challenge und das Rezept der Formel E. Hier kann man als Fahrer viel ausmachen, weil das Auto loser liegt und im Vergleich zu anderen Rundstrecken-Serien mehr gefahren werden will. Es ist wahrscheinlich das Stressigste, was ich je in meiner Karriere gemacht habe. Ich sage immer, dass sich die Zeit davor im Nachhinein fast wie Urlaub anfühlt. Nur mit Talent geht es in der Formel E nicht, man muss seine Hausaufgaben erledigen und etliche Szenarien im Kopf haben. Hier fährt man ein Rennauto und spielt parallel dazu noch im Kopf Schach.

Sie fuhren mehrmals auf das Podium, aber ein Sieg blieb Ihnen aus unterschiedlichen Gründen verwehrt. Fühlen Sie sich, auch im Hinblick auf die Porsche-Zeit, unter Wert geschlagen?

Lotterer: Es ist wegen der Pandemie nicht ideal gelaufen. Zum Beispiel konnten wir durch die Absagen viele Strecken nicht lernen. Wir haben auf jeden Fall Lehrgeld bezahlt. Von der Zielerwartung lief aber alles nach Plan. Wir haben im ersten Jahr Podien geholt, im zweiten waren wir siegfähig. In dieser Saison wollten wir um die Meisterschaft fahren, was bis Monaco auch gut aussah.

In der zweiten Hälfte hatten wir dann Pech und kleine Fehler. In vielen Rennen fehlte einfach etwas im Vergleich zum Beginn. Während vor ein, zwei Jahren auch mal 99 Prozent locker für einen Sieg gereicht hätten, braucht es in dieser Saison eben 100 Prozent. Einer schafft sie immer, wenn auch manchmal zufällig. Natürlich war und ist es mein Ziel, Rennen zu gewinnen. Klar, zwischen Haben und Nicht-Haben ist ein großer Unterschied, aber ich laufe jetzt nicht durch das Fahrerlager und denke: Mist, ich habe kein Rennen gewonnen.

Porsche Formel E Pascal Wehrlein André Lotterer Interview
Porsche
Bislang durfte nur Teamkollege Pascal Wehrlein einen Sieg feiern. Elder Statesman Lotterer sieht es gelassen.

Ihre Zeit als Einsatzfahrer von Porsche endet zwar, aber es halten sich Gerüchte, dass Sie trotzdem für das neue Porsche-Kundenteam Andretti Autosport antreten könnten. Außerdem fahren Sie im Moment Tests mit der anstehenden dritten Autogeneration. Verabschieden wir Sie nicht zu früh?

Lotterer: In irgendeiner Form werde ich meine Formel-E-Erfahrung an Porsche weitergeben. Denn dass Porsche in Zukunft Erfolg in der Serie hat, liegt auch in meinem eigenen Interesse. Wie meine Unterstützung aussehen wird, ist aber noch nicht klar definiert. Mein Fokus liegt auf der LMDh.

Mit 40 Jahren liegen Sie deutlich näher an der Renn-Rente als am Rookie. Basteln Sie schon an der Karriere nach der Karriere?

Lotterer: Ich denke, es hat nichts mit dem Alter, sondern mit der Performance zu tun. Solange die da ist, werde ich weiterhin fahren. Im Moment spüre ich keinen Mangel an Motivation oder die Lust, etwas Anderes zu machen. Ich will meine Karriere dank Porsche auf diesem hohen Level fortführen, aber werde sie nicht zwanghaft in die Länge ziehen, wenn die Performance nicht mehr passt.