McLaren MP4-12C - Details und Aufbau des Sportlers
Exklusive Sitzprobe im Supersportwagen

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Nachdem der Formel 1-Stall McLaren schon in den neunziger Jahren mit dem Straßensportwagen McLaren F1 für Furore sorgte, präsentieren die Briten jetzt den Seriensportler McLaren MP4-12C. sport auto hat sich den zivilen Rennwagen genauer angesehen.

McLaren MP4-12C
Foto: Peter Burn

McLaren schwimmt sich von Mercedes frei und will sich künftig als Autohersteller profilieren. Mit dem neuen Supersportwagen MP4-12C sorgt der britische Formel-1-Rennstall für einen mächtigen Aufschlag.

Antony Sheriff hätte ein Büro mit Blick auf den See haben können. Dahinter hätten sich seine Augen an einem ausgedehnten Park von 50 Hektar satt sehen können. Kein Haus, kein Schornstein, nichts im Weg, was die Aussicht auf die Natur verstellt hätte. Sheriff entschied sich für ein Büro mit Blick in die Montagehalle. "Ich schaue lieber auf die Autos", sagt der Amerikaner. Dass es Sheriff an Gefühl oder Leidenschaft fehlt, wäre dennoch eine krasse Fehleinschätzung. Wenn der Geschäftsführer von McLaren Automotive runter in die Halle der Paragon getauften Fabrik schaut, lässt der Anblick sein Herz deutlich schneller schlagen. Dort steht der Protoyp eines nagelneuen Supersportwagens. Der vor sieben Jahren von Fiat eingekaufte Manager hat zurzeit einen der aufregendsten Jobs der Automobilbranche. Er soll einen Formel-1-Rennstall zu einem ernsthaften Automobilhersteller machen. Schon 1993 leistete sich McLaren-Chef Ron Dennis einen Ausflug in die Welt der Serienautos. Der McLaren F1 mit BMW-Zwölfzylinder und einem in der Mitte des Cockpits platzierten Fahrersitz gewann die 24 Stunden von Le Mans. Noch heute sieht das 1993 präsentierte Mittelmotor-Gerät spektakulär aus. Wer sich am Museumsexemplar vorbei in einen Korridor begibt, kommt an dessen Ende an einen dunklen Raum mit erhellter Showbühne. Dort steht ein neues Auto, das sogar den Formel 1 in den Schatten stellt, der am vergangenen Wochenende in Bahrain erstmals ins Schlachtgetümmel zog. Der GP-Renner ist nur einer von zwei Dutzend, die im südenglischen Woking entstanden. Dieses Geschoss in Metallic-Orange ist ein Meilenstein für das 1.500 Mann kleine Unternehmen, eine halbe Auto-Stunde südwestlich von London. 1994 schrieb McLaren Geschichte mit dem ersten Kohlefaser-Monocoque in der Formel 1. Plötzlich zog Weltraumtechnologie in die Welt der Garagisten ein - leichter, steifer, sicherer, schneller. Nun hat McLaren das erste Serienauto mit Kohlefaser-Monocoque auf die Räder gestellt. Wie alle GP-Renner heißt die neue Schöpfung MP4, dahinter folgt das Kürzel 12C, wobei das C für Carbon, Kohlefaser, steht.
 
Der 12C ist 4,51 Meter lang, der Radstand liegt bei 2,67 Meter.

 
Monocell nennt Projektleiter Mark Vinnels die 80 Kilogramm leichte Kunststoff- Badewanne, die nach einem neuen Verfahren aus einem einzigen Teil geformt und von Carbotech in Österreich hergestellt wird. Vor und hinter die Carbonschale für zwei Passagiere sind Aluminium-Hilfsrahmen geschraubt, die Motor, Getriebe und Radaufhängungen tragen. Darüber stülpt sich eine Alukarosserie ohne tragende Funktion. Das Trockengewicht soll bei 1.300 Kilogramm liegen - laut Sheriff ohne Komforteinbußen: "Wir haben alles an Bord, vom Tempomat bis hin zum Regensensor." Der 12C ist 4,51 Meter lang, der Radstand liegt bei 2,67 Meter. "Wir haben uns bemüht, das Auto so kompakt wie möglich zu machen", sagt Vinnels. Dass der Neue trotz rundgelutschter Ecken ein bisschen wie eine Reminiszenz an den F1 wirkt, ist nicht gewollt. "Wenn du ein Auto kompromisslos nach technischen und aerodynamischen Maßgaben entwickelst, ergibt sich die Form außen herum praktisch automatisch“, erklärt Chefdesigner Frank Stephenson. McLaren verspricht leichte Beherrschbarkeit und ein Maximum an Fahrspaß. Das beginnt bei der Ergonomie. "Der aus dem Cockpit sichtbare Bereich nach vorn endet auf Höhe der Vorderradmitte. So kann der Fahrer perfekt Kurvenscheitelpunkte anpeilen", doziert Mark Vinnels. Für schnelle Fortbewegung und Sicherheit sorgen auch die Bremsregelung, die aus der Formel 1 kommt und ein Sperrdifferenzial ersetzt sowie das automatisierte Siebenganggetriebe mit Doppelkupplung - eine Eigenentwicklung. Wie praktisch, wenn die Männer, die Jahr für Jahr neue Formel-1-Technik entwerfen, nur einen Flur weiter sitzen. Der neue Straßensportwagen schlägt einen streng reglementierten Grand-Prix-Einbaum in puncto Hightech um Längen. Statt herkömmlicher Stabilisatoren kontrolliert ein elektronisch gesteuertes Hydrauliksystem die Seitenneigung des Fahrwerks mit doppelten Dreiecklenkern und Pushrod-Dämpfern. Wenn die mächtigen Alu-Scheiben in den 19-Zoll- Rädern glühen, werden sie vom beweglichen Heckflügel unterstützt, der, fast senkrecht gestellt, als Luftbremse dient.

Ein komplett selbst entwickelter V8-Biturbo mit 600 PS
 
Wie ein Rennauto ist der Straßen-McLaren stark auf Abtrieb ausgelegt. Unten arbeitet ein Diffusor am Anpressdruck, oben führt eine Sicke rechts und links ums Cockpit, die dem Flügel möglichst viel Luft zuleitet. Bei Tempo 320 könnte er im Tunnel kopfüber an der Decke fahren. Um sich dennoch so schlüpfrig wie möglich durch den Wind zu bewegen, sind die regalgroßen Wasserkühler seitlich neben dem Motor angebracht. Das spart Baubreite und lange Kühlleitungen. Die Abluft strömt durch den Motorraum nach hinten und zwischen den Heckleuchten wieder ins Freie. Sie umstreicht ein weiteres spannendes Detail am neuen McLaren. Alle Welt fragt sich, von welchem großen Hersteller der Autozwerg aus Woking den Motor nehmen würde. Die Antwort ist: von niemandem. Die Ingenieure würden Stein und Bein schwören, den 600 PS starken V8-Biturbo komplett selbst entwickelt zu haben. Nur bei der Serienfertigung suchte man sich einen Partner. Die Aggregate mit 90 Grad Zylinderbankwinkel werden beim Getriebespezialisten Riccardo gefertigt. Dass dies alles zu teuer sei, bestreitet Antony Sheriff: "Hätten wir einen bestehenden Motor einkaufen und für unsere Zwecke anpassen müssen, hätte das genauso viel gekostet." So entstand ein 3,8-Liter-V8 auf dem Reißbrett. Mark Vinnels versichert: "Das ist nach unseren Berechnungen der beste Kompromiss. Kleinere Hubräume und Aufladung liegen voll im Trend." Man legt nicht nur Wert auf den mächtigen Anschub von 600 Newtonmetern, eine Beschleunigung von 0 auf 200 km/h in unter zehn Sekunden und über 330 km/h Topspeed, sondern auch auf den für einen Supersportler geringen CO2-Ausstoß von 300 Gramm pro Liter. "Das hebt uns ebenso aus dem Kreis der Konkurrenten heraus wie unser Carbon-Chassis", schwärmt der europäische Vertriebschef Christian Marti.
 
"Unser Schlüsselwort ist Exklusivität"
 
Die Gegner des je nach Wechselkurs maximal 260.000 Euro teuren Schmuckstücks sind klar: Ferrari Italia und Porsche GT2 sollen künftig ein schwereres Leben haben. Angst, dass der Meilenstein für das feine, aber kleine Unternehmen McLaren zum Mühlstein wird, hat man im Paragon nicht. Die Entwicklungskosten seien durch die Teilhaber des Unternehmens abgedeckt, versichert die Führungsspitze. Man denke langfristig und sehe kein Problem, im laut eigener Zählung 100.000 Autos großen Supersportwagen-Segment ein ausreichend großes Stück Kuchen abschneiden zu können. Bestellungen nimmt McLaren keine entgegen. Das soll ein Job für die rund 30 Händler werden, die zurzeit auswählt werden. In diesem Jahr sollen nur 1.000 Autos entstehen. "Unser Schlüsselwort ist Exklusivität", sagt Antony Sheriff. "Auf unserer Website haben sich über 1.600 Interessenten gemeldet, die schon morgen einen Scheck ausstellen würden." Und so schaut Sheriff hinunter, wo gerade vier weitere Prototypen zusammengebaut werden. Der Blick auf den Park war sowieso überbewertet. An der linken Ecke sind schon die ersten Bagger angerückt und reißen den Rasen auf. Hier entsteht in den nächsten zwei Jahren die Fabrik, in der McLaren künftig bis zu 4.000 Autos und mittelfristig vier Baureihen im Jahr produzieren will, die von 800 Mitarbeiter gefertigt werden sollen. 2011 soll die Manufaktur fertig sein. Vielleicht überlegt es sich Sheriff und fragt dann doch nach einem Büro mit Blick nach vorn.

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Sport Auto 03 / 2022
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Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten