Die besten Le-Mans-Erfindungen
Technik-Labor Le Mans

24h Le Mans 2023

Natürlich geht es in Le Mans darum, der Erste im Rennen zu sein. Aber oft bestand die Glanztat in der Vergangenheit auch darin, der Erste beim Einsatz einer neuen Technologie zu sein. Der Jackpot war dabei immer die Kombination aus beidem, auch das gab es relativ oft. Die These lautet: Le Mans hat sich in den letzten 100 Jahren als Labor für technische Weiterentwicklung und Innovation etabliert.

Audi R18 e-tron Quattro - Le Mans 2012
Foto: Motorsport Images

Warum war Le Mans in seiner 100-jährigen Geschichte ein größerer Innovationstreiber als alle anderen Autorennen? Die Antwort ist simpel: Erstens ist die ultralange Renndistanz eine ultraharte Herausforderung für die Technik. Zweitens wird in Le Mans rund um die Uhr gefahren, also am Tag und in der Nacht. Diese Kombination gibt es nur bei 24h-Rennen – und Le Mans ist der König der Langstreckenrennen. Die einmalige Kombination aus Komplexität, Anspruch und Aufmerksamkeit erklärt, warum so viele Hersteller ausgerechnet in Le Mans so viele Innovationen ausprobiert haben. Was aber drittens voraussetzt, dass das technische Reglement für Neues offen ist. Bei den meisten 24h-Rennen ist das eher nicht der Fall: Da wird gefahren, was da ist. Le Mans incentiviert die Innovation – das macht die DNA des Langstreckenklassikers an der Sarthe aus.

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Das gilt besonders für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, weil dort vermehrt Prototypen die Spitze des Feldes bildeten. Und wie der Name bereits sagt, sind diese Fahrzeuge zum Teil oder vollständig entkoppelt von der Straßenbasis – erst dann geht die Tür für innovative Lösungen wirklich auf. Das gern und oft zitierte Paradebeispiel für die Innovationskraft von Le Mans ist die Scheibenbremse, die beim 24h-Rennen 1953 ihren Durchbruch schaffte.

Wie Scheibenbremsen den Ruhm begründen

Blenden wir also zurück in die erfolgreiche Zeit der C-Type-Jaguar, die 1950 technisch und optisch noch in einer Art Vorkriegskonfiguration um die Wette fuhren. Jaguar-Boss William Lyons forderte von der Rennabteilung mehr Schmiss und mehr Mut, heraus kam eine komplett überarbeitete Version des XK 120 C: Eine leichte und stromlinienförmige Alu-Karosserie sorgte für weniger Luftwiderstand, der 3,4-Liter-Sechszylinder hatte mehr Biss, und erstmals in der Geschichte von Le Mans kam auch ein Gitterrohrrahmen-Chassis zum Einsatz, was die Steifigkeit deutlich erhöhte. Die Spaceframe-Technologie kam übrigens aus der Luftfahrt, verwendet wurde sie zuerst von Ferdinand Porsche, als er 1947 das Cisitalia-F1-Auto für einen italienischen Kunden designte. Doch weil dieses Auto nie ein Rennen in Europa fuhr, konnte Jaguar vier Jahre später allen Ruhm für sich reklamieren.

Jaguar C-Type - Le Mans 1953
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Jaguar baute den C-Type mit Scheibenbremse für den Dauerlauf. 1953 siegte man auf Anhieb.

Die Piloten Peter Walker und Peter Whitehead holten jedenfalls 1951 dank der technischen Nachschärfung einen überlegenen Sieg in Le Mans. Nachdem sich Jaguar im Folgejahr eine schmerzhafte Niederlage gegen Mercedes eingefangen hatte, drehten die Briten noch mal an der Innovationsspirale: Weil die langen Geraden und die hohen Topspeeds eine extreme Belastung der Bremsen zur Folge hatten, sattelte das Jaguar-Team für 1953 auf nigelnagelneue Scheibenbremsen um, die von Dunlop entwickelt und zuvor bereits bei der Mille Miglia getestet worden waren. Die überlegene Bremsleistung bescherte Jaguar in Verbindung mit einem zuverlässigen Gesamtpaket 1953 einen Doppelsieg.

Die Jaguar-Story ist deshalb so legendär, weil der erste Einsatz einer neuen Technologie auch gleich einen ersten Platz in Le Mans produzierte – was selbstredend die mit Abstand charmanteste Kombination ist. Aber natürlich bringt nicht jede neue Technologie gleich einen Siegkandidaten hervor. 2012 holte Audi mit dem R18 e-tron Quattro den ersten Gesamtsieg für ein Hybridfahrzeug in Le Mans. Natürlich hatte die Formel 1 als Vorreiter einen zeitlichen Vorsprung beim Thema Hybrid und Energierekuperation, dennoch war der Übertrag der komplexen Technologie auf den Langstreckensport eine Herkulesaufgabe für den deutschen Dauersieger Audi.

Audi R18 e-tron Quattro - Le Mans 2012
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Der Audi R18 e-tron Quattro war 2012 das erste Auto, das mit Hybridantrieb in Le Mans siegte.

Die Ehre für den ersten Hybrideinsatz in Le Mans gebührte allerdings dem vermögenden Rennfan und Gründer der American Le Mans Series (ALMS) Don Panoz. Der gab beim britischen Spezialisten Adrian Reynard für 1997 einen Frontmotor-Rennwagen in Auftrag, den Panoz Esperante GT1-R. Zwar war die Ära der Frontmotorwagen in Le Mans eigentlich lange vorbei, doch das hinderte Panoz nicht daran, das aus der Zeit gefallene Konzept für 1998 auch noch um einen Hybridantrieb von Zulieferer Zytek zu erweitern. Das liebevoll "Sparky" (der Elektriker) getaufte Batmobil war der erste Hybridrennwagen in Le Mans, aber mit seiner Innovationsleistung war er eine Nummer zu groß für ein Privatprogramm: Das Auto musste hektisch am Rennplatz fertiggestellt werden, die Piloten James Weaver und Perry McCarthy scheiterten damals bereits an der Vorqualifikation.

Anderthalb Jahrzehnte später führte Audi mit dem ersten Hybridsieg 2012 zu Ende, was Don Panoz einst begonnen hatte. Seither ist die Hybridtechnik fester Bestandteil der Topklasse in Le Mans und in der Sportwagen-WM, sehen wir mal von einzelnen Siegen veralteter LMP1-Wagen in der Sportwagen-WM ab. Die Innovation wurde zum Standard. Warum? In der Hauptsache deshalb, weil die Rekuperation zu einem geringeren Verbrauch und damit zu einer besseren Reichweite führte. Und weil parallel die Themen Nachhaltigkeit, Verbrauch und Emissionen auf der Straßenseite immer mehr Bedeutung gewannen, griff der Le-Mans-Ausrichter das Thema auf und passte die Technikreglements entsprechend an.

Audi zündet Technikfeuerwerk in Le Mans

Kaum eine andere Marke hat das Thema Innovation so stark gespielt wie Audi: Nach dem tastenden Beginn mit dem Audi R8 setzten die Ingolstädter 2001 mit dem ersten TSFI-Modell einen ersten spektakulären Technikakzent in Le Mans: Der V8-Biturbomotor besaß eine Benzin-Direkteinspritzung. Das Ansprechverhalten verbesserte sich, der Kraftstoffverbrauch sank, und der Motor konnte schneller gestartet werden, was einen Zeitvorteil beim Boxenstopp brachte. Dazu wurde die Innovation meisterlich in Szene gesetzt: Audi enthüllte die Verwendung der neuen Technologie erst nach dem Rennen! 2006 folgte mit dem Einsatz eines V12-TDI-Dieseltriebwerks mit 5,5 Litern Hubraum im Audi R10 der nächste Meilenstein. Das Drehmoment-Monster mit über 1100 Nm siegte in Le Mans gleich beim Debüt – und holte den ersten Gesamtsieg in Le Mans für ein Dieseltriebwerk.

Audi R8 - Le Mans 2001
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2001 triumphierte Audi mit dem R8. Das Besondere an dem Auto: Es hatte eine Benzin-Direkteinspritzung.

Fangfrage für Histo-Freaks: Wann fuhr der erste Diesel-Rennwagen in Le Mans? Da wären Sie wahrscheinlich nie drauf gekommen: 1949, beim ersten Rennen nach dem Zweiten Weltkrieg. Und das kam so: Nach zehnjähriger Pause versuchte der Ausrichter ACO, möglichst viele Teams für den Le-Mans-Neustart anzulocken. Während in der Frühphase die Teilnahme und Einsortierung der Autos ins Feld auch an der Menge der produzierten Fahrzeuge hing, wich der ACO von diesem Konzept für 1949 ab und erlaubte die Teilnahme von Nicht-Produktionswagen – oder besser: für Prototypen. Das war eine fundamentale Richtungsänderung, denn im Produktionswagensport konnte man ja nur das fahren, was im Straßenauto schon vorhanden war. Erst das Prototypenreglement öffnete das Feld für neue Technikansätze.

Die Brüder Jean und Jacques Delettrez griffen die neuen Freiheiten auf und brutzelten so den ersten Le-Mans-Diesel-Rennwagen zusammen: Ein Vorkriegs-Uni-Chassis wurde mit einem Delahaye-145-Bodykit vermählt, unter der Haube werkelte ein 4,4 Liter großer Reihensechszylinder-Dieselmotor mit 91 PS, der aus einem GMC Truck der US Army stammte. Das Brüderpaar hatte die Hoffnung, die unterlegene Leistung über die bessere Reichweite des Dieselkonzepts kompensieren zu können. Dafür wäre es im Rennen zwingend notwendig gewesen, immer genügend Diesel an Bord zu haben – doch der Delettrez-Wagen fiel nach 20 Stunden mit trockenem Tank aus. Auch in Le Mans gilt: Aller Anfang ist schwer!

Erst in der großen Rückschau ist zu erkennen, ob eine neue Technik auch echte Vorteile bietet. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs waren alle First-off-Einsätze in Le Mans im Wesentlichen ein Übertrag aus den Straßenautos, was sich erst mit der Zulassung von Prototypen 1949 änderte. So nahm zum Beispiel schon 1927 der erste Fronttriebler mit Frontmotor das 24h-Rennen in Angriff: Der Tracta des Automobilpioniers und Ingenieurs Jean-Albert Grégoire war mit einem winzigen 1,1-Liter-Vierzylinder der Société de Construction Automobiles Parisienne (SCAP) ausgestattet, sah aber dennoch das Ziel und belegte sogar den siebten Gesamtrang.

Nissan sollte die für Le Mans ungewöhnliche Konzeptverbindung aus Frontmotor und Frontantrieb 88 Jahre später wiederbeleben. Es wurde einer der größten Technik-Flops in der Geschichte von Le Mans, und bis heute weiß niemand, was Nissan Motor Europe geritten hat, dieses Auto an den Start zu bringen. 2014 spuckte Nissan bei der Ankündigung noch große Töne: Man wolle die großen Hersteller Porsche, Audi und Toyota in Le Mans schlagen. Als das Konzept mit Frontmotor und Frontantrieb publik gemacht wurde, waren die Experten ratlos. Ein Porsche-Ingenieur sagte damals: "Wir haben für den 919-Hybrid alle Konzeptvarianten per Simulation überprüft. Das Ergebnis war immer das gleiche: Nur ein Mittelmotorkonzept kann in Le Mans funktionieren."

Nissan GT-R LM Nismo - Hybrid - Le Mans 2015
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Der Nissan GT-R LM Nismo hatte einen Frontantrieb. Nissan wollte 2015 die konventionelle Werkskonkurrenz herausfordern, war aber chancenlos.

Nissan bestritt mit dem GT-R LM Nismo 2015 nur das 24h-Rennen in Le Mans, von drei Fahrzeugen erreichte nur eines das Ziel, das aber wegen des großen Rückstands nach diversen Problemen nicht gewertet wurde. Die Anekdote belegt, dass auch Hybris Teil der technischen Erkenntnis sein kann – wenigstens diesen Beweis konnte Nissan erbringen.

Garage 56: tolle Idee, aber geringer Ertrag

Allerdings hat das Technik-Fiasko von 2015 auch eine Vorgeschichte, die in unserem Zusammenhang von Interesse ist: 2012 führte der Le-Mans-Ausrichter Automobile Club de l’Ouest (ACO) eine Sonderklasse für technische Innovationen ein – die Garage 56. Diese Fahrzeuge liefen außerhalb der üblichen Klassenstruktur und sollten das Tor für kreative Lösungen noch ein Stück weiter öffnen als üblich. Die gute Idee produzierte zwar in den letzten zehn Jahren viele Schlagzeilen, aber keinen nennenswerten technischen Fortschritt.

Nissan war auf der Antriebsseite bereits beim ersten Garage-56-Projekt mit dem Delta Wing 2012 involviert: Das Fahrzeug hatte die Form eines Deltaflügels, mit einer ungewöhnlich engen Spur an der Vorderachse, in Kombination mit einer traditionell breiten Spur an der Hinterachse. Dazu kam das vom Designer Ben Bowlby für die IndyCar-Serie entwickelte Fahrzeugkonzept ohne Flügel aus, der Abtrieb kam nur vom Unterboden.

Das radikale Design sorgte zwar für viel Wirbel, war aber sportlich ein Flop. Zwei Jahre später ging Nissan im Rahmen der Garage 56 mit dem Hybrid-Prototyp Zeod RC an den Start, der das Deltawing-Konzept weiter zuspitzte: ein Auto mit der Symmetrie eines Dreirades, das eine Runde rein elektrisch fahren können sollte, weniger wog als andere Prototypen, weniger verbrauchte und ohne Abtrieb spendende Flügel auskam. Beim Antrieb wurde ein 1,5-Liter-Dreizylindermotor mit einem großen Batteriepaket kombiniert. Onboard-Videos sollten in Le Mans belegen, dass der Zeod als erster Rennwagen der Le-Mans-Geschichte eine volle Runde mit rein elektrischem Antrieb bewältigte und obendrein einen Topspeed von über 300 km/h erreichte. Doch Experten entlarvten das alles recht schnell als PR-Märchen.

Nissan Delta Wing - Le Mans 2012
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Die skurrilste Idee aus Garage 56 war der Delta Wing. Das Auto sah zwar spektakulär aus, war aber langsam.

In der Rückschau brachte das Garage-56-Konzept mehr Marketing als technische Innovation. Vielleicht hätte der ACO seine eigenen Geschichtsbücher besser lesen sollen. Bereits 1963 vergab man eine Doppelnull-Startnummer an ein außergewöhnliches Konzept, das aber ebenfalls nicht wirklich zu zünden vermochte: BRM brachte zusammen mit Rover ein Auto mit Gasturbinenantrieb für die Starpiloten Graham Hill und Richie Ginther an den Start. Im Gegensatz zum Nissan-Garage-56-Projekt schaffte das Duo im Rennen immerhin 310 Runden, was in Summe einem siebten Platz entsprochen hätte, wäre man nicht außerhalb der Wertung gefahren. 1965 kam es zu einem zweiten Aufguss, Hill und Jackie Stewart landeten immerhin auf dem zehnten Rang. Ein technischer Pfad für die Zukunft war der Gasturbinenantrieb trotzdem nie – aber man muss es halt erst machen, um das zu lernen.

Letztlich muss neue Technik eine Verbesserung zur Performance beisteuern, egal ob es um Rundenzeit, Luftwiderstand, Abtrieb oder Reichweite geht. Ende der 60er-Jahre kamen in der CanAm die spektakulären Flügel-Monster auf, wie der Chaparral 2E. Einstellbare Flügelprofile sorgten für Abtrieb und pressten das Auto auf die Straße. Der Heckflügel war geboren, und ohne ihn sollte in der Le-Mans-Geschichte nicht mehr viel gehen. 1967 startete der Chaparral 2F in Le Mans und stand wie bei einigen Rennen zuvor in der ersten Startreihe – der technische Fortschritt war also sofort zu erkennen.

Auch wenn Chaparral im Le-Mans-Rennen 1967 nichts riss, fand das Konzept sofort begeisterte Abnehmer: Im Folgejahr tauchte Porsche beim 908/8 mit einstellbaren Heckflügeln auf, die allerdings weniger hoch montiert waren als beim wüsten Chaparral. Es sollte jedoch noch vier Jahre dauern, bevor es der Heckflügel wirklich ins Geschichtsbuch von Le Mans schaffte: 1972 siegten Henri Pescarolo und Graham Hill mit dem Flügel-bewehrten Matra-Simca MS670. Seither fuhren alle Le-Mans-Siegerwagen einen Flügel spazieren – und es ist mehr als unwahrscheinlich, dass Peugeot 2023 die lange Siegesserie des Heckflügels mit dem 9X8 unterbrechen kann.

Matra-Simca MS670 - Le Mans 1972
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Der Matra-Simca MS670 war 1972 das erste Siegerfahrzeug mit einem Heckflügel.

Der Wankel-Mut eines Privatteams

Was nicht bedeuten soll, dass exotische Lösungen in Le Mans keine Chance haben. Der Wankelmotor ist ein tolles Beispiel. Jedes Schulkind weiß, dass Mazda beim Werkseinsatz des 787B mit einem Vier-Rotor-Wankelmotor ohne Turbolader 1991 Le Mans gewann – als erster japanischer Hersteller überhaupt. Der Ritterschlag bestand darin, dass man mit Jaguar, Mercedes, Peugeot und Porsche hochrangige Gegner geschlagen hatte. Doch eigentlich war der Wankelmotor 1991 in Le Mans bereits ein alter Hut: Die Belgier Yves Deprez und Julien Vernaeve brachten bereits 1970 einen Chevron-B16-Prototyp mit Mazda-Wankelmotor an den Start – es war das erste Mal, dass sich überhaupt ein japanischer Motor in die Start-aufstellung von Le Mans verirrt hat, und es war auch der erste Start für einen Wankelmotor.

Das belgische Duo hielt 1970 zwar nicht lange durch, dafür weckte man im Land der aufgehenden Sonne schlafende Hunde: 1973 trat mit Sigma Automotive das erste japanische Team in Le Mans an, und natürlich war der MC73-Prototyp wieder mit einem Wankelmotor von Mazda bestückt. Es dauerte aber bis 1979, bis Mazda das Thema Wankelmotor und Le Mans in die eigenen Hände nahm – und 1991 endlich auch den Sieg holte.

Ein weiterer Meilenstein in Le Mans war die Turboaufladung, hier spielte Porsche die Vorreiterrolle. 1976 baute man mit dem 936 einen Steroid-Bomber der speziellen Art: Der offene Spyder nach Gruppe-6-Reglement war mit einem aufgeladenen 2,142 Liter großen Boxermotor ausgestattet, der 520 PS leistete – bei einem Fahrzeuggewicht von 830 Kilo. Die beiden Martini-Porsche 936 sahen mit ihren großen Rädern, den abstrusen Karosserieverlängerungen und dem riesigen Heckflügel aus wie Rennwagen-Gorillas. Jacky Ickx und Gijs van Lennep siegten mit elf Runden Vorsprung – und verhalfen der Turbotechnik zum ersten Gesamtsieg in Le Mans.

Mazda 787B - Le Mans 1991
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Mazda gewann 1991 mit dem 787B und dem eingebauten Wankelmotor in Le Mans.

Aufgrund der Streckencharakteristik und des hohen Volllastanteils von 76 Prozent zählt in Le Mans auf der Antriebsseite eine Kombination aus viel Leistung (gute Beschleunigung und hohe Topspeeds) und maximaler Effizienz. Während die Topwagen aus den Gesamtsiegerklassen früher weit über 60 Liter Sprit auf 100 Kilometer verbrannten, schafften sie die gleiche Distanz in der letzten Dekade mit 50 Prozent weniger Benzin, bei schnelleren Rundenzeiten und höheren Durchschnittsgeschwindigkeiten. Ein weiterer zentraler Performance-Aspekt in Le Mans ist die Aerodynamik, und wie beim Powertrain ist das ein zweischneidiges Schwert: Auf der einen Seite will man so wenig Luftwiderstand wie möglich, was die Topspeeds erhöht und den Verbrauch senkt, auf der anderen Seite rückte ab Ende der 60er-Jahre das Thema Abtrieb in den Fokus der Ingenieure. Je mehr Abtrieb, umso höher die Kurvenspeeds und umso besser die Brems-Performance. Der erste Sieg für ein Auto mit Heckflügel 1972 war jedoch nur der Anfang.

Die echte Revolution bildeten die Groundeffect-Autos der Gruppe C, die 1982 die Bühne in Le Mans betraten. Die britischen Konstrukteure March und besonders Lola mit dem T600 machten Ende der 70er-Jahre mit ihren Autos für das US-GTP-Reglement den Anfang. Porsche trieb das Groundeffect-Konzept mit dem 956 und 962 auf die Spitze. Die Idee: Die Unterströmung und der Unterboden sollten den Großteil des Abtriebs generieren, denn Abtrieb vom Unterboden geht kaum in den Luftwiderstand ein. Damit hatte man zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: mehr Abtrieb, aber nicht zulasten des Luftwiderstands. Was auch deshalb wichtig war, weil man wegen der Verbrauchsformel in der Gruppe C um jedes Gramm Kraftstoff feilschen musste.

Porsche-Allrad und Porsche-PDK

Porsche war in dieser Phase besonders experimentierfreudig. Nur drei Beispiele: Das Porsche-Kundenteam von Thierry Perrier gewann 1980 mit einem Saugmotor-911-SC die GT-Klasse (Gruppe 4) mit Biosprit. Im Qualifying hatten Teamchef Perrier und Co-Pilot Roger Camillet noch 14 Sekunden auf die schnellste Runde eines GT-Elfers gefehlt, im Rennen gewann man die Kategorie. Zweites Beispiel: Porsche experimentierte mit einem Doppelkupplungsgetriebe im Porsche 962, das 1986 zum ersten Mal in Le Mans an den Start ging. Das PDK-Getriebe reduzierte die Schaltzeiten und verbesserte die Schaltqualität – also Performance und Zuverlässigkeit. Geschaltet wurde zunächst mit einem Schalthebel, der nur noch gezogen (Hochschalten) oder nach vorn gedrückt werden musste. Später wurde das System durch zwei Schaltknöpfe am Lenkrad ergänzt – die Vorboten der Schaltpaddles. Heute gibt es kaum einen Straßensportwagen, der ohne Doppelkupplungsgetriebe auskommt.

Porsche 962 C - Le Mans 1986
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Porsche baute 1986 in den 962 C ein Doppelkupplungsgetriebe und war damit der Zeit voraus.

Drittes und letztes Beispiel: Zeitgleich zum ersten PDK-962 erprobte Porsche beim 24h-Rennen in Le Mans 1986 auch ein allradgetriebenes Fahrzeug, den Porsche 961 – es war das erste Allradauto in der Geschichte des 24h-Rennens von Le Mans. Bei dem Fahrzeug handelte es sich um einen vom Porsche-Werk modifizierten Typ 959 mit dem 2,8-Liter-Boxermotor aus dem 962 C und einem an den Dakar-Rennwagen angelehnten Allradantrieb, mit einer Standard-Kraftverteilung von 20 zu 80 Prozent zwischen Vorder- und Hinterachse. Drei weitere Fahr-Modi gaben unterschiedliche Kraftverteilungswerte für unterschiedliche Wetterbedingungen frei. Dakar-Sieger René Metge war im Qualifying 1986 nur drei Zehntelsekunden langsamer als der Mazda-Prototyp aus der GTP-Klasse. Metge und Co-Pilot Claude Ballot-Léna kamen in der extra eingerichteten GTX-Klasse auf einem famosen siebten Gesamtrang ins Ziel.

Der Blick in die Geschichte beantwortet die eingangs gestellte Frage, warum Le Mans ein größerer Innovationstreiber als alle anderen Autorennen war: Le Mans vereint die einmalige Kombination aus hoher Komplexität, technischem Anspruch und globaler Aufmerksamkeit – aber erst die Offenheit der technischen Regelwerke machte Le Mans zur bedeutenden Technologie-Plattform.

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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

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