15. Winkinger Rallye unter artischen Bedingungen
Schnee-Treiben bei der Rallye-DM

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Von der Wikinger-Rallye 2013 werden wir noch im Lehnstuhl reden. Die größten Schneemassen in der deutschen Rallye-Geschichte machten aus dem zweiten Lauf zur Deutschen Meisterschaft ein Abenteuer.

Sandro Wallenwein, Winterlandschaft
Foto: Oliver Kleinz/RB Hahn

Die Fernsehnachrichten zeigen ineinander verkeilte Blechhaufen auf Mecklenburgs Autobahnen, im Radio warnen sie vor schweren Schneeverwehungen auf Rügen. Es weht mit drei Windstärken, aber trotzig hat die Moderatorin auf NDR2 den Beginn der Grillsaison ausgerufen. Die Fähren zu den Inseln stellen wegen Niedrigwasser den Verkehr ein und die Deutsche Bahn verkündet, dass wegen der Schneemassen die Schienenverbindung zwischen Flensburg und Eckernförde bis auf Weiteres eingestellt ist.

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Fotograf Oliver hat schon angerufen, in der Stimme einen Hauch von Verzweiflung: „Ich weiß ja nicht, was für Motive dir so vorschweben, hier ist einfach alles weiß.“ Wenige Tage vor dem Start haben die beiden Porsche-Piloten Ruben Zeltner und Olaf Dobberkau ihre GT3-Geräte zurückgezogen. In Süderbrarup sitzt Jürgen Krabbenhöft in seinem Hauptquartier und entscheidet: „Wir fahren trotzdem.“

Asphalt-Rallye wird zum Schneelauf

Frank Tore Larsen ist weit gefahren. Er hat seinen Ford Fiesta aus Norwegen über den Belt gebracht, weil er nach vier Schneerallyes auf Asphalt trainieren wollte. „Ich dachte, ich könnte schon mal T-Shirts und kurze Hosen einpacken“, sagt der Blondschopf. Stattdessen hätte er schon im Shakedown die Schneeschaufeln ausgepackt, wenn er welche dabei hätte. Der Däne Max Kristensen wartet auf die Feuerwehr, um seinen Subaru zu befreien.
 
Die Wahrheit über die gebürtigen Wikinger ist, dass sie seit eineinhalb Jahrzehnten keinen Schnee mehr unter den Rädern hatten. Organisator Krabbenhöft gesteht: „Wir haben den Teilnehmern eine geile Asphalt-Rallye versprochen, aber irgendwie hat die Ausschreibung nicht gestimmt.“
 
Der seit Tagen steif blasende Ostwind fegt unermüdlich die weißen Massen über die Felder. Auf der Landstraße 317 wütet ein Blizzard, über die B 201 wälzen sich weiße Wanderdünen. Krabbenhöfts Helfer versuchen mit Schneeräumern, Traktoren und Radladern seit Mittwoch, die Rallyepisten freizuschaufeln. Wer am Freitagnachmittag rund um die Startrampe in Süderbrarup auch nur ansatzweise im Verdacht steht, weitläufig mit einem Bauern oder Bauunternehmer verwandt zu sein, wird verhaftet und aufgefordert, schweres Gerät mit Schaufel anzuschleppen.

Verzögerter Start wegen den Räumfahrzeugen

Sandro Wallenwein hat zwar schon in Boholzau zwanzig Minuten Verspätung, aber das liegt nur am verzögerten Start wegen der Räumfahrzeuge. Wie beim zeitgleichen Länderspiel Deutschland gegen Kasachstan steht es bei der Wikinger-Rallye früh drei zu null. Wallenwein, dank diverser Wintertrainings am Polarkreis bestens auf schlüpfriges Geläuf eingeschossen, ist eine Klasse für sich. Zudem ist sein Subaru Impreza gegenüber den Super 2000-Peugeot der Konkurrenten aus Dänemark mit deren giftigen Zweiliter-Saugmotoren besser fahrbar.
 
Jasko Keskinen hat sich erst kürzlich einen Skoda Fabia S2000 gekauft, um in der Blüte seiner 58 Jahre vielleicht noch mal Deutscher Meister zu werden. „Ich werde ganz vorsichtig fahren“, kündigt der Finne an - und steckt schon auf Prüfung eins für 20 Minuten im Schnee und gesteht kleinlaut: „Dieses Auto ist zum langsam Fahren denkbar schlecht geeignet.“
Mancher Däne hat einen liebevoll gepimptem Dreier-BMW dabei, der heute weder zum langsamen noch zum schnellen Fahren taugt. Die dem Wüten des Wetters trotzenden Zuschauer auf den Äckern um Buschau wärmen sich an Momenten wie dem, wo Carsten Mohe seinen Renault Mégane auf einem vereisten Matschweg auf einer kurzen Geraden kurzerhand die linken Räder in den Graben klinkt und wie eine Fräse an einem allzu ängstlichen Dänen vorbeistürmt.
 
Einer der Helden dieser Wikinger-Rallye ist Kai-Dieter Kölle, der seinen Porsche nicht zurückgezogen hat. Motto des Mannes aus Grube: „Ich fahre immer.“ Er kommt auf Rang 18 von 54 Überlebenden ins Ziel. Noch bemerkenswerter ist der Auftritt von Julius Tannert. Der 22-jährige Wirtschaftsstudent aus Lichtentanne holt im neu gegründeten Citroën-DS3-Cup nicht nur den zweiten Sieg im zweiten Lauf, sondern wird auch Gesamt-Achter und lässt zudem Gaststarter Felix Herbold im gleichen Auto hinter sich - jener Herbold, der in den Annalen der Wikinger-Rallye 2011 und 2012 als Gesamtsieger verzeichnet ist.

So etwas haben wir noch nicht erlebt

Die wahren Helden sind aber die Männer auf den Radladern, die sich freiwillig am Samstagmorgen um fünf Uhr treffen, um abermals die Strecken passierbar zu machen. Bei Husby-Mühle haben die Verwehungen eine Höhe erreicht, von der die Organisatoren der Schweden-Rallye seit Jahrzehnten träumen, die Teilnehmer tasten sich auf festgefahrenen Schneedecken mit gewöhnlichen Winterreifen auf Zehenspitzen durch die Landschaft. Ein Zuschauer steht auf dem windumtosten Acker und sagt Kopf schüttelnd: „Ich gehe seit 1985 zur Wikinger-Rallye, aber so etwas was habe ich noch nicht erlebt.“
 
Prüfung sechs muss gestrichen werden. Die Piste ist frei, doch die Rettungswege unpassierbar. Prüfung sieben fällt aus, nachdem sich einige Zivilisten auf der Verbindungsetappe festgefahren haben. Georg Berlandy startet in die Prüfung Fraulund, kommt aber deutlich verspätet an. Die Köln-Ahrweiler-Legende hat als Zweiter in einem Peugeot 207 S2000 bis auf Wallenwein alle im Griff. Doch plötzlich kämpft sich sein Allrader durch 40 Zentimeter hohen Schnee, die Luft ist voller Eiskristalle.
 
„Ich fuhr im dritten Gang Vollgas, um überhaupt durchzukommen“, sagte der 43-jährige Eifelaner, der im Whiteout der Piste abkommt und sich nicht traut auszusteigen, weil er berechtigte Angst hat, von nachfolgenden Blindfliegern über den Haufen gefahren zu werden. Die Angst ist berechtigt, auch Carsten Mohe und der bis dahin bestplatzierte Däne Nicolai Jensen fliegen ganz in der Nähe ab. Es war der Moment, wo die Stimmung kippt. „Das hat mit Rallye fahren nichts mehr zu tun“, schimpft Berlandy.
 
Geht es nach Jan Becker, in seinem Subaru Impreza als Dritter auf dem Weg zu seinem besten DRM-Ergebnis, ist der Fall klar: „Da gibt nur eins: Abbruch.“ Krabbenhöft streicht die nächsten zwei Prüfungen. Nach dem mühelos befahrbaren Stadtrundkurs in Süderbrarup rollt Sandro Wallenwein als Sieger über die Rampe und erklärt: „Erst einmal ein großes Lob an den Veranstalter, dass er die Strecken so lange freigehalten hat.“
 
Jürgen Krabbenhöft hört es mit Wohlwollen und ist guter Laune, weil alle Beteiligten heil geblieben sind. Er hat wegen der zusätzlichen Räumfahrzeuge nun ein fünfstelliges Loch in der Clubkasse. Da kommt es auf hundert Euro mehr oder weniger nicht an. Am Abend bekommen alle Überlebenden einen Aufkleber, auf dem in Englisch, Dänisch und Deutsch zu lesen steht: „Wikinger-Rallye 2013 - Wir haben es geschafft.“

Wikinger Rallye im Detail

Die Wikinger-Rallye wird seit 1984 ausgetragen und gehört seit 2006 ununterbrochen zum Kalender der Deutschen Rallye-Meisterschaft. Die Veranstaltung zwischen Schleswig und Flensburg soll eigentlich den Rallye-Frühling einläuten, erlebte aber 2013 Schneemassen, wie sie die traditionellen Winter-Rallyes Sachs-Winter-Rallye oder Oberland-Rallye in 33 Jahren deutscher Meisterschaft nie erlebt haben. Die hügeligen Asphalt-Sträßchen rund um den Startort Süderbrarup gelten als anspruchsvoll und locken regelmäßig Starter aus dem Ausland an. Die Wikinger-Rallye zählt seit vielen Jahren auch zur Dänischen Meisterschaft. 2012 wurde die deutsche Veranstaltung zur besten Rallye Dänemarks gekürt.

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Sport Auto 03 / 2022
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Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten