ADAC GT Masters Titelentscheidung 2013
Callaway-Corvette holt den Titel

Inhalt von

Das ADAC GT Masters-Finale in Hockenheim brachte erwachsene Männer zum Weinen. Die einen aus Enttäuschung, die anderen aus Freude. Nach sieben Jahren Durststrecke feierte Callaway Competition mit Diego Alessi und Daniel Keilwitz den ersten Fahrertitel.

Corvette C6, Callaway-Team
Foto: Burkhard Kasan

Es könnte eine Szene aus einem Film mit einem Außerirdischen sein, der gerade auf der Erde gelandet ist. Der weiß-blaue Mercedes SLS vom Team HTP steht auf der Zielgeraden in Hockenheim in weiße Rauchwolken gehüllt. Es dampft aus der Motorhaube. Erst bewegt sich sekundenlang nichts. Dann klappt die Flügeltür langsam nach oben auf. Wie aus einem Raumschiff klettert ein kleiner Mann aus dem Auto. Maximilian Buhk steht am Streckenrand, presst die Lippen zusammen und weint. In diesem Moment hat er den Titel im ADAC GT Masters verloren. Es war ein Drama mit Vorankündigung.

Unsere Highlights

Technik-Drama beim Mercedes SLS

Wenige Runden zuvor leuchtete im Cockpit des Mercedes SLS in Kurve zwei die Alarmleuchte für die Wassertemperatur auf. Der Motor schaltet daraufhin in das Notprogramm, er läuft nur auf der Hälfte der Zylinder. "Einmal kann man dieses Notprogramm wieder ausschalten, aber nach einer halben Runde war es wieder drin“, sagt Buhk. Er verliert mehrere Sekunden pro Runde. Immer wieder funkt der 21-Jährige mit dem Team: "Ich sollte mich bis zum Boxenstopp retten.“ Auf Platz zwei liegend muss er einen Konkurrenten ziehen lassen. In Runde 15 lösen sich die Titelträume mit einem lauten Knall im Cockpit wortwörtlich in Rauch auf. Motorschaden.

"Das ist uns in drei Jahren nicht passiert“, ärgert sich Buhks Teamkollege Maxi Götz. Die beiden hatten in dieser Saison einen Lauf. Die Youngster sicherten sich den Sieg beim 24h-Rennen Spa, beim 1.000-Kilometer-Rennen am Nürburgring und Buhk zusätzlich den Fahrertitel in der Blancpain-Series. Der Lohn: ein DTM-Test. Das Erfolgsgeheimnis? "Das Team hat sich verschlankt“, sagt Götz. Man konzentriert sich auf weniger Autos, ein Ingenieur betreut nur noch eine statt zwei Fahrerpaarungen. "Zudem harmonieren wir als Duo ausgezeichnet.“

Vor dem Rennwochenende in Hockenheim hatten elf Piloten eine Chance auf den Titel, vor dem letzten Lauf am Sonntag sah es für das Mercedes-Gespann und die Tabellenführer Diego Alessi und Daniel Keilwitz mit der Corvette am besten aus. Sechs Punkte trennten sie vor dem großen Showdown. Ein weiterer Triumph hätte in die Siegesserie von Buhk und Götz gepasst. Aber es war wohl Schicksal, dass ausgerechnet Alessi und Keilwitz den Pott holten. Denn die beiden wissen am besten, wie nah Sieg und Niederlage beieinander liegen können: Im vergangenen Jahr reisten sie ebenfalls als Tabellenführer nach Hockenheim – und fuhren enttäuscht als Vizemeister der ADAC GT Masters nach Hause.

Wütender Corvette-Ritt durchs gesamte Feld

Auch dieses Mal wurden sie auf die Probe gestellt. Die Callaway Corvette wurde in der ersten Runde umgedreht und fiel bis ans Ende des Feldes zurück. "Ich hatte die Meisterschaft in diesem Moment schon abgehakt“, sagt Teamchef Giovanni Ciccone. Doch Keilwitz fuhr mit dem Messer zwischen den Zähnen und pflügte sich mit einem Parforce-Ritt in die Top-Ten zurück.

"Die anderen schienen bemerkt zu haben, wie sauer ich nach dem Start war und haben freundlich Platz gemacht.“ Sein Teamkollege Alessi überquerte schließlich als Sechster die Ziellinie und tütete damit nach dem Ausfall des Mercedes SLS die Meisterschaft ein.
Der Nervenkrimi in Hockenheim war ein Spiegelbild der gesamten Saison für das Team Callaway Competition. Zu Beginn herrschte Ernüchterung, dann folgte der Angriff. Bis auf einen Sieg in Oschersleben kann man die erste Saisonhälfte als Grütze bezeichnen.

Nach drei Rennwochenenden lagen Keilwitz und Alessi auf Platz elf in der Fahrerwertung. Pünktlich zur Saisonmitte am Nürburgring feierte die Corvette mit Rang vier und fünf ihre Auferstehung.

Brachte die BOP die Wende?

Die Konkurrenz machte die neue BOP-Einstufung, die dem US-Dampfhammer einen vier Millimeter größeren Restriktor zugestand, für die schnelle Genesung verantwortlich.
Teamchef Ciccone begründete den Aufschwung aber damit, dass man die Reifenprobleme gelöst habe. Denn am Anfang der Saison brachte man die neuen Yokohama-Reifen einfach nicht auf Temperatur. Neue Erkenntnisse zu Sturz- und Dämpfereinstellungen lieferten mehrere Testfahrten mit Unterstützung des Reifenherstellers. "Außerdem habe ich immer gesagt, unsere Strecken kommen noch“, erinnert sich Ciccone, der seinen Augenringen nach zu urteilen in den letzten Tagen vor dem Finale kaum geschlafen haben dürfte.

Seit der Premierensaison 2007 ist der Italiener im Gespann mit Ernst Wöhr im ADAC GT Masters am Start. Sie brauchten einen langen Atem. Sieben Jahre hat es gedauert, bis der Fahrertitel für das Team aus Leingarten bei Heilbronn heraussprang. "Im vergangenen Jahr haben wir ein bis zwei Monate gebraucht, um die Enttäuschung zu verarbeiten. Jetzt wird es einen Monat dauern, bis wir verstanden haben, was hier passiert ist“, sagt Ciccone.
Wenn er von "wir“ spricht, meint er den kleinen Kreis von 20 Mitarbeitern, die zum Rennteam des Corvette-Veredlers gehören. Eine Mannschaft, die im ADAC GT Masters Fahrerlager aus der Reihe fällt. Die auf den ersten Blick aus extrem unterschiedlichen Charakteren besteht, sich aberals Familie sieht.

Dazu zählt Teamchef Ernst Wöhr, der mit seiner Baskenmütze und seiner stämmigen Statur wie ein liebenswerter Bär wirkt. Bei der Siegerehrung knallte er nicht etwa mit Champagnerkorken, sondern trug stolz seine Enkelin auf dem Arm spazieren. Früher war er bei jeder Gelegenheit für eine offene und direkte Meinung zu haben, in dieser Saison hat er die Aufgabe als Sprachrohr des Teams an seinen Partner Ciccone übergeben.

"Jeder streichelt das Auto bevor er nach Hause geht"

Der braungebrannte Karosseriebauer zählt schon seit der Gründung des gemeinsamen Unternehmens, das neben der Fertigung der GT3-Corvette auch Kohlefaserteile herstellt, zu den engen Vertrauten. "Viele denken, wir hätten in den USA noch irgendwo 50 Leute versteckt, aber das ist Quatsch“, sagt er. "Bei uns streichelt jeder das Auto, bevor er abends nach Hause geht.“

Dieses Ritual schätzt auch Diego Alessi. "Die menschliche Seite dieses Teams ist für mich etwas ganz Besonderes“, sagt der 42-Jährige. "Das Team ist für mich wie eine Familie.“ Alessi, der eine Breitling-Uhr am Handgelenk trägt, studierte eine Weile Jura, hat jedoch erkannt: "Ich bin für das Rennfahren gemacht.“ Und für die Literatur. Er verrät, er habe über 1.000 Bücher gelesen und bereits zwei geschrieben. Einen Roman und ein Buch über sein Rennfahrerleben, das mit dem Motorradsport begann und nicht immer von Glück gekrönt war. "Weil es zu persönlich wurde, habe ich diese Biografie aber nie veröffentlicht.“

Man mag dem wortgewandten und witzigen Italiener diese nachdenkliche Seite zunächst nicht abkaufen. Aber dann laufen ihm die Tränen über die Wangen. Er muss einige Minuten tief durchatmen, weil er den Titelgewinn noch immer nicht fassen kann. Es zeigt, was diesem Mann dieser Sport bedeuten muss. Und es erklärt die enge Bindung zu seinem Teamkollegen Daniel Keilwitz: "Er ist wie ein Bruder für mich.“

Alessi und Keilwitz sind zwei ruhige Gesellen

Der 24-jährige Schwarzwälder und Alessi ticken ähnlich. "Wir sind keine Partytiere, wir mögen es lieber ruhig – auch wenn man mir das vielleicht nicht glauben mag“, sagt Alessi. Während es der erste große Erfolg für ihn ist, hat Keilwitz, der in der IT-Abteilung von Fahrwerkshersteller KW arbeitet, bereits einen FIA GT3-Titel aus dem Jahr 2010 in der Tasche. "Diese Meisterschaft ist mein größter Erfolg, denn das Feld war hier viel stärker besetzt“, sagt er ganz ruhig und gefasst. Bei der Meisterehrung nach dem Rennen reißt es aber auch ihn – und er fängt an zu weinen.

Die aktuelle Ausgabe
Sport Auto 03 / 2022
Sport Auto 03 / 2022

Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten