American Le Mans Series
Meisterschafts-Endspurt in der GT-Klasse

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Viper hat das Milchgebiss ausgespuckt und erstmals einen ALMS-Sieg geholt. Jetzt verbeißen sich die Viper-Giftzähne sogar in den GTE-Titelkampf, wo sich Corvette und BMW gut geschützt und sicher wähnten.

ALMS, Viper GTS-R
Foto: David Lister

"Und ich dachte schon, wir hätten uns verzockt!“ Als Bill Riley das sagt, riecht er wie ein alter Champagnerkorken. Seine Haartracht ist zersaust, weil jeder Mechaniker im Siegestrubel seinen Kopf getätschelt hat. Sein gewölbter Bauch, der frappant an eine Kanonenkugel erinnert, scheint vor Stolz fast zu platzen, und die Augen hinter der liederlichen Plastikbrille leuchten wässrig, als wären noch nicht alle Tränen getrocknet.

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Doch auch starke US-Boys zeigen mal Gefühle. Beim sechsten Saisonlauf der American Le Mans Serie (ALMS) auf der Kultstrecke in Road America hatte das Viper-Werksteam von Riley soeben den ersten Sieg seit dem Einstieg in die GTE-Klasse im Juli 2012 geholt.
"Zehn Minuten vor Rennende habe ich noch gedacht, dass ich am Dienstag zu einem unerfreulichen Briefing in die Konzernzentrale gebeten werde. Denn es sah ja so aus, als müssten wir mit dem führenden Auto nochmal an die Box zum Nachtanken“, stöhnt Teamchef Bill Riley. "Und dann kam neun Minuten vor Schluss die letzte Gelbphase – wir konnten uns mit dem Sprit gerade so ins Ziel hangeln.“

Das Rennen endete unter Gelb, und als Marc Goossens die Ziellinie kreuzte, befanden sich noch exakt 0,1 Gallonen im Tank, macht 0,37 Liter. Mit viel Gefühl schaffte es der Teamkollege von Dominik Farnbacher in den Parc Fermé, wo er von einem Meer aus silberblauen Viper-Fahnen empfangen wurde.

Viper: Nur mit PS an die Spitze der ALMS?

Der Sieg von Road America katapultierte Viper mitten ins Titelrennen, das bis dato eher auf das Großduell zwischen Corvette und BMW hinauszulaufen schien. Denn Goossens und Farnbacher lagen zusammen mit BMW-Werkspilot Dirk Müller plötzlich auf Platz zwei der Meisterschaftswertung – nur fünf Punkte hinter den führenden Corvette-Piloten Oliver Gavin und Tommy Milner.

Doch es war vor allem der erlösende erste Sieg, den das Viper-Team nach dem Rennen in der Kultkneipe Siebkens in Elkhart Lake bis spät in die Nacht feierte. "Der Triumph kam genau zum richtigen Zeitpunkt“, freute sich Dominik Farnbacher, "denn nach einem Jahr musst du endlich unter Beweis stellen, dass die harte Arbeit auch Früchte zeigt.“

Die Gegner vor allem im Lager von BMW und Corvette sahen sich natürlich sofort in ihrem grundsätzlichen Urteil bestätigt, nach dem der Power-Vorteil der Viper mit dem Acht-Liter-V10-Triebwerk entscheidend zum Sieg beigetragen habe. "Die fahren mit 2,5 Liter mehr Hubraum als im Reglement vorgesehen und haben auch noch einen größeren Restriktor als wir mit unserem 5,5-Liter-V8“, maulte Corvette-Sportchef Doug Fehan.

Fakt ist natürlich, dass sich Viper während der ersten vollen Saison permanent verbessert hat – die übliche Lernkurve im ersten Jahr. Bei den ALMS-Proberennen im Spätsommer 2012 dackelten die zahnlosen Vipern je nach Strecke um mehrere Sekunden pro Runde hinter dem Feld her. Im Winter folgte ein strammes Upgrade-Paket, das nun immer besser funktioniert. Im Zeittraining in Road America stand Viper sogar auf der Pole Position – mit einem Vorsprung von acht Zehntelsekunden! "Da ist am Funk bei der Kommunikation über die angestrebte Rundenzeit wohl etwas verrutscht“, ätzte die Konkurrenz. Denn normalerweise sind die GTE-Wagen der ALMS im Qualifying um selten mehr als ein oder zwei Zehntel getrennt.

Doch die Balance of Performance (BOP) wird auf Basis der schnellsten Rennrunden einjustiert, das Qualifying fließt nicht in die Berechnung ein. Und außerdem steht der Fakt zu Buche, dass Viper in Road America nur mit viel Dusel gewonnen hat – in einem Rennen, das wieder einmal verdeutlichte, weshalb in der ALMS der beste GT-Sport der Welt geboten wird.

ALMS: Die Krone des GT-Sports!

Denn auch beim Zieleinlauf eines ALMS-Rennens kann man die zumeist mit Werksunterstützung eingesetzten GTE-Wummen von Corvette, BMW, Viper, Ferrari und Porsche für gewöhnlich mit dem Handtuch zudecken. Das hat zwei Gründe: Erstens ist die Performance der Autos so extrem eng und ausgeglichen, dass Solofahrten ein Ding der Unmöglichkeit sind. Zweitens werden die ALMS-Läufe, deren Renndistanz zwischen zwei und zwölf Stunden beträgt, fast immer von Gelbphasen unterbrochen, weil die vielen unterschiedlichen Fahrzeugklassen viel Verkehr produzieren – und damit auch viel Schrott.

"Der Fokus der GTE-Teams liegt daher auf dem letzten Boxenstopp, der muss so kurz wie möglich sein, denn der entscheidet über Sieg oder Niederlage“, so Jay O‘Connell, Technikdirektor des Rahal-BMW-Werksteams. Je kürzer der letzte Stopp, desto mehr Plätze und Track Position lassen sich gutmachen – oder verlieren. Wie krass der Wettbewerb in der GTE-Klasse ist, illustrierte das Rennen in Road America: 75 Minuten vor Rennende kamen alle GTE-Topteams bei der zweiten Gelbphase zum Nachtanken. Mit einer Tankfüllung schaffen sie aber nur gut 60 Minuten – der Restart erfolgte jedoch 68 Minuten vor Rennende. Um einen finalen Tankstopp zu sparen, splitteten nun die besten GT-Teams von BMW und Corvette ihre Strategie.

Das in der Meisterschaft schlechter platzierte Fahrzeug spendete dem Schwesterauto Windschatten, um Sprit zu sparen. "Wir haben das bei Tests perfektioniert, man geht im Windschatten weit vor dem Bremspunkt vom Gas – und spart so enorm viel Kraftstoff“, sagt Corvette-Pilot Oliver Gavin. So hätten die Titelkandidaten Dirk Müller (BMW) und das Corvette-Duo Gavin und Tommy Milner das Rennen unter Grün ohne zusätzlichen Stopp beenden können – während alle anderen Gegner nochmals hätten nachtanken müssen.

Wieder kam dem letzten Stopp unter Gelb die entscheidende Rolle zu. Und hier spielt auch der Spritverbrauch eine Rolle, denn jeder Liter, den man zusätzlich tanken muss, kostet natürlich Zeit. Corvette machte in Road America einen Wahnsinns-Job, fertigte beide Autos parallel in Bestzeit ab. "So kamen wir von Platz sieben und acht auf die Positionen eins und drei“, rechnete Corvette-Sportchef Doug Fehan stolz vor. Dirk Müller war der Verlierer. Er fiel von Platz zwei auf Position sechs ab, denn vorn rechts klemmte eine Radmutter.

Friede an der ALMS-BOP-Front

Ein Grund für den engen Rennverlauf beruht auf der Tatsache, dass die von der Regelbehörde IMSA speziell für die US-Rennen austarierte Balance of Performance (BOP) in der GTE-Klasse nahezu perfekt funktioniert. In der Summe hat es bisher über sieben Saisonrennen nur zwei marginale Anpassungen ge geben: Corvette bekam nach dem Sebring-Sieg einen Gewichtszuschlag von 15 Kilogramm, Viper musste nach dem Sieg in Road America 25 Kilo zuladen – that‘s it.

Das Lamento über die Einstufungen hält sich in engen Grenzen. BMW klagt nach wie vor über zu wenig Topspeed (in Road America fehlten fast 12 km/h auf Viper und Ferrari) und wünscht sich einen größeren Restriktor, doch die Bayern kreuzten beim sechsten Lauf mit dem Step-2-Upgrade-Kit auf, der eine Umrüstung auf Doppelquerlenker an der Vorderachse, neue Rückspiegel sowie eine Modifikation am Einzug der vorderen Radhäuser beinhaltete.

Besonders die Doppelquerlenker bringen mehr laterale Steifigkeit, mehr Negativsturz über die Aufhängung und damit weniger Radsturz, was den Reifenverschleiß signifikant verbessert. "Da war schon vorher klar, dass uns IMSA nicht parallel auch noch einen größeren Restriktor zugestehen würde“, sagt Rahal-Technikchef Jay O‘Connell.

BMW ist der Gewinner der Saison: Sogar das selbstbewusste Rahal-Team hätte nicht damit gerechnet, dass man mit dem Z4 im ersten Jahr um Siege kämpft und vom Titel träumen darf. "Jetzt haben wir Blut geleckt und wollen Corvette bis zum Saisonfinale unter Druck setzen“, so Dirk Müller, der aktuell acht Punkte hinter dem Corvette-Duo Oliver Gavin und Tommy Milner liegt.

Dass sich der Burbacher auf die Stärken des Teams von Bobby Rahal verlassen kann, verdeutlichte der siebte Lauf in Baltimore: Müller stand auf Pole, verlor den Platz an der Sonne zwar wieder, weil sich der Skid-Block am Unterboden gelöst hatte, woraufhin er ans Ende des GT-Starterfeldes verwiesen wurde. Der Start führte zu einer Massenkollision, weshalb das auf zwei Stunden angesetzte Rennen letztlich kaum länger als eine Stunde dauerte.

Durch einen Taktikkniff brachte das Rahal-Team Müller dennoch an die Spitze: Die Crew vollzog den Fahrerwechsel als erstes GT-Team, wodurch zwar Teamkollege Joey Hand wegen Unterschreitung der Mindestfahrzeit keine Punkte bekam. Doch Müller lag beim Restart nun an der Spitze, weil die Gegner erst später zum Fahrertausch an die Boxen kamen.

Müller hätte in Baltimore locker gewonnen, beim Restart nach der letzten Gelbphase wurde er aber durch den Unfall eines Prototypen zur Vollbremsung gezwungen – und die beiden Werks-Corvetten wischten durch. "Doch wir stecken immer noch mitten im Titelfight, das ist die gute Nachricht“, so Müller.

Die Rollen im Dreikampf an der Spitze sind also klar verteilt: Corvette ist Favorit, BMW liegt mit dem flammneuen Z4 im Windschatten, und auch Viper hat noch Tuchfühlung. Der Rest vom GT-Schützenfest schaut jedoch mit dem Ofenrohr ins Gebirge.

Die Verlierer der ALMS-GT-Saison

Gemeint sind hier Ferrari und Porsche, aus sehr unterschiedlichen Gründen. Porsche hat zwar drei Autos im Feld, doch das sind letztjährige Modelle, und obendrein kooperieren die Einsatzteams auch noch mit zwei unterschiedlichen Reifenherstellern. Dazu sind die Fahrerbesetzungen mit je einem Werkspilot und einem Nicht-So-Werkspiloten eher ein Kompromiss. Zwar können die RSR je nach Strecke aus eigener Kraft aufs Podium fahren, doch nach ganz vorn reicht es nicht.

Es ist eine Übergangssaison, denn erst im nächsten Jahr wird Porsche in der ALMS wieder massiv aufstuhlen – mit dem neuen RSR, der bereits das 24h-Rennen in Le Mans gewinnen konnte. Doch aktuell haben die 911-Teams ganz anderen Kummer: Beim wüsten Startcrash in Baltimore blieben zwei Elfer als Totalschäden zurück.

Ferrari: Pleiten, Pech, Pannen

Nicht minder gerupft steht Ferrari da. Nach zwei Jahren Pause kehrte das Risi-Team fulltime in die ALMS zurück, aber es hakt überall. Durch die Pause hat Risi den Anschluss an die Topteams in Sachen Strategie und Taktik verloren. Der Ferrari 458 Italia ist zwar ein sehr gutes GTE-Auto, doch in der ALMS zählt primär Abtrieb. "Wir haben am wenigsten Abtrieb, daher bekommen wir oft die Reifen nicht ins optimale Arbeitsfenster“, gesteht Risi-Ingenieur Rick Mayer.

Den Bock verantwortet allerdings Ferrari-Technikpartner Cristiano Michelotto. Der Italiener homologierte zu Saisonbeginn einen Frontsplitter mit einem markanten Einzug in der Mitte, der die Pitch-Anfälligkeit beim Bremsen kurieren sollte. Doch der Schuss ging nach hinten los, die neue Lösung kostete sogar noch Abtrieb. Dazu kamen Pech und Pannen, und die Piloten Matteo Malucelli und Olivier Beretta zählen wegen ihrer Fehlerquote auch nicht zu den Spitzenkräften im GT-Feld.

In der ALMS muss eben alles perfekt passen, das weiß auch Bill Riley. "Die ALMS ist einfach brutal. Wenn von 100 Faktoren, die über die Wettbewerbsfähigkeit entscheiden, bei drei Sachen ein paar Prozentpünktchen fehlen, dann säuft man gnadenlos ab.“ Big-Bill streicht über seinen Kanonenkugelbauch und fügt zufrieden an: "Wer hier gewinnt, der hat echt was geleistet.“

Shootout in der Box

Taktisch dreht sich im GT-Sport der ALMS alles um den letzten Stopp, dort werden die Rennen entschieden. Ergo wird die Strategie auch über den Spritverbrauch so gesteuert, dass man die Standzeit für den finalen Stopp optimieren kann.

Beim sechsten ALMS-Lauf in Road America kamen alle Top-GT-Teams bei der zweiten Gelbphase in Runde 34 zum letzten Tankstopp an die Box. Hier gewann Corvette das Rennen: Beide Autos wurden parallel und nahezu gleich schnell abgefertigt: 1.14,115 (Corvette Nr. 3) und 1.14,364 Minuten (Corvette Nr. 4).

Damit sprangen die Werks-Corvetten von den Plätzen sieben und acht auf die Positionen eins und drei nach vorn. Die später siegreiche Viper von Dominik Farnbacher und Marc Goossens verbrachte 1,21,580 Minuten in der Boxengasse. Der vor der zweiten Safety-Car-Phase auf Platz zwei platzierte BMW-Pilot Dirk Müller verlor dagegen beim letzten Stopp vier Positionen: Der Stopp dauerte 1.24,432 Minuten, weil die Radmutter vorn rechts klemmte, was einem Zeitverlust im Vergleich zu Corvette von zehn Sekunden entspricht.

Nach dem Restart verlor Dirk Müller weiter Boden, weil der Reifenluftdruck nicht passte. Deshalb kam der Burbacher nur auf Platz acht ins Ziel.
 
Kräfteverhältnis GTE-Klasse American Le Mans Serie

So berechnet IMSA die Balance of Performance in der GTE-Klasse der ALMS:

20 Prozent der schnellsten Rennrunden einer jeden Marke dienen als Maßstab der Kalkulation. IMSA handelt ganz bewusst nicht nach jedem Rennen, sondern verfolgt den Trend über mehrere Läufe, um die Ausschläge der BOP-Einstufung zu reduzieren. Beim sechsten Lauf in Road America stellte Viper das schnellste Auto, doch BMW und Corvette lagen noch innerhalb des angestrebten Performance-Korridors von 0,5 Prozent.

Die Porsche-Teams lagen leicht außerhalb des Fensters, nur Ferrari fiel wegen des zu geringen Abtriebniveaus deutlich ab, doch beide Marken spielen im Titelkampf keine Rolle. Nach Road America bekamen daher nur die Vipern 25 Kilo Zusatzgewicht aufgebrummt.

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Sport Auto 03 / 2022
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Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten