Besuch in der Renault F1-Motorenfabrik
Das Geheimnis von Vettels Weltmeistermotor

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Seit dem Entwicklungsstopp traten die Formel 1-Motoren in den Hintergrund. Jetzt wird wieder über sie geredet. Renault verleiht Red Bull Flügel und beginnt seine Arbeit am V6-Turbo für 2014. Ein Blick hinter die Kulissen der Motorenfabrik in Viry-Chatillon.

Das Geheimnis von Vettels Weltmeistermotor
Foto: Reinhard, Wilhelm, RENAULT

Renault-Motor gewinnt fast jeden Grand Prix

Bei Renault läuft es gut. Sehr gut sogar. Ein Renault-Motor gewinnt fast jeden Grand Prix. Red Bull würde den Vertrag mit den Franzosen lieber heute als morgen verlängern, denn jetzt steht fest, dass Renault auch im V6-Zeitalter ab 2014 mitmachen wird. Der Renault V8 ist nicht der stärkste Motor im Feld, aber dafür hat er andere Qualitäten. Zum Beispiel eine gute Fahrbarkeit. Im Verbund mit Red Bull und Sebastian Vettel bringt das Rundenzeit.

Unsere Highlights

Seit 2007 wurde über Motoren in der Formel 1 kaum noch gesprochen. Die FIA verordnete den Ingenieuren einen Entwicklungsstopp. Chefkonstrukteur Axel Plasse denkt sich wehmütig an die Zeit zurück, als Drehzahl und Power noch die alles entscheidende Währung waren:  „Ich war 2005 Projektleiter von unserem R25-Motor. Es gab keine Limits. Wir haben in einer Saison riesige PS-Sprünge gemacht.“ Die Leistung stieg damals pro Jahr um drei bis vier Prozent. „Heute sind wir froh, wenn wir ein Prozent vorankommen.“ Kollege Remi Taffin beschreibt die geänderte Aufgabenstellung: „Früher ging es darum, Power zu finden. Heute überlegen wir uns, wie wir die vorhandene Power besser im Auto umsetzen können.“

Das Reglement knebelt den Erfindergeist. Bis auf den Ansaugtrakt, den Auspuff, die Schmiermittel und elektronische Einstellungen ist alles tabu. Wollen die Renault-Ingenieure mechanisch an ihrem Achtzylinder etwas verändern, brauchen sie dafür zwei gute Gründe. Entweder muss Motorzuvor etwas am Motor kaputtgegangen sein, oder es muss der Nachweis erbracht werden, dass die Modifikation Kosten spart. Der Motor, der aus Nick Heidfelds Renault nach der Qualifikation zum GP Kanada ausgebaut wurde, ist so ein Beispiel. Es fand sich ein ungewöhnlich hoher Bleigehalt im Öl. Erfahrungsgemäß lässt das auf einen baldigen Motorschaden schließen. „Es war uns zu heiß, ihn noch einmal in einem Freitagstraining zu probieren. Wir haben den Motor sicherheitshalber aufgemacht, um den Grund dafür zu finden“, erzählt Taffin.

Das Technikbüro muss dann bei der FIA Fotos von beschädigten Teilen einreichen und detaillierte Pläne, warum die neue Komponente alles besser kann. „Und dann müssen alle anderen Hersteller das innerhalb von fünf Werktagen auch noch abnicken“, erzählt Plasse. Und wie oft kommt das vor in einem Jahr? „Im Winter ein, während der Saison bis zu drei Mal. Wir fassen das meist zu großen Paketen zusammen, dass wir nicht wegen jeder Kleinigkeit anfragen müssen.“

Die größten PS-Zuwächse kommen von der Öl- und Benzinentwicklung. Es ist ein mühseliger Prozess, bis Renault die Rennfreigabe erteilt. „Die Vortests werden bei unserem Lieferanten Total gemacht. Dann geht es bei uns auf Spezialprüfständen, am Einzylindermotor und schließlich am Einsatzmotor weiter“, verrät Axel Plasse. „Wir müssen dabei alle möglichen Rahmenbedingungen auf den Prüfständen nachstellen. Wenn alles gut geht, dauert der Prozess drei Monate. Im richtigen Leben eher sechs.“

Die längeren Laufzeiten der Motoren haben auch die Testphase verändert. Taffin erinnert sich: „Als ich 1999 zur Formel 1-Abteilung stieß, haben wir eine Komponente an einem Arbeitstag abgesegnet.“ Bei einem 3.000-Kilometer-Lauf dauert die gleiche Aufgabe fünf bis zehn Arbeitstage. Akribische Testläufe verschlingen Material. Neben den 48 Rennmotoren für Renault, Red Bull und Lotus lässt das Werk noch einmal so viele Triebwerke nur für den Prüfstand aufbauen. Sämtliche Teile kommen von Lieferanten. Der Zusammenbau geschieht  bei Mecachrome. „Wir machen nichts mehr selbst. Unsere Kernkompetenz ist die Entwicklung“, erklärt Forschungschef Julien Lidsky.

Die Anforderungen nehmen zu

Trotz Entwicklungsbremse wurden die Anforderungen für Formel 1-Motoren ständig erhöht. Früher war das Leben eines Triebwerks nach 400 Kilometern ausgehaucht. Dann kam der Wochenend-Motor. Dann der Zweiwochenenden-Motor. Und jetzt sind wir bei acht Aggregaten für 19 Rennen angelangt. Der Renault V8, der nach dem Freitagstraining zum GP Europa aus Sebastian Vettels Red Bull ausgebaut wurde, hatte 2800 Kilometer auf der Uhr. „Solche Langläufer“, sagt Taffin, „geben uns mehr Freiheiten bei den restlichen Motoren im Kontingent. Wenn alles nach Plan läuft, können wir jetzt bei Vettel vier Triebwerke nur über zwei Grand Prix laufen lassen.“ Und wenn nicht? „Dann muss die ganze Einsatzlogistik umgestellt werden.“

In der Beschränkung liegt laut Remi Taffin auch ein Reiz. „Wir haben gelernt, dass man in den freien Trainingssitzungen über das Auto auch etwas lernen kann, wenn man 1000 Umdrehungen unter dem Drehzahllimit bleibt. Statt den Motor dorthin zu bringen, so oft wie möglich in seiner Laufzeit im aggressivsten Modus zu fahren, versuchen wir genau das Gegenteil. Je seltener wir an einem Wochenende ans Limit gehen, desto mehr können wir seine Lebensdauer ausdehnen. Wir legen uns ein Polster an für die Rennen, an dem wir die Maximalleistung wirklich brauchen.“

Fabrice Lom, der leitende Ingenieur für Red Bull, gibt zu: „Im Bestreben das zu tun, ist es ein Bonus, wenn der Motor im besten Auto im Feld eingebaut ist.“ Einzige Einschränkung: Vettel könnte den Motor noch viel mehr schonen, wenn er mal wieder einsam in Führung liegt, doch die Pirelli-Reifen setzen ihm Grenzen. „Du weißt nie, was der Reifen über die Distanz macht. Wenn du freiwillig zu viel Zeit herschenkst, um den Motor zu schonen, kannst du das bitter bereuen.“

Vorreiter für neue Technologien

Der Pioniergeist gehört zu Renault seit ihrem Formel 1-Debüt 1977 in England. Man war der erste mit einem 1,5-Liter-Turbomotor. Der erste mit dem pneumatischen Ventiltrieb. Und der Vorreiter einer Technik, die in dieser Saison ins Gerede gekommen ist. Die Rede ist vom „kalten“ und „heißen“ Anblasen. Renault hat als erster Hersteller die Steuerzeiten so programmiert, dass im Schleppbetrieb entweder nur Luft durch die Brennräume geblasen oder unter Spätzündung Sprit verbrannt wird. Das gibt den Auspuffgasen bei null Gaspedalstellung Energie. Der Aerodynamiker verlangt einen stabilen Gasfluss, um die Strömung im Diffusor zu unterstützen.

Weil das Benzin kostet ohne für Vortrieb zu sorgen, wurde die FIA hellhörig. Cosworth und Ferrari betrieben gute Lobbyarbeit, und schon war daraus ein Verbot ab dem GP England gestrickt. Ein bisschen unfair, findet man bei Renault, weil der bestraft wird, der schlauer war als die Konkurrenz. Immerhin konnte man die FIA davon überzeugen, dass der Schuss nach hinten losgehen kann, wenn man voll auf die Bremse tritt. Viele der Einstellungen wurden gleichzeitig dafür verwendet, die Standfestigkeit zu verbessern.

Die FIA macht individuelle Zugeständnisse, ausgehend davon welche Motorkennfelder 2009, also in der Zeit vor dem Anblasen, verwendet wurden. Wenn Renault nachweisen kann, dass die Drosselklappen im Schleppbetrieb damals um 20 Prozent offenblieben und in vier der acht Zylinder bei Spätzündung eingespritzt wurde, um den Blow-by, das Bremsmoment des Motors und die Temperaturen im Brennraum zu reduzieren, dann darf das auch in Zukunft so sein.

Sechszylinder-Turbomotor ist die Zukunft

Die Zukunft, das ist für Renault seit dem 22. Juni ein V6-Turbo. Darauf haben sich alle Teams und Hersteller geeinigt. Die Studien und Demonstrationsmotoren für den Vierzylinder-Reihenmotor wandern ins Museum. Als Dokumente eines Schnellschusses des Weltverbandes, der nur ganz wenigen gefiel.

Beim Thema V6-Turbo kommen im Hause Renault Erinnerungen hoch. Vor 34 Jahren verwirrte der Konzern die Formel 1-Saugmotorliga mit diesem alternativen Konzept. „Auch wenn es gewisse Ähnlich-keiten gibt, so wird der für 2014 geplante Motor doch ein ganz anderes Triebwerk sein“, wirft Motorenchef Ron White ein. „Alles ist auf Effizienz getrimmt. Benzin- und Durchflussmenge sind festgelegt.“ Was wie ein totaler Neubeginn aussieht, ist für den Ingenieur nur halb so schlimm. „Es ändert sich ja nur die Motorarchitektur“, beschwichtigt White. „Alle Zutaten wie Direkteinspritzung, integrierte Hybridtechnologie oder Monoturbo werden vom Vierzylinder- Reglement übernommen.“

Der kompakte Sechszylinder bringe sogar Vorteile: „Wir brauchen keinen Hilfs-rahmen im Auto wie beim R4.“ Über den Sound müsse man sich keine Sorgen machen. Dafür sorgt allein die große Turbine. „Und die Auspuffführung, wenn wir sechs Rohre in eines überführen müssen.“ Der von 2013 auf 2014 verschobene Start verschafft den Ingenieuren sogar etwas Luft. White: „Ich würde jetzt von einem normalen Timing für eine Neuentwicklung sprechen.“ Der Frust, Vorentwicklung für den Papierkorb betrieben zu haben, hält sich laut White in Grenzen. „Uns Ingenieuren geht es nur um das Ziel. Und das ist nicht von der Zahl der Zylinder abhängig.“

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