Erfolgsgeschichte Porsche 919 Hybrid
Die Sieger-Maschine aus Weissach für Le Mans

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Der radikale Porsche 919 für die LMP1-Klasse eilte in der Sportwagen-WM in den letzten beiden Jahren von Sieg zu Sieg. Wir sprachen mit den Machern des LMP1-Projekts über die tolle Erfolgssträhne – und die knifflige Startphase.

Porsche 919 Hybrid - Vortest - 24h-Rennen Le Mans 2017
Foto: Porsche

Manchmal lässt sich die Wahrheit in recht simple Worte fassen: „Am Mute hängt der Erfolg.“ Das Zitat von Theodor Fontane beschreibt perfekt die Historie des LMP1-Projekts von Porsche: Die Renn-Schwaben stiegen 2014 mit einem wahrhaft mutigen und sehr radikalen LMP1-Auto in die Sportwagen-WM ein.

Die Technik war am Limit: Ein extrem kompakter Vierzylinder-Downsizing-Motor in Kombination mit höchster Hybridklasse und innovativer Batterietechnik, dazu Abgasrekuperation neben der herkömmlichen Energierückgewinnung über die Bremsen – der Porsche 919 war bei seinem Debüt im April 2014 der Zeit klar voraus.

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Mut hat sich für Porsche ausgezahlt

Das Ziel des LMP1-Projekts war alles andere als bescheiden: Der 919 Hybrid sollte die große Erfolgsgeschichte beim 24h-Rennen in Le Mans fortschreiben, wo Porsche die Bestenliste der Hersteller mit den meisten Siegen überlegen anführte. Und natürlich stand der Titelgewinn in der Sportwagen-WM in der Zieldefinition – denn nur Weltmeister sind ganz offiziell die Weltbesten.

Dreieinhalb Jahre später darf man festhalten: Der Mut hat sich gelohnt. Zwei Le-Mans-Siege sowie vier WM-Titel in den Jahren 2015 und 2016 belegen, dass Porsche alles richtig gemacht hat – und das gegen die bockstarke Konkurrenz von Audi und Toyota.

Die Erfolgsgeschichte des Porsche 919 Hybrid ist anhand der Siege und Titel hinreichend dokumentiert, die Vorgeschichte des Erfolgs liegt eher ein wenig im Dunkeln. Die Götter haben vor den Erfolg bekanntlich den Schweiß gesetzt – LMP1-Leiter Fritz Enzinger und Andreas Seidl, Team- und Technikchef in Personalunion, können ein Lied davon singen.

Porsche 919 Hybrid - LMP1 - WEC/Le Mans 2014
Porsche
Porsche 919 Hybrid: Jahrgang 2014

Enzinger nahm seine Arbeit schon im November 2011 auf, und ihm wurde schnell klar: „Vor uns liegt ein riesiger Berg Arbeit.“ Denn Motorsportprogramme auf diesem Niveau hatte es bei Porsche lange nicht mehr gegeben, was bedeutet, dass man alles – wirklich alles – neu aufbauen musste: Infrastruktur, Gebäude, Workshops, Prüfstände, Windkanal, Personal.

Stunde null bei Porsche

„Alles musste damals parallel laufen“, erzählt Teamchef Seidl, „wir mussten das Reglement abklopfen, ein Fahrzeugkonzept erstellen, die Autos aufbauen, gleichzeitig die Arbeitsstruktur aufsetzen und Fachleute rekrutieren.“ In der Phase bis zum Rollout des Autos am 12. Juni 2013 in Weissach wurde aber auch die Grundlage für den Erfolg gelegt: „Wir haben dem Vorstand mehrere Konzepte vorgelegt und uns zusammen für den aggressiven und radikalen Ansatz entschieden“, erklärt Enzinger.

Damit war aber auch implizit klar, dass die Standfestigkeit zum Teststart ein Problem sein könnte: „Wir wussten, dass wir es in der WM mit starken Gegnern zu tun haben, die man nur dann schlagen kann, wenn man das Reglement maximal ausreizt“, erklärt Seidl. Speed wurde also höher priorisiert als Zuverlässigkeit – die Rechnung bezahlte man in der nicht-öffentlichen Erprobungsphase zwischen Juni und Dezember 2013.

„Bei Testfahrten geht immer was kaputt, besonders wenn das Auto radikal ist, das ist völlig normal“, sagt Seidl. „Das größte Problem war der Motor: Die Vibrationen waren massiv, das hatten wir über die Berechnungen und die Versuche am Prüfstand als nicht so kritisch eingeschätzt – sonst hätten wir den Motor ja nie eingebaut.“ Nach den ersten Tests ab Juni 2013 musste das Konzept modifiziert werden. Die Krux: „Die Modifikationen wurden mit den gleichen Berechnungs-Tools wie zuvor entwickelt, das heißt, wir wussten nicht, ob das Problem nun wirklich behoben war.“

Schwierige Phase definiert Porsche-Team von heute

Die Abhilfemaßnahme bestand in einer anderen Zündfolge, dazu benötigte man eine neue Kurbelwelle sowie neue Nockenwellen. „Aber die neue Kurbelwelle hatte 18 Wochen Lieferzeit“, erinnert sich Enzinger – so verstrichen Monate, in denen das Testteam mit einem unbefriedigenden Kompromiss zurechtkommen musste.

Porsche 919 Hybrid V4 Motor
Porsche
Der Vierzylinder-Turbo des Porsche 919 Hybrid.

„Diese Phase war echt charakterbildend“, sagt Seidl. „Zu diesem Zeitpunkt sieht man nur, was nicht läuft! Man erkennt teilweise gar nicht mehr die Fortschritte. Nach dem einen Test stellt man zehn Probleme ab, beim nächsten Test sammelt man 20 neue Probleme ein – da muss man wirklich aufpassen, dass die Stimmung im Team nicht umkippt.“

Die Chefetage war voll mit dem Management der Emotionen beschäftigt: „In schwierigen Zeiten definiert man die Arbeitskultur in einem Team und wie man miteinander umgeht. Da muss man ruhig bleiben, Hektik bringt gar nichts – da hilft mir meine steirische Gelassenheit“, scherzt der aus Österreich stammende LMP1-Leiter Fritz Enzinger.

Der Motor hätte zum echten Problemfall werden können: „Hätte der zweite Aufschlag beim Motor nicht funktioniert, hätten wir in der Saison 2014 steinalt ausgesehen“, hält Enzinger fest.

Der Turnaround in Portimão

Beim letzten Test im Dezember 2013 in Portimão gelang der Turn-around: Der neue Motor lief wie auf Samtpfoten. „Uns allen ist ein Stein vom Herzen gefallen“, so Teamchef Seidl. Von da an ging es nur noch aufwärts: „Beim Test in Bahrain Anfang 2014 sind wir erstmals über 1.000 Kilometer am Tag gefahren – das fühlte sich wie eine Welteroberung an“.

Trotzdem war den LMP1-Chefs klar, dass ihnen eine steile Lernkurve bevorstand: „Bei den ersten drei Rennen 2014 bis Le Mans waren wir noch nicht so weit, um den Kampf gegen Toyota und Audi aufnehmen zu können – weder technisch noch operativ“, so Seidl.

Der Speed-Beleg kam dennoch schnell: Beim zweiten WM-Lauf in Spa holten Marc Lieb und Neel Jani die erste Pole-Position für Porsche: „Das war der Nachweis, dass wir ein schnelles Auto gebaut hatten“, folgert Fritz Enzinger.

Gleich beim dritten Einsatz musste das Porsche-Team beim Monsterrennen in Le Mans starten – Le Mans war im Fadenkreuz des LMP1-Projekts. Es gab damals ein Worst-Case-Szenario – nämlich dass beide Werks-919 nach wenigen Stunden draußen sein könnten. „Stattdessen sind wir mit beiden Autos 22 und 24 Stunden gefahren, dazu haben wir auch geführt – sensationell, und ein Boost für das ganze Team nach der harten Testphase“, so Enzinger.

São Paulo: Schock und Jubel für Porsche

Der nächste Meilenstein kam mit kaum zu überbietender Dramatik: Beim WM-Saisonfinale in São Paulo führte bis kurz vor Rennende Mark Webber – bis ein missglücktes Überrundungsmanöver zum üblen Crash führte. Doch auf den Schock folgte Jubel: Das Schwesterauto fuhr den ersten Sieg heim.

WEC - Sportwagen-WM - Brasilien - Porsche 919 Hybrid - Unfall - Webber
xpb
In Sao Paulo 2014 hatte Mark Webber einen schweren Unfall.

„In São Paulo lief alles rund, die Piste war neu asphaltiert, das kam unserem Auto entgegen“, erzählt Seidl. „Wir hatten schon im Training das Gefühl: Da geht was! Wir hatten zum ersten Mal ein Auto, mit dem man gewinnen konnte – dann sollte man es aber auch umsetzen!“

In São Paulo konnte Porsche die Kombination aus Standfestigkeit, Speed und Siegfähigkeit unter Beweis stellen. Man ist geneigt zu sagen: Der Rest ist Geschichte. 2015 und 2016 räumte Porsche alles ab, was abzuräumen war: Zwei Le-Mans-Siege, vier WM-Titel – Toyota und Audi hatten Porsche nichts entgegenzusetzen. „2015 hatten wir das schnellste Auto, 2016 hatten wir den perfekten Mix aus Speed und Haltbarkeit“, erklärt Seidl. „Wir waren nicht immer die Schnellsten, aber im Fenster – wenn die Gegner Fehler machten, dann waren wir zur Stelle.“

Der perfekte Mix aus Performance und Haltbarkeit ist so etwas wie der magische Schlüssel für die 919-Weiterentwicklung: „Meine Vorgabe an die Kollegen in der Entwicklung lautet, Performance und Haltbarkeit zu balancieren – und bei den meisten Konzeptentscheidungen ist das der entscheidende Leitfaden“, so Seidl. „Oft sage ich: Ja, ich sehe das Potenzial einer Verbesserungsmaßnahme, aber das ist zu riskant – ich muss 24 Stunden überleben.“

Die 24 Stunden in Le Mans sind der heilige Gral im Langstreckensport – aber auch die Höchststrafe für den Ingenieur, wie Seidl weiß: „Ein Sprintrennen von 90 Minuten hast du im Griff, auch die WM-Distanz von sechs Rennstunden – aber die 24h-Distanz hast du nie im Griff.“ Für Seidl wie für Enzinger war der erste Sieg in Le Mans 2015 das Highlight der Karriere.

Nirgends ist der Druck größer: „Ich spüre das am Samstagmorgen in Le Mans, da wird dir das klar! Die Erwartungshaltung ist enorm, intern wie extern“, sagt Seidl. Der Niederbayer sieht Le Mans nur im Tunnelblick: „Ich nehme jede kleine Etappe als Erfolg, sogar wenn die Autos es in die Startaufstellung geschafft haben – die LMP1-Autos sind so komplex, dass jederzeit etwas schiefgehen kann.“

Le Mans ist der Fixpunkt des Porsche-Programms. 2017 könnten die Renn-Schwaben mit dem 19. Sieg das Triple in Le Mans schaffen. „Das wäre ein Traum, denn dann dürfen wir die Trophäe endgültig nach Zuffenhausen mitnehmen“, sagt Fritz Enzinger. Der Erfolg ist mit den Mutigen.