Ferrari P4/5 Competizione
Unikat für 24h-Rennen am Nürburgring

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Um mit dem Ferrari P4/5 Competizione in der VLN und dem 24h-Rennen am Nürburgring 2011 anzutreten, pumpt James Glickenhaus Millionen in das Rennwagen-Projekt. Warum bloß?

Ferrari P4/5 Competizione
Foto: SB-Medien

Wer hätte nicht gerne einen reichen Onkel in den Vereinigten Staaten? Wenig  treibt die Menschen stärker um als die Vorstellung, über unbegrenzte finanzielle Mittel zu verfügen. Geld allein macht nicht glücklich, schon wahr. Aber Geld macht das Leben einfacher, spielerischer. Man kann Träume ausleben – der Reihe nach und fast ohne Unterlass.

Ferrari-Verschnitt für das 24h-Rennen

Mauro Szips hat jetzt einen reichen Onkel aus den USA. Der Boss des renommierten italienischen Rennstalls Ntechnology wurde zusammen mit Projektleiter Paolo Garella vom amerikanischen Milliardär James Glickenhaus beauftragt, einen spektakulären Ferrari-Verschnitt für das 24h-Rennen am Nürburgring 2011 zu entwickeln und einzusetzen: Der Ferrari P4/5 Competizione ist ein echter Ferrari, wenngleich mit dubiosem Stammbaum. Der Ferrari P4/5 ist ein umgebautes GT2-Auto auf Ferrari F430-Basis mit Pininfarina-Karosserie, die die Formensprache des legendären Rennmodells 330 P4 von 1967 gekonnt aufwärmt.

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Ferrari Enzo als Basis

Glickenhaus, der früher selbst Rennen fuhr, hat in seiner umfangreichen Autosammlung bereits eine Straßenversion des P4/5, auf Basis eines Ferrari-Enzo-Chassis. Sowohl das Straßenauto als auch das neue Rennauto haben sogar den Segen von Ferrari-Boss Luca di Montezemolo, das offizielle Wappen auf der Frontpartie tragen zu dürfen. James Glickenhaus ist ein Motorsportromantiker. Er sieht die ganze Angelegenheit weniger unter dem Aspekt, sich selbst als vielmehr die Fans glücklich zu machen. Aber warum überweist ein Amerikaner geschätzte zehn Millionen US-Dollar an ein italienisches Rennteam, um die deutschen Fans auf dem Nürburgring glücklich zu machen?
 
Weil er eine verlorene Zeit zurückholen will, sagt der 60-Jährige. „Ich bin ein Glückspilz, weil ich reich bin. Und ich liebe den Rennsport, aber der Geist der Offenheit ist im Motorsport verloren gegangen. Früher konnte jeder Fan in die Box gehen und die Autos berühren. Mit dem Projekt P4/5 wollen wir diesen alten Geist wiederbeleben.“

Kein Geheimniskrämerei um das Fahrzeug

Und der reiche Onkel macht Ernst: Auf Facebook und Youtube können die Fans, um die es angeblich geht, jeden Arbeitsschritt am Auto im Detail nachverfolgen – vom Chassisaufbau über den ersten Rollout bis zu den Testfahrten. Totale Offenheit statt nervige Geheimniskrämerei. „Vielleicht bin ich ja ein wenig naiv“, so Glickenhaus. „Aber das 24h-Rennen am Nürburgring ist eine der wenigen Rennsportveranstaltungen auf der Welt, bei der die Fans im Vordergrund zu stehen scheinen. Daher ist der Nürburgring der perfekte Platz für dieses Projekt.“

Ein Rennwagen für die Fans

Herr Glickenhaus will keine Autos verkaufen und keinen Gewinn machen – das unterscheidet seine Motivation von der eines Herstellers. Der Fan ist auch kein potenzieller Kunde. Im schlechtesten Fall kann man Glickenhaus Geltungssucht unterstellen, doch sein wenig wichtigtuerischer Auftritt scheint das zu widerlegen. Jeans, weiße Teamjacke, und Turnschuhe: Nichts unterscheidet den
reichen Mann von den Umstehenden beim ersten großen Auftritt des Ferrari P4/5: Am 18. Januar 2011 in Franciacorta, einer kleinen Piste nahe Brescia, absolviert der Ferrari P4/5 Competizione seinen ersten echten Test.
 
Zäher Nebel hängt über Italien. Um Schlag elf Uhr prustet der V8-Motor seine ersten Geräuschsalven in die dunkle Box. Wie ein Haute-Couture-Model taucht der Ferrari P4/5 ins Rampenlicht der Öffentlichkeit, gewandet in makelloses und glänzendes Karbon. Pininfarina hat das hübsche Kleid gezeichnet: Die luftig geschwungene Glaskanzel spannt sich im Prototypenlook über das Auto – nicht unähnlich einem Peugeot 908. Der Anblick ist so spektakulär wie ein Stealth Bomber der US Luftwaffe. Oder in den Worten von Glickenhaus: „So atemberaubend schön wie einst Claudia Cardinale.“

Technik des GT2-Ferrari F430 GT

Die Front schmiegt sich ebenso an die Linienvorgabe des historischen Vorbildes wie das feiste Heck mit den runden Rückscheinwerfern. Ein Auto, das fraglos anzieht, gespickt mit historischen Zitaten. Mit bloßem Auge kann man kaum erkennen, dass hinter der Fassade die Grundstruktur eines schnöden GT2-Ferrari F430 GT steckt. Das muss kein Nachteil sein, denn Glickenhaus und Ntechnology wollen ja nicht auf den Laufsteg, sondern auf den Nürburgring. Eben dort hat im vergangenen Jahr ein GT2-Ferrari den zweiten Platz geholt. Will sagen: Die technische Substanz des Ferrari P4/5 ist so solide wie ein Brückenpfeiler. Das Auto wird auch schnell sein, weil es mit vier Profis besetzt ist und mit Ntechnology ein Team hinter dem Nürburgring-Einsatz steckt, das auf allen Ebenen des Motorsports bewiesen hat, wozu es fähig ist.

Natürlich haben Zweifler gute Argumente gegen einen möglichen Kantersieg des Ferrari P4/5: Ntechnology hat keine Erfahrung am Nürburgring. Das Gleiche gilt für die Piloten. Fabrizio Giovanardi beispielsweise fährt am Ring sein erstes 24h-Rennen überhaupt. Seine Teamkollegen Mika Salo, Nicola Larini und Luca Capellari sind auch nicht die hellsten Ring-Füchse. Und ob man mit Pirelli-Reifen die Werksabordnungen von Porsche, Audi, Mercedes und BMW erschrecken kann, dürfte doch eher fraglich sein. Doch darum geht es überhaupt nicht.

Der Verrückte aus Amerika

Glickenhaus will, dass den Fans am Nürburgring beim Anblick des Ferrari die Kinnlade runterklappt. Ihm ist auch völlig bewusst, dass im unwahrscheinlichen Fall eines Sieges Ferrari den Erfolg auf seine Fahnen heften wird. „Und bei einem weniger erfolgreichen Abschneiden ist der Verrückte aus Amerika schuld“, lacht Glickenhaus. „Aber das ist mir völlig egal!“
 
Die Technik des P4/5 fällt nicht ganz so spektakulär aus wie seine rassige Optik: Der Vier-Liter-V8-Motor aus dem F430 GT atmet durch zwei 28,6 Millimeter große Restriktoren und leitet seine tobenden Pferdchen – momentan 460 an der Zahl – über ein Hewland-Getriebe an die Hinterräder. Der Veranstalter hat den P4/5 in die Experimentalklasse E1-XP2 einsortiert. Das erlaubte dem Ntechnology-Team, die Aerodynamik an die neue Karosserieform anzupassen: „Wir haben den Heckflügel modifiziert und mit einem neuen Diffusor kombiniert. Auch der Splitter für die Frontpartie ist neu, um das Auto bei der notwendigen Bodenfreiheit auf der Nordschleife in die Balance zu bekommen“, erläutert Technikchef Andrea Adamo.
 
Die Aufhängungen des 1.230 Kilo schweren P4/5 wurden vom GT2-Auto übernommen, ebenso die Bremsen, die allerdings für den Ring-Einsatz mit einem ABS-System aufgemöbelt wurden. Am 2. April 2011 hat der Ferrari P4/5 Competizione das erste von drei geplanten VLN-Rennen bestritten, als Vorbereitung für das 24h-Rennen Ende Juni.

Stammbaum als Kennzeichen

Beim Test in Franciacorta prangte ein Nummernschild des Staates New York am Heck des Rennwagens. Das Kürzel: P 45 C. Das Nummernschild erklärt den technischen Stammbaum: James Glickenhaus kaufte erst einen straßentauglichen Ferrari F430 Scuderia, dann das entsprechende GT2-Rennauto von Tuner Michelotto. Aus dem GT2-Auto stammt die Technik, vom Straßenauto kommt das Chassis - und die Fahrgestellnummer samt Straßenzulassung.
 
Wenn das Projekt mit dem Einsatz beim 24h-Rennen auf dem Nürburgring endet, kommt der Ferrari P4/5 Competizione in die Autosammlung von Glickenhaus. Dann kann der Milliardär mit seinem zweiten P4/5 und echter Rennhistorie durch die Straßenschluchten von New York bollern. An seinem Handgelenk wird dabei jene Uhr im Takt des Ferrari-V8 vibrieren, die Juan Manuel Fangio trug, als er in Kuba entführt wurde. Dann hat der reiche Onkel wieder einen Traum abgehakt.

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