Erinnerungen an eine Rennserie im Buch "Hallo Fahrerlager"
Formel V: Lebe wild und gefährlich

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Die Rennsaison 1969 markierte den Höhepunkt der Formel V-Euphorie. Rainer Braun - damals Journalist und Fahrer in Personalunion - erinnert an die tollkühnen Piloten der Nachwuchsserie.

Formel V
Foto: Rainer Braun

Norisring, Juni 1965. Die Formel V erlebt ihre offizielle Rennpremiere. Porsches Sportchef Huschke von Hanstein hat unter tatkräftiger Mithilfe einiger sportbegeisterter VW-Importeure die Einführung der neuen Nachwuchs-Rennwagenklasse organisiert. Zehn der 34 PS-Renner werden aus den USA nach Deutschland geschafft. Die Dinger sehen aus wie zu klein geratene Badewannen mit Rädern. Schon Wochen vor Nürnberg wird der eigenwillige Monoposto, dessen 1,2-Liter-Motor, Fahrwerk und Getriebe aus dem VW-Käfer stammen, bei den Bergrennen in Eberbach und am Rossfeld dem Publikum und der Presse präsentiert. Gerhard Mitter und ein paar andere Porsche-Werksfahrer eiern den Berg hoch. „Tolle, ausbaufähige Idee“, diktieren die PS-Stars in die Notizblöcke der Presseleute. Später, im privaten Freundeskreis, hört sich das Urteil allerdings ganz anders an: „Grauenvoll“, befindet beispielsweise Mitter, „die Kiste hüpft, springt, rutscht und hat eine Straßenlage wie eine Kuh.“

Im Fahrerlager von Nürnberg kommt Huschke von Hanstein freudestrahlend auf mich zu. „Rainer, ich habe eine Überraschung, jetzt müssen Sie zeigen, ob es für Ihre frechen Kommentare und Texte einen soliden Hintergrund gibt.“ Mit diesen Worten weist er mir eines der zehn Formel V-Cockpits zu, in das ich mich mit Sakko, Hemd und Schlips reinplumpsen lasse. Den Helm leiht mir Jochen Neerpasch, Overall ist noch kein zwingendes Thema. Der Renneinsatz kollidiert aber mit meinem Job als Streckensprecher. Doch Norisring-Chef Gernot Leistner spielt mit und benennt für Training und Rennen der Formel V kurzerhand einen Vertreter fürs Mikro. So komme ich als 25-Jähriger tatsächlich zu meinem ersten richtigen Autorennen.

Das Zehn-Runden-Rennen vor 50.000 Zuschauern ist chaotisch, fast jeder steht mal quer oder dreht sich. An jedem Bremspunkt rutscht mir der viel zu große Neerpasch-Helm ins Gesicht, beim Beschleunigen reißt ihn der Fahrtwind fast vom Kopf. Links und rechts am Cockpit flattert das Sakko, die Krawatte hat sich längst um den Hals gewickelt. Als die Zielflagge fällt, bin ich Fünfter, Rückstand auf den Sieger: stattliche 70 Sekunden.

Unschlagbare Österreicher

Für die Saison 1966 vermittelt mir Huschke bei seinem alten Kumpel Petermax Müller, Chef einer großen VW- und Porsche-Vertretung in Hannover, ein festes Cockpit. Das Auto, ein BeachCar, liegt schlecht, aber der Motor geht umso besser. Es folgen sechs Siege hintereinander am Berg und auf der Rundstrecke. Die Starterfelder  wachsen rapide, neue Konstruktionen wie Austro V, Apal, Kaimann, Zarp, HAS, Bora, RPB, Swiss-V, Hansen oder Olympic verdrängen die “Badewannen” der ersten Stunde. Ganz Europa wird vom Formel V-Fieber überzogen, ein Boom ohnegleichen beginnt. Bald sind schon über 1.000 Autos registriert. Beim ersten Autritt mit internationaler Besetzung duscht mich ein Rudel junger Wilder aus Österreich gnadenlos ab. Mir wird schnell klar, dass die Burschen am Steuer der Austro V- und Kaimann-Chassis in einer anderen Liga fahren. Was ich aus dem Cockpit vor mir sehe, lässt mich schaudern. Die Kerle rempeln, drücken, schieben und fahren sich gegenseitig an die Räder, dass einem schwindelig wird. Die Hauptdarsteller dieser Wahnsinns-Clique heißen Walleczek, Huber, Quester, Schörg oder Peter. Und pausenlos kommen neue Namen nach: Breinsberg, Riedl, Marko, Pankl und Lauda und Ertl.

Zum Euro-Lauf im Rahmen des deutschen F1-GP auf der Nürburgring-Nordschleife wollen 1966 schon an die 100 unerschrockene Formel V-Piloten starten. 70 dürfen trainieren, 50 werden zum Rennen zugelassen. In der abenteuerlichen Startaufstellungs-Formation 4-3-4 stürzt sich die wilde Horde in die Schlacht. Es gibt haarsträubende Unfälle, die Aufräumarbeiten dauern lange. Verbogene Formel V-Autos werden aus Fangzäunen, Hecken und Gräben gezerrt. Einer hat sich um einen Baum gewickelt, einem anderen ist am Sprunghügel vorm Pflanzgarten das ganze Chassis des Eigenbaus zusammengeklappt. Während sich der Österreicher Günther Huber über seine Rekordrunde von 10.21,7 Minuten freut, werden zahlreiche Bruchpiloten im Krankenhaus von Adenau verarztet.

Die Schutzengel fliegen nicht immer mit

Die Rennen arten immer mehr zu wüsten Rodeos aus. Innerhalb weniger Monate, am Ring und in Spa, fliegt Gerold Pankl laut eigener Schilderung „wie eine Granate aus dem Cockpit“ und landet jeweils im Spital. Seine Krankenakte liest sich erschreckend: Wirbelsäulenbruch, komplizierte Beinfrakturen, schwere Prellungen. Kaum einigermaßen genesen, kämpft Pankl schon wieder mit wüsten Drifteinlagen um Siege. Bald gibt es die ersten Unfälle mit tödlichem Ausgang. Die Sporthoheit greift ein: Ein umfangreiches Sicherheitspaket wird beschlossen und mit der Disziplinierung der Wildwest-Chauffeure begonnen. Rüpelhafte Fahrer haben harte Strafen und notfalls auch Suspendierung zu erwarten. Gurte und Feuer abweisende Overalls werden Pflicht. Trotzdem wird fröhlich weiter gerauft und getrickst.

Beliebte Übung im D-Zug an der Spitze, vorzugsweise kurz vorm Ziel: Ansaugen im Windschatten, dem Gegner mit der Schnauze mal kurz ins freiliegende Getriebe am Heck fahren und dabei den Gang rausdrücken. Konstrukteur Bergmann reagiert sofort und sichert das Ende der Schaltachse mit einem stabilen Rammschutz, auf den er sein leuchtend rotes Kaimann-Emblem klebt.

Kurt Bergmann ist der Zampano der Formel V-Szene. In den Kaimann-Rennwagen des genialen Konstrukteurs sitzen die größten Talente. Erich Breinsberg und Dr. Helmut Marko sind 1968 die Team-Leader. Niki Lauda und Harald Ertl stoßen später neu zur Kaimannn-Truppe. Lauda stolpert gleich beim ersten Start in Aspern über einen langsamen Backmarker und überschlägt sich furchterregend. Wechselweise werden die großen Formel V-Schlachten von Bergmanns Kaimann-Trio oder der Austro V-Streitmacht mit Werner Riedl, Peter Peter und Gerold Pankl gewonnen.

Dr. Marko - ein ganz spezielles Kapitel

Der Doktor der Rechtswissenschaften, in Grazer Polizeiakten schon zusammen mit seinem Jugendfreund Jochen Rindt als übler Verkehrsrowdy verewigt, rasiert alle gnadenlos. Egal, ob auf oder neben der Piste. Obendrein ist der große Blonde auch noch ein lockerer Typ, der mit seinen Kumpels abends gerne ein paar Schnäpse trinkt und die Formel V-Kollegen ihrer Barschaft beraubt - mit Poker oder 17 und 4. Als ich im Hotel Kanne in Hockenheim mal morgens um sieben zum Frühstück erscheine, sitzen Marko & Co. noch immer in der Wirtsstube und lassen es ordentlich krachen. Um acht Uhr ist das erste Formel V-Training angesetzt, zehn nach acht klettern die Nachteulen in ihre Autos. Ab hier endet allerdings die Freundschaft. Jeder zieht jetzt sein Ding kompromisslos durch, Marko agiert auch hier mit eiserner Konsequenz. Als die Trainingseinheit nach 30 Minuten endet, steht die Zecherriege geschlossen an der Spitze der Zeitenliste.

Duell des Jahres 1969: Marko gegen Lauda

Niki Lauda lernt im Kaimann-Team schnell und wird schon bald für Marko ein ebenbürtiger Gegner. Auf der Nordschleife des Nürburgrings kommt es im Rahmen des GP Deutschland 1969 zum ultimativen Showdown der beiden größten Austria-Talente. Jurist Marko, 26, startet inzwischen für den in Lenggries stationierten McNamara-Rennstall. Lauda, 21, ist jetzt die neue Kaimann-Speerspitze. Marko und Lauda stehen auf dem Absprung, beide wissen, dass ihnen die Formel 1-Teamchefs am Ring zuschauen.

Die Formel V-Motoren haben jetzt um die 80 PS, die 10-Minuten-Schallmauer wackelt. Lauda knackt sie im Training als Erster und zaubert 9.58,9 Minuten auf den Asphalt. Marko ist nur einen Wimpernschlag langsamer. Es wird ein gigantisches Duell. Beide lassen sich keine Sekunde aus den Augen, einer folgt dem anderen wie ein Schatten, jede Durchfahrt unter der 10-Minuten-Grenze. In der letzten Runde fährt Marko mit 9.51,7 Minuten neuen Rekord und siegt mit 15 Sekunden Vorsprung auf Lauda. Noch während der Siegerehrung beklagt sich Lauda bitter über seinen Landsmann: „Eine Frechheit, der hat mich auf der Geraden einfach brutal ins Gras gedrückt.“

Der große Bruder: Formel Super V

Zum Ende der Saison 1970 hat die Formel V 1300 ihren Zenit erreicht. Für eines der letzten großen Duelle sorgen Breinsberg (Kaimann) und Schurti (Austro V) mit dem historischen Zieleinlauf von Salzburg. Es geht um die Europameisterschaft. Letzte Runde, aus einem Sechser-Pulk heraus sprinten die beiden nach vorn, jeder will den anderen zur Seite drücken. Die Räder verhaken sich. Beim Abwinken kreuzen die Raufbolde den Zielstrich mehr fliegend als fahrend. Breinsberg, nach Doppel-Salto kopfüber auf der Fahrbahn liegend, ist Titelgewinner. Schurti klebt als Vize an der Leitplanke.

Während die VW-Subventionierung für die Formel V 1300 noch einige Jahre weiterläuft, wechseln die meisten Top-Piloten und Profi-Rennställe 1971 in die neue Formel Super V. Der große VW-Bruder ist stark, schnell und mehr Rennwagen denn je. 1,6 Liter Hubraum, anfangs um die 115 PS, im Laufe der Zeit immer mehr. Startfelder um die 40, 50 Autos sind ebenso die Regel wie endlose Führungszüge. In Hockenheim liegen manchmal 15 Autos so dicht beisammen, dass selbst noch in der letzten Runde jeder eine Siegchance hat - altgediente Motodrom-Besucher schwärmen noch heute von den unfassbaren Windschattenschlachten der Super V.

Buch "Hallo Fahrerlager"

Leider kann man nicht durch die Zeit reisen. Wer die drei Bände "Hallo Fahrerlager" des Journalisten Rainer Braun liest, dem vergeht die Zeit auf jeden Fall wie im Flug. Die  Fahrerlager waren reich an Zoten, die Rennfahrer turnten ohne Netz und doppelten Boden, der Rennsport war pur wie eine Camel ohne Filter. Doch Braun hält sich fern von Verklärung: Alles kommt auf den Tisch, das Gute und das Schlechte. Nach der Lektüre möchte  man nur um so dringlicher durch die Zeit reisen können.

Dieser Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung des Autors aus dem Buch "Hallo
Fahrerlager 1" (leider restlos ausverkauft) auszugsweise entnommen. Die Bände 2 und 3
der HF-Buchreihe sind noch zu haben, solange der Vorrat reicht. Infos unter www.hallo-fahrerlager.de

Die aktuelle Ausgabe
Sport Auto 03 / 2022
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Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten