Analyse IndyCar-Finale 2019 in Laguna Seca
Herta gewinnt, Newgarden Meister

ChampCar-Pilot Bryan Herta holte Ende der 90er-Jahre in Laguna Seca zwei Siege. 20 Jahre später tritt der Sohn mit Lässigkeit in seine Fußstapfen: Colton Herta holte von der Pole-Position den Sieg. Ach ja: Und Penske-Pilot Josef Newgarden fuhr erwartungsgemäß seinen zweiten Fahrertitel ein.

2019 Laguna Seca
Foto: Motorsport Images

Zum 14. Mal in Folge wurde der Fahrertitel in der IndyCar-Serie erst beim letzten Rennen entschieden. Doch ganz ehrlich: Die Schlagzeilen schrieb der Rennsieger, nicht der neue Meister Josef Newgarden. Colton Herta holte in seiner Rookie-Saison seinen zweiten IndyCar-Sieg. Der 19-Jährige durfte also genau genommen nicht einmal den Siegerschampus verkosten – er ist dafür schlicht nicht alt genug.

Noch mehr als der Sieg beeindruckte das Wie: Herta holte sich am Samstag die Pole-Position, am Sonntag führte er das Rennen in 84 von 90 Runden an. Und das auf einer Strecke, die von allen Fahrern und Teams im Vorfeld des Finales als tückisches Biest charakterisiert worden war: Der Belag ist altertümlich und bietet wenig Grip, dafür ist der Reifenverschleiß extrem hoch. Der Asphalt reagiert extrem zickig auf Temperaturschwankungen, dazu bläst der Wind laufend Sand vom Streckenrand auf die Piste.

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Reifenverschleiß als Schlüssel zum Sieg

Die US-Topklasse gastierte 2004 zum letzten Mal auf der wunderschön in die Landschaft eingebetteten Tal- und Bergbahn nahe Monterey. Und es gab nicht wenige Fahrer, die wegen des hohen Reifenverschleißes befürchteten, dass das entscheidende letzte Rennen zu einer Art Lotterie werden könnte. „Wir wussten nicht wirklich, was uns im Rennen beim Reifenverschleiß erwartet. Aber im Nachhinein muss ich sagen, dass mein Team das Setup perfekt getroffen hat – das war der Schlüssel zum Sieg“, so Herta nach dem Rennen. „Wir hatten die beste Konstanz im Feld, sowohl auf den weichen Optionsreifen als auch auf der härteren Mischung.“

IndyCar
Beim Start musste sich Polesitter Colton Herta gegen Scott Dixon wehren

Herta exekutierte den Vorteil kaltschnäuzig, obwohl ihm über die volle Distanz starke Gegner im Nacken hingen: Die ersten drei Stints machte Ganassi-Pilot und Meisterschaftsanwärter Scott Dixon Druck, nach dem letzten Stopp biss sich Penske-Pilot Will Power die Zähne an Herta aus. Was die Stars auch probierten – der Youngster hatte immer die passende Antwort.

Auch die Rennanalyse brachte der Sieger makellos auf den Punkt: „Wir hatten eine gute Strategie. Am Ende wurde es noch mal eng im Duell mit Will Power, aber weniger wegen der Reifen, sondern weil ich auch noch ein bisschen Sprit sparen musste.“ Der zweitplatzierte Will Power lobte nach dem Rennen: „Ich wollte hier unbedingt für das Penske-Team den Sieg holen, aber Herta scheint verdammt schnell zu lernen.“

Mit 19 schon voll abgebrüht

Damit spielte Will Power auf den vorletzten IndyCar-Saisonlauf in Portland an: Dort hatte Ganassi-Pilot Scott Dixon Herta derart vor sich hergehetzt, dass der seine Reifen killte – und das Rennen verlor. Aber Fehler macht Herta prinzipiell nur einmal: „Ich stand das ganze Rennen unter Druck, aber ich habe aus meinen Fehlern beim Reifenmanagement in Portland gelernt – das macht mich besonders stolz.“

Stolz dürfte auch der Herr Papa gewesen sein: Bryan Herta holte Ende der 90er-Jahre zwei Siege und drei Pole-Positions in Laguna Seca, der Sohnemann verbesserte die Familienbilanz jetzt auf drei Siege und vier Pole-Positions. Richtig berühmt wurde Vater Herta allerdings wegen einer Niederlage in Laguna Seca: 1996 führte er das Rennen bis zur letzten Runde an, als ihn Alessandro Zanardi in der berühmten Korkenzieher-Schikane robust und spektakulär überholte – das Manöver ging als „The Pass“ in die IndyCar-Geschichte ein.

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Spektakel produzierten die IndyCars bei der Rückkehr auf die Kultstrecke nahe Monterey anno 2019 eher nicht: Das Rennen war zwar nicht langweilig, aber auch nicht sonderlich aufregend. Es trat ein, was viele zuvor befürchtet hatten: Alle Fahrer passten höllisch auf ihre Reifen auf, die Meisterschaftsanwärter wollten auf keinen Fall patzen und Überholmanöver sind in Laguna Seca prinzipiell eine Seltenheit – die Geraden sind zu kurz. „Wenn der Vordermann keinen Fehler macht, ist Überholen hier ohne Ellbogencheck fast unmöglich“, sagte der Sieger. Anmerkung für Historien-Freaks: Das Überholmanöver von Zanardi gegen Herta anno 1996 würde heute auf jeden Fall eine Strafe nach sich ziehen ...

Neben dem Rennsieg für den Rookie Colton Herta war der Kampf um den Fahrertitel eigentlich der zweite Handlungsstrang in Laguna Seca. Doch trotz doppelter Punkte für das Finalrennen war die Titelentscheidung zugunsten von Penske-Pilot Josef Newgarden nicht wirklich der große Hammer: Der 28-Jährige aus Hendersonville, Tennessee, ging mit einem leidlich bequemen Polster von 41 Punkten auf Alex Rossi (Honda/Andretti) und 42 Punkten auf Teamkollege Simon Pagenaud ins Finale. Und Ganassi-Pilot Scott Dixon hatte mit 85 Punkten Rückstand eh nur noch mathematische Chancen auf den Fahrertitel.

Das Team von Roger Penske hatte daher einen klaren Plan für die letzte Rennschlacht des Jahres: Newgarden, der von Platz 4 ins Rennen ging, sollte sich hinter Alex Rossi halten, der neben ihm aus der zweiten Startreihe losfuhr. „Es hätte keinen Sinn gemacht, hier ein Risiko einzugehen“, sagte Newgarden nach dem Rennen. „Im Penske-Team ist der Titel immer das Hauptziel der Saison – da sollte man als Fahrer nichts anbrennen lassen!“

Undercut versus Overcut

Seine beiden Teamkollegen Will Power und Simon Pagenaud waren dagegen auf den Sieg angesetzt und durften aggressiver zu Werke gehen, wie die Situation um den ersten Boxenstopp herum verdeutlicht: Von Platz 6 kommend setzte Pagenaud auf einen Undercut und kam eine Runde vor Rossi und Newgarden an die Box. Pagenaud kassierte Rossi auf dessen Outlap nach dem Stopp. Newgarden hatte Rossi in der Box überholen können, gab die Position aber mehr oder weniger kampflos sofort wieder an den Meisterschaftsgegner Rossi ab, um kein Risiko einzugehen. Auch Teamkollege Will Power wurde von Newgarden freundlich durchgewunken, sodass der Meisterschaftsleader nach der Serie der ersten Stopps von Platz 3 auf Position 6 zurückfiel.

Pagenaud robbte sich dann schnell an den auf Platz 2 liegenden Ganassi-Piloten Scott Dixon heran, kam aber nicht vorbei. Hinter ihm brauchte Teamkollege Power elf Runden, um die Hürde Rossi und damit den einzigen verbliebenen Nicht-Penske-Piloten, der noch Meister werden konnte, zu knacken.

Da eine theoretisch mögliche Zweistoppstrategie von den Teams schon vor dem Rennen wegen der Fragezeichen beim Reifenverschleiß kategorisch ausgeschlossen worden war, wurden alle 24 Piloten auf drei Stopps angesetzt. Somit hatte Penske schon vor dem zweiten Stopp zwei Autos vor dem Hauptgegner Rossi platziert – spätestens hier war der Titelkampf de facto entschieden.

2019 Laguna Seca
Motorsport Images
Penske-Pilot Josef Newgarden fuhr in Laguna Seca den zweiten Titel ein

Tränen der Freude

Rossi war dann nach Platz 6 im Ziel auch der Pilot, der von den Toppiloten am meisten angefressen war, zumal ihn Simon Pagenaud im direkten Zweikampf nach dem ersten Stopp auch noch unsanft von der Bahn gedrängt hatte – wofür der aber keine Strafe bekam: „Wir wollten strategisch etwas anders machen als die Gegner und haben gebrauchte Optionsreifen aufgezogen. Das hat nicht funktioniert, der zweite Stint brach uns das Genick.“

Bei der Serie der zweiten Stopps kam Power als letzter Pilot rein, der Overcut brachte ihn auf Platz 3. Die gleiche Trumpfkarte spielte der Australier beim finalen Stopp, wo er Dixon von Platz 2 verdrängen konnte. Für den Sieg reichte es in den letzten 22 Runden aber nicht mehr.

Laguna Seca; 17. von 17 Rennen, Renndistanz: 90 Runden (324,15 Kilometer)

Platz

Fahrer

Motor / Team

Zeit

1.

Colton Herta

Honda / Steinbrenner

90 Runden

2.

Will Power

Chevrolet / Penske

+ 0,587 Sekunden

3.

Scott Dixon

Honda / Ganassi

+ 6,240 Sekunden

4.

Simon Pagenaud

Chevrolet / Penske

+ 6,354 Sekunden

5.

Felix Rosenqvist

Honda / Ganassi

+ 9,520 Sekunden

6.

Alexander Rossi

Honda / Andretti

+ 10,363 Sekunden

7.

Sébastien Bourdais

Honda / Dale Coyne

+ 10,683 Sekunden

8.

Josef Newgarden

Chevrolet / Penske

+ 19,044 Sekunden

9.

James Hinchcliffe

Honda / Schmidt Peterson

+ 22,818 Sekunden

10.

Ryan Hunter-Reay

Honda / Andretti

+ 24,794 Sekunden

11.

Marcus Ericsson

Honda / Schmidt Peterson

+ 25,780 Sekunden

12.

Graham Rahal

Honda / Rahal

+ 26,651 Sekunden

13.

Max Chilton

Chevrolet / Carlin

+ 27,074 Sekunden

14.

Marco Andretti

Honda / Andretti

+ 54,431 Sekunden

15.

Charlie Kimball

Chevrolet / Carlin

+ 56,586 Sekunden

Newgarden vergoss im Ziel Freudentränen: „Ich weine normalerweise nie, aber der Druck war riesig, wegen der doppelten Punkte und der neuen Strecke, wo wir uns nicht auf alten Daten ausruhen konnten. Ich hatte im Rennen nur die Aufgabe, Rossi zu folgen – dieser Plan ging auf.“

Während an der Spitze der Rookie Colton Herta siegte, holte der andere Novize im Feld, Felix Rosenqvist, mit Platz 5 den offiziellen Titel Rookie des Jahres – im Endklassement trennten die beiden Debütanten gerade mal fünf Punkte. Rosenqvist konnte zwar 2019 keine Rennen gewinnen, überzeugte aber wie Herta mit tollem Speed, guter Konstanz und hoher Rennintelligenz. Beispiel Laguna Seca: nach einem Dreher im Qualifying wurden dem Schweden die zwei schnellsten Runden gestrichen, womit er erstens von Startplatz 14 und zweitens mit geschwollenem Kragen ins Rennen gehen musste: „Die Entscheidung der Stewards, meine zwei schnellsten Runden zu streichen, ist dämlich und hat mich jeder Siegchance beraubt.“

Punktestand nach 17 von 17 Rennen

Platz

Fahrer

Punkte

1.

Josef Newgarden

641

2.

Simon Pagenaud

616

3.

Alexander Rossi

608

4.

Scott Dixon

578

5.

Will Power

550

6.

Felix Rosenqvist

425

7.

Colton Herta

420

8.

Ryan Hunter-Reay

420

9.

Takuma Sato

415

10.

Graham Rahal

389

11.

Sébastien Bourdais

387

12.

James Hinchcliffe

370

13.

Santino Ferrucci

351

14.

Spencer Pigot

335

15.

Tony Kanaan

304

16.

Marco Andretti

303

Mit viel Spucke und Geduld fuhr sich der 27-jährige Schwede dann im Rennen wieder bis auf Platz 5 nach vorne. „Ich glaube, wir hätten den Speed gehabt, um erstens auf der Pole zu stehen und zweitens das Rennen zu gewinnen“, so Rosenqvist im Ziel. Das Fazit seiner Debüt-Saison ist trotzdem positiv: „Die Autos und die Strecken sind der Hammer – ich habe hier einfach nur Spaß!“