Le Mans 2014 Vorschau LMP1
Audi nicht mehr der Favorit?

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Das 24h-Rennen in Le Mans steht vor der Tür, und alle Welt fragt sich: Wer wird die Nase vorne haben - Audi, Toyota oder Porsche? sport auto hat die zentralen LMP1-Eckdaten aus der Vorbereitung gesammelt und aufbereitet.

Audi R18 e-tron quattro - WEC 2014
Foto: xpb

Zwei Tage im WM-Fahrerlager von Spa reichten aus, um die Gemütslage jener Menschen zu erkunden, die Mitte Juni beim 24h-Rennen in Le Mans das ausbaden müssen, was sie in der LMP1-Klasse als Projektverantwortliche oder Designer verbrochen haben. Das simple Fazit: Toyota lächelt, Porsche zittert, und Audi kotzt.

Haben wir damit schon die Hackordnung für Le Mans entschlüsselt? Natürlich nicht, denn ein 24h-Rennen ist lang, hart und völlig unberechenbar. Randfaktoren wie Wetter und Temperaturen spielen ebenso eine Rolle wie Fahrerqualität, Teamleistung oder Strategie.

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Und dann wären da noch die Primärfaktoren wie Fahrzeug, Speed, Performance, Zuverlässigkeit oder Reifenverschleiß. Es gibt keine Kristallkugel, die diese Gemengelage sinnvoll verknüpfen und ein Ergebnis ausspucken könnte. Immerhin gibt es Indizien, wer beim 24h-Rennen in Le Mans gute Chancen haben wird - und wer vermutlich weniger gute.

Reichweite wieder ein Thema?

Obendrüber schwebt übrigens noch eine Wolke der Ungewissheit: über das neue Reglement, die neuen Autos, die schmalen Reifen, das neue Effizienzgedöns mit limitierter Energie für den Verbrennungsmotor und gesteigerter Energie von den Hybridsystemen, was ja eigentlich jede Diskussion um Verbrauch oder Reichweite hätte unnötig machen sollen, aber - wie wir jetzt lernen - es nicht tut.

Reichweite wieder ein Thema? Was haben wir uns früher vor Le Mans die Birne zermartert: Wer fährt wie viele Runden? Wer setzt auf Reichweite und wer auf Speed? Und wie viel schneller muss man fahren, um den Malus von einer Runde bei der Reichweite zu kompensieren? Alles Plumpaquatsch aus der Vergangenheit? Da gibt es im Fahrerlager geteilte Meinungen!

Denn in der Theorie sollte der komplexe Ausgleich von Energiemengen für die unterschiedlichen Motorkonzepte ja einerseits zu einer gesteigerten Effizienz führen, andererseits aber auch dazu, dass der Verbrauch nicht mehr zu unterschiedlichen Reichweiten führt. Den Beweis dafür gab die FIA selbst, als sie für den Fall, dass die Messung der Kraftstoffdurchflussmengen durch den Fuel Flow Meter nicht durchführbar sein sollte, in Erwägung zog, dass alle Fahrzeuge in Le Mans einheitlich 14 Runden pro Tankfüllung fahren.

Audi muss Sekunden finden

Beim zweiten Lauf zur Sportwagen-WM in Spa lernten wir, dass Porsche und Toyota in Le Mans 14-Runden-Stints absolvieren können - und dass Audi nicht über 13 Runden hinauskommt. Nüchtern betrachtet bedeutet dies: Audi müsste bei einem Rennverlauf unter Grün den Nachteil von drei Tankstopps kompensieren, was ungefähr 180 Sekunden entspricht.

Bei einer Renndistanz von circa 360 Runden müsste Audi 0,5 Sekunden pro Runde schneller fahren als Toyota und Porsche. Das wird schwierig, denn Audi hat sich entschieden, in der kleinsten Hybridklasse bis maximal 2 MJ anzutreten, während Porsche und Toyota 6 MJ pro Runde nutzen.

Da das Reglement den Start in einer höheren Hybridklasse künstlich unterstützt, weil man dann proportional mehr Kraftstoff für den Verbrennungsmotor zugestanden bekommt, verliert Audi pro 1 MJ Differenz zu Porsche und Toyota etwa 0,5 Sekunden in Le Mans. Da die Differenz 4 MJ beträgt, macht das zwei Sekunden. Und natürlich ist es teuflisch schwer, 0,5 Sekunden pro Runde schneller zu fahren, wenn man zwei Sekunden pro Runde langsamer ist. Sie verstehen jetzt vermutlich auch, warum Audi kotzt.

Gibt es belastbare Daten für dieses Szenario? Knifflig, denn wir haben nur Spa, da fuhr Audi mit zwei WEC-Wagen mit viel Abtrieb und dem Le-Mans-Spec-Auto mit wenig Abtrieb. Die beiden Porsche 919 waren wieder mit wenig Abtrieb unterwegs, Toyota brachte zwei TS040 Hybrid in Le-Mans-Spec, aber mit etwas mehr Abtrieb für Spa - da werden Rundenzeiten-Analysen zur Kaffeesatzleserei.

Der Le-Mans-Spec-Audi schaffte als einziges LMP1-Auto die Renndistanz mit sechs Stopps. "Aber wir mussten uns hinhungern, es fehlten zwei Runden, um das Rennen mit sechs Stopps zu bewältigen", so Audi-Sportchef Wolfgang Ullrich. Das könnte die eher müden Rundenzeiten ebenso erklären wie die mauen Topspeeds, wo dem Le-Mans-R18 am Ende der Kemmel-Geraden neun Kilometer pro Stunde auf Porsche und deren sechs auf Toyota fehlten.

Unterschiedliche Stintlängen in Le Mans

Toyota wiederum sagte, dass ihnen in Spa fünf Runden fehlten, um die Renndistanz mit nur sechs Stopps zu schaffen. Doch offenbar hatte Speed bei Toyota Vorrang vor Reichweite, so tankte das TMG-Team sieben Mal, wie auch der zu Rennbeginn führende Porsche mit der Startnummer 14. Doch dessen siebter Stopp war einem Reifenschaden geschuldet - die Schwaben hätten das Rennen mit sechs Boxenstopps beenden können.

So variierten in Spa die Fahrzeuge zwar bei der Stint-Länge (Audi und Toyota 24 Runden, Porsche 25 Runden), aber beim Speed ging die Schere deutlich auseinander: Der siegreiche Toyota war gemessen am Durchschnitt der 50 schnellsten Rennrunden drei Zehntel fixer als der letztlich viertplatzierte Porsche. Dem Le-Mans-Spec-Audi fehlten allerdings 1,7 Sekunden auf den Durchschnitt von Toyota - ein ernüchterndes Resultat.
 
Übrigens waren sich die Hersteller selbst nicht einig, welche Aero-Konfiguration unter dem Diktat der neuen Energieregeln in Spa die bessere Wahl sei: Audi brachte als einziger LMP1-Hersteller zwei Wagen mit viel Abtrieb, weil laut ihrer Simulation diese Spezifikation schneller sei als ihre Le-Mans-Variante - was auch stimmte, durchschnittlich sieben Zehntel im Rennen. Toyota wiederum beteuerte, nach den neuen Regeln sei es keine Frage, dass die LM-Variante in Spa schneller sei als die WEC-Version. "Deshalb haben wir zwei Autos mit Le-Mans-Kit nach Spa gebracht", so Technikdirektor Pascal Vasselon.

Toyota gewann das 6h-Rennen in Spa, ohne bei einem der drei Sektoren im Mittel der 50 schnellsten Runden eine Bestzeit zu setzen: Porsche markierte hier die Spitze in Sektor eins und drei, die stark Le Mans ähneln, Audi holte die Bestzeit im kurvenreichen zweiten Sektor. In Summe lagen die beiden Toyota und der zu Beginn führende Porsche bei den Rundenzeiten auf ähnlichem Niveau. Der Abfall zum Rest des sieben Wagen starken LMP1-Feldes lag im Bereich von 0,8 bis 1,4 Prozent - und damit ziemlich hoch!

Wo steht Porsche vor Le Mans?

Dass Porsche das Rennen in Spa von der Pole- Position aus in Angriff nehmen konnte und 48 Runden führte, zeigt das Speed-Potenzial des 919. Nach einhelliger Auffassung hat Porsche die beste Beschleunigung, ausweislich der bisherigen Daten auch den höchsten Top-Speed. Aber das Auto ist (noch) nicht aussortiert.

In Spa trat ein Highspeed-Aero-Phänomen auf, das Bouncing genannt wird: In den Kurven Eau Rouge und Blanchimont wippte das Auto furchterregend, gleichzeitig setzte der LMP1 mit dem Unterboden auf, und zusätzlich rollte er beträchtlich um die Längsachse. "Das kriegen wir bis Le Mans in den Griff", so Teamchef Andreas Seidl. Im Vergleich dazu donnerten Toyota und Audi so stabil wie fliegende Teppiche durch Eau Rouge.

Die sensible Aerodynamik trifft bei Porsche auf ein komplexes Fahrwerk: Das sogenannte Hub-Wank-System ist dadurch gekennzeichnet, dass Vorder- und Hinterachse derart miteinander in Wirkverbindung stehen, dass eine Wankbewegung an einer der Achsen eine gegenläufige Wankbewegung an der jeweils anderen Achse bewirkt.
 
Audi und Toyota sind sich einig, dass dieses passive Fahrwerkssystem große Vorteile bringen kann, es jedoch eines enormen Aufwands bedarf, um die Benefits auf der Rennstrecke entsprechend umsetzen zu können. Legt man den Reifenverschleiß bei den bisherigen WM-Rennen zugrunde, hat Porsche das System noch nicht im Griff.
 
Porsche hat das wohl mit Abstand größte Steigerungspotenzial für die Zukunft, weil es das radikalste LMP1-Auto im Feld ist. Doch Radikalität hat auch ihren Preis: Die Zuverlässigkeit ist noch nicht mal für die 6h-Rennen sichergestellt, wie Silverstone (Getriebeschaden) und Spa (Antriebswellen- und Aufhängungsschaden) belegten. Es ist nahezu ausgeschlossen, dass Porsche die 24h-Distanz in Le Mans ohne Probleme bewerkstelligt. Technikchef Alex Hitzinger sagt: "Das Potenzial unseres Fahrzeugkonzepts werden wir erst 2015 komplett erschließen können."

Audi ist 2014 nicht der Favorit für Le Mans

Audi hat ein gutes, agiles Auto mit bestechender Kurvenlage gebaut, "aber uns fehlt es an Power von Motor und Hybridsystem", so der neunmalige Le-Mans-Sieger Tom Kristensen. Die Bayern wähnen sich bei den diesbezüglichen Einstufungsthemen benachteiligt. Dazu hat man sich bei der Wahl der Hybridklasse offenbar verzockt. Die bisherigen Saisonleistungen in der Sportwagen- WM waren in Summe eher enttäuschend.

Doch niemand sollte Audi voreilig abschreiben: Mit der klassischen Defensivwaffe des Langstreckensports, nämlich der Zuverlässigkeit, hat Audi schon einige Le-Mans-Siege gefeiert, zum Beispiel gegen Peugeot. "Aber es ist klar, dass wir dieses Jahr in Le Mans nicht der Favorit sind", hält ein Audi-Ingenieur fest. Aus eigener Kraft wird Audi nicht gewinnen können, aber wenn Toyota und Porsche in Probleme laufen oder patzen, könnte der LeMans-Löwe Audi wieder aufbrüllen.

Toyota-Antriebssystem perfekt für Le Mans

Toyota hat zwei WM-Laufsiege geholt, macht einen souveränen und sortierten Eindruck. Das Auto ist schnell, und während der knapp 30.000 Testkilometer traten keine Probleme auf. Spa war laut Vasselon wegen des Streckenprofils eher ein Nachteil für Toyota, da die Japaner die Energie des Hybridsystems nach der Rekuperation sofort wieder einspeisen müssen, denn wenn die Superkondensatoren gefüllt sind, leidet die Bremsleistung an der Hinterachse, was zu Überhitzungen führen kann. Ergo musste Toyota in Spa an Stellen boosten, die nicht optimal für die Rundenzeitenentwicklung sind. Doch das Streckenprofil von Le Mans bietet perfekte Voraussetzungen für die Hybridtechnik der Japaner.

Toyota nutzt eine clevere Verbindung zwischen Hybridsystem und Traktionskontrolle, ähnlich wie es Red Bull 2013 in der Formel 1 machte. Das ist vielleicht auch ein Grund, warum Toyota davon ausgeht, trotz der um fünf Zentimeter geschrumpften Reifenbreiten in Le Mans auch 2014 wieder Triple- und Quadruple-Stints fahren zu können. Das Fazit ist ziemlich eindeutig: Toyota ist schnell und zuverlässig, Porsche ist schnell und unzuverlässig, Audi ist zuverlässig - aber zu langsam.

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