Zwei Rallye-Minis im Tracktest
VLN-Schirra-Mini trifft Rallye-Mini von 1968

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David gegen Goliath: In den sechziger Jahren dominierte der Mini die internationale Rallye-Szene. Heute mischt er auf der Langstrecke die Konkurrenz auf. Der Schirra-Mini von der Nordschleife und sein Vorfahre von der Rallye Monte Carlo 1968 im Tracktest.

Schirra-Mini VLN
Foto: Burkhard Kasan

Passender hätte Petrus die Wetter-Komposition nicht wählen können. Grau-schwarze Gewitterwolken brodeln wie ein geheimnisvolles Gemisch im Reagenzglas über der Eifel. Regen, Sonne, Regen. Der Wettergott hat typisches Nordschleifen-Wetter bestellt.

1.026 Kilometer entfernt spielt Petrus ebenfalls den Bestimmer. Erst tagelanger Schneefall, jetzt Tauwetter. Die winterliche Milde ist trügerisch. Der nasse Asphalt verwandelt sich zur rutschigen Eispiste. Glatteis, Regen, Schneestürme. Typisch am Col de Turini. Wechselnde Bedingungen sind auf der ehemaligen Route der Rallye Monte Carlo in den französischen Seealpen das Salz in der Suppe.

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Stilechte Wetterkapriolen für einen besonderen Doppel-Tracktest. Eine Replica des Gruppe 2-Rallye-Mini von Mini-Werkspilot Rauno Aaltonen aus dem Jahr 1968 trifft auf den aktuellen Langstrecken-Mini von Schirra Motoring, der heute in der VLN und beim 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring mit den DTM-Altstars Harald Grohs und Markus Oestreich sowie Friedrich von Bohlen der Konkurrenz das Fürchten lehrt.
 
Mit knurrigem Motorengeräusch tobt der blaugelbe Schirra-Mini mit der Startnummer 411 von der Touristeneinfahrt an der Döttinger Höhe raus auf den Ring. Schwups, schon sind Antoniusbuche und Tiergarten passé. Die Langstrecken-Version hängt deutlich bissiger am Gas als das Clubsport-Modell aus der Mini Challenge. „Das Auto ist eine komplette Eigenentwicklung und basiert nicht auf dem Cupfahrzeug“, hatte Teamchef Joachim Schirra zuvor verraten.
 
Renn-Mini mit 275 PS bei 6.100/min
 
Für die Hatz durch die grüne Hölle modifizierte die Schirra-Truppe das 1,6-Liter-Aggregat grundlegend. Dank des um 0,3 auf 1,4 bar erhöhten Ladedrucks steigt die maximale Leistung des Turbomotors mit Direkteinspritzung von 211 auf 275 PS bei 6.100/min. Außerdem kommen ein größerer Wasserkühler sowie ein gewaltiger Ladeluftkühler zum Einsatz. Während bis zu 375 Newtonmeter maximales Drehmoment an der Antriebsachse zerren und den Schirra-Mini über die Eifel-Achterbahn peitschen, läuft sich am Fuße der französischen Seealpen eine historische Rallye-Legende warm.
 
Nicht ganz original, aber der Mini Cooper S Mk II ist ein detailgetreuer Nachbau des Werks-Mini mit der Starnummer 18, mit dem Rauno Aaltonen bei der Rallye Monte Carlo 1968 auf Platz drei fuhr. Von den Lucas-Abdeckungen der vier Zusatzsatzscheinwerfer über die Rennkupplung, den Käfig bis hin zur beheizbaren Frontscheibe ähnelt die Replica dem einstigen Einsatzwagen. In den sechziger Jahren dominierten die nur drei Meter langen Fahrzeuge die internationale Rallye-Szene. Von 1964 bis 1967 gewann der britische Renn-Floh vier Mal in Folge die Monte. 1966 wurde das Werksteam der British Motor Corporation (BMC) allerdings wegen falscher Glühlampen in den Scheinwerfern disqualifiziert - eine höchst umstrittene Entscheidung.
 
„Der Mini war deutlich leichter und schmaler und dadurch sehr handlich und wendig auf engen Strecken“, erinnert sich der 71-jährige Ex-Werksfahrer Aaltonen heute an das Erfolgsrezept. Genug der Vorschusslorbeeren. Auch der historische Mini will sein Potenzial heute unter Beweis stellen. Laut durch die Rennabgasanlage grummelnd kraxelt der Oldie die ersten Turini-Spitzkehren hinauf. Auf der einen Seite erstrecken sich zerklüftete Felswände, zur anderen tiefe Schluchten. Nur eine kniehohe Begrenzungsmauer trennt die stummelige Mini-Schnauze bei einem Ausritt vom freien Fall. „Egal, ob 20 oder 50 Meter tiefe Schluchten, darüber darfst du als Rallye-Fahrer nicht nachdenken“, resümiert Rauno Aaltonen später.
 
92 PS müssen nur 651 Kilogramm bewegen
 
Der Mini fühlt sich auf dem verwinkelten Passsträßchen noch so wohl wie vor über 40 Jahren. Unter der mit groben Lederriemen gesicherten Motorhaube rackert ein quer eingebauter Vierzylinder- Reihenmotor mit Doppel-Webervergaser. Trotz des für heutige Verhältnisse schmächtigen Aggregats (1.275 Kubikzentimeter und rund 92 PS) wieselt der nur 651 Kilogramm schwere Wagen leichtfüßig um die Kurven.
 
Szenenwechsel: Karussell, Hohe Acht, Wippermann. Von dem schlanken Idealgewicht seines historischen Bruders ist der Mini von 2009 weit entfernt. Mit 978 Kilogramm ist aber auch er alles andere als ein Schwergewicht. „Das Ding geht so gut, dass man nicht mehr in den Rückspiegel schauen muss“, beschreibt der mittlerweile 65-jährige Rennhaudegen Grohs das Potenzial. „Außerdem macht es den Harald rund fünf Jahre jünger“, ergänzt Teamkollege Oestreich schmunzelnd. Dank Drexler-Sperre punktet der heißgemachte Mini mit herausragender Traktion. Mit Uniball-Gelenken und vierfach verstellbarem Sachsfahrwerk fährt sich die Schirra-Version deutlich exakter als die Clubsport-Variante. Dreieinhalb Grad Sturz an der Vorderachse bescheren dem bissigen Rennfloh ein präzises Einlenkverhalten.
 
Auch die Mini-Zahnstangenlenkung von 1968 arbeitet erstaunlich direkt. Knisternd krallen sich die Spikereifen auf den winzigen Zehn-Zoll-Minilite-Rädern in die vereisten, historischen WP-Kilometer. „Mit Links-Bremsen kann man den Mini leicht querstellen“, verrät Rauno Aaltonen Kniffe seiner spektakulären Fahrweise. Trotz Frontantrieb lässt der 68er-Mini mit sehr hecklastiger Bremsbalance so erstaunliche Driftwinkel zu.
 
Ein letztes Mal quertreiben - und der Works-Vertreter ist auf dem Herzstück der ehemaligen Monte-Route angekommen. Leise tickend ruht sich der Mini auf dem Turini-Hochplateau in 1.607 Meter Höhe aus.
 
VLN-Rekordzeit steht bei 9:07 Minuten
 
Auch die Nordschleifen-Runde ist nach weniger als zehn Minuten Geschichte. Mit breitem Grinsen klettert der Gastpilot aus dem aktuellen Mini-Cockpit. „Unsere VLN-Rekordzeit steht derzeit bei 9:07 Minuten, aber wir wollen unter die Neun-Minuten-Grenze“, sagt Harald Grohs abschließend. „Für 2010 planen wir noch mehr Leistung und ein sequenzielles Getriebe“, verrät Teamchef Joachim Schirra, wie der ambitionierte Plan gelingen soll.

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Sport Auto 03 / 2022
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Erscheinungsdatum 04.02.2022

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