Charly Lamm ist tot
Motorsport-Welt trauert um einen Großen

Am letzten Donnerstag (24.1.2019) verstarb der ehemalige Schnitzer-Teamchef Charly Lamm im Alter von 63 Jahren nach kurzer und schwerer Krankheit. Die Nachricht sorgte weltweit für Bestürzung und Anteilnahme.

Charlie Lamm - BMW
Foto: BMW

Charly Lamm lebt nicht mehr. Am Freitagmorgen tauchte die schreckliche Nachricht in Daytona erstmals als Gerücht auf, am Mittag Ortszeit wurde sie zur Gewissheit: Herbert Schnitzer Junior bestätigte im Namen von Schnitzer Motorsport per Pressemitteilung den Tod von Charly Lamm.

Lamm hatte das Zepter als amtierender Teamchef bei Schnitzer Motorsport erst im November 2018 abgegeben: Das GT3-Weltcup-Finale in Macau war Lamms letzter offizieller Einsatz. BMW-Werkspilot Augusto Farfus gewann beide Läufe und machte seinem Freund, Mentor und Teamchef das schönste Abschiedsgeschenk: Charly Lamm verließ die große Motorsport-Bühne mit einem lupenreinen Sieg. Standesgemäß.

Unsere Highlights

Racing als Lebensdroge

Nach dem Rennen in Macau sagte Lamm: „Racing war meine Lebensdroge, und es berührt mich sehr, dass ich dieses große und wichtige Kapitel meines Lebens mit einem Sieg beenden durfte.“ Es war beeindruckend zu sehen, wie das gesamte GT-Fahrerlager in Macau mit der Niederlage gegen den Rivalen Schnitzer Motorsport umging: Alle freuten sich ausnahmslos und aufrichtig für Karl Lamm, den alle zeitlebens nur Charly riefen. Die Welle der Sympathie und Zuneigung rührte Lamm sichtlich.

Ein Wettbewerber brachte es auf den Punkt: „Die Engländer sagen immer, dass nette Leute im Motorsport nicht erfolgreich sein können – Charly Lamm hat das Gegenteil bewiesen.“ Lamm bestritt seine gesamte Laufbahn bei Schnitzer Motorsport, beginnend mit einem Schülerjob im Jahr 1972 und endend als Teamchef 2018. Dabei bestach er durch tadellosen Sportsgeist und maximale Fairness. Die herausstechende Eigenschaft von Charly Lamm: Er war im wahrsten Begriff des Wortes ein Menschenfreund, ein Philanthrop. Er begegnete jedem, auf den er traf, mit Offenheit und Unvoreingenommenheit. Ihm ging es um Anteilnahme und um menschliche Nähe, um den persönlichen Kontakt.

Wenn Lamm in seinem typischen Dauervollstrommodus durch die Fahrerlager der Welt hetzte, auf dem Weg zum nächsten Termin oder Debriefing, hielt er trotzdem immer an. Er sagte hallo, fragte wie es geht, sagte, dass er jetzt leider überhaupt keine Zeit habe, stieß eine kurze Fachdebatte an. Eine halbe Stunde später stand man dann immer noch mit ihm an der gleichen Stelle, bis ihn ein anderes Teammitglied mit leicht panischen Augen daran erinnerte, dass gerade alle auf ihn im Meeting-Raum warten würden. „Du kommst dann aber nachher schon nochmal vorbei? Über die Sache müssen wir nochmal reden!“

Anruf kurz vor Mitternacht

Die zweite kennzeichnende Eigenschaft von Charly Lamm bestand darin, dass er immer alles in jeder Facette verstehen und begreifen wollte. Kurze Erklärungen waren nie sein Ding, denn die Welt ist komplex, der Motorsport noch mehr. Entsprechend lang fielen seine Antworten immer aus.

Das Verstehertum von Charly Lamm, seine Aufmerksamkeit bei der Planung, sein Fanatismus beim Detail waren über viele Jahrzehnte ein sehr zentraler Schlüssel der Erfolge von Schnitzer Motorsport. Es ist bezeichnend, dass das Schnitzer-Team unglaublich viele Titel und Meisterschaften im ersten Jahr der Teilnahme erreichte – egal ob DRM, TW-EM, TW-WM, DTM oder Britische TW-Meisterschaft.

Der Autor dieses Nachrufs kann den unglaublichen Akribismus von Charly Lamm mit einer Anekdote belegen: Irgendwann 2010 klingelt nachts um 22:00 Uhr das Mobiltelefon, eine Festnetznummer aus Freilassing. „Du warst doch schon mal in Zhuhai, oder?“. Ja. Ich traute mich nicht zu fragen, warum Charly diese Frage kurz vor Mitternacht stellen muss. Zwei Stunden später war klar, warum: Das Schnitzer-Team musste in der ILMC ein Rennen in Zhuhai fahren, in neun Monaten. Der Fragenkatalog war umfangreich: Wie komme ich an diesen Ort? Brauche ich einen Bus für meine Buam (gemeint waren seine Mechaniker), um vom Hotel zur Rennstrecke zu kommen? Wie ist das Essen da? Kennst Du jemand von der Rennstrecke und hast Du zufällig seine Handynummer?

Arbeitstier Charlie Lamm

Charly saugte alles auf wie ein Schwamm, mit Sicherheit machte er sich Notizen, und wahrscheinlich checkte er noch im Internet den Zeitzonenrechner, um herauszufinden, ob er den Rennstreckenchef von Zhuhai vielleicht jetzt gleich noch anrufen könnte, um einen ersten Kontakt herzustellen. „Du, das hat mir jetzt furchtbar geholfen, ich danke Dir und pfuäti!“

Dazu muss man wissen: Charly war ein Arbeitstier hoch zehn. Er pflegte im Dreischichtbetrieb zu arbeiten: Nach dem Frühstück ins Büro, nach dem Mittagessen ins Büro, nach dem Abendessen begann die dritte Schicht. Endlich Zeit für Telefonate, endlich Zeit, Fragen zu stellen und Dinge zu eruieren – und zwar bitte gründlich und gnadenlos.

Im Dezember nach vielen Ehrungen und Verabschiedungen wollte Charly in sich gehen, um eine neue Mitte in seinem Leben zu finden, wie er sagte. Der Entzug von der Lebensdroge Motorsport hätte angestanden. „Vielleicht schreibe ich mich an der Universität ein und studiere alte Geschichte.“ Am wichtigsten war ihm aber seine Familie, die über viele Jahrzehnte viele Kompromisse machen musste. Ein Teil seiner Zeitschuld bei den Lieben wollte Charly in den kommenden Jahren wieder gut machen. Dazu hat er nun keine Chance mehr.