Interview mit NLS-Chef Mike Jäger
„Mein Büro ist das Fahrerlager“

Mike Jäger hat als neuer Geschäftsführer der VLN Sport GmbH eine Mammutaufgabe vor sich: die NLS wieder auf Kurs zu bringen. Wo er die Probleme sieht und wie genau er sie angehen will.

Mike Jäger - NLS - 2023
Foto: NLS

Die Stimmung im Fahrerlager war zuletzt angespannt. 
Würden Sie sich als guten Psychologen bezeichnen?

Mike Jäger: Du brauchst in diesem Job ein gewisses Einfühlungsvermögen und Grundkenntnisse. Zumal ich ins kalte Wasser geworfen wurde. Ich kannte die Szene ja nur von der anderen Seite als Fahrer. Nun muss ich die ganzen Zusammenhänge verstehen und die verschiedenen Interessen aller Beteiligten aussortieren. Da braucht es schon etwas Fingerspitzengefühl.

Unsere Highlights

Einige NLS-Teilnehmer haben sich nicht mehr willkommen gefühlt. Wie können Sie da gegensteuern?

Jäger: Viele hatten den Eindruck, sie werden nicht mehr gehört. Es kam in unserer Umfrage heraus, dass man zu wenig kundenorientiert agiert. Das war mit einer der Gründe, warum ich gewählt wurde. Man suchte jemanden, der ein Gehör für die Stimmung im Fahrerlager hat, aber auch einen betriebswirtschaftlichen Hintergrund. Ich bin Unternehmensberater mit Spezialisierung auf Unternehmen, die in Schieflage geraten sind und sich restrukturieren. Daher passt das gut zusammen. Vor allem, weil ich sowieso nach meiner aktiven Zeit als Rennfahrer einen Weg gesucht habe, weiterhin bei der VLN dabei zu sein.

Aber was können Sie konkret tun, damit sich alle mehr gehört fühlen?

Jäger: Wir haben mit Teams gesprochen, die sich aus der NLS zurückziehen wollten, und uns mit der Interessengemeinschaft Langstrecke Nürburgring zusammengesetzt. Es gab zuletzt bei Entscheidungen nur das Prinzip Schwarz oder Weiß. Wir wissen aber, dass wir nichts ohne unsere Teams und Fahrer sind. Wir wollen sie bei Entscheidungen mehr abholen und Kommunikation auf Augenhöhe schaffen. Deshalb habe ich mich bewusst entschieden, kein eigenes Büro bei den Rennen haben zu wollen. Mein Büro ist das Fahrerlager. So bekomme ich viel mehr mit.

Welche Aufgaben mussten Sie in den ersten Tagen im neuen Amt erledigen?

Jäger: Es ging erst mal darum, eine neue Führungsstruktur aufzubauen. Es sind ja innerhalb eines Tages Geschäftsführer, sportlicher Leiter, technischer Leiter und Rennleiter abgetreten. Ich habe versucht, manche Entscheidungen rückgängig zu machen. Und es dann als Chance gesehen, Dinge anders anzugehen. Da kam uns zum Beispiel die Unruhe in der ITR entgegen. Dadurch konnten wir Christian Vormann als Rennleiter gewinnen. Auch dem Technik-Trio wollten wir die Möglichkeit geben, etwas Neues mit uns aufzubauen. Im zweiten Schritt musste ich alle Strukturen in der VLN verstehen. Bis Weihnachten habe ich mich sieben Tage die Woche 16 Stunden am Tag mit der VLN beschäftigt.

NLS 9 - Nürburgring-Nordschleife - 5. November 2022
Stefan Baldauf
Die NLS hatte letzte Saison mit schrumpfenden Starterfeldern zu kämpfen.

Wie schnell kann man Ergebnisse erwarten?

Jäger: Wir haben schon kleine Veränderungen erreicht. Zum Beispiel, dass die FT3-Tanks für die V-Klassen keine Pflicht sind. Die Boxenstoppzeiten haben wir ebenfalls vereinfacht. Zudem sind wir mit dem DMSB im Austausch, um das Permit-Verfahren zu verändern. Die Kostensteigerung, die wir aktuell erfahren, liegt bei 15 bis 17 Prozent. Eigentlich müssten wir auch in dieser Höhe das Nenngeld anheben, um kostendeckend zu arbeiten. Wir haben es aber hinbekommen, es nur um 2,5 Prozent zu erhöhen. Indem wir nicht Notwendiges abgeschafft und Kosten verhandelt haben.

Befindet sich die NLS in einer Identitätskrise?

Jäger: Wir haben ein super Produkt, mit der schönsten Rennstrecke der Welt. Wir müssen sie nur wieder besser und kundenorientierter vermarkten. Wir haben uns zu lange mit unseren eigenen Problemen beschäftigt und nicht mit denen unserer Kunden. Man hat zu sehr in Richtung Professionalisierung gedacht. Das ist in gewisser Weise auch in Ordnung, weil die FIA oder der DMSB ja von außen mitmischen und wir das nicht alleine bestimmen können. Michel Pathe als Leiter der VLN VV und ich haben uns dafür ausgesprochen, weiter eine Breitensportserie sein zu wollen – aber vor allem eine Kundensportserie.

Wie kommt es, dass die Garagenteams aussterben?

Jäger: Wir sind bestrebt, die Kleinen zurückzugewinnen, die wir verloren haben. Sicherlich auch durch eigenes Verschulden. Wir haben die Kosten mit Auflagen wie Datalogger, GPS und Co. in die Höhe getrieben. Da bist du schnell bei 9000 Euro nur für Technik. Das werden wir vereinfachen – genauso wie das Reglement und der Einstieg mit der Permit. Aber: Wenn wir realistisch sind, wird es heutzutage mit all der Elektrik immer schwieriger, irgendein Auto in der Garage zu einem Rennauto umzubauen. Da müssen wir unterstützen. Wir sind mit verschiedenen Herstellern in Gesprächen, ein kundensportähnliches Rennfahrzeug zu bauen – im Bereich von 60 00 Euro. Das ist eine Menge Geld, aber der Umbau wird eben immer schwieriger. Der andere Ansatz wären Rennkits, die von Herstellern angeboten werden. Unser Statement ist klar: Wir wollen die Kleinen dabeihaben. Sie sollen nicht aussterben, auch wenn die technische Umsetzung komplizierter wird.

Zuletzt waren es Ende 2022 unter 100 Starter. Ist das nur ein Imageproblem oder tatsächlich schwierig als Veranstalter?

Jäger: Wir brauchen 130 Autos, um kostendeckend zu arbeiten. Da haben wir aber noch nichts verdient. Es gab meiner Meinung nach verschiedene Faktoren für diese Zahl. Zum einen der Ukraine-Krieg, der extrem späte Termin Anfang November und die Unruhe im Fahrerlager.

War das 12h-Rennen ein Tiefpunkt?

Jäger: Wir hatten ja ein unterbrochenes 12h-Rennen, aufgeteilt in zwei 6h-Rennen. Es gab viel Gutes, aber auch viel Kritik. Wir haben uns im Austausch mit der ILN und den Kunden dafür entschieden, es in einem anderen Format zu erhalten. Wir machen daraus zwei 6h-Rennen, die einzeln gewertet werden. Als Team kannst du, wenn du beide Rennen fährst, eine Trophy-Wertung gewinnen. Zudem haben sie die Möglichkeit, die Fahrerplätze am Samstag und Sonntag getrennt voneinander zu vermarkten und am Samstagabend zu reparieren. Wenn alles klappt, unterteilen wir dieses Rennen in vier Abschnitte, mit denen man an nur einem Wochenende die Permit machen kann.

Welche Rolle spielt die Permit in der aktuellen Lage?

Jäger: Sie ist für die Nordschleife richtig. Wir haben eine besondere Strecke und ein besonderes Rennformat. Es braucht eine gewisse Grunderfahrung. Deshalb bin ich ein Befürworter. Man sollte da aber nicht nur schwarz und weiß entscheiden, sondern auch mal grau. Wir arbeiten dazu derzeit eng mit dem DMSB zusammen, denn die Permit-Regularien machen ja nicht wir.

Welche Kernpunkte gehen Sie langfristig an?

Jäger: Das ist zum einen die Reifenlimitierung. Zum anderen die Neustrukturierung der Klassen. Wie bringen wir die Kleinen wieder leichter in die NLS? Wie kommen die Clio-Cup-Autos wieder zurück? Machen wir historische Klassen? Auch das Thema Reglement steht im Fokus. Das ist teilweise extrem kompliziert. Wir haben mal an einem Beispiel durchgearbeitet, was man als italienischer Rennfahrer tun muss, um in der NLS fahren zu können. Da steigst du ziemlich schnell aus. Anderes Beispiel: Wir haben Datalogger, die kein Mensch ausliest – es sei denn, es gibt einen Verdachtsmoment. Deshalb überlegen wir, drei bis fünf Datalogger selbst zu kaufen, die entweder per Zufall oder bei einem Verdachtsmoment zugeordnet werden. Auch beim GPS-System denken wir darüber nach, eine Leihmöglichkeit für die ersten drei Rennen anzubieten. Die Gebühr wird auf den Kaufpreis angerechnet. Aber auch Zukunftsthemen wie alternative Antriebsarten beschäftigen uns.

Wie sehen Sie die ewige Diskussion zum Thema GT3 und kleine Autos?

Jäger: Bei den Profis ist der Druck sehr hoch, weil es um den Fahrerplatz geht. Wir werden in aller Konsequenz Strafen aussprechen. Es soll einen Race Consultant geben, der den Rennleiter berät. Die GT3 als Problem zu sehen wäre aber zu einseitig. Wenn du im GT3-Auto zum Beispiel auf den Dacia Logan zufährst, sinkt dir das Herz in die Hose. An einer ungünstigen Stelle ist das eng. Aber wenn du gewissenhaft GT3 fährst und siehst, wie wenig die Dacia-Piloten dir im Weg stehen, dann klappt das. Die bringen nie eine unvorhersehbare Aktion, sie fahren einfach ihren Stil und lassen dich vorbei. Es gibt genügend Beispiele, dass es funktioniert. Es sind nicht immer die GT3-Autos oder die Cup-Porsche. Manchmal ist es die Unerfahrenheit der Kleineren, die auf einmal quer über die Strecke ziehen, weil sie Platz machen wollen.

Einer der besten Psychologen im Rennsport ist SRO-Boss Stéphane Ratel. Was kann man sich von ihm abschauen?

Jäger: Ich kenne ihn nicht persönlich. Aber ich bin in der NLS groß geworden. Für mich ist es eine Herzensangelegenheit und Ehrensache, dass ich mich da engagiere.