Risse-Opel Kadett C Coupé aus KW Berg-Cup
Tracktest im Muscle-Kadett Yellow Psycho

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Wie verwandelt man ein Opel Kadett C Coupé in einen erfolgreichen Bergrennwagen? Sequenzielles Sechsganggetriebe, 10.000/min Höchstdrehzahl und 298 PS bei 840 Kilogramm. Wir fuhren das Meisterauto der letzten sechs Jahre aus dem KW Berg-Cup Gruppe H.

Tracktest im Muscle-Kadett Yellow Psycho
Foto: sport auto

Nur die Instrumente bleiben stoisch ruhig und vermelden Wassertemperatur, Öldruck und Drehzahl. Alles andere tobt, brüllt, schreit, jubiliert. Umsäumt von 40 Metern Stahlrohren, fest geschnürt im Rennschalensitz heißt es jetzt mit allen Sinnen fühlen, schmecken, reinriechen. Ausreichend Zeit? Schon das Anschnallen dauert bei Tracktests gefühlt länger als das eigentliche Fahrerlebnis. Vier, fünf Runden – dann, wenn die Nackenhärchen sich gerade an die Hab-Acht-Stellung gewöhnt haben, winkt irgendeiner mit der Boxentafel. Pit in. Tracktest-Ende.

Unsere Highlights

Quietschgelbes Opel Kadett C Coupé, Baujahr 1978


Heute ist alles anders: Wir haben einen Tag lang Zeit, und auf der Speisekarte steht diesmal kein DTM-Bolide oder Langstrecken-Triumphator, sondern ein quietschgelbes Opel Kadett C Coupé, Baujahr 1978. Doch nicht irgendein ranziger Bastel-Oldtimer mit viel Leistung - wir bitten das sechsfache Meisterauto aus dem KW Berg-Cup Gruppe H zum Kurventanz. Stilecht heißt es diesmal nicht Formel 1-Piste in Nürburg oder Hockenheim. Vielmehr geht es auf eine verlassene Berg-und-Tal-Landstraße, die mehr an eine Fahrwerk-Rüttelstrecke auf einem Testgelände als eine öffentliche Straße erinnert.
 
Dieses Mal schauen nicht dutzende Rennmechaniker in Werks-Tracht hypernervös zu, wenn der Unbekannte auf die ersten Meter im seltenen Renn-Unikat rollt. Und diesmal hebt auch keiner wie sonst bei Tracktests meist üblich mahnend den Zeigefinger, das gute Stück ja wieder ohne Schramme abzuliefern. Im Gegenteil: „Dreh ruhig bis Zehntausend, erst dann geht hier so richtig der Bär ab“, heizt Holger vor der Ausfahrt an.

Der heißgemachte Kadett hat sechs Mal in Folge gewonnen


Bei jedem Gasstoß blitzen die Augen des 41-Jährigen - wie die eines Schulbuben, der zum ersten Mal sein Traumauto live erblickt. Holger verdient seine Brötchen als selbstständiger Kfz-Meister und heißt mit Nachnamen Hovemann. In der Bergrennszene hätte es längst Klick gemacht. Dort ist Holger ein Star. Hovemann hat den Siegeskranz abonniert wie andere die Tageszeitung. Seit 2004 hat der Opel-Fan mit seinem heißgemachten Kadett sechs Mal in Folge die Gesamtwertung des KW Berg-Cup Gruppe H gewonnen. Jetzt hockt der Serien-Bergmeister mit hochgeschobenem Sweatshirt und ölverschmierten Händen im Morast des Straßengrabens neben dem Fotografen und schaut mir dabei zu, wie ich seiner Bergrakete die Sporen gebe.
 
Bei diesem Tracktest ist halt alles anders. Undenkbar, dass Timo Scheider im Kiesbett kauert und dir ernsthaft dabei zusieht, wie du seinen A4 DTM um die Ecken peitschst. Willkommen in der herrlich uneitlen Welt des Amateur-Rennsports am Berg. Doch auch ohne hochtrabende Gage geht es hier extrem professionell zu. Klack, innerhalb von 70 Millisekunden wechselt das sequenzielle Sechsgang-Renngetriebe von Tractive im Kadett mit der Startnummer 400 die Gänge. Nur unter Volllast flutschen die Gänge wie ein Messer durch die aufgewärmte Butter. Wer nicht voll auf dem Stempel steht, sollte besser Popeye Unterarme mitbringen. Schon der stehende Start verlangt nach viel Testosteron. Die Zweischeiben-Rennkupplung von Sachs beißt so giftig wie eine Klapperschlange zu. Ein aktueller Audi A4 DTM rollt mit seiner geschmeidigen Kupplung dagegen fast enttäuschend langweilig an - oder wie Ex-DTM-Profi Allan McNish einst bei einem Tracktest sagte: „So easy wie von einem Aldi-Parkplatz.“

Null auf 100 schafft er in rund drei Sekunden

Der Kadett-Charakter ist dagegen kerniger und grundehrlich. Hier läuft alles ein Spur roher ab als im Highend-Rennwagen. Bei einem perfekten Start soll der Opel mit einstellbarer Launch- Control zumindest mit den DTM-Tourenwagen beim Spurt mithalten können. „Null auf 100 schafft er in rund drei Sekunden“, verrät Gipfelstürmer Hovemann. Das Rezept für die guten Sprinterqualitäten? Ein Punch wie ein Schwergewichtsboxer vereint mit der Leichtfüßigkeit eines Fliegengewichts. Schon der an Motorhaube und auf dem Mitteltunnel plakativ prangende Kampfname des Muscle-Kadett verrät ohne Zurückhaltung, dass hier Musik drin ist: Yellow Psycho.
 
Vollgetankt bringt das leergeräumte Coupé dank zahlreichen Carbon-Bauteilen (Motorhaube, Heckdeckel, Seitenschweller und Heckflügel) nur 840 Kilogramm auf die Waage. Doch ohne ein potentes Kraftwerk unter der Motorhaube kann man die Berghatz vergessen. „Wenn du vorn mitmischen willst, musst du einen 16-Ventiler haben“, sagt der Serien-Sieger. Großen Anteil an Hovemanns Erfolg hat die traditionsreiche Opel-Motorenschmiede Risse Motorsport, die einst Rallye-Blitze wie den Opel Ascona oder 1999 einen Tourenwagen-Vectra in der STW fit machte. Der Motorentuner aus Soest pflanzte dem Berg-Kadett ein komplett neu entwickeltes Vierzylinder-Triebwerk mit zwei Liter Hubraum und 298 PS unter die Breitbau-Karosse mit dem Frontspoiler im Baggerschaufel-Format. CIH-Motorblock, ein von sechs auf vier Zylinder gekürzter 24V-Zylinderkopf vom Opel Omega 3.0i 24V und eine KMS-Einspritzanlage mit offenen Ansaugtrichtern: Die feine Motorentechnik im Gegenwert eines komplett neuen Corsa OPC zieht Tuning-Gourmets im Fahrerlager der Berghelden wie ein Magnet an.

Drehzahlbegrenzer bei 10.000/min

Gut, dass beim Bergcup noch in Scheunen zwischen Traktoren oder bei Bratwurstgeruch unter freiem Himmel an den Rennaggregaten geschraubt wird. Hermetisch abgeriegelte Formel 1-Fahrerlager mit exklusivem Chipkarten-Zugang sind so weit weg wie Grevenbroich von Tokio. Beim Bergsport kann der Fan noch freimütig im Motorraum schnuppern. Auch heute schreit das Vierzylinder-Herz infernalisch hochfrequent wie eine Kreissäge, als wolle es die wenigen Wanderer rund um die verlassene Landstraße jubelnd an den Straßenrand treiben. Ein Fächerkrümmer und eine im rechten Schweller seitlich austretende Auspuffanlage von Schäfer spielen den Subwoofer und verstärken das Rennwagenkonzert. Die bedrohlich dicht an der Strecke stehenden Bäume degradiert das C Coupé unbekümmert zu Statisten der Tempohatz. Plötzlich flammen die zehn Leuchtdioden auf dem Daten-Display im Cockpit hektisch rot auf - der Risse-Kadett rennt bei 10.000 Kurbelwellenumdrehungen in den Drehzahlbegrenzer.
 
Bitte noch mal auf der Zunge zergehen lassen: Zehntausend Touren. Jetzt aber flugs vom Gaspedal, bevor doch noch eine Radarfalle das Geschäft ihres Lebens macht. 203 km/h vermeldet die Datenanzeige, was rund echten 190 Sachen entspricht. Die kurze Getriebeübersetzung ist ideal für die zwischen 1,8 und 4,2 Kilometer langen Strecken im KW Berg-Cup mit Steigungen von bis zu zwölf Prozent. Wie sich Ski-Rennläufer wagemutig ins Tal stürzen, heizen die Bergfahrer den Hang hinauf. Da müssen auch die Pneus sofort hellwach sein. Anders als bei Rundstrecken-Slicks erreichen die profillosen Avon-Rennreifen auf dem Gipfelstürmer blitzschnell die richtige Arbeitstemperatur und kleben nach wenigen Kurven auf dem Asphalt. Für gute Traktion sorgt außerdem eine 75-Prozent-Sperre. Zudem verwandeln Uniball-Gelenke, ein dreifach verstellbares KW-Gewindefahrwerk sowie eine ultradirekte Lenkung den historischen Opel in ein bissiges Rennfahrzeug.

12.31 Uhr, plötzlich herrscht gähnende Leere im Kadett-Tank. Der minimalistische 18-Liter-Brennstoffvorrat ist typisch für die Berghelden, die im Einsatz kaum länger als zwei Minuten angasen. „Wenn du willst, mache ich ihn nochmal voll ...“, sagt Sieg-Fahrer Hovemann und schnappt schon nach dem nächstgelegenen Kanister. Wie zu Beginn versprochen: Beim heutigen Tracktest ist alles anders – erfrischend und erfreulich zugleich.

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