Porsche in der Sportwagen-WM
Heckmotor-Prinzip ohne Sieg-Chance?

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Siegreich in Le Mans, chancenlos bei allen anderen Läufen zur Sportwagen-WM – der neue Porsche 911 RSR ist ein Chamäleon. Das provoziert auch prinzipielle Fragen: Hat man im GT-Sport mit einem Heckmotor-Rennwagen heute überhaupt noch eine Chance?

Sportwagen-WM, Porsche, GTE
Foto: John Brooks

In der drittletzten Runde des Sportwagen-WM-Laufs in Austin setzte Werksfahrer Richard Lietz im Porsche 911 RSR ein kleines Ausrufezeichen: 2.03,853 Minuten, die zweitbeste Rundenzeit aller GTE-Wagen im Feld. Über eine Runde betrachtet ist der 911 RSR offenbar ein taugliches Auto. Über die Distanz blieb beim WM-Lauf in Austin ein anderes Ausrufezeichen in Erinnerung: 1.08,225 Minuten – das war der Rückstand von Lietz und Teamkollege Marc Lieb auf Platz vier nach sechs Rennstunden auf den siegreichen Aston Martin Vantage.

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Porsche will keine vierten Plätze, sondern ganz nach vorne

Vierte Plätze sind nicht das, was Porsche von seinen Werkssportaktivitäten erwartet. Schließlich setzen die Schwaben stolze Summen ein, die Rede ist von einem zweistelligen Millionenbetrag für die Saison 2013. Der Return of Investment fällt bei salopper Betrachtung gleichzeitig fett und mager aus. Bei fünf WM-Läufen holte das von Olaf Manthey geführte Werksteam den Jackpot-Doppelsieg in Le Mans – und ansonsten im Regelfall noch vierte Plätze, wie in Austin oder zuvor in Silverstone. Den dritten Platz in São Paulo fuhr man mit zwei Runden Rückstand ein.

Die Schwaben haben im Motorsport eine klare Devise: Da wo wir sind, ist vorne. Seit 50 Jahren sorgen zahllose Elfer-Rennmodelle für Siege am Fließband. Doch der Mythos ist hungrig, verlangt nach immer neuem Futter. Niederlagen dagegen könnten schnell den unangenehmen Verdacht aufkommen lassen, die Heckmotorautos seien heute einfach nicht mehr konkurrenzfähig. Das Engagement im GT-Sport soll aber genau das Gegenteil beweisen. Wo liegen die Gründe, dass dem fraglos hohen Aufwand 2013 keine durchschlagenden Ergebnisse gegenüberstehen?

Der Ausreißer-Sieg in Le Mans - nur ein Zufall?

Das Grundmuster der bisherigen Saison ist recht eindeutig, auch wenn einzuschränken ist, dass 2013 als Entwicklungsjahr deklariert worden war. Bei den ersten beiden Rennen in Silverstone und Spa stellte sich Porsche mit dem RSR erstmals der Konkurrenz. Der Auftakt war harzig, und zu allem Überfluss hatte sich auch noch ein veritabler Konstruktionsfehler im Bereich der Hinterachse eingeschlichen, der das Fahrverhalten in Richtung launische Diva verschob.

Mit einem Gewaltakt fegte das Werksteam die Baustelle vor Le Mans aus, ACO und FIA erlaubten sogar mitten in der Saison technische Änderungen an der Hinterachse – und auf einmal leuchtete der Stern des 911 heller denn je. Über 24 lange Stunden bot man dem Aston-Martin-Werksteam in Le Mans die Stirn und holte am Ende, wenngleich mit etwas Glück, einen Doppelsieg. In São Paulo und Austin folgte dann wieder der Absturz ins Mittelfeld.

Le Mans war offensichtlich ein Ausreißer. Denn der für Le Mans obligatorische Low-Downforce-Kit war ein Volltreffer, bot ausreichend Abtrieb in schnellen Kurven, produzierte aber trotzdem konkurrenzfähige Topspeeds auf den fünf langen Geraden. Die Achillesferse aller Renn-Elfer ist die Konstanz: Die Heckmotorbauweise führt zu einer hecklastigen Gewichtsverteilung, und das frisst die Reifen. Dieser Faktor kam in Le Mans weniger zum Tragen, auch wegen der ungewöhnlich kühlen Außentemperaturen. So konnte Porsche sogar Triple-Stints abspulen.

Weil auch das Einsatzteam und die Fahrer einen Null-Fehler-Job verrichteten, blieb der RSR in Le Mans in Schlagdistanz, schlug die GTE-Konkurrenz mit Frontmittel- und Mittelmotorkonzept – und produzierte so genau jene Nachricht, die man im Rennsport gerne verkünden möchte.

Hitze ist Gift für die Reifen des Porsche 911 RSR

In den folgenden Rennen in Brasilien und den USA war es wieder heiß – Gift für den Reifenverschleiß des Elfers. Während die Konkurrenz in Austin munter Doppelstints fuhr und so zwischen 20 und 25 Sekunden pro Boxenstopp sparte, musste Porsche den Versuch, den Michelin-Reifen einen zweiten Stint zuzumuten, nach wenigen Runden abbrechen. Die Konkurrenz schaffte bei den Doppelstints zwar keine lineare Rundenzeitenentwicklung, doch der Drop fiel geringer aus als bei Porsche – und vor allem hielten die Reifen.

Weil sich der Trend im GT-Motorsport seit Jahren in Richtung Frontmittelmotorautos verschiebt, hat auch Michelin seine Reifenentwicklung stärker an die Gewichtsverteilung dieser Fahrzeuggruppe angepasst. So wurde Porsche auch an dieser Front zum Verlierer, denn Michelin kann nicht endlos Entwicklungsschleifen drehen, um für Porsche spezielle Konstruktionen aufzulegen.

Wenn der Reifenverschleiß eine Folge der Gewichtsverteilung ist, müsste man eigentlich über das Heckmotorkonzept diskutieren, doch diese Frage scheut Porsche wie der Teufel das Weihwasser. Denn die Marke hat eine Ikone – und die heißt 911. Bereits vor acht Jahren, noch bevor der Vorgänger-RSR (997) auf den Markt kam, evaluierte man in der Motorsportabteilung Alternativen. Da gab es auch ein Konzeptpapier, den Cayman in den GT-Sport zu schleusen – dieser Vorschlag fiel beim Vorstand aber durch.

Markenvielfalt durch Öffnung des GT-Sport-Reglements

Mittlerweile hat sich der GT-Sport stark verändert. Während vor zehn Jahren nur Porsche und Ferrari mitspielten, haben nun mit Viper, Corvette, BMW und Aston Martin neue Spieler mit neuen Konzepten das Feld betreten. Die Öffnung des Reglements hat die Markenvielfalt erst möglich gemacht.

Heute benötigt man keine abgehobenen Sondermodelle mehr, um ein erfolgreiches GT-Auto zu bauen. Stattdessen holt man sich eine Ladung technischer Sondergenehmigungen (Waiver) ab und kann – gute Arbeit und erfolgreiche Lobbypolitik vorausgesetzt – mitspielen. Dazu hat sich die GT-Szene stark professionalisiert: In Amerika fahren Corvette, Viper und BMW volle Werkseinsätze, in Le Mans sind alle Hersteller werksunterstützt präsent. Der Wettbewerb wird immer schärfer, der Sport ist sozusagen an eine Decke gestoßen, wo kleine Details den Ausschlag geben – und große Details zum Sargnagel werden.

Deshalb schlagen die Konzeptunterschiede immer stärker durch. In der Theorie gibt es nach dem aktuellen GTE-Reglement nur ein perfektes Auto: Ferrari stellt mit dem Mittelmotor-458 das Optimum. Die drei schwersten Baugruppen (Fahrer, Tank, Motor) sind zentral angeordnet, und die Italiener gewinnen nur deswegen nicht jedes Rennen, weil die Regelmacher aus Gründen der Ausgewogenheit und Markenvielfalt den Ferrari künstlich stärker einbremsen.

Frontmittelmotor mit 50:50 Gewichtsverteilung als Normlinie

Den stärksten Stamm der GTE-Klasse bilden die Frontmotor-Sportwagen, wo die Motoren weit nach hinten und unten versetzt werden dürfen. Zudem wandern die Getriebe zum Teil an die Hinterachse, was sie de facto zu Frontmittelmotorwagen macht. Derart können sie jede Vorgabe des Reifenherstellers bei der angestrebten statischen Gewichtsverteilung (zwischen 47 und 50 Prozent an der Vorderachse) problemlos umsetzen.

Das Heckmotorauto 911 ist mittlerweile klar aus dem Fenster herausgefallen. Porsche hat nicht nur den Nachteil der Einbaulage, der beim Vorgänger-RSR eine um 280 Kilogramm höhere statische Hinterachslast produzierte als an der Vorderachse. Die Heckmotorbauweise straft Porsche auch beim Packaging: Der Tank muss wie in der Serie vorn eingebaut werden, aber der abnehmende Füllstand beeinträchtigt logischerweise Balance und Fahrverhalten.

In einer perfekten Welt wäre der Tank exakt in der Mitte installiert, zwischen Fahrer und Motor – wie beim Ferrari 458, was den Einfluss der Spritmenge auf die Fahrdynamik stark reduzieren würde. Der um 120 mm längere Radstand beim neuen 911 RSR ist in diesem Zusammenhang nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein.

Porsche war in der Vergangenheit fast immer in die Lage, die Nachteile irgendwie zu kompensieren, beispielsweise indem man die kompakte und kleine Elfer-Karosserie dazu nutzte, um wenig Luftwiderstand und somit hohe Topspeeds zu erzeugen. Auch der kleinste Motor im GT-Feld hatte abgesehen von seiner Einbaulage einen Vorteil, nämlich den sehr guten Verbrauch. Brutal ausgedrückt ist der Vier-Liter-Boxermotor heute einfach nur ein Nachteil: Er sitzt an der falschen Stelle, und die Gegner haben mit Hubräumen zwischen 4,5 (Ferrari) und 8,0 (Viper) Liter klar die Oberhand. Zudem werden die Tankvolumina heute so angepasst, dass alle Wettbewerber gleich lang fahren können – so dass der Verbrauch keine Rolle mehr spielt.

Defizite beim Porsche 911 RSR-Motor

In Austin schaffte Aston Martin mit einem technisch eher als antiquiert zu bezeichnenden Triebwerk 34 Runden mit einer Tankfüllung, und fuhr so länger als Porsche. Obendrein ballerten die Briten auch noch 66 Runden auf einem Satz Reifen herunter, was nicht wenige Mitglieder des Porsche-Werksteams in tiefe Depressionen stürzte.

Beim Thema Motor sind allerdings auch Porsche gewisse Versäumnisse anzukreiden: So fährt Gegner Ferrari seit 2011 mit Direkteinspritzung, Corvette setzt sie ab 2014 ein – bei Porsche kommt diese Technologie frühestens Mitte kommenden Jahres zum Einsatz.
Reden wir bei der laxen Erfolgsquote von Porsche im GT-Sport also über selbstverschuldete Unmündigkeit? Legt man alle Fakten auf den Tisch und ignoriert Marketing-Vorgaben, so hat Porsche drei Handlungsoptionen.

Erstens, man baut ein Heckmittelmotor-GT-Auto. Das würde die Probleme zwar analog zum Frontmittelmotorauto mildern und die Gewichtsverteilung verbessern. Aber so ein GT-Wagen würde kaum noch wie ein Elfer aussehen und wäre technisch nur schwer darstellbar. Zweitens könnte Porsche ein Mittelmotorauto bauen, doch noch ist die GTE-Klasse Produktionswagensport, was bedeutet, dass man ein anderes Basismodell wählen müsste. Der Cayman fällt aus Platzgründen aus, der 918 ist nicht nur wegen seiner Positionierung keine Alternative, sondern auch wegen der Kosten.

Porsche will mit dem Elfer konkurrenzfähig sein

Porsche hat sich für Lösung Nummer drei entschieden: Wir bleiben beim Elfer und drücken politisch auf die Tube, wodurch sich das Reglement in eine Richtung entwickelt, die es erlaubt, weiterhin mit dem Elfer konkurrenzfähig zu sein. Die US-Regelbehörde IMSA hat Porsche garantiert, den Konzeptnachteil des 911 über die Zulassung eines Evo-Paketes für 2014 und die Balance of Performance zu kompensieren.

Prompt verkündeten die Schwaben in Texas den Werkseinsatz in der neu formierten USC, die 2014 die Nachfolge von ALMS und Grand-Am antritt. Obwohl der Porsche-Vorstand prinzipiell grünes Licht für GT-Werkseinsätze in Amerika und in der Sportwagen-WM gegeben hat, wurde der WEC-Einsatz aber noch nicht bestätigt.

Doch letztlich kommt Porsche an diesem Einsatz nicht vorbei: Der neue Porsche 911 RSR wurde gebaut und entwickelt, das Investment ist getätigt. Da ständen die Schwaben irgendwie blöd da, wenn sie sich verweigern – und nach gleichem Reglement in Amerika antreten. Der politische Schlachtplan steht schon: Man will ACO und FIA davon überzeugen, dass Porsche als Kompensation für den Heckmotor die Felgenbreiten entsprechend der Gewichtsverteilung anpassen darf. Und weil die Aerodynamik immer der Gewichtsverteilung folgt, will Porsche über Waiver einen breiteren Heckflügel mit tieferer Cord-Länge herausschinden.

Ironie des Schicksals: Früher hat Porsche den Standpunkt vertreten, man kompensiert den Konzeptnachteil durch technische Innovation. Waiver und Balance of Performance wurden als Teufelszeug gebrandmarkt. Jetzt hängt der Erfolg des neuen Porsche 911 RSR ausgerechnet an diesen beiden Strippen.

Fünfter Lauf Sportwagen-WM: Renn-Analyse GTE-Pro-Klasse

Wo steht Porsche mit dem neuen 911 RSR nach dem fünften WM-Lauf in Austin? Die Daten sagen: in Schlagdistanz zu den Gegnern. Beim Mittel der schnellsten Rennrunden waren Porsche und Aston Martin auf Augenhöhe, auch bei den Topspeeds war Porsche näher dran als noch in São Paulo. Doch diese Zahlen erzählen noch nicht die volle Wahrheit.

Denn Aston Martin und Ferrari konnten Doppelstints mit den Reifen fahren, was bei jedem zweiten Stopp zwischen 20 und 25 Sekunden sparte. Porsche musste den Versuch, mit dem RSR (Nummer 92) Doppelstints zu fahren, nach nur 17 Runden vorzeitig abbrechen. Fortan mussten bei jedem Stopp die Reifen gewechselt werden. Somit verlor Porsche in der Box fast eine Minute – im Ziel betrug der Rückstand auf den siegreichen Aston Martin (Nr. 99) 1.08 Minuten.

Auch Ferrari konnte Porsche über die Doppelstints noch abhängen. Dazu verlor Porsche wegen des höchsten Verbrauchs Zeit beim Nachtanken: Der siegreiche Aston Martin kam mit 370 Liter über die Distanz, die zweit- und drittplatzierten Ferrari mit 366 respektive 360 Liter – der Porsche auf Platz vier (Nr. 92) benötigte 392 Liter.

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Sport Auto 03 / 2022
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Erscheinungsdatum 04.02.2022

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